Jeder Tag ein neuer Anfang -  Ciara Geraghty

Jeder Tag ein neuer Anfang (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
448 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30070-8 (ISBN)
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Manchmal braucht das Glück eine zweite Chance ...
Nach einer schrecklichen Familientragödie verließ Marianne ihr Elternhaus in Irland für immer. Doch als ihr Leben Jahre später aus den Fugen gerät, muss sie in das baufällige Haus am Meer zurückkehren, in dem ihre Mutter Rita, eine exzentrische Künstlerin und trockene Alkoholikerin, noch immer lebt und eine kleine, schräge Gruppe an Ex-Alkoholikern versammelt. Obwohl Marianne anfangs zu allen auf Distanz geht, kann sie sich der liebenswerten Gemeinschaft nicht lange entziehen. Aber gerade als Marianne sich auch ihrer Mutter annähert, erfährt sie von einem streng gehüteten Geheimnis - und ihre Hoffnung auf einen Neuanfang scheint verloren ...

Ciara Geraghty lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Dublin. »Das Leben ist zu kurz für irgendwann« eroberte die Herzen der Leserinnen und Leser im Sturm und stand unter den Top Ten der Irish-Times-Bestsellerliste.

2


Das Haus hieß Ancaire, benannt nach einem ankerförmigen Felsen am Strand unten.

Den Namen hatte Marianne immer als passend empfunden.

Jetzt schon spürte sie das schwere Gewicht, das sie nach unten zog. Sie stampfte mit den Füßen auf die matschige Erde, um ihre Zehen zu beleben, und schlang die Arme um sich, in dem vergeblichen Versuch, den bitterkalten Ostwind abzuwehren, der mit salziger Meeresluft ihre ohnehin widerspenstigen Haare im Nu in einen feuchten krausen Wust verwandelte.

»Alles in Ordnung mit dir, Schatz?« Marianne öffnete die Augen. Sie hatte ihre Mutter fast vergessen. Was man nicht von vielen Leuten behaupten konnte. Das wurde allein schon durch Ritas Kleidungsstil verhindert.

Nicht zum ersten Mal fragte sich Marianne, weshalb ihre Mutter bei der Auswahl ihrer bizarren Klamotten niemals die Witterungsverhältnisse in Betracht zog. Weder der grellorange Seidenturban noch das ärmellose pinke Sommerkleid und das blutrote Bolerojäckchen konnten Wärme spenden. Und der Tag war so trüb, dass die gigantische Sonnenbrille enorm überflüssig war. Rita steuerte auf ihre Tochter zu, blieb dicht vor ihr stehen und legte ihr die Hände auf die Schultern. Marianne roch Zigaretten, Kaffee und den Kräuterduft, mit dem Rita nicht nur sich selbst, sondern gerne auch arglose Menschen in ihrer Nähe besprühte. Sie roch wie die Ampfertinktur, mit der Marianne in ihrer Kindheit Flos Brennnesselausschlag behandelt hatte.

»Willst du den Wagen noch parken?«, fragte Marianne und trat zurück, sodass Ritas Arme einen Moment lang ausgestreckt in der Luft hingen. Dann ließ Rita sie sinken, strich ihr Kleid glatt und blickte zu dem betagten Jeep hinüber, dessen breite Reifen im aufgeweichten Boden versanken. Es war ein altes Armeefahrzeug, dessen zerrissene Plane im Wind flatterte, als könne das rostige Gefährt sich jederzeit in die Lüfte erheben. Ganz im Gegensatz zu dem großen Gockel, der sich inzwischen auf dem Dach niedergelassen hatte.

»Ist bereits geparkt.« Während Rita den großen Vogel herunterhob, sagte sie zu ihm: »Ich hab dir doch erklärt, dass du das lassen sollst, Declan. Beim letzten Mal bist du runtergefallen, weißt du das nicht mehr?«

Der Hahn starrte sie mit seinen schwarzen Knopfaugen an, und Rita setzte ihn auf den Boden. »Sieh mal zu, dass du Gerard findest. Auf dem alten Ziegenbock kann ja jeder Platz nehmen.« Sie kraulte den bunten Federschopf des Gockels, während Marianne ihre zwei Koffer aus dem Jeep nahm.

»Du hast ja wenig Gepäck«, bemerkte Rita.

