Überredung oder Anne Elliot -  Jane Austen

Überredung oder Anne Elliot (eBook)

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2023 | 1. Auflage
330 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7392-4108-1 (ISBN)
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Sir Walter Elliot von Kellynch Hall in der Grafschaft Somerset war ein Mann, der zu seiner Unterhaltung nie ein anderes Buch in die Hand nahm, als das Adelsverzeichnis. Hier fand er Beschäftigung für eine müßige Stunde, und Trost in einer traurigen; hier wurde sein Geist zur Bewunderung und Ehrfurcht angeregt, wenn er darüber sinnierte, wie wenig von den uralten Adelslinien noch übrig war, und hier hatte er Gelegenheit, belanglose häusliche Angelegenheiten, die ihn ärgerten, zu vergessen. Überblickte er die zahllosen Adelsverleihungen des letzten Jahrhunderts, so konnte er, wenn ihn sonst nichts aufheiterte, hier auch seine eigene Geschichte immer aufs Neue höchst interessiert lesen, und auf dieser Seite schlug er daher sein Lieblingsbuch gern auf. Dort stand: "Elliot von Kellynch Hall. Walter Elliot, geboren am 1. Mai 1760; vermählt am 15. Juli 1784 mit Elisabeth, Tochter des Sir Jakob Stevenson, auf South-Park in der Grafschaft Gloucester; mit dieser (1800 verstorbenen) Gemahlin zeugte er: Elisabeth, geboren am 1. Juni 1785; Anne, geboren am 9. August 1787; einen tot geborenen Sohn, am 5. November 1789; Marie, geboren am 20. November 1791." So war die Stelle aus des Setzers Schriftkasten gekommen; aber unser Baronet hatte sie, zu seiner und der seinigen Belehrung, ergänzt durch den Anhang zum Namen seiner jüngsten Tochter: "Vermählt am 16. Dezember 1810 mit Charles, Sohn und Erben des Mr. Charles Musgrove, auf Uppercross in der Grafschaft Somerset ..." und durch genaue Angabe des Tages und Monates, an dem er seine Frau verloren hatte. Darauf folgten die üblichen Angaben über Geschichte und Aufstieg der altehrwürdigen Familie. Wie nämlich dieses Geschlecht sich zuerst in Cheshire angesiedelt, wie es hohe Ämter verwaltet, zu verschiedenen Parlamentssitzungen Volksvertreter geliefert, durch Untertanentreue sich ausgezeichnet, unter der Regierung Charles II. die Baronetwürde erhalten und mit verschiedenen Maries und Elisabeths sich vermählt hatte. Alles dies füllte zwei Duodezseiten, und schloß mit der Angabe des Wappens, des Wahlspruches und des Hauptsitzes Kellynch Hall; worauf dann wieder des Baronets eigenhändiger Zusatz folgte: "Vermutlicher Erbe: William Walter Elliot, Urenkel des zweiten Baronets, Sir Walter." Eitelkeit war Sir Walter Elliots einzige Charaktereigenschaft: er war stolz auf sein Aussehen und stolz auf seine gesellschaftliche Stellung. Er war in seiner Jugend ungemein hübsch gewesen, und trotz seiner vierundfünfzig Jahre noch immer ...

Jane Austen lebte von 1775 bis 1817 und war eine englische Schriftstellerin.

cester; mit dieser (1800 verstorbenen) Gemahlin zeugte er: Elisabeth, geboren am 1. Juni 1785; Anne, geboren am 9. August 1787; einen tot geborenen Sohn, am 5. November 1789; Marie, geboren am 20. November 1791.«

So war die Stelle aus des Setzers Schriftkasten gekommen; aber unser Baronet hatte sie, zu seiner und der seinigen Belehrung, ergänzt durch den Anhang zum Namen seiner jüngsten Tochter:

»Vermählt am 16. Dezember 1810 mit Charles, Sohn und Erben des Mr. Charles Musgrove, auf Uppercross in der Grafschaft Somerset …« und durch genaue Angabe des Tages und Monates, an dem er seine Frau verloren hatte.

Darauf folgten die üblichen Angaben über Geschichte und Aufstieg der altehrwürdigen Familie. Wie nämlich dieses Geschlecht sich zuerst in Cheshire angesiedelt, wie es hohe Ämter verwaltet, zu verschiedenen Parlamentssitzungen Volksvertreter geliefert, durch Untertanentreue sich ausgezeichnet, unter der Regierung Charles II. die Baronetwürde erhalten und mit verschiedenen Maries und Elisabeths sich vermählt hatte. Alles dies füllte zwei Duodezseiten, und schloß mit der Angabe des Wappens, des Wahlspruches und des Hauptsitzes Kellynch Hall; worauf dann wieder des Baronets eigenhändiger Zusatz folgte:

»Vermutlicher Erbe: William Walter Elliot, Urenkel des zweiten Baronets, Sir Walter.«

Eitelkeit war Sir Walter Elliots einzige Charaktereigenschaft: er war stolz auf sein Aussehen und stolz auf seine gesellschaftliche Stellung. Er war in seiner Jugend ungemein hübsch gewesen, und trotz seiner vierundfünfzig Jahre noch immer eine ansehnliche Erscheinung. Kaum eine Frau machte sich mehr Gedanken um ihr Äußeres, und kein Kammerdiener irgendeines neu gebackenen Lords hätte sich mehr auf seine gesellschaftliche Stellung einbilden können. Der Segen der Schönheit war nur übertroffen durch den Segen der Baronetwürde, und Sir Walter Elliot, der beide Gaben vereint besaß, war sich selbst der stete Gegenstand wärmster Bewunderung und Verehrung.

