Glücksgestöber (eBook)

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2023 | 1. Auflage
305 Seiten
MORE by Aufbau Digital (Verlag)
978-3-96797-325-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Glücksgestöber - Vanessa Richter
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Schnee im März? Das braucht kein Mensch, vor allem nicht Nora, deren Laune sowieso schon im Keller angelangt ist. Von ihren Eltern in ein Studienfach gedrängt, das sie hasst und von der Liebe so oft enttäuscht, dass sie es kaum mehr wagt, sich auf einen neuen Mann einzulassen, findet sie nur bei ihren besten Freunden und ihrer Tante Irmi Halt. Ausgerechnet die kündigt jedoch an, für zwei Jahre auf Weltreise gehen zu wollen. Da erscheint Nora der Auffahrunfall im Schneetreiben nur noch wie der krönende Tiefpunkt ihres Lebens. Wäre da nicht ihr Unfallgegner Kai, der seine ganz eigenen Pläne mit ihr hat ...



Vanessa Richter, Jahrgang 1979, studierte Germanistik und Anglistik und versucht seitdem, ihren mehr oder weniger begeisterungsfähigen SchülerInnen die Feinheiten der deutschen und englischen Sprache näher zu bringen. Sie lebt mit Kind und Kegel zwischen Ruhrpott und Münsterland.

Eins


»Wie lauter kleine Pusteblumen«, sinniert Lysander neben mir verträumt.

»Pusteblumen – pff!« Mit deutlich weniger Poesie betrachte ich die Milliarden Schneeflocken, die auf die Windschutzscheibe einstürmen, und schalte den Scheibenwischer eine Stufe höher.

Die Toten Hosen im Autoradio verstummen, und die Moderatorin säuselt etwas davon, wie meteorologisch ungewöhnlich ein derartiger Wintereinbruch Mitte März doch sei. Frustriert schlage ich auf den Knopf am Radio, um es auszuschalten. Und dann gleich noch einmal, denn das olle Ding funktioniert genauso bescheiden wie der Rest meines betagten Opel Corsa. War irgendwie eine blöde Idee, mir aus nostalgischen Gründen ein Auto zuzulegen, das genauso alt ist wie ich. Neben dem Radio gibt es nämlich diverse weitere Baustellen, unter anderem ausgerechnet die Heizung. »Scheiß Winter!«

»Na ja, so schlimm ist es nun auch wieder nicht.« Lysander hält seine behandschuhten Hände vor die nur mäßig warm pustende Lüftung.

»Nicht so schlimm? Lysi, wir schleichen jetzt seit über einer Stunde dieselbe Straße entlang, und das nur, weil die ganzen Rentner vor uns meinen, Schnee bedeute gleichzeitig Blitzeis oder so was. Außerdem hatte ich schon meine kurzärmeligen T-Shirts ausgepackt! Es ist März, ich erwarte Frühling! Mit Sonne und so! Stattdessen sitz ich hier in Pudelmütze, Wintermantel und langen Unterhosen. LANGEN UNTERHOSEN!«

Lysander grinst mich frech von der Seite an. »Du dramatisierst schon wieder.«

»Überhaupt nicht!«

»Nora, du bist Sternzeichen Krebs, Aszendent Drama-Queen.«

Ich will mich gerade aufplustern, doch dann überfällt mich die Erkenntnis, dass er eventuell recht haben könnte. Ich bin vielleicht ein wenig impulsiv, aber wirklich nur ein kleines bisschen. Und ich würde es niemals zugeben. »Bin ich gar nicht.«

»Und so langsam fahren wir jetzt auch nicht. Außerdem ist Schnee romantisch.«

Lysander ist zwar mein bester Freund, aber manchmal hat er echt einen Sockenschuss. Schnee mag romantisch sein, wenn man in dicke Decken gehüllt in einem Pferdeschlitten thront und prinzessinnenmäßig mit klingelnden Glöckchen durch den verschneiten Winterzauberwald gezogen wird. Sich in einem schrottreifen Auto in einer Blechlawine durch den Schneematsch auf Aachens Straßen zu quälen, während man vor lauter Flocken kaum etwas sehen kann, ist das Gegenteil von romantisch!