Einen schrecklichen Moment lang fürchtete Marianne, in Tränen auszubrechen wie ein hilfloses Kleinkind. Stattdessen stellte sie die Koffer ab und täuschte ein Husten vor. Rita schlug ihr so schwungvoll auf den Rücken, dass Marianne vorwärtstaumelte. Sie hatte vergessen, dass ihre Mutter wesentlich kräftiger war, als sie aussah.

Dann beäugte Marianne das Haus.

Es wirkte genauso heruntergekommen wie damals, ganz als sei es nur eine Frage der Zeit, bis es von den Klippen stürzen würde. Die hohe graue Fassade war fast vollständig bedeckt von dem Efeu, den Mariannes verstorbener Vater William früher noch manchmal zu stutzen versucht hatte. Doch zumindest gelang es dem unzähmbaren Blattwerk, die verrottenden alten Schiebefenster einigermaßen zu verbergen. Marianne hörte, wie sie im Ansturm des gnadenlosen Winds klapperten, der über den kahlen Hügel fegte. Hinter dem Haus donnerten die Wogen an die Küste und verschlangen sie im Lauf der Jahre Stück für Stück. Irgendwann würde dieser Ort hier verschwunden sein.

Marianne schlang fröstelnd die Arme um sich und kniff die Augen zusammen. Was nichts nützte, sie sah Ancaire dennoch vor sich: das steile Dach, auf dem an einigen Stellen Schieferplatten fehlten, die krummen Schornsteine. Die schwere Holztür, an der die Farbe abblätterte, den abgegriffenen Messingklopfer in Form eines zähnefletschenden Löwenkopfs.

Als Marianne die Augen wieder öffnete, kniete Rita vor einem fleckigen Tonblumentopf und tastete in der Erde herum, aus der lediglich Unkraut wuchs.

»Da ist er ja«, sagte sie schließlich und brachte einen großen Eisenschlüssel zum Vorschein, den sie säuberte, indem sie ihn gegen den Topf schlug. Dann schloss sie die Tür auf, und sofort schlug Marianne der Geruch des Hauses entgegen. Feucht und pflanzlich wie in einem Gewächshaus, als sei das Gebäude lebendig, ein atmender Organismus.

Rita hielt die Tür auf, und Marianne nahm ihre beiden Koffer hoch. Die Griffe fühlten sich sperrig an in ihren langen knochigen Händen, und sie versuchte, nicht daran zu denken, dass sich in diesen zwei Gepäckstücken ihr gesamtes Hab und Gut befand. Als sie ins Haus trat, bemühte sie sich, weder Rita noch die Tür zu berühren, etwa so wie ein Kind, das nicht auf Ritzen zwischen Steinplatten tritt. Vielleicht glaubte Marianne unbewusst, dann könne sie nach Hause zurückkehren. In ihr Eigenheim an der Carling Road in Drumcondra im Norden von Dublin, das Brian und sie zur Hochzeit des Booms für eine Unsumme gekauft hatten. Trotz der hohen Raten, die sie in die Liste der Monatsausgaben hatte eintragen müssen, hatte sich die Investition gelohnt, denn das Haus bot alles, worauf Marianne Wert legte. Gute Wärmedämmung. Sicherheit. Eine Zentralheizung, die auf Knopfdruck reagierte, anstatt umgarnt und überredet und gelegentlich mit einer aufgerollten Vanity Fair von Rita geschlagen werden zu müssen.

Marianne ging den Flur entlang, den Blick auf die rautenförmigen schwarzen und weißen Bodenkacheln gerichtet. Die Fußbodenleiste und die Tapete, deren Muster unter unzähligen Farbschichten schon lange nicht mehr erkennbar war, konnte sie dennoch nicht ganz ausblenden.

Rita marschierte voraus, und Marianne roch die Bräunungscreme an Ritas Beinen, die aber auch nichts ausrichten konnte gegen die hervortretenden blauen Krampfadern in den Kniekehlen.

Die Tür zu dem Raum, den Mariannes Großeltern als »Salon« bezeichnet und in dem Rita und William ihre rauschenden Feste gefeiert hatten, war geschlossen, aber dennoch war lautes Stimmengewirr zu vernehmen.

»Was ist das?«, fragte Marianne argwöhnisch.

»Meine Alles-wird-gut-Gruppe«, antwortete Rita mit einem Lächeln.

Jetzt schmetterten die Stimmen ein Lied.

Alles wird gut.

Wie?

Trink nicht mehr, sing dieses Lied.

Wann?