In einer Beziehung durfte Sir Walter allerdings stolz auf diese Gaben sein, ihnen verdankte er nämlich die Gattin, die ihn in ihrem Charakter weit übertroffen hatte. Wollte man dieser trefflichen, verständigen und liebenswürdigen Frau die jugendliche Verblendung verzeihen, die sie zu Mrs. Elliot gemacht hatte, so hatte sie später eine nachsichtige Beurteilung nicht nötig. Sie hatte siebzehn Jahre lang seine Fehler erduldet, gemildert oder übergangen, seinen achtbaren Eigenschaften aber Anerkennung verschafft, und wenn sie auch nicht gerade selber die Glücklichste war, so hatte sie doch in ihren Pflichten, in der Freundschaft und in ihren Kindern so viele Bande gefunden, die ihr das Leben wert machten, daß es nicht gleichgültig für sie sein konnte, als sie scheiden sollte.

Drei Töchter, von welchen die beiden ältesten sechzehn und vierzehn Jahre alt waren, konnte eine Mutter nicht ohne Sorgen zurücklassen, und nur mit banger Bekümmernis sie der Gewalt und Leitung eines eingebildeten, forschen Vaters anvertrauen. Sie besaß indes eine sehr vertraute Freundin, eine verständige, würdige Frau, welche sich durch ihre Zuneigung zu Mrs. Elliot hatte bewegen lassen, in dem nahen Dorfe Kellynch ihren Wohnsitz zu nehmen, und von der Güte und dem klugen Rate dieser Freundin erwartete die sterbende Mutter den besten Beistand für die Erhaltung der guten Grundsätze und Lehren, die sie ihren Töchtern zu geben bemüht gewesen war.

Diese Freundin und der Baronet vermählten sich nicht, trotz aller Spekulationen, die man auf ihre Bekanntschaft gebaut hatte. Dreizehn Jahre waren seit dem Tode der Mrs. Elliot verflossen, und noch immer waren beide bloß Nachbarn und durch vertraute Freundschaft verbunden, aber er blieb Witwer und sie Witwe. Daß Mrs. Russell die schon in reiferen Jahren, von besonnenem Gemüte und sehr wohlhabend war, nicht an eine zweite Ehe dachte, bedarf keiner Entschuldigung vor der Welt, die eher wenn eine Frau wieder heiratet, als wenn sie es nicht tut, ein unbilliges Mißfallen zu äußern pflegt. Aber es bedarf einiger Erläuterung, warum der Baronet ledig blieb:

Man wisse also, daß er, als er bei einigen sehr unbedachten Annäherungsversuchen in aller Stille ein paar Körbchen erhalten hatte, sich rühmte, um seiner lieben Töchter willen nicht wieder zu heiraten. Für seine älteste Tochter würde er in der Tat gern alles hingegeben haben – was allerdings nicht wirklich nötig war. Elisabeth war in ihrem sechzehnten Jahre, so viel es geschehen konnte, in die Rechte und das Ansehen ihrer Mutter getreten, und da sie sehr hübsch und ihm sehr ähnlich war, so hatte sie stets viel Einfluß auf ihn gehabt, und beide waren bestens miteinander ausgekommen. Die beiden anderen Kinder standen weit tiefer in seiner Gunst. Marie hatte zwar, als sie den jungen Musgrove heiratete, ein bißchen künstliches Ansehen gewonnen. Anne aber, die verständige Menschen wegen ihrer Intelligenz und Sanftmut hoch geschätzt hätten, galt weder bei ihrem Vater, noch bei ihrer Schwester viel; ihr Wort hatte kein Gewicht, ihre Wünsche mußten immer nachstehen, sie war nichts weiter – als Anne.

Mrs. Russell aber liebte und schätzte das Mädchen, ihr Patenkind, sehr innig, und wenn sie auch allen gewogen war, so konnte sie doch nur in Anne die Mutter wieder aufleben sehen. Einige Jahre früher war Anne Elliot ein sehr hübsches Mädchen gewesen, ihre Blüte war jedoch früh gewelkt; aber selbst als sie noch den vollen Schmuck ihrer Reize besaß, hatte ihr Vater wenig an ihr zu bewundern gefunden, da ihre zarten Züge und ihre sanften schwarzen Augen so ganz verschieden von den seinigen waren; und wie hätte nun die etwas Gewelkte noch seine Achtung erwecken können? Er hatte nie viel Hoffnung gehabt, und nun gar keine mehr, je ihren Namen auf einer neuen Seite seines Lieblingsbuches zu lesen. Nur für Elisabeth ließ sich noch eine ebenbürtige Verbindung erwarten. Denn Marie hatte nur in eine alte achtbare und wohlhabende Landadel-Familie geheiratet, und daher alte Ehre gegeben, aber keine erhalten. Elisabeth mußte sich früher oder später ordentlich vermählen!

