Die Zeitreisende (eBook)

Spiegel-Bestseller
Zwischen Gestern und Morgen

****

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Gräfe und Unzer (Verlag)
978-3-8338-8936-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Zeitreisende -  Ute Lemper
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UTE LEMPER - Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin, Künstlerin - Zu ihrem 60sten Geburtstag erlaubt die Grande Dame des Chansons einen überraschenden persönlichen Einblick in ihr Leben vor und hinter dem Vorhang.   Lemper erzählt von den Anfängen ihres Berufes, ihren großen und kleinen Erfolgen, ihren vielen aufregenden Projekten ihrer langen Karriere im ständigen Konflikt mit ihrer wichtigsten Rolle als Mutter von vier Kindern.   Sie berichtet von den wichtigen künstlerischen Begegnungen in ihrem Leben und reflektiert die parallelen zeitgeschichtlichen Ereignisse der sich rapide wandelnden Welt - die literarische Zeitreise einer außergewöhnlichen Frau, ein beeindruckendes Dokument unserer Zeitgeschichte.

Ute Lemper studierte Schauspiel am renommierten Wiener Max Reinhardt Seminar. Mit ihren Rollen in den Musicals 'Cats' und 'Cabaret' wurde sie berühmt, später wurde sie für ihre Kurt-Weill-Chansonabende gefeiert. Anfang der Neunzigerjahre zog sie nach New York und wurde am Broadway zum Weltstar. Sie spielte in zahlreichen Kinofilmen mit. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Manhattan und steht regelmäßig in Deutschland auf der Bühne.

Ute Lemper studierte Schauspiel am renommierten Wiener Max Reinhardt Seminar. Mit ihren Rollen in den Musicals "Cats" und "Cabaret" wurde sie berühmt, später wurde sie für ihre Kurt-Weill-Chansonabende gefeiert. Anfang der Neunzigerjahre zog sie nach New York und wurde am Broadway zum Weltstar. Sie spielte in zahlreichen Kinofilmen mit. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Manhattan und steht regelmäßig in Deutschland auf der Bühne.

Hinweis zur Optimierung
Impressum
Die Tage vergehen
Prolog
1963–1992
1993–2001
2001–heute
Epilog
Quellenangaben
Ute Lemper
Bildteil

Katzenjammer

1983 Wenig später, im Herbst 1983, gerade 20 Jahre alt geworden, bewarb ich mich im Theater an der Wien für das Musical „Cats“. Ich hatte große Erwartungen, endlich die Praxis des Theaters zu erleben. Doch es war mein gnadenloser Eintritt in das sogenannte professionelle Leben: Theater am Fließband, Seele auf Abruf, die Reproduktion der Gefühle achtmal in der Woche, in der Teufelsküche des Selbstbetruges und der Geldmacher.

Eigentlich hatte es nur ein kleines Abenteuer während der Semesterferien sein sollen, doch es wurde zu einer der härtesten Schulen.

Ein Jahr lang, Abend für Abend, mitunter sogar zweimal am Tag, tanzte ich mir bis zum Zusammenbruch das Herz aus dem Leib. Nach einem halben Jahr „Cats“ gab ich die Ausbildung am Reinhardt-Seminar auf mit dem Gedanken, sie später wieder aufzunehmen.

Die Gedichte von T. S. Elliot waren in dem Musical von Andrew Lloyd Webber in comicstriphafte Bilder umgesetzt und choreographiert worden. Einige Plateaus waren magisch. Die Fabeln sollten menschliche Weisheiten transportieren, aber es handelte sich leider zu oft um oberflächliche Spielereien mit pseudo-philosophischem Touch.

Das Ganze kostete mich unglaublich viel Zeit, wie ich bald merkte, und warf mich schauspielerisch zurück. Inspiriert von der Schauspielschule, gespannt und neugierig auf Rolleninterpretationen, musste ich all das zurückstellen. Meine Auftritte in „Cats“ waren eher Kraftakte. All die Gefühle, die ich in den Part hineinzuprojizieren versuchte, gingen unter in der Dämmrigkeit des Lichtes, dem wilden Make-up oder den gleichzeitigen vielverstreuten Handlungen auf der Bühne. Man arbeitete wie gegen eine riesige Maschine. Doch mein Enthusiasmus war ungebrochen. Das Ensemble bestand aus Amerikanern, Engländern, Polen, Rumänen, Deutschen und Österreichern. Wir sollten die erste deutschsprachige Klon-Cats-Produktion liefern. Die Probenphase mit Trevor Nunn von der Royal Shakespeare Company als Regisseur und Gillian Lynn als Choreographin war intensiv und fordernd. Schon hier verlangte ich von meinem Körper die letzten Reserven. Als dann das Stück lief, trat ich ständig mit geschwollenen Handgelenken, Knien und Füßen, chronischer Bronchitis und einer Knochenhautentzündung unter den Fußballen auf. Mein Rücken war steif, die Stimmbänder gerötet, beim Aufwachen am Morgen fühlte ich mich wie eine 60-Jährige. Und so sah ich auch aus.

