Die Sommerbücherei (eBook)
384 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01833-4 (ISBN)
Bella Osborne hat sich schon immer gern Geschichten ausgedacht. Geschichten über Freundschaft, Liebe und darüber, wie man mit ein wenig Humor die Hürden überwindet, die einem das Leben in den Weg wirft. 2013 erschien ihr erster Roman, es folgten mehrere Bestseller. 2022 wurde sie mit dem Romantic Comedy Novel of the Year Award ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Warwickshire, England, zusammen mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrer Katze.
Bella Osborne hat sich schon immer gern Geschichten ausgedacht. Geschichten über Freundschaft, Liebe und darüber, wie man mit ein wenig Humor die Hürden überwindet, die einem das Leben in den Weg wirft. 2013 erschien ihr erster Roman, es folgten mehrere Bestseller. 2022 wurde sie mit dem Romantic Comedy Novel of the Year Award ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Warwickshire, England, zusammen mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrer Katze. Birgit Schmitz studierte Theater, Film- und Fernsehwissenschaft in Köln und Berlin und arbeitete einige Jahre als Dramaturgin. Nach Engagements am Burgtheater Wien und am Thalia Theater Hamburg wechselte sie in die Freiberuflichkeit. Heute lebt sie als Literaturübersetzerin, Lektorin und Texterin / Interviewerin in Frankfurt am Main.
1 Tom
Mein Name ist Tom Harris, und ich bin unsichtbar.
Nicht wirklich unsichtbar – das würde mich ja interessant machen, und das bin ich nicht. Ich bin einer, den man leicht übersieht. Der in der Menge verschwindet. Ehrlich gesagt, finde ich es ganz angenehm, unsichtbar zu sein. Ich hasse es, wenn ich plötzlich im Rampenlicht stehe. Lieber bleibe ich im Hintergrund. In den unpassendsten Momenten kriege ich rote Flecken am Hals – zum Beispiel wenn ein Lehrer mich was fragt. «Thomas Harris, was meint der Autor, wenn er schreibt: ‹Wir sind füreinander verantwortlich?›» Woher soll ich das denn wissen? In der Schule werde ich immer Thomas Harris oder Tom H. genannt, nie einfach nur Tom oder Thomas. Der Name ist nämlich echt häufig. Allein in meinem Jahrgang gibt’s fünf von mir. Einen superselbstbewussten Thomas, einen sportlichen, einen, der laut und lustig ist, einen aufmüpfigen, auf den die Mädchen stehen, und dann noch mich, den anderen.
Wenn ein Mädchen mich ansieht, wird mir immer ganz heiß. Vielleicht will mich irgendwas in meiner DNA daran hindern, eine neue Generation von unsichtbaren Menschen hervorzubringen. Bislang mit Erfolg. Es ist einfacher, wenn ich Mädchen aus dem Weg gehe. Allerdings gibt es ein Mädchen in meiner Stufe, das ich gern anschauen würde, ohne rot anzulaufen wie eine Tomate. Sie heißt Farah Shah. Farah ist perfekt, von ihrem schwarzen Haar, das so glatt ist wie mit dem Lineal gezogen, bis zu ihrem fröhlichen Lachen. Und klug ist sie auch. Sie stellt die Art von Fragen, über die die Lehrer erst mal nachdenken müssen. Mir ist schon klar, dass sie in einer komplett anderen Liga spielt, aber das ist okay, das tun die meisten.
«Tom!», sagte Dad laut, und sein rötliches Gesicht tauchte an meiner Zimmertür auf. Er schwang eine Tüte von der Imbissbude in der Hand. Statt einer Antwort zeigte ich auf meine Ohrhörer.
Er war nicht sauer, aber wahrscheinlich hatte er mich schon mehrmals gerufen. Mein Dad ist in Ordnung. Er ist auch der unsichtbare Typ, so wie ich. Ich folgte ihm nach unten. Wir reden nicht viel. Er arbeitet nachts, und ich bin den ganzen Tag in der Schule. Er verteilte das Essen, ich schnappte mir den Ketchup, und wir setzten uns mit den Tellern auf dem Schoß vor den Fernseher. So essen wir immer. Bei uns gibt es nur Dad, mich und den Fernseher. Mum ist gestorben, als ich in der zweiten Klasse war.
Ich wickelte mein Essen aus. «Brühwurst?» Ich zeigte auf das erschreckend rote Ding, das unter meinen Pommes hervorlugte.
«Ja, tut mir leid. Würstchen im Teigmantel waren aus.» Er aß weiter.
«Aber ich hasse Brühwurst.» Ich stupste sie mit der Gabel an.
