Das Leben meiner Schwester (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-25876-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Leben meiner Schwester -  David Foenkinos
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»David Foenkinos versteht es wie kein anderer, das Seelenporträt einer zurückgewiesenen Frau in einen psychologischen Thriller zu verwandeln. Atemberaubend.« Version Femina
Die Hochzeit ist schon geplant, da bricht über Nacht für die sensible Lehrerin Mathilde die Welt zusammen. Ihr Freund Etienne hat beschlossen, sie zu verlassen. Waren alle Versprechen Lügen, war die gemeinsame Zeit nur Illusion? Mathilde ist zutiefst verletzt. Erst als ihre Schwester Agathe sie bei sich in ihrer Wohnung aufnimmt, findet Mathilde langsam wieder zu sich selbst: Da ist Lili, ihre süße Nichte, mit der sie spielt, und da ist Frédéric, Agathes liebevoller, verlässlicher Ehemann, mit dem sie angeregt diskutiert. Doch zugleich beginnt Neid an ihr zu nagen, stetig und gnadenlos. Hat es Agathe wirklich verdient, all das zu haben, was sich Mathilde immer gewünscht hat? Mathilde sieht die Welt plötzlich wie in einem Zerrspiegel - mit fatalen Folgen ....

Das faszinierend-verstörende Psychogramm einer zurückgewiesenen Frau.

David Foenkinos, 1974 geboren, lebt als Schriftsteller und Drehbuchautor in Paris. Seit 2002 veröffentlicht er Romane, darunter den Millionenbestseller 'Nathalie küsst', der auch als Film mit Audrey Tautou das Publikum begeisterte. Seine Bücher werden in rund vierzig Sprachen übersetzt. Der vielfach ausgezeichnete Roman 'Charlotte' hat sich allein in Frankreich rund eine halbe Million Mal verkauft und wurde auch in Deutschland zum Bestseller. 'Das geheime Leben des Monsieur Pick' war in Frankreich monatelang auf der Bestsellerliste und kommt 2019 in die Kinos.

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Mathilde spürte, sie war vernichtet, am Boden zerstört, das Leben spielte ihr übel mit, aber es gab noch immer einen Ort, an dem sie vor der Gewalt des Schicksals sicher war: die Schule.

Ihre zwölfte Klasse richtete sie auf. Die Jugendlichen lächelten sie freundlich an, erkundigten sich, ob es ihr wieder besser ging, und Mathilde musste ihnen hoch und heilig versprechen, nicht noch einmal krank zu werden, schließlich hatten sie am Ende des Jahres Abiturprüfung. Mateo fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. Ihre Schüler mochten sie offenbar. Aber war der Beruf ein Ersatz für die Liebe? Konnte sie Étienne gegen rund dreißig Jungen und Mädchen auswechseln? Ihre Gesichter kamen ihr wie Puzzleteile vor. Wenn man sie zusammensetzte, bildeten sie ein Ganzes.

Zeit, sich wieder der Erziehung der Gefühle zu widmen.

Als Frédéric Moreau Madame Arnoux zu Beginn des Romans auf einem Schiff zum ersten Mal sieht, möchte er alles über sie wissen. Der Erzähler betont, dass es Frédéric anscheinend nicht darum zu tun ist, das geliebte Wesen sein Eigen zu nennen, sondern nur darum, Dinge über sie in Erfahrung zu bringen. Edler ist es, nach Wissen zu dürsten als nach Besitz zu streben. Mathilde bat sich Ruhe aus, um diesen Satz vorzulesen: »Die Begierde verschwand sogar in einem tieferen Verlangen, in einer brennenden, grenzenlosen Neugier.«

Sie wiederholte mehrmals: »In einer brennenden, grenzenlosen Neugier.«

Sie ließ die Worte wirken. Es war mucksmäuschenstill in der Klasse. Alle schienen die Formulierung andächtig in sich aufzunehmen. Vereinzelt war ein Flüstern zu hören: »in einer brennenden, grenzenlosen Neugier«. Die Lehrerin erklärte, dass Flaubert hier ein hochaktuelles Thema ansprach, der Drang, sich alle möglichen Informationen über andere zu beschaffen, sei heutzutage sehr weit verbreitet. Ihre Rede rührte natürlich von ihrem eigenen unwiderstehlichen Drang her, alles über Iris herauszufinden. Frédéric hatte den gleichen Antrieb wie sie, er brauchte genaue Auskünfte, und wenn er sie erhalten hatte, holte er diese Auskünfte noch einmal ein. Er drehte sich die ganze Zeit im Kreis und bekam nie genug davon.