Ich bremse vor einer roten Ampel und mache drei Kreuze, dass es die letzte vor der Uni ist. An jeder Kreuzung hat es bisher ewig gedauert, bis sich die Automassen bei Grün wieder in Bewegung gesetzt haben. Und ich bin sowieso schon viel zu spät dran. Wir hätten zu Hause bleiben sollen. An einem Samstag zu einem Blockseminar in die Uni zu müssen, ist menschenunwürdig, vor allem in der vorlesungsfreien Zeit …

Plötzlich gibt es einen lauten Knall, und mein armes kleines Auto macht einen Satz nach vorn. Buff! Mein Gurt strafft sich, und ich schnappe kurz nach Luft. Verdattert blicke ich auf Lysander, der mit weit aufgerissenen Augen neben mir sitzt.

»Huch!«, japst er.

»Mistdreckverdammter!« Das bin ich. Ein Auffahrunfall ist das höhnisch lächelnde i-Pünktchen auf meinem bescheidenen Leben. Noch immer ein wenig betäubt, blicke ich in den Rückspiegel. Und blinzele ungläubig. War der Aufprall vielleicht doch schlimmer als gedacht? Auf dem Beifahrersitz im Wagen hinter mir erkenne ich ganz klar einen Stormtrooper, und in der Mitte auf der Rückbank Chewbacca. Offensichtlich habe ich Halluzinationen …

Irgendjemand hupt. Idiot!

»Nora, ist alles in Ordnung?« Lysander rüttelt mich sanft an der rechten Schulter.

Auf meiner linken Seite klopft es. Der Typ, der mich aus dem Schneetreiben heraus durch die Scheibe so schuldbewusst anschaut, sieht zumindest untenrum aus wie Darth Vader. Karneval ist doch eigentlich schon vorbei. Ich deute ihm an, einen Schritt zurückzutreten, da die Kurbel an meinem Autofenster kaputt ist.

Der maskenlose Darth Vader macht Platz, und ich steige aus. Inzwischen haben die Autos hinter uns begonnen, uns im Schneeschneckentempo zu überholen. Ein Porschefahrer zeigt mir einen Vogel. Na vielen Dank auch! Ich bin hier das Unfallopfer!

»Sorry, das tut mir so leid«, doppelmoppelt Darth Vader zerknirscht. »Ich dachte, du würdest noch drüberfahren.«

»Bei Rot?« Ich atme tief ein, denn die Beschimpfungen, die ich gleich auf ihn niederprasseln lassen werde, bedürfen einer Extraportion Luft. Der ist doch garantiert besoffen! Bevor ich loslegen kann, legt sich allerdings eine behandschuhte Hand auf meinen Mund. Ich will sie gerade wegschlagen, da erkenne ich, dass sie zu Lysander gehört, der offenbar ebenfalls ausgestiegen ist. Also lasse ich die Faust wieder sinken. Manchmal wünschte ich, ich könnte genauso viel Selbstvertrauen an den Tag legen, wenn ich mich nett und freundlich mit anderen Menschen unterhalten soll, aber nein, da benehme ich mich wie ein verhuschtes Mäuschen. Konversation mit Fremden, das kann ich nur mit Wut im Bauch.

»Ganz ruhig, Schnatterinchen. Hauptsache, es ist niemandem etwas passiert.« Lysander nimmt die Finger von meinem Mund und streichelt mir über den Pudelmützenkopf. Dafür muss er nicht mal den Arm heben. Mit seinen eins neunzig ist er nämlich deutlich größer als ich. Er nennt mich auch gern seinen Achselriecher.

Wie es aussieht, ist keinem menschlichen Wesen etwas passiert. Für meinen Corsa, von mir liebevoll Erna getauft, trifft das leider nicht zu. Während ich das Ausmaß des Schadens an Ernas Heck näher betrachte, bleibt Darth Vader wie angewurzelt neben meiner Fahrertür stehen und nuschelt mit zittriger Stimme weiterhin floskelhafte Entschuldigungen. Sein schicker anthrazitfarbener Protz-BMW hat die Stoßstange meiner kleinen Schrottlaube einmal kräftig geknutscht. Der Kunststoff hat einen dicken Riss.

