Klytämnestra (eBook)

Roman - Für alle Leser*innen von Madeline Millers "Ich bin Circe"

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
560 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-30624-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Klytämnestra - Costanza Casati
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Klytämnestra: Tochter des mächtigen Königs von Sparta, Schwester der schönen Helena, verheiratet mit dem berühmten Helden Agamemnon - und von mächtigen Männer angeklagt, eine ruchlose Mörderin zu sein. Doch die wahre Geschichte ist eine andere: misshandelt, missachtet und unterschätzt wird Klytämnestra von ihrem tyrannischen Ehemann gezwungen, die eigene Tochter zu opfern. Voller Wut und Trauer beginnt sie sich zu wehren gegen all jene, die ihr Unrecht tun. Und wird trotz aller Widerstände zu einer starken, unabhängigen Frau und Königin, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt ...

Costanza Casati wurde 1995 in Texas geboren und wuchs in einem Dorf in Norditalien auf. An einem klassischen italienischen Liceo studierte sie Altgriechisch und antike griechische Literatur. Anschließend lebte sie fünf Jahre lang in England, wo sie das Warwick Writing Program absolvierte. »Klytämnestra« ist das Romandebüt der Journalistin und Drehbuchautorin.

2

Eine siegt, eine verliert

»Lauf nicht so schnell, Klytämnestra! Artemis bringt mich um, wenn ich wieder Zweite werde!«

Klytämnestras Lachen klingt wie Vogelzwitschern über der weiten Ebene. »Bestimmt nicht. Das hat Mutter dir nur erzählt, damit du dich mehr anstrengst.«

Zwischen Oliven- und Feigenbäumen rennen sie hindurch, faulende Früchte unter den bloßen Füßen, Blätter im Haar. Klytämnestra ist schneller, trotz ihrer Wunden entschlossen, als Erste den Fluss zu erreichen. Ihre Schwester Helena folgt keuchend, das goldene Haar schimmernd im Sonnenlicht.

Klytämnestra lässt den Hain hinter sich, läuft auf verdorrtem Gras weiter, weil die trockene Erde brennend heiß ist. Erst am Fluss hält sie inne. Sie betrachtet ihr Spiegelbild im Wasser, staubig und schweißüberströmt.

»Warte auf mich!«, ruft Helena, die am Rand des Hains stehen geblieben ist. Als sie ihre Schwester erreicht, sagt sie atemlos und mit funkelnden Augen: »Warum hast du es immer so eilig?«

Klytämnestra lächelt. Dem Volk von Sparta mag Helena wie eine Göttin erscheinen, aber in Wahrheit versucht sie in allem so zu sein wie ihre Schwester.

»Weil es heiß ist.« Klytämnestra streift ihre Tunika ab und springt in den Fluss. Ihr langes Haar umfließt sie wie feine Algen.

Die Frische des frühen Morgens weicht allmählich der Sommerhitze. An den Ufern des Flusses Eurotas, zwischen verdorrten Ebenen und zerklüfteten Bergen gelegen, kämpfen einzelne blutrote Anemonen ums Überleben. Auf dem fruchtbaren Boden in Ufernähe gedeihen Oliven- und Feigenbäume.

Helena steht noch in Ufernähe, das Wasser reicht ihr bis an die Oberschenkel. Sie watet wie immer ganz langsam in den Fluss, benetzt erst ihre Haut mit Wasser.

»Trau dich!« Klytämnestra schwimmt zu ihrer Schwester und umfasst ihre Taille.

»Das Wasser ist so kalt«, klagt Helena und klammert sich an Klytämnestra, um sich zu wärmen.

Die schüttelt lächelnd den Kopf. »Du bist einfach keine Spartanerin.«

»Ich bin eben anders als du. Wärst du ein Mann, dann wärst du bestimmt einer der stärksten Krieger von ganz Griechenland.«

»Jedenfalls bin ich einer der klügsten Menschen von ganz Sparta«, erwidert Klytämnestra mit übermütigem Grinsen.

Helena runzelt die Stirn. »So was solltest du nicht sagen. Du weißt doch, was Mutter uns über Hybris beigebracht hat.«

»›Hochmut kommt vor dem Fall‹«, zitiert Klytämnestra gelangweilt. »Aber Vater, der immer behauptet, er sei der mutigste Krieger von Sparta, ist noch nie dafür bestraft worden.«

»Weil er König ist. Wir aber nicht. Deshalb dürfen wir die Götter nicht erzürnen«, beharrt Helena.

