Die Töchter des Bärenjägers (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
400 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01641-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Töchter des Bärenjägers -  Anneli Jordahl
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 Ein einzigartiger Roman über das ungezähmte Leben von sieben Schwestern in den Weiten der Wildnis  Die sieben Töchter des Bärenjägers wachsen auf einem entlegenen Bauernhof in den finnischen Wäldern auf. Von ihrem Vater lernen sie, wie man Fallen aufstellt und in der Wildnis überlebt; in die Schule schickt er sie nicht. Als ihre Eltern sterben, beschließen die Schwestern, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Sie streunen durch die Wälder, sammeln Pilze und Waldfrüchte und handeln auf einem kleinen Markt mit Bärenfellen. Mit Zigaretten, Alkohol und derber Herzlichkeit halten sie einander warm. Doch wie lange werden sie, ganz auf sich allein gestellt, in der Wildnis bestehen - und welche Wege in eine andere Zukunft werden sie für sich entdecken? »Mutig, großartig, rebellisch!« Aftonbladet

Anneli Jordahl, geb. 1960, ist eine schwedische Autorin, Essayistin und Literaturkritikerin. Für ihre Sachbücher und Romane wurde sie vielfach ausgezeichnet, mit Die Töchter des Bärenjägers stand sie 2022 auf der Shortlist für Schwedens renommiertesten Literaturpreis, den Augustpris.

Anneli Jordahl, geb. 1960, ist eine schwedische Autorin, Essayistin und Literaturkritikerin. Für ihre Sachbücher und Romane wurde sie vielfach ausgezeichnet, mit Die Töchter des Bärenjägers stand sie 2022 auf der Shortlist für Schwedens renommiertesten Literaturpreis, den Augustpris.

Cover
Verlagslogo
Titelseite
Motto
Der Bauernhof
Die Wildnishütte
Die Stadt
Über Anneli Jordahl
Impressum

Der Bauernhof


Erstes Kapitel


Sie fielen sofort auf. Zwar sahen sie von Weitem beim Verkauf von Brennholz, Pilzen und getrocknetem Hasenfleisch aus wie alle anderen. Meist erschienen sie zu zweit oder zu dritt auf den Märkten, gekleidet in Flanellhemden und schwarze Lederjacken. Kam man jedoch näher, war es ihr Geruch, der hervorstach und sich einem aufdrängte. Eine Mischung aus Baumharz, Schweiß und ungewaschenem Unterleib.

Mein Blick richtete sich auf ihre Jackenrücken; ein von Hand gemaltes Raubtierauge, darüber ein Gewehr. Unter dem Auge die Sieben als römisches Zahlzeichen. Ich schaute mir die Mädchen genauer an. Ob diese hier Drillinge waren? Sie sahen gleich aus: eine breite Stirn und rotbraunes zottiges Haar, das keinen Friseur kannte. Nein, eine unterschied sich von den anderen dadurch, dass ihre Nase im Profil betrachtet deformiert wirkte – vermutlich infolge einer Erfrierung.

Der Marktplatz war an diesem Tag von munterem Stimmengewirr erfüllt; ein Gemüseverkäufer erklärte seinen skeptischen Kunden gerade, dass Garten-Senfrauke tatsächlich dasselbe wie Rucola sei. Ein junges Paar erkundigte sich am Stand der örtlichen Bäckerei nach der Backweise des beliebten Rindenbrots – eine Spezialität, die von den Älteren verschmäht wurde, davon hatten sie im Krieg nun wirklich genug gehabt!

Ich konnte den Blick nicht von den drei Schwestern wenden. Sie zogen mich an, so diskret wie möglich umkreiste ich ihren Stand. Notierte ihre groben, von Kratzern und Wunden übersäten Hände, ihre langen Finger und die Schmutzränder unter den Nägeln, als sie ihren Kunden Pilze in Papiertüten reichten. Wie viele eingefleischte Tierfreunde aus der Stadt sie mittlerweile wohl als Kunden verprellt hatten, indem sie ihren Stand mit glänzenden Schwänzen frisch erlegter Tiere schmückten?

Jetzt ließen die Schwestern Fuchsschwänze vor der Menschenschar baumeln, um gleich darauf ihren Nutzen zu demonstrieren: Sie hängten sie sich um die Hüften und ließen sie obszön schwingen. Die Männer, die heute von ihren Frauen zum Marktbesuch überredet worden waren, machten amüsierte Mienen, die offenbarten, dass dieser Ausflug ihnen doch nicht so reizlos schien wie zunächst erwartet.