Es geschieht zuweilen, daß eine Frau in einem Alter von neunundzwanzig Jahren hübscher ist, als zehn Jahre früher, und im Allgemeinen, wenn weder Krankheit, noch Kummer gestört haben, ist in jener Lebenszeit wohl schwerlich ein Reiz verloren. So war es bei Elisabeth: Noch immer das hübsche Fräulein Elliot, wie sie dreizehn Jahre früher aufzublühen begann, und man konnte deshalb ihren Vater entschuldigen, wenn er ihr Alter vergaß, oder ihn doch nur für einen halben Toren halten, wenn er sich und Elisabeth für blühender hielt denn je, während ringsum alle anderen alterten. Er sah ja vor Augen, wie alt alle seine Angehörigen und Bekannten wurden. Anne wurde hager, Marie wurde zu wohlbeleibt, jedes Gesicht in der ganzen Umgebung schlechter, und die schnelle Vermehrung der Runzeln an den Schläfen der Mrs. Russell waren ihm schon lange ein Herzeleid gewesen.

Elisabeth hatte dennoch nicht ganz so viel Selbstzufriedenheit, wie ihr Vater. Dreizehn Jahre lang war sie die Herrin in Kellynch Hall gewesen und hatte alles mit so viel Besonnenheit und entschiedenem Ansehen geleitet, daß man sie nie für jünger halten konnte, als sie war. Sie hatte dreizehn Jahre lang dem Hauswesen vorgestanden, war immer vorangegangen zu der Kutsche mit vier Pferden und immer zunächst hinter Mrs. Russell aus allen Besuchszimmern und Speisezimmern in der Umgebung. Dreizehn Winter hindurch hatte sie jeden ansehnlichen Ball eröffnet, den die nicht zahlreich bewohnte Nachbarschaft darbot, und dreizehn Frühlinge waren im Blumenschmuck erschienen, seit sie mit ihrem Vater nach London reiste, um jährlich ein paar Wochen die Freuden der großen Welt zu genießen. Sie erinnerte sich an all dies, und dachte genug an ihre neunundzwanzig Jahre, um einigen Besorgnissen Raum zu geben. Daß sie noch so hübsch war, als immer, wußte sie sehr gut; aber sie fühlte, daß sie den gefährlichen Jahren nahe rückte, und würde sich höchlich gefreut haben über die Gewißheit, in den nächsten zwölf, oder vierundzwanzig Monaten von altadeligem Blute gebührend zum Ehebunde eingeladen zu werden. Dann hätte sie noch einmal das Buch der Bücher mit so großer Freude in die Hand nehmen können, als in ihrer frühen Jugend, aber jetzt konnte sie es nicht ausstehen. Das häßliche Buch zeigte ihr nichts als den Tag ihrer Geburt, aber nirgends eine Vermählung, so wie bei ihrer jüngsten Schwester, und mehr als einmal, wenn ihr Vater es nicht weit von ihr offen auf dem Tische liegen ließ, hatte sie es mit abgewendetem Blick zugeklappt und weggeschoben.

Es war ihr überdies eine Erwartung vereitelt worden, woran dieses Buch, und besonders die Geschichte ihres eigenen Hauses, sie stets erinnern mußte. Der mutmaßliche Erbe, eben jener William Walter Elliot, dessen Rechte ihr Vater so großmütig anerkannte, hatte sie getäuscht. Als ihr in ihrer frühen Jugend bekannt geworden war, daß er, wenn sie keinen Bruder erhielte, ihres Vaters Adelswürde erben sollte, hatte sie ihn heiraten wollen. Und ihr Vater immer gemeint, so solle es sein. Man hatte ihn als Knaben nicht gekannt, aber bald nach dem Tode der Mrs. Elliot war vom Baronet selber Anlaß zur Anknüpfung einer Bekanntschaft gegeben worden, und obwohl der junge Mann gar nicht so begeistert darüber war, so hatte Elisabeths Vater doch beharrlich ihn ausgesucht, und so kam er um eine Vorstellung nicht herum – als Elisabeth in der ersten Blüte ihrer Reize einst in den Frühlingsmonaten mit ihrem Vater in London war.

Er war zu jener Zeit, als er gerade begonnen hatte, die Rechtswissenschaft zu studieren, noch sehr jung, und Elisabeth fand ihn so ungemein angenehm, daß alle zu seinen Gunsten gemachten Vorurteile bestätigt wurden. Man lud...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7392-4108-X / 373924108X
ISBN-13 978-3-7392-4108-1 / 9783739241081
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