Chewbacca, der Stormtrooper und zwei Meister Yoda klettern nun ebenfalls aus dem Wagen. Yoda eins stellt sich mit im Schneetreiben flatternden grünen Ohren neben mich und wirft einen prüfenden Blick auf beide Autos. »Glück gehabt, würde ich sagen. Nicht mal ein Kratzer.«

»Wie bitte?« Ich spüre, wie mir trotz der Kälte die Hitze in die Wangen steigt. »Was soll das denn heißen? Meine Stoßstange ist vollkommen hinüber!«

Yoda eins ignoriert mich einfach und dreht sich zu Darth Vader um. »Kai, gib der Kleinen zwanzig Euro, davon kann sie sich auf dem Schrottplatz eine neue Stoßstange kaufen. Oder noch besser gleich die ganze Kiste dalassen.« Er lacht, und ich sehe ungeachtet der vielen weißen Schneeflocken vor meinen Augen rot.

Wutschnaubend mache ich einen Schritt auf Yoda eins zu, um ihm gehörig den Marsch zu blasen, da passiert etwas, das mir grundsätzlich immer in solchen Situationen passiert: Ich stolpere, und zwar über meine eigenen Füße. Wie in Zeitlupe sehe ich den schmuddelig grauen Schneematsch der Straße auf mich zukommen, bevor ich der Länge nach mit dem Gesicht voran hineinfalle. Normale Menschen hätten sich jetzt wenigstens mit den Händen abgestützt, aber das ist ein Reflex, den Mutter Natur mir irgendwie nur halb mitgegeben hat. Also liege ich von der Moonboots-Sohle bis zum Pudelmützen-Scheitel auf dem Boden, während die Schneepampe mich im Nullkommanichts durchtränkt. Ich merke, wie mir Tränen in die Augen schießen. Nicht, weil ich so entsetzliche Schmerzen hätte, sondern weil ich stinkwütend bin. Auf diesen bescheuerten Typen, der mich und mein kleines Auto so herablassend behandelt hat, auf Darth Vader, der den Auffahrunfall verursacht hat, auf den saudämlichen Schnee, der mir schon seit Tagen die Laune verhagelt, und vor allem auf mich selbst, weil ich mal wieder so furchtbar tollpatschig bin. Ich bin die Meisterin der selbstverschuldeten Unfälle. Es gibt kein Körperteil an mir, das ich nicht im Zuge einer ungeplanten Verstümmelungsaktion bereits beschädigt hätte.

Ich bemitleide mich noch einen Moment selbst, bevor ich mich aufrappele und versuche, mein nasses Gesicht mit dem Mantelärmel zu trocknen. Der nach wie vor schneetreibende Wind lässt mich in meinen durchweichten Klamotten augenblicklich frösteln.

»Hey, hast du dir wehgetan?«, höre ich eine leicht zittrige Stimme. Darth Vader, der offenbar Kai heißt, taucht in meinem Sichtfeld auf, und zum ersten Mal blicke ich ihm wirklich ins Gesicht.

Pausetaste.

Große dunkle Augen, krauser schwarzer Afro-Schnitt und ein Teint … irgendwo zwischen Olivenbaumholz und Karamell. Dazu volle Lippen, die irgendetwas zu sagen scheinen, aber in meinem Kopf kommt nur ein Rauschen an. Dann spüre ich, wie jemand mich auf die Beine zieht, und nehme Lysanders Stimme an meinem Ohr wahr. Irgendwer muss wieder auf die Playtaste gedrückt haben, denn nach und nach kehren auch der Straßenlärm und das Stimmengewirr des Star-Wars-Ensembles in mein Hörzentrum zurück.

»Mensch, Nora! Was machst du bloß wieder? Komm, wir müssen endlich mal die Kreuzung räumen. Das könnt ihr genauso gut am Straßenrand klären. Hierfür brauchen wir keine Polizei, und wir halten nur den Verkehr auf.«

»Weil es in dem Schneetreiben ja so wahnsinnig schnell vorangeht heute.« Oh! Scheinbar ist nicht nur mein Hörvermögen, sondern auch mein Zickenmodus wieder funktionstüchtig.

Lysander deutet auf die nahegelegene Tankstelle, Darth Vader alias Kai nickt einwilligend, und wir setzen uns alle in unsere Autos. Ich ziehe den Choke und bete inständig, dass Erna mich jetzt nicht im Stich lässt, denn das wäre...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Freundschaft • Kerstin Gier • Köln • Kristina Günak • Liebe • Liebeskummer • Liebesroman • Manuela Inusa • Neue Liebe • Petra Hülsmann • Rheinland
ISBN-10 3-96797-325-5 / 3967973255
ISBN-13 978-3-96797-325-9 / 9783967973259
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