2022: Na hallo, so schlecht fühle ich mich aber heute nicht!!

1983: Das alles für miese 2000 Mark brutto im Monat. In der Besoldungshierarchie, wie man sie in Österreich kennt, stand ich ganz unten, obwohl ich von Trevor Nunn unter etwa 5000 Bewerbern für eine der wichtigsten Frauenrollen, die „Bombalurina“, und gleichzeitig als Zweitbesetzung der „Grizabella“ ausgewählt worden war. Ich war eben Neuling.

„Cats“ war für mich Delirium und Trauma. Zurück blieb ein zwiespältiger Eindruck – eine harte Zeit meines Lebens, eine körperliche Tortur. Es fehlte mir ein großes Stück Freiheit und Selbstbestimmung, vor allem aber Erfüllung in der Arbeit. Doch draußen war das Wiener Publikum aus dem Häuschen. Die Show war ein Riesenerfolg und sollte Jahrzehnte laufen.

Als interessantes Zwischenspiel in dieser einjährigen „Cats“-Etüde erwies sich das Vorspiel für das Musical „A Chorus Line“, das Peter Weck im Theater an der Wien produzieren wollte. Ein revolutionäres Stück Musik- und Tanztheater, zu jener Zeit war das Cutting Edge. Die Tänzer erzählen ihre Lebensgeschichten von zerplatzten Träumen, Identitätskämpfen, Homosexualität, damals noch ein Tabu, und dem rauen Wind im Showbusiness. Die Musik von „A Chorus Line“ von Marvin Hamlisch mit Texten von Edward Kleban ist wunderbar. Ich kannte die Songs schon seit vielen Jahren auswendig, denn sie sprachen mir aus der Seele.

Das Musical war wie das Leben. Wer beim Vortanzen nicht zwei Pirouetten rechts und links abliefern konnte, flog raus. Klar, so wurde Qualität sortiert, bevor die Mutigen von den Fragilen getrennt wurden. Da sich „Cats“ jedoch bis zum Ende des Jahrhunderts in Wien breitmachen sollte, kam es nicht zur beabsichtigten Produktion von „A Chorus Line“.

„Back to the roots“ lautete nach einem Jahr „Cats“ mein markdurchdringender Schrei aus innerer Finsternis.

Ich musste dringend mein Instrument wieder stimmen. Die Saiten befanden sich in ausgeleiertem Zustand und krächzten. Ich konnte kaum noch frei singen, jede Intonierung war dressiert auf den Cats-Stil. Ich plärrte wie eine strangulierte Katze. Ich benötigte Orientierung, Ruhe und vorsichtige Grundübungen.

Ich musste raus aus dem verstaubten Wien, das noch immer seinem verflossenen Kaiser nachzutrauern schien.

Intendant Weck war erzürnt, als ich ihm ankündigte, nach Berlin zu wechseln, an das Theater des Westens. Er nannte das wunderbare Ensemble, geführt von Helmut Baumann einen „Schwulenhaufen“.

Das langte.

Damit war auch mein Abschluss an der Schauspielschule gestorben, denn ich zog im Jahre 1984 voller Begeisterung nach Berlin.

Aufwachen in Berlin 1984

Ich atmete durch. Berlin war eine Stadt der unverblümten Wahrheit. Überall lauerten Geschichten des Versagens von Politik und Vernunft. In Räumen und Ruinen, zwischen Mauern und Leichen, zwischen Inselstolz und Verlorenheit vibrierte die Berliner Szene. In mir strömten, wie in ein Vakuum, aus allen Richtungen neue Eindrücke zusammen. In Berlin fand ich eine Ansammlung von Paradiesvögeln, von verlorenen, aufsässigen Träumern, die nicht dazugehören wollten. Das gefiel mir, und meine Stacheln richteten sich wieder auf.

