If We Were Villains. Wenn aus Freunden Feinde werden (eBook)
464 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-31245-9 (ISBN)
Sieben Freunde. Rücksichtsloser Ehrgeiz. Ein geheimnisvoller Todesfall.
Oliver Marks bekommt immer nur die Nebenrollen. Trotzdem ist der junge Schauspieler glücklich am renommierten Dellecher College, einer abgeschiedenen Welt mit flackernden Kaminfeuern und ledergebundenen Büchern. Die sieben Studenten seines Jahrgangs sind eine eingeschworene Gemeinschaft, besessen von der Schauspielerei und von Shakespeare. Die Rollen, die sie auf der Bühne verkörpern, legen sie auch privat nicht ab: Mitläufer, Verführerin, Held. Der charismatische Richard gibt die unberechenbaren Tyrannen. Doch eines Tages treibt einer der Freunde tot im Collegesee. Die anderen stehen vor einer schwierigen Wahl: Sollen sie der Wahrheit ins Auge sehen oder weiter ihre Rollen wahren?
M. L. Rio hat zwei große Leidenschaften: Schriftstellerei und Theater. Sie schnupperte über zehn Jahre als Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin Theaterluft und hat am Londoner King's College einen Master in Shakespeare Studies erworben. »Das verborgene Spiel« ist ihr Debüt.
1. Szene
Die Zeit: September 1997, mein viertes und letztes Jahr am Dellecher Classical Conservatory. Der Ort: Broadwater, Illinois, eine mehr oder weniger unbedeutende Kleinstadt. Bis jetzt war der Herbst warm.
Die Spieler treten auf: Wir waren zu siebt, sieben kluge junge Menschen, denen eine große und erfolgreiche Zukunft bevorstand, obwohl wir nicht über den Rand der Bücher vor unseren Nasen schauen konnten. Wir waren ständig von Büchern, Worten und Gedichten umgeben, all den wilden Leidenschaften dieser Welt, gebunden in Leder und Pergament (zum Teil mache ich diesen Umstand für die Ereignisse verantwortlich). Die Bibliothek des Castle war ein lichtdurchfluteter achteckiger Raum, dessen Wände von Bücherregalen bedeckt waren. Alles stand voller kunstvoll geschnitzter antiker Möbel, und ein gewaltiger Kamin, in dem unabhängig von den Außentemperaturen fast immer ein Feuer brannte, verbreitete eine schläfrige Wärme. Wenn die Uhr auf dem Kaminsims zwölf schlug, rührten wir uns, einer nach dem anderen, wie sieben Statuen, die zum Leben erwachten.
»Jetzt ist Mitternacht«, verkündete Richard. Er saß im größten Lehnsessel wie auf einem Thron. Die langen Beine hatte er ausgestreckt und die Füße aufs Kamingitter gestützt. In den drei Jahren, die er Könige und Eroberer gespielt hatte, hatte er sich angewöhnt, in jedem Sessel so zu sitzen, sei es nun auf der Bühne oder privat. »Und acht Uhr früh / Musst du unsterblich werden.« Mit einem Knall klappte er sein Buch zu.
Meredith hatte sich wie eine Katze am einen Ende des Sofas zusammengerollt (während ich mich wie ein Hund am anderen ausstreckte) und zwirbelte eine Strähne ihres langen kastanienbraunen Haars. »Wo gehst du jetzt hin?«, fragte sie.