Klytämnestra lacht. Die Ernsthaftigkeit ihrer Schwester amüsiert sie immer wieder. »Wenn du als die Schönste weit und breit giltst, darf ich wohl auch die Klügste sein. Warum sollte das die Götter erzürnen? Die sind doch ohnehin klüger und schöner als alle Menschen.«

Als Klytämnestra jetzt auf einen glitzernden Sonnenfleck zuschwimmt, folgt Helena ihr. Die beiden Schwestern tummeln sich im Fluss, das Gesicht wie Sonnenblumen dem Licht zugewandt.

Später gehen sie zu ihrem täglichen Training ins Gymnasion. Die Sonne ist heiß, und sie flüchten in den Schatten der Bäume, von denen der Innenhof gesäumt ist. Hier trainieren die Töchter der angesehensten Krieger Spartas gemeinsam mit anderen Mädchen, bis sie als junge Frauen eine Familie gründen. Die nackten Körper glänzen von Öl und Schweiß, alte Narben zeichnen sich hell auf der sonnenbraunen Haut ab.

Klytämnestra betritt den Platz, dicht gefolgt von Helena. Der Sand brennt an den Fußsohlen wie eine glühende Klinge, die Luft riecht durchdringend nach Schweiß. Der Lehrer – einer der Krieger ihres Vaters – reicht den Schwestern zuerst einen Diskus, später einen Speer und korrigiert ihre Haltung beim Wurf. Während die Sonne am Himmel höher steigt, springen, laufen und rennen die Mädchen auf dem Platz, bis ihre Glieder schmerzen und ihre Kehle ausgetrocknet ist.

Schließlich ist es Zeit für den Tanz. Helena lächelt glücklich, das Tanzen liebt sie am meisten. Zum Klang der Trommeln bewegen sich Füße im Sand, Haare wirbeln durch die sonnenflirrende Luft wie Flammenzungen. Klytämnestra tanzt mit geschlossenen Augen, ihre muskulösen Beine folgen dem Rhythmus. Helena bewegt sich sanfter und anmutiger, als fürchte sie sich vor Wildheit. Leichtfüßig und graziös, ihre Arme schwerelos wie Flügel, scheint es fast, als wolle sie sich in die Lüfte erheben. Doch das ist ihr nicht gegeben, und so tanzt sie unermüdlich.

Klytämnestra tanzt für sich selbst, Helena für die Blicke der anderen.

Das Wasser im Bad ist kühl und erfrischend. Nur Helena, Klytämnestra und anderen Spartiatinnen ist es gestattet, sich in dem kleinen Raum am Rande des Gymnasions aufzuhalten. Alle anderen müssen im Fluss baden gehen.

Klytämnestra lehnt den Kopf an die Steinwand und sieht zu, wie ihre Schwester aus dem Becken steigt. Das goldene Haar haftet an ihren Schultern. Beide Mädchen, sechzehnjährig, bemerken, wie sich ihre Körper verändern, wie ihre Gesichter klarer und erwachsener werden. Klytämnestra macht das Angst, aber sie spricht nicht darüber. Es erinnert sie daran, dass ihre Mutter Leda in diesem Alter schon mit Tyndareos vermählt war und ihre Heimat verlassen hatte.

Leda stammt aus Ätolien, dem unfruchtbaren bergigen Land im Norden Griechenlands, das bekannt ist für wilde Tiere, Naturgottheiten und allerlei Geistwesen. Wie sämtliche ätolischen Prinzessinnen vor ihr war Leda Jägerin, erfahren mit Axt und Bogen, und huldigte der Berggöttin Rhea. König Tyndareos liebte ihre Wildheit und heiratete sie, obwohl die Griechen die Stämme von Ätolien als grob und ungehobelt schmähten und behaupteten, sie äßen rohes Fleisch wie die Tiere. Als Leda, eine kraftvolle Frau mit rabenschwarzem glänzendem Haar und olivbrauner Haut, dann die hellhäutige honigblonde Helena gebar, glaubte jeder in Sparta, dass Zeus ihr Vater sei. Den Gott gelüstete es stets nach schönen jungen Frauen, und in allerlei Verwandlungen nahm er sich, was er begehrte. Als Stier entführte er die phönizische Prinzessin Europa, als Goldregen erschien er der bezaubernden Danaë, als Nebelwolke der Priesterin Io.