Mathilde durchbrach das drückend werdende Schweigen: »Wir haben jetzt noch eine halbe Stunde. Ich möchte, dass jeder von euch einen Aufsatz über den Begriff der brennenden, grenzenlosen Neugier schreibt. Einfach, was euch dazu einfällt. Lasst euren Gedanken freien Lauf.«

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Mathilde las die Aufsätze abends im Bett. Eine Schülerin hatte geschrieben:

»Jedes große Gefühl verwandelt sich früher oder später in Schmerz.«

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Die Zeit verging, der Kummer nicht. Wenn Mathilde allein war, fühlte sich das Leid nach wie vor unerträglich an und schien kein Ende nehmen zu wollen. In den Schulstunden gelang es ihr manchmal für ein paar Minuten, nicht an Étienne zu denken, Atem zu schöpfen. Aber sonst spukte er dauernd in ihrem Kopf, seinem verlassenen Reich.

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Er hatte auf Mathildes Nachrichten nicht geantwortet. Nicht aus mangelndem Mitgefühl, sondern weil es nichts mehr zu sagen gab. Seine Entscheidung, die verheerende Schäden verursacht hatte, war getroffen, was war dem noch hinzuzufügen? Mathilde weiter zu sehen, hätte bloß eine Vergrößerung des Sumpfgebiets bedeutet. Wenn man sich trennen will, darf man keine Rücksicht nehmen. Aber er dachte oft an sie. Manchmal bedauerte er seinen Schritt. Nicht allzu sehr, nur ein bisschen, das heißt, er verspürte einen vagen Schmerz, wenn er sich erinnerte, was sie alles gemeinsam erlebt und wie sie zusammen gelacht hatten. Die armen Erinnerungen, er bog sie sich zurecht, wie es ihm gerade passte. Meist hatte er jedoch das Gefühl, dass er im Moment total aufblühte.9 Jeder Tag war wie ein neues Leben. Er war rundum glücklich, wenn er an der Seite seiner wunderbaren Freundin im Restaurant Platz nehmen oder sich mit ihr einen schlechten Film anschauen durfte. Nicht einmal der Regen konnte ihm mehr etwas anhaben.

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Schließlich schrieb er Mathilde doch: »Tut mir leid, dass ich mich nicht früher gemeldet hab. Ich fand’s besser so. Hoffentlich geht’s dir gut. Ich denk viel an dich. Aber meine Nachricht hat eigentlich einen anderen Grund: Glaubst du, ich kann mal bei dir vorbeischauen? Wir müssen reden. Étienne.«

Mathilde las den Text immer und immer wieder, analysierte jede Silbe. Die kühle Formel »Étienne« am Schluss, der kein »Alles Liebe« oder Ähnliches vorausging, stand in krassem Gegensatz zu dem doch recht herzlichen »Ich denk viel an dich«. Ihre Exegese dieser schlichten Mitteilung wäre der Bibel würdig gewesen. Étienne hatte sicherlich jede Vokabel sorgfältig abgewogen. Aber er hatte nur nett sein und dabei keine Hoffnungen in ihr wecken wollen. Dieser Versuch war gescheitert. Mathilde empfing eine Nachricht von Étienne, schon malte sie sich seine mögliche Rückkehr aus. Er wollte sie sehen, mit ihr reden. Sie stellte sich freilich auch andere Szenarien vor. Vielleicht würde er ihr verkünden, dass Iris ein Baby erwartete. Das konnte durchaus sein. Aber im Grunde dachte sie, dass er zu ihr zurückkommen würde. Er würde garantiert zurückkommen. Ihre Liebe war einfach zu groß. Diese Liebe ging nie zu Ende. Nur ein verbitterter Mensch würde das Ende heraufbeschwören. Allmählich wurde ihr alles klar. Iris war wieder aufgetaucht, sie hatte Étienne den Kopf verdreht, aber mit der Zeit war ihm aufgegangen, dass sie doch ein furchtbar flatterhaftes Wesen war und sich mit ihr keine gemeinsame Zukunft aufbauen ließ. Sie hatte ihn bereits einmal verlassen, warum sollte sie das nicht ein zweites Mal tun? Der Reiz des Neuen verschwand manchmal schneller, manchmal langsamer, aber dieser Reiz war so flüchtig gewesen, dass er rasch unsichtbar geworden war. Der anfängliche Glanz war flugs verblichen.