Richard: »Von Mühn erschöpft such’ ich mein Lager auf …«
Filippa: »Verschon uns.«
Richard: »Muss morgen früh raus und so weiter.«
Alexander: »Er spricht, als mache ihm das Sorgen.«
Wren, die im Schneidersitz auf einem Kissen neben dem Kamin saß, achtete nicht auf das Gestichel der anderen. »Habt ihr euch eigentlich schon eine Rolle ausgesucht? Ich kann mich einfach nicht entscheiden.«
Ich: »Was hältst du von Isabella? Deine Isabella ist ausgezeichnet.«
Meredith: »Maß für Maß ist eine Komödie, du Pfeife. Wir sollen für Julius Cäsar vorsprechen.«
»Keine Ahnung, warum wir uns überhaupt noch die Mühe mit dem Vorsprechen machen.« Alexander – über den gewaltigen Tisch gebeugt, der im dunklen hinteren Teil des Raums stand – griff nach der Flasche Scotch, die neben ihm stand. Er schenkte ein, trank einen großen Schluck, verzog das Gesicht und sah uns an. »Ich könnte das dämliche Stück jetzt gleich besetzen.«
»Wie?«, fragte ich. »Ich weiß nie, was ich abkriege.«
»Das liegt daran, dass sie dich immer als Letzten besetzen«, meinte Richard. »Und zwar als das, was übrig bleibt.«
»Aber, aber«, tadelte Meredith, »sind wir heute Abend Richard oder Dick?«
»Achte einfach nicht auf ihn, Oliver«, sagte James, der allein in der hintersten Ecke saß und offenbar keine große Lust hatte, von seinem Notizbuch aufzublicken. Er war immer der fleißigste Student in unserem Jahrgang gewesen, wahrscheinlich die Erklärung dafür, dass er der beste Schauspieler war und sicherlich der Grund, warum niemand ihn deshalb beneidete.
»Hier.« Alexander hatte ein Bündel Zehndollarscheine aus der Tasche geholt und zählte sie auf dem Tisch ab. »Das sind fünfzig Dollar.«
»Wofür?«, fragte Meredith. »Hast du Lust auf einen Lapdance?«
»Warum? Übst du schon für einen Job nach dem Abschluss?«
»Leck mich.«
»Frag mich höflich.«
»Wofür sind die fünfzig Dollar?«, erkundigte ich mich rasch, um die beiden zu stoppen. Meredith und Alexander verfügten von uns sieben über den größten Vorrat an Kraftausdrücken und hielten es für Ehrensache, einander um die Wette zu beschimpfen. Wenn wir sie ließen, würden sie die ganze Nacht so weitermachen.
Alexander klopfte mit seinen langen Fingern auf den Stoß Zehner. »Ich wette fünfzig Dollar, dass ich die Besetzungsliste jetzt vorhersagen kann und mich nicht irren werde.«
Fünf von uns wechselten zweifelnde Blicke. Wren starrte noch immer finster in den Kamin.
»Also gut, schieß los«, meinte Filippa mit einem leisen Seufzer, so als habe ihre Neugier die Oberhand gewonnen.
Alexander schob sich die wilden dunklen Locken aus dem Gesicht. »Tja, Richard spielt ganz bestimmt den Cäsar.«
»Weil wir ihn alle insgeheim ermorden wollen?«, fragte James.
Richard zog eine dunkle Augenbraue hoch. »Et tu, Brute?«
»Sic semper tyrannis«, verkündete James und fuhr sich mit der Spitze seines Bleistifts über die Kehle wie mit einem Dolch. So geschieht es Tyrannen.
Alexander wies von einem zum anderen. »Genau«, sagte er. »James spielt den Brutus, weil er immer der Gute ist, und ich den Cassius, denn ich bin immer der Böse. Richard und Wren können nicht heiraten, weil das verboten wäre, also spielt sie die Portia. Meredith spielt die Calpurnia, und Pip, für dich gibt’s wieder mal eine Hosenrolle.«
Filippa, die schwieriger zu besetzen war als Meredith (die Femme fatale) oder Wren (die junge Naive), musste sich stets als Mann verkleiden, wenn uns die guten Frauenrollen ausgingen – was in Shakespeares Stücken häufig vorkam. »Öfter mal was Neues«, seufzte sie.
»Moment mal«, sagte ich, als sich Richards Hypothese zu bestätigen schien, dass ich bei der Rollenverteilung ständig übergangen wurde. »Was wird aus mir?«
Alexander musterte mich mit verengten Augen und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Wahrscheinlich spielst du den Octavius«, beschloss er. »Den Marcus Antonius kriegst du nie – nimm’s nicht persönlich, aber du bist einfach nicht raumgreifend genug. Sicher nehmen sie diesen unerträglichen Typen aus dem dritten Jahrgang. Wie heißt er noch mal?«
Filippa: »Richard der Zweite?«
Richard: »Wie witzig. Nein, Colin Hyland.«
»Fantastisch.« Ich blickte in den Text von Perikles, den ich zum gefühlt hundertsten Mal überflog. Da ich nur halb so begabt war wie der Rest, schien es mein Schicksal zu sein, immer nur die Nebenrolle in der Geschichte eines anderen zu spielen. Viel zu oft hatte ich mich schon gefragt, ob die Kunst nun das Leben nachahmte oder umgekehrt.
