Ohne mich (eBook)

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2023 | 1. Auflage
208 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61349-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ohne mich -  Esther Schüttpelz
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Sie ist Mitte zwanzig, gerade fertig mit dem Studium und genauso frisch verheiratet wie getrennt. Was tun, nachdem eine erste große Liebe krachend gescheitert ist? Die Erzählerin von Esther Schüttpelz' Roman sucht. Nach dem Grund für die Trennung. Nach einem Plan für die Zukunft. Nach Freundschaft und nach Nähe und Rausch und Vergessen. Scharfzüngig, verletzlich und komisch erzählt sie von einem Jahr des Danach und Dazwischen, von der Sehnsucht nach Verbundenheit in einer distanzierten Welt.

Esther Schüttpelz, geboren 1993 in Werne, studierte Jura in Münster und arbeitete kurz als Rechtsanwältin, bevor sie ernsthaft zu schreiben begann. Sie macht Musik und schreibt eigene Songs. Sie lebt in Berlin.

Esther Schüttpelz, geboren 1993 in Werne, studierte Jura in Münster und arbeitete kurz als Rechtsanwältin, bevor sie ernsthaft zu schreiben begann. Sie macht Musik und schreibt eigene Songs. Sie lebt in Berlin.

Das Geräusch vom sich in der Tür drehenden Schlüssel klingt nach Heimat, aber hinter der Tür wartet – nichts. Ich betrete den lichtleeren Flur, es stapeln sich Pizzakartons und Pfandflaschen, auch der Wein, den der Ehemann mir zum Geburtstag geschenkt hat, der Gute vom Portugiesen, wurde getrunken. »Hallo, Bebi«, rufe ich, obwohl ich weiß, was dann passiert, nämlich nichts, und ich fange an zu heulen, heule wie ein selbstmitleidiger Teenager, schaue mir dabei im Spiegel zu, es ist nicht schön, und dann höre ich damit auf, atme und beginne, den Müll wegzuräumen.

 

Heulen klappt bei mir besonders gut, wenn ich auch körperlich schwach bin, und das bin ich, aber wie. Weihnachten stellte sich als nicht enden wollender Dauerrausch dar. Darauf bin ich nicht stolz, aber es gibt schließlich Einfacheres, als einer großen Familie und einer kleinen Stadt zu erklären, dass der Ehemann, den man erst kürzlich geheiratet hat, Weihnachten dieses Jahr ohne einen feiert. Und nächstes Jahr auch. Und, na ja, sagen wir, für immer. Er ist weg, der Ehemann, weil ich es so wollte. Ja, wie so was denn sein kann, ihr jungen Leute, wieso habt ihr denn dann geheiratet, was hat er denn Schlimmes gemacht, oder bist du so sprunghaft, so naiv, so böse. Prost. Frohe Weihnachten. Danke, Prost – oh, das sagte ich bereits. Na ja – Prost eben.

Eigentlich kann ich mich über den Umgang meiner Familie mit der SITUATION nicht beschweren. Die zweite Hochzeit zahlst du selber, hat Mama gesagt. Damit kann ich leben. Papa hat eigentlich gar nichts gesagt, und auch das halte ich für eine im Wesentlichen höf‌liche Reaktion. Mir ist klar, dass sie das alles nicht verstehen, aber erstens fängt das mit dem Unverständnis nicht erst bei der Trennung an, sondern schon bei der Hochzeit, spätestens, und zweitens: Wer kann es ihnen verübeln? Ich verstehe hier ja selbst nichts. Habe mir ein paar Antworten zurechtgelegt, je nachdem, wer mich fragt. Auf die Frage, wieso wir denn dann überhaupt geheiratet haben, erzähle ich meiner Tante, Dauersingle, esoterisch, was von »jugendlichem Leichtsinn«, meinem Cousin, schon immer vierzig, SEHR glücklich verheiratet, drei Kinder, »leider nicht so ein Glück gehabt wie du«, und meiner Oma, alt, Oma, habe ich einen kleinen Vortrag darüber gehalten, dass man sich ja heutzutage glücklicherweise scheiden lassen kann, wenn man unglücklich ist, was mir sofort leid tat, weil sie ganz blass wurde und stammelte, »der Opa hatte auch gute Seiten«. Blöde, das heißt vollkommen berechtigte und deshalb unangenehme Fragen kamen also überwiegend aus der sogenannten erweiterten Familie. Meine KERNFAMILIE inklusive meiner zwei jüngeren Geschwister kannte mich gut genug, um sich die Fragen zu sparen, auf die sie sowieso keine befriedigenden Antworten erhalten würde.