«Echt?» Er wirkte überrascht. «Dann hab ich mich vertan. Deine Mum mochte die so gern. Als ich sie das erste Mal ausgeführt hab, wollte sie Brühwurst mit Pommes.»
Das überraschte mich etwas. Nicht, dass Mum Brühwurst mochte, sondern dass Dad sie erwähnt hatte. Er redet ohnehin nicht viel, aber über Mum schon gar nicht. Ich hatte mich schon dran gewöhnt, es gar nicht erst zu versuchen, weil es eh zwecklos war. Er hatte immer sofort das Thema gewechselt oder war einfach weggegangen. Aber jetzt sah ich meine Chance gekommen. Die Gelegenheit war günstig, denn es war ein Werktag, und er hatte den Whisky nicht angerührt. Nur: Was wollte ich eigentlich wissen?
Ich ignorierte die Ekelwurst und tunkte eine riesige Fritte in den Ketchup. Dabei kam mir eine Idee: «Wie habt du und Mum euch eigentlich kennengelernt?», fragte ich und drehte mich auf dem alten braunen Sofa in Dads Richtung, damit ich seine Reaktion sehen konnte. Ein paar Stoppeln an seinem Kinn zeigten, dass er sich nicht gründlich rasiert hatte.
Er legte sein Besteck weg und blies die Luft aus. «Puh, da muss ich nachdenken.» Er schien die Gedanken schweifen zu lassen. Sein Blick lag auf Mums Foto, das auf dem Kaminsims stand. Es ist während unseres letzten gemeinsamen Urlaubs entstanden, damals hatten wir einen Wohnwagen in Hunstanton gemietet. Ich liebe das Bild. Sie lacht darauf. Mum hat immer viel gelacht. Wir alle. Wenn ich mich doll konzentriere, kann ich sie noch lachen hören, aber ich hab Angst, eines Tages nicht mehr zu wissen, wie sie geklungen hat. Mir kommt’s so vor, als würde sie nach und nach ausradiert. Dad blinzelte und schaute mich traurig an. So sah er immer aus, wenn ich über Mum reden wollte. Ich erwartete, dass er das Thema wechseln würde. «Bei den Simpsons! Da haben wir uns zum ersten Mal getroffen», sagte er schließlich.
«Vor dem Fernseher?» Ich lachte bei der Vorstellung.
«Nein, du Dussel. Die Inhaber von dem kleinen Buchladen an der High Street hießen Simpson. Ich war da, um den neuesten Stephen King abzuholen. Hab so getan, als hätte ich ihn für mich bestellt, dabei war er für meinen Dad.» Er lächelte bei der Erinnerung. «Mum stand mit ihren Freundinnen kichernd vor dem Regal mit den Liebesromanen. Wir kamen ins Plaudern, und ich hab sie gefragt, ob sie nicht Lust auf ein Coke Float hat. Cola mit Vanilleeis, da stand ich damals total drauf. Warum gibt’s das eigentlich nicht mehr?»
Ich verdrehte die Augen, weil er immer alles von früher verklärt. Ich wusste, dass die beiden so alt waren wie ich jetzt, als sie zusammenkamen. Seine Seelenverwandte hat Dad sie in seiner kleinen Ansprache bei der Beerdigung genannt. Ich weiß nicht genau, was er damit meinte, aber ich weiß ganz sicher, dass sie glücklich waren. Ihre Ehe war nicht perfekt, es gab schon auch manchmal Streit, aber nichts, was ich als schlimm in Erinnerung hab. Dad hat mal gesagt, sie hätten nicht viel Geld gehabt, und das wäre das Einzige gewesen, worüber sie gestritten hätten.
«Deine Mum liebte Bücher.» Er schaute wieder zu dem Foto.
«Ich weiß noch, dass sie mir abends im Bett vorgelesen hat.»
Er sah mich mit Tränen in den Augen an. «Ich kann mit Büchern ja nichts anfangen. Liest du viel?»
Ich zuckte mit den Schultern, aber er wartete auf eine richtige Antwort. «Nur, was wir für die Schule lesen müssen.»
Er blickte sich in unserem kleinen Wohnzimmer um. Seit Mums Tod hatte es sich kaum verändert. Außer dass es etwas chaotischer aussah als früher.
Ich kam ins Grübeln. Mädchen lasen also gern Liebesromane. Ob das heute auch noch so war?
«Okay.» Dad schaute auf die Uhr. Er musste zur Arbeit. «Gehst du noch weg?»