Das Theater des Westens war zu dieser Zeit noch das einzige Musical-Theater in Deutschland. Helmut Baumann hatte Großes vor. Ich spielte in dem Musical „Peter Pan“ den Peter. Das Stück wandte sich an Kinder und noch mehr an die Kindlichkeit im Erwachsenen. Ich spielte die Rolle aus dem Herzen und dem Bauch. Peter Pan war wach, aufsässig, zu jedem Unfug bereit und wollte nicht erwachsen, gehorsam und vernünftig werden. Er wollte nicht aufhören zu träumen und flog durch die Zeit und das Leben. Er steckte sich die Kindheit in die Tasche, wie Max Reinhardt es formuliert hatte, und spazierte froh und widerspenstigen Geistes durch sein Land. Das wirkliche Fliegen auf der Bühne war ein großer Spaß. Ich war mit meinem Flugkorsett an einem dünnen Stahlseil befestigt, welches an Rollen, die am Schnürboden in Schienen hingen, fixiert war. Zwei Techniker in der Kulisse ließen mich mit einem kräftigen Stoß in die Höhe schnellen, dann nach rechts und links schwingen, so wuchtig und so gewaltig, dass ich meist bis in die Scheinwerfer stieß. Dabei sang ich das Lied „Ich fliege“. Ich wollte so wild wie möglich durch die Luft schwirren und war missmutig, wenn die Bühnentechniker einmal sanfter oder faul an den Stricken zogen. Die ganze Sache war, aus heutiger Sicht betrachtet, gefährlich, doch damals war ich unbekümmert und verrückt.

Peter Pans Beschreibungen seines „Nimmerlands“ gefielen mir besonders. Abends erzählte ich mit roten Wangen den Kindern im Publikum und auf der Bühne von diesem Paradies, in dem man frei war. Ich beschrieb ihnen den Weg dorthin: „Du fliegst aus dem Fenster, ganz einfach, denk an die schönsten Dinge, die du dir vorstellen kannst, die allerschönsten, nein, nein, noch viel schöner, ja, und dann flieg los, drei Sterne gerade aus, dann links und beim vierten Stern rechts. Dann siehst du die goldenen Pfeile, folge ihnen, immer weiter geradeaus, und noch weiter, dann liegt es plötzlich vor dir, mein Nimmerland.“

So flog auch ich mit Peter Pan in der Tasche in meine Kindheit zurück. Ich ließ mir die Haare kurz schneiden, färbte sie rot und fieberte mit Neugier und Abenteuerlust durch Berlin. Ich versuchte, alte Hoffnungen und Illusionen wiederzubeleben. Das Ensemble, die Familie im Theater, war überaus warmherzig und hielt zusammen. Dabei genoss ich vor allem die Beziehung zu homosexuellen Männern, denn sie waren die besten Freunde für eine Frau wie mich. Viele waren Amerikaner und lebten einen anderen Stil von Freiheit und Amüsement. Seitdem ich meine Heimat Münster verlassen hatte, empfand ich ein Gefühl von Entwurzelung. Ich wusste nicht mehr, wo ich hingehörte, war nur in mir selbst zu Hause und manchmal schwindelig von dieser Freiheit. In meiner Heimatstadt fühlte ich mich lange nicht mehr zugehörig. Die Anonymität der Großstädte tat mir gut. Ich hielt Kontakt zu meiner Familie, vermisste sie jedoch nicht, denn das Theater war ein neues wirkliches Heim. Ich fand dort mein Nest und mein Gefüge von Exoten, in das ich hineinpasste. Einer war verrückter als der andere, und man kümmerte sich rührend umeinander. Diese Gefüge verlieren sich schnell, wenn ein Stück mit seinen Vorstellungen beendet ist. Doch ein neues beginnt, und eine andere Familie tut sich zusammen. Wir waren wie Heimatlose und wir fanden uns in den Gewölben der Theater. Das Theater des Westens hatte ein wunderbares Ensemble. Helmut Baumann war ein guter Vater dieser Familie. Hier hatte ich Gelegenheit, mich in unstabile Dunkelheiten und auf enthusiastische Höhenflüge zu begeben. Nichts schien einen Anfang, nichts ein Ende zu haben. Das Morgen war unbestimmt und hatte kein Ziel, die Nacht war unser Reich. Ich glaubte kaum an die Zukunft und war eigentlich überrascht und dankbar, dass sie mich tagtäglich doch einholte. Ich verliebte mich oft und kurz, lebte in Musik-Welten, mit Adrenalin-Überschüssen, in denen es nur noch das passende Objekt der Begierde zu finden galt. Die Menschen um mich herum interessierten mich, ich war sehr neugierig...

Erscheint lt. Verlag 5.6.2023
Reihe/Serie Edition Memoire
Edition Memoire
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Autobiografie • Biografie • Broadway • Dreigroschenoper • endlich glücklich leben • Glücklich leben • Heldenreise • - mehr selbstbewusstsein • Memoir • Musicaldarstellerin • Musical Star • Selbstschau • • Selbstversorgung • Weltstar
ISBN-10 3-8338-8936-5 / 3833889365
ISBN-13 978-3-8338-8936-3 / 9783833889363
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