Von heute an

wird täglich

alles besser.

»So einfach soll das sein?«, bemerkte Marianne.

Rita ging nicht auf ihren zynischen Tonfall ein, sondern erwiderte: »Ich musste sie alleine lassen, um dich abzuholen.«

»Können die nicht auf sich selbst aufpassen?«

»Doch, Marnie, sie sind erwachsen.«

»Mein Name lautet Marianne.«

Alles Wird Gut© hatte Rita ihr Programm genannt, und sie bestand auf dem Copyright, obwohl Marianne sicher war, dass sie es nie offiziell beantragt hatte. Dieses Programm hatte Rita entwickelt, als ihr klar geworden war, dass die Anonymen Alkoholiker ihr bei der Bekämpfung ihrer Sucht keine Hilfe sein konnten. Die Vorstellung einer »höheren Macht« sagte Rita überhaupt nicht zu, und sie lehnte auch die Vorstellung ab, dass Alkoholismus eine Krankheit war, von der man nie genesen würde. »Alles wird gut« empfand sie durch seine positive Botschaft als stärkender und wirksamer.

Man musste sich nicht offiziell anmelden und erfuhr meist durch Mundpropaganda von der Gruppe. Es gab auch keine Regeln dafür, wie lange man bleiben konnte. So lange wie nötig, war Ritas Devise.

»Außerdem war Patrick vorher bei ihnen«, fügte Rita hinzu. »Hat ihnen Schnitzen beigebracht.«

»Wo steckt er jetzt?«, fragte Marianne mit spöttischem Unterton. »Löscht wohl Feuer im Regenwald, oder wie?« In Ritas Nähe verfiel sie unwillkürlich in diesen kindischen, patzigen Tonfall.

»Montiert Solarzellen aufs Dach«, antwortete Rita. »Die Kraft der Sonne ist so wunderbar. Und für alle kostenlos. Patrick meint …«

»In welches Zimmer soll ich mein Gepäck stellen?«, fiel Marianne ihrer Mutter ins Wort. Konnte die nicht wenigstens warten, bis Marianne ihre Jacke ausgezogen hatte, bevor sie wieder in Lobeshymnen über den elenden Patrick verfiel? Der bezeichnet werden konnte als … nun ja … Pflegebruder? Er war mit elf damals in dem Winter zu ihnen gekommen, als Marianne – fünfzehnjährig – Rita überredet hatte, sie in einem Internat am anderen Ende des Landes unterzubringen. Im Sommer dieses Jahres hatte auch William das Weite gesucht, kurz nachdem Rita aufgehört hatte zu trinken. Zwischen diesen beiden Ereignissen gab es einen Zusammenhang.

Patrick war eines von vielen Pflegekindern, die Rita bei sich aufgenommen hatte, nachdem sie von William und Marianne verlassen worden war. Die meisten verschwanden nach ein paar Tagen oder Wochen wieder, aber Patrick war geblieben. An seinem achtzehnten Geburtstag hatte Rita ihm ein Stück Land am nordöstlichen Rand des Grundstücks geschenkt, auf dem sich Patrick eine Tischlerwerkstatt mit einer Wohnung darüber gebaut und einen Gemüsegarten angelegt hatte, in dem zu jeder Jahreszeit etwas wuchs und gedieh. Er bestand darauf, Pacht zu bezahlen, aber Rita sparte das Geld für ihn auf. Sie hatte Marianne in die Einzelheiten des Sparkontos eingeweiht, zur Sicherheit. »Du kannst ja gut mit Geld umgehen«, hatte sie gesagt.

Das galt jedoch schon lange nicht mehr.

Patrick gehörte ebenso zum Inventar von Ancaire wie Rita und Tante Pearl, die eigentlich nicht Mariannes Tante war, sondern eine Cousine von William. Als Rita das Haus von ihren Eltern...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2024
Übersetzer Sibylle Schmidt
Sprache deutsch
Original-Titel Make Yourself At Home
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Das Leben ist zu kurz für irgendwann • eBooks • erstmals als taschenbuch 2024 • ex-alkoholiker • Familiengeheimnis • Familientragödie • Irland • make yourself at home • Mutter-Tochter-Beziehung • Neuanfang • Neuerscheinung • Roman • Romane • Vergebung • Zweite Chance
ISBN-10 3-641-30070-3 / 3641300703
ISBN-13 978-3-641-30070-8 / 9783641300708
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