Auf den krakelig geschriebenen Verkaufstafeln der Mädchen wimmelte es vor Rechtschreibfehlern, als hätten sie eine Siebenjährige dafür angeheuert. Bären fleisch. Süß Walthimbeeren. Ich fotografierte die Mädchen aus einigem Abstand, als sie Bärenfelle auf den Marktstand legten, und richtete den Fokus auf die Glut; die von Hand gedrehten, dünnen Zigaretten wippten in ihren Mundwinkeln. Manchmal zogen sie so lange an der Kippe, dass sie sich die Lippen verbrannt haben müssten. Ich näherte mich ihrem Stand und lugte zwischen zwei breitschultrigen Männern hindurch, die von den Händlerinnen bestätigt haben wollten, dass die Bärenbestände in den letzten Jahren gewachsen seien. Als ich die Mädchen fragte, wie viel sie für das Holz nehmen würden und ob man bei ihnen mit Karte zahlen könne, wurde mir unwirsch mitgeteilt, dass sie nur Bargeld akzeptierten, wobei sie ihre dunkelbraunen Augen nicht von den behaarten Armen der Männer abwandten. Die Scheine und Münzen, die sie nach jedem Geschäft kassierten, verschnürten sie in einem braunen Lederbeutel. Sobald ihre Waren ausverkauft waren, zogen sie ihre Flachmänner hervor und tranken ein paar Schlucke daraus, wobei sie theatralisch das Gesicht verzogen. Die Zuschauer lachten. Es wurde zu einer richtigen Showeinlage.

Manchmal boten sie den Männern in der ersten Reihe einen Schluck an. Um den Stand der Schwestern scharten sich immer die meisten Kunden, und es herrschte ein hoher Lärmpegel: Auch heute ertönten wieder Pfiffe und Applaus. Schließlich stand ich direkt neben den breitschultrigen Männern und hob die Kamera, um das Foto des Jahres zu schießen, den Fokus auf die Narbe eines der Mädchen gerichtet, die in Form eines Regenwurms vom Augen- bis zum Mundwinkel verlief. Im Nu schlug die gerade noch ausgelassene Stimmung in Feindseligkeit um. Zwei Schwestern sahen auf, ihre Blicke hefteten sich jäh auf mein Gesicht. Meine Erinnerung an diesen Moment läuft stets wie in Zeitlupe vor meinem inneren Auge ab: wie ihre Pupillen schwarz wurden, wie aus Flirt Feindseligkeit wurde. Vier düster klaffende Löcher richteten sich auf mich. Das Mädchen mit der Narbe ließ demonstrativ einen Finger über ihre Kehle gleiten. Meine Beine zitterten, mein Herz wummerte, weshalb hatte ich sie nicht um Erlaubnis gefragt? Das tat ich sonst immer, bevor ich andere fotografierte. Ich schraubte den Objektivdeckel auf die Linse und hängte mir die Kamera über die Schulter. Die Mädchen widmeten sich wieder der Belustigung ihres Publikums und tranken den allerletzten Tropfen Schnaps. Ohne dass ich danach gefragt hätte, wurde mir der letzte Fuchsschwanz zu einem extrem günstigen Preis angeboten. Das Narbenmädchen schlenkerte ihn demonstrativ vor meinem Gesicht hin und her. Die unsichtbare, aber spürbar knisternde Energie der Händlerinnen sprang auf mich über, und zu meinem eigenen Erstaunen legte ich mit bebender Hand einen Schein hin.

Ich weiß nicht, wie oft ich sie so beobachtet habe. Die Frage, wie ihr Leben wohl aussah, ließ mich nicht los. Sie gingen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Was sie wohl zum Frühstück aßen? Was taten sie, wenn sie einmal Zahnschmerzen hatten? Ich kaufte mir ein Notizbuch und schrieb meine Beobachtungen auf; wenn man mit der Hand schreibt, werden die Worte erst richtig wahr. Mit der Zeit fand ich mehr über die Mädchen heraus, indem ich Bekannte und verschiedene Leute aus der Stadt über sie befragte. Ich erstand ein weiteres Schreibheft und fuhr ein wenig besessen fort, erkundigte mich bei Angestellten in verschiedenen Instanzen der Gemeindeverwaltung nach ihnen. Was wussten sie über die Schwestern? Die Antworten der Leute waren widersprüchlich.