Kein Vergleich zu ihrer Beziehung zu Étienne, die sich bewährt hatte. Oft hatten sie über andere Pärchen, die nicht sehr freundlich miteinander umgingen, den Kopf geschüttelt. Sie konnten nicht verstehen, wie ein Zusammenleben ohne gegenseitige Achtung möglich war. Man musste sich doch anstrengen, damit jeder neue Tag wie der erste Tag war. Hatte Étienne mal seine schlechte Laune an ihr ausgelassen, hatte sie gesagt: »Früher hast du nicht so mit mir geredet.« Umgekehrt war es genauso. Sie waren dem anderen gegenüber immer aufmerksam gewesen. Sie waren einander nicht überdrüssig geworden. Da war sie sich sicher. Daran hatte es nicht gelegen. Daran, dass der Zahn der Zeit an ihrem Verhältnis genagt hatte. Dieser an sich richtige Gedanke führte sie zu dem Schluss, dass ihre Liebe demnächst einen zweiten Frühling erleben würde.

Sie antwortete umgehend (obwohl sie sich damit eigentlich hatte Zeit lassen wollen), er könne natürlich gern vorbeikommen. Und sie verabredeten sich für den nächsten Tag, den Samstagabend.

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Schon am Samstagmorgen ging es drunter und drüber in ihrem Kopf. Wie sollte sie sich verhalten? Herzlich oder distanziert? Sie überlegte sich, dass sie sich am besten ganz nach ihm richtete. Aber mit welcher Einstellung würde er bei ihr erscheinen? Erst einmal galt es, ein weiteres Problem zu lösen. Was sollte sie anziehen? Das blaue Kleid, das er so wahnsinnig toll fand? Wenn er jedoch in einem eher lässigen Outfit aufkreuzte, wäre das wohl lächerlich. Sie hatte eine Idee: Sie würde sich verschiedene Sachen zurechtlegen und alles auf dem Bett ausbreiten. Kurz vor der ausgemachten Zeit würde sie in Unterwäsche am Fenster stehen, nach ihm Ausschau halten und die Lage peilen. Sie wohnte im vierten Stock, sie hatte also genügend Zeit, sich (zumindest kleidungstechnisch) der Situation anzupassen. So würde sie ihm auf Augenhöhe begegnen. Sie rieb sich auf, indem sie jeden Atemzug von ihm vorwegnehmen wollte.

Da kam er. Jeans, Pullover und Turnschuhe. Nicht gerade der Aufzug, den man wählt, wenn man eine Liebesbeziehung fortsetzen will. Aber man konnte ja nie wissen. Gut, dass sie auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Das schöne blaue Kleid kam eindeutig nicht infrage. Sie zog ebenfalls eine Jeans und einen Pulli an. Damit waren sie beide auf derselben Ebene. Sie hatte die Nase voll davon, mehr zu leiden als er.

Sie rannte ins Bad und schminkte sich ab.

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Étienne klopfte vorsichtig. Er hätte auch läuten können, aber er kannte ja den markerschütternden Klingelton. Mathilde streifte ein bisschen durch die Wohnung, bevor sie die Tür öffnete. Eine etwas ungeschliffene Art, so zu tun, als wartete sie nicht auf ihn. Als sie ihn vor sich sah, ging es ihr durch und durch. Es war, als ob ihr jemand das Herz oder eine Arterie aufschneiden würde. Sie dachte sich, dass sie ihn immer lieben würde. Schrecklich. Der Schmerz würde nie vergehen, wenn Étienne nicht zu ihr zurückkam. Er sagte Hallo und reichte ihr eine Flasche Wein. Weder begrüßte sie ihn, noch nahm sie ihm die Flasche ab. Nachdem sie einen Augenblick wie angewurzelt dagestanden hatte, fand sie ihre Fassung wieder und entschuldigte sich. Ja, das war das Erste, was sie zu dem Mann, der sie verlassen hatte, sagte: »Entschuldige bitte.«

Sie hatte vor, Ruhe auszustrahlen und zu zeigen, dass es ihr gut ging. Natürlich hatte sie aufgeräumt und auf dem Büfett deutlich sichtbar zwei Theaterkarten platziert, für ein Schauspiel, das sie niemals sehen würde. Der Beweis ihrer Unternehmungslust. Mathilde bekam ja öfter Freikarten, weil sie mit ihren Klassen regelmäßig ins Theater ging. Étienne bemerkte die Tickets (sie waren nicht zu übersehen) und erkundigte sich nach dem Stück. Mathilde, die keinen blassen Schimmer hatte, worum es darin ging, rief begeistert aus: »Ach,...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2024
Übersetzer Christian Kolb
Sprache deutsch
Original-Titel Deux Soeurs
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Charlotte Salomon • Dann schlaf auch du • das geheime leben des monsieur pick • die frau im musee d'orsay • eBooks • folgen von liebeskummer • Frankreich • Leila Slimani • Nathalie küsst • Neuerscheinung • Paris • psychogramm einer verlassenen frau • Roman • Romane • seelenporträt • zwei Schwestern
ISBN-10 3-641-25876-6 / 3641258766
ISBN-13 978-3-641-25876-4 / 9783641258764
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