Das fragte er mich immer, und jedes Mal schüttelte ich den Kopf. Ich gehe abends nie weg. Ich hab zwar ein paar Kumpel, aber wir spielen FIFA auf der Xbox. Das können wir bequem vom Bett aus, warum sollten wir also rausgehen? Wenn ich spiele, fühle ich mich weniger wie ein Loser, weil ich alleine hier rumhänge.
«Gut, also dann bis morgen früh. Vergiss nicht abzuschließen.» Er drückte im Vorbeigehen meine Schulter und nahm meinen Teller mit raus. Ich mache immer den Abwasch, bevor ich ins Bett gehe. So teilen wir uns die Arbeit. Dad besorgt was zu essen, ich spüle. Ich stelle die Wäsche an, Dad bügelt.
Meine Freunde stöhnen andauernd über ihre Eltern. Darüber, wie sehr sie ihr Leben kontrollieren wollen und ihnen auf die Nerven gehen. Ich stimme immer mit ein und behaupte, Dad wäre genauso, aber das stimmt gar nicht. Er nervt, wenn er sich über Rechnungen, Politik und den Zustand der Straßen auslässt, aber ich mache schätzungsweise auch hin und wieder irgendwas, was ihn stört. Ich könnte heute Abend ausgehen, ohne dass er weiß, wo ich bin oder was ich mache, und er fände das in Ordnung. Allerdings hab ich keinen Grund, vor die Tür zu gehen. Ich bin eh unsichtbar.
Ich wurde wach, als die Toilettenspülung ging. Dad war von der Arbeit zurück. Mein müder Blick wanderte zum Wecker: 6 Uhr 37. Ich zog die Decke über den Kopf. Es war Samstag, also konnte ich weiterschlafen. Dad würde gleich ins Bett gehen. Es muss seltsam sein, nachts zu arbeiten und tagsüber zu schlafen. So als würde man gezwungen, nachtaktiv zu sein. Aber wegen einem Typen aus Amerika, der mich in Call of Duty herausfordert und nachts bis drei Uhr wach hält, bekomme ich gerade einen kleinen Vorgeschmack darauf. Ich kuschelte mich wieder ein und versuchte, in meinen Traum über Ariana Grande zurückzufinden.
Ich drehte mich um und sah wieder auf die Uhr. 11 Uhr 58. Schon besser. In zwei Minuten würde Dads Wecker klingeln. Samstags gönnt er sich immer nur ein paar Stunden Schlaf, damit er in der Nacht auf Sonntag ein Auge zukriegt. Ich hörte seinen Wecker. Das war mein Zeichen, unter die Dusche zu hüpfen, bevor er es tat.
Als ich in die Küche kam, machte Dad gerade Kaffee. «Guten Tag, Sohn.» Er wollte mir durch die Haare fahren, aber ich wich ihm aus. Ich trank den Apfelsaft leer und warf die Plastikflasche in den Müll.
«Ich geh mal ins Dorf. Brauchen wir irgendwas?», fragte ich.
«Zauberbohnen», sagte Dad. Er starrte gerade auf einen Kontoauszug und blickte nicht auf.
«Sind das die zuckerreduzierten?» Diese Baked Beans kann ich nicht ausstehen, die schmecken echt scheiße. «Ach so!» Ich schnallte zu spät, dass er auf das Märchen anspielte.
«Mach dir nichts draus», sagte er, dann öffnete er den Schrank und schüttelte den Kopf. «Chips und Kekse, aber nur die billigen. Okay?» Er gab mir fünf Pfund.
Ich schnappte mir Rucksack, Ohrhörer und meine Jacke. Ich bin froh, dass er mich nicht gefragt hat, warum ich ins Dorf gehe. Ich bin nicht sicher, ob meine Idee was taugt, aber ich werd’s ja sehen. Farah Shah wohnt zwischen dem Dorf und der nächstgelegenen Kleinstadt. Keine Ahnung, woher ich das weiß. Ich bin...
Erscheint lt. Verlag | 30.1.2024 |
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Übersetzer | Birgit Schmitz |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bibliothek • Buchclub • bücher für frauen • Buch über Bücher • Coming-of-age • England • England Roman • Erste Liebe • Familie • Frauenroman • Frauenromane • Freundschaft • Generationenroman • Generationenübergreifende Freunschaft • Geschenke für Frauen • Montags bei Monica • Romane für Frauen • Romane fürs Herz • Roman Neuerscheinung 2023 • Teenager • Trauerbewältigung • tröstlicher Roman • Vater Sohn Beziehung • Verlust eines Familienmitglieds • Wohlfühlroman • Zusammen ist man weniger allein |
ISBN-10 | 3-644-01833-2 / 3644018332 |
ISBN-13 | 978-3-644-01833-4 / 9783644018334 |
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