Ein paar traurige Gestalten, die mit der Gesellschaft nicht klarkämen, erwiderten die meisten. Um Himmels willen, ohne Fernseher, Computer oder Handy seien sie aufgewachsen! Hätten in den letzten zehn Jahren nicht einmal ein Telefon gehabt. Könnten vermutlich kaum lesen, weil sie nie eine Schule besucht hatten. Es kursierten Gerüchte: Demnach hatte eine Lehrerin (die ihre Anstellung verlor, nachdem sie einen Schüler mit dem Messer bedroht habe) einen gewissen Draht zu ihnen finden und das Vertrauen der Schwestern insoweit gewinnen können, als die jüngste zumindest eine Schulfibel angenommen hatte. Ein wissbegieriges Mädchen, flink im Kopf. Aber sie brach, nachdem sie die Kunst des Lesens gelernt hatte, den Kontakt zur Lehrerin ab, und diese konnte das Mädchen danach nicht mehr erreichen.

Ja, ja, zweifellos sei alles so richtig den Bach runtergegangen, seitdem die Mädchen sich um den verstümmelten Leichnam ihres Vaters gekümmert hätten, meinten einige. Ein Bär hatte ihn getötet. Ein scheußlicher Anblick müsse das gewesen sein: Das Tier habe schwer verletzt, aber noch lebend neben dem toten Jäger gelegen, Blut sei ihm aus dem Maul geströmt. Der schrecklich zugerichtete Körper des Mannes und sein entstelltes Gesicht zeugten von einem grauenhaften, erbitterten Kampf. Die älteste Tochter habe den Bären dann erschossen und ihn so von einem langen Leiden erlöst.

Der Vater hatte sich einen Ruf als geschickter Bärenjäger erworben. Viele bewunderten ihn für seine Ausdauer: Welch lange Wanderungen durch die tiefen Wälder er auf sich nahm, schleppte er doch einiges an Übergewicht mit sich herum und sei mit den Jahren immer beleibter geworden. Die wenigen Leute, die ihn bei der Jagd hatten beobachten können, meinten, dass er dennoch leichtfüßig wie ein Orientierungsläufer über Wurzeln, Stock und Steine gesprungen sei. Irgendwann aber sei dem Mann sein Ruhm zum Verhängnis geworden. Er wurde der Wilderei bezichtigt, und die Polizei suchte ihn mehrmals auf, aber er fand sich nie zu den Gerichtsverhandlungen ein. Das älteste Mädchen sei zu jener Zeit in die Schule gekommen, aber die Eltern hätten es einfach wieder abgemeldet, tja, so war das. Von da an habe die ganze Familie jeden sozialen Kontakt vermieden. Die Nachbarin, die Witwe Niskanpää, deren Hof zehn Kilometer von dem der Familie entfernt lag, übernahm einige Erledigungen für sie, so war es doch? Kaufte die nötigen Waren ein, füllte Benzinkanister und war bei Geburten behilflich, war sie doch von ihrer Mutter, einer Wildnissamariterin, angelernt worden. Ja, so erzählten die Leute.

Es wurde auch behauptet, der Vater der Mädchen habe sich vor seinem Tod manchmal vor wirklichen und eingebildeten Verfolgern im Wald versteckt. Sei vermutlich nachts heimgekommen und habe sich morgens wieder fortbegeben. Noch lange nach seinem Tod hätten seine Töchter in verfallenen Hütten und ausgedehnten Höhlen tief im Wald Spuren von ihm gefunden.

Die alleinerziehende Mutter und die trauernden Töchter seien nach der bestürzenden Todesnachricht nicht mehr miteinander ausgekommen, hieß es. Die Abneigung habe auf Gegenseitigkeit beruht, es sei zu Aggressionen gekommen, die wiederum führten zu noch mehr Gewalt. Nicht einmal Frau Niskanpää sei da noch ins Haus gelassen worden. Waldarbeiter hätten die Schwestern abgemagert und blau geprügelt im Wald umherirren gesehen.

Beim Begräbnis des Vaters dann, als Mutter Louhi, die Nachbarin Niskanpää mit ihrem Sohn John und der Bruder der Mutter, Veikko Huovinen, gemeinsam mit den sieben Töchtern Abschied nahmen, sei Simone die Einzige von ihnen gewesen, die die Hände zum Gebet faltete und alle Kirchenlieder auswendig mitsang, erfuhr ich vom Pastor. Als die Mädchen der Reihe nach mit einer Zichorienblüte zum...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2023
Übersetzer Nina Hoyer
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • ann-helén laestadius • Aufwachsen • August-Preis • Augustpris • Booktok • BookTok Germany • Coming of Age • Familienroman • Finnland • Flusskrebs • Freiheit • Geschwister • Geschwisterbeziehung • Identität • Laestadius • Lappland • Leuchten • Natur • Rentier • Schwestern • TikTok • TikTokBooks • TikTok Germany • Waise • Wald • Weite • Wildheit • Wildnis
ISBN-10 3-455-01641-3 / 3455016413
ISBN-13 978-3-455-01641-3 / 9783455016413
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