Alexander: »Fünfzig Dollar auf diese genaue Besetzungsliste. Ist jemand dabei?«
Meredith: »Nein.«
Alexander: »Warum nicht?«
Filippa: »Weil exakt das passieren wird.«
Lachend stieg Richard von seinem Thron. »Man kann es nur hoffen.« Er steuerte auf die Tür zu und beugte sich vor, um James im Vorbeigehen in die Wange zu kneifen. »Gutnacht, mein Prinz.«
James stieß Richards Hand mit seinem Notizbuch weg und versteckte sich dann demonstrativ dahinter. Meredith stimmte in Richards Gelächter ein. »Komm, komm, du bist als Wüterich so wütig wie kein zweiter in ganz Italien«, sagte sie.
»Die Pest auf eure Häuser«, murmelte James.
Meredith streckte sich – mit einem leisen, lasziven Stöhnen – und hievte sich vom Sofa hoch.
»Kommst du ins Bett?«, fragte Richard.
»Ja. Nach Alexanders Bemühungen ist die ganze Arbeit hier doch ziemlich sinnlos.« Sie ließ ihre Bücher verstreut auf dem niedrigen Tisch vor dem Kamin zurück. Ebenso ihr leeres Weinglas, an dessen Rand eine halbmondförmige Lippenstiftspur klebte. »Gute Nacht«, wandte sie sich an die Anwesenden. »Und glückliche Reise.« Gemeinsam verschwanden sie den Flur hinunter.
Ich rieb mir die Augen, die nach dem stundenlangen Lesen allmählich brannten. Wren schleuderte ihr Buch über den Kopf nach hinten, und ich zuckte zusammen, als es neben mir auf dem Sofa landete.
Wren: »Zum Teufel damit.«
Alexander: »Das ist die richtige Einstellung.«
Wren: »Dann nehme ich eben die Isabella.«
Filippa: »Geh einfach ins Bett.«
Wren erhob sich langsam und rieb sich den dämmrigen Schein des Kaminfeuers aus den Augen. »Wahrscheinlich liege ich die ganze Nacht wach und sage Textzeilen auf«, erwiderte sie.
»Kommst du mit raus, was rauchen?« Alexander hatte sein Whiskeyglas (wieder) geleert und drehte auf dem Tisch einen Joint. »Vielleicht entspannt dich das ja.«
»Nein danke«, antwortete sie und schwebte in den Flur hinaus. »Gute Nacht.«
»Wie du willst.« Alexander schob seinen Stuhl zurück. Der Joint baumelte in seinem Mundwinkel. »Oliver?«
»Wenn ich dir helfe, den zu rauchen, wache ich morgen früh ohne Stimme auf.«
»Pip?«
Sie schob sich die Brille ins Haar und hüstelte, um ihre Stimmbänder zu testen. »Herrje, du bist ein schrecklicher Einfluss«, sagte sie. »Meinetwegen.«
Er nickte und war schon fast zur Tür hinaus. Seine Hände steckten tief in den Hosentaschen. Ein wenig neidisch blickte ich ihnen nach und ließ mich dann wieder an die Sofalehne sinken, um...
Erscheint lt. Verlag | 17.5.2023 |
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Übersetzer | Karin Dufner |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | If we were villains |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2023 • atmosphärische Spannung • bookaesthetic • bookclub • Booktok • Bookworm • Chameleon • Collegeroman • dark academia • darkacademia aesthetic • darkacademiaaesthetic • darkacademia books • darkacademiabooks • Die geheime Geschichte • Donna Tartt • eBooks • Eliteuniversität • Hero • ifwewerevillains • Krimi • Kriminalromane • Krimis • moraly gray villains • Murder Mystery • Neuerscheinung • Saltburn • Schauspiel • Shakespeare • SideKick • The Secret History • TikTok Erfolg • tiktok made me buy it • Trauma • Tyrant • villain • weihnachtsgeschenke für 15 jährige mädchen |
ISBN-10 | 3-641-31245-0 / 3641312450 |
ISBN-13 | 978-3-641-31245-9 / 9783641312459 |
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