Als Leda einmal alleine am Ufer des Eurotas saß und ins Wasser blickte, näherte er sich ihr angeblich in Gestalt eines Schwans. Er flog in ihre Arme, und als sie ihn streichelte, nahm er sie mit Gewalt. Es gab jedoch allerlei detailreiche Versionen des Geschehens bei den Spartiaten. In einigen Geschichten kämpfte Leda und wehrte sich, wurde vom Schnabel des Schwans verletzt, während er sie mit seinen Schwingen festhielt. In anderen Versionen hieß es, die Vereinigung sei lustvoll gewesen für Leda, die verzückt zurückgeblieben sei.

»Ganz bestimmt hat es ihr gefallen«, hatte Klytämnestra einmal einen Jungen im Gymnasion sagen hören. »Die Königin ist anders … ihr Volk ist barbarisch

Klytämnestra hatte diesen Jungen mit einem Stein ins Gesicht geschlagen, ihrer Mutter jedoch nichts davon gesagt.

Derlei Gerüchte wurden aus Neid verbreitet, denn Leda war wunderschön, und die Spartiaten misstrauten ihr. Aber böse Zungen werden selten überhört, und so glaubt inzwischen auch König Tyndareos selbst, dass Helena nicht seine Tochter ist. Er sieht nichts von sich in diesem Mädchen, das Musik und Tanz liebt und beim Anblick eines verwundeten Soldaten in Tränen ausbricht.

Klytämnestra aber weiß, dass Helena ihre Schwester ist, denn ihr Wille ist nicht minder stark, auch wenn sie als Kind schon zarter und sanfter war. Damals verglich Helena jede Einzelheit ihrer kleinen Körper, bis sie etwas fand, das gleich war. Erst dann war sie zufrieden. Die Wimpern beider Schwestern sind lang und dicht, ihre Finger schmal, ihr Hals lang. Aber wenn Klytämnestra damals sagte, ihr Haar sei so dunkel wie Erde, schmollte Helena.

»Die Jungen werden gleich hier sein.«

Klytämnestra schaut auf. Die anderen Mädchen haben das Bad verlassen, nur Helena ist noch da, und sie betrachtet ihre Schwester mit schief gelegtem Kopf wie eine neugierige Taube. Klytämnestra würde sie gerne fragen, ob sie sich auch vor der Zukunft fürchtet. Doch sie findet nicht die richtigen Worte, und so richtet sie sich auf und sagt nur:

»Dann lass uns gehen.«

An diesem Abend sind nur Frauen im Speisesaal. Ihr Lachen hallt von den Wänden wider, der Geruch von gebratenem Fleisch liegt in der Luft. Als Klytämnestra und Helena hereinkommen, sitzt ihre Mutter am Kopfende des Tisches und spricht mit Dienerinnen, während Timandra, Phoibe und Phylonoe, Klytämnestras jüngere Schwestern, ihre Teller mit Fladenbrot und Oliven füllen. Die Mädchen kauen zufrieden, Hände und Wangen fettig vom Fleisch. Helena und Klytämnestra nehmen die leeren Plätze zu beiden Seiten der Mutter ein.

Durch die hohen Fenster des großen Saals blickt man auf die weite Ebene. Die Wände sind kahl bis auf einige alte Waffen, die man dort aufgehängt hat. An dem langen abgenutzten Tisch aus dunklem Holz speisen gewöhnlich Männer und Frauen gemeinsam.

»Sorgt dafür, dass niemand Getreide aus den Lagern stiehlt«, befiehlt Leda den Bediensteten, »und dass genügend Wein für den König bereitsteht, wenn er von seiner Reise zurückkehrt.« Dann entlässt sie die Dienerinnen mit einer Handbewegung, und sie huschen so lautlos hinaus wie Fische, die durchs Wasser gleiten.

Phoibe wischt sich die Hände an ihrer braunen Tunika ab und beugt sich vor. »Wann ist Vater wieder da?« Sie ist noch ein kleines Mädchen wie ihre...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2023
Übersetzer Sibylle Schmidt
Sprache deutsch
Original-Titel Clytemnestra
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • amspruchsvoller historienroman • Antikes Griechenland • Bücher über starke Frauen • clytemnestra • eBooks • Griechenland • Historische Frauenfigur • Historische Romane • ich, ariadne • Ich bin Circe • Jennifer Saint • madeleine miller • Märchenbuch • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • neuerzählter mythos • Retelling • Roman • Romane • Sparta • Troja • weibliche Perspektive
ISBN-10 3-641-30624-8 / 3641306248
ISBN-13 978-3-641-30624-3 / 9783641306243
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