Ich frage lieber nichts, sagte meine Schwester, du gibst mir dann eh entweder eine flapsige oder eine extrem komplizierte Antwort, und ich kann auf beides verzichten.

FLAPSIGE Antwort, dachte ich, bist du 17 oder 37, wie redest du denn. Aber recht hatte sie trotzdem damit. Genau wie mein Bruder, dessen einziger Kommentar darin bestand, dass der Ehemann sowieso nicht zu mir gepasst habe.

Auf eine Art hatte der Ehemann sehr wohl zu mir gepasst. Leider war es genau die Art, mit der man sich in die Scheiße reitet.

 

Zum Heulen habe ich gar keine Zeit. Eigentlich. Echt nicht. Ich habe alles richtig entschieden, das weiß ich – das weiß ich doch, oder? Ja, irgendwo unter all den anderen Dingen, die ich nicht weiß, weiß ich das, ICHWEISSDASDOCH. Also. Aufräumen. Weitermachen. Was ich auch weiß, weil ich ja nicht völlig unbewandert bin im Bereich der Küchenpsychologie, ist, dass ich unsere Wohnung, also meine Wohnung, nicht nur aufräumen, sondern auch umräumen muss. Dabei könnte ich Hilfe gebrauchen, aber Hilfe ist gerade das Letzte, was ich will. Ich bringe also den Müll hinunter, in den Keller zu den Mülltonnen, in die ich den Müll manchmal mit Absicht leicht falsch einsortiere, und dann renne ich ganz schnell wieder nach oben in die Wohnung, damit mich keiner erwischt. Das ist jedes Mal ein bisschen aufregend. Ich bringe auch Flaschen zum Container, so viele ich tragen kann, die anderen stopfe ich in die sofort überfüllte Altglaskiste unter der Bank im Flur. Die Bank hatte der Ehemann selber gebaut.

Dann mache ich weiter, schmeiße in zerstörerischer Genugtuung alle meine Sachen auf den Boden, um sie dann eine nach der anderen schuldbewusst wieder irgendwo hinzuräumen. Dinge müssen ihren Platz haben, ich muss ihn für sie finden, und dann haben sie ihn, ihren Platz, und mein Platz ist dann da auch, unter ihnen oder dazwischen. Unser Schlafzimmer. Ich mag es kaum betreten, aber dann denke ich, was ich mir als Kind manchmal dachte: Dir kann nichts passieren. Ich mache das Schlafzimmer zum Büro und das Büro zum Schlafzimmer.

Beim Ab- und Wiederaufbauen des alten Steckkleiderschrankes bringe ich mich in Lebensgefahr, doch das ist für mich keine angemessene Art zu sterben. »Man fand sie unter einer Kleiderschranktür begraben inmitten von sehr viel Müll.« Nicht mal nackt. Also halte ich durch, und irgendwann steht der Schrank, wenn auch ohne Türen, aber das ist mir egal. Ich betrachte meine Gitarre, die an der neuen Schlafzimmerwand hängt, warte auf einen Impuls, sie zu spielen. Der bleibt aus. Ich nehme sie von der Wand und stelle sie in die Ecke neben dem Schrank. Im Wohnzimmer rücke ich den Esstisch frei in den Raum, so wie ich es von Anfang an besser gefunden hätte, und das Sofa in eine andere Ecke, und einen Fernseher habe ich jetzt nicht mehr. Die Küche lasse ich so.

 

Am nächsten Morgen lade ich meine Freunde, meine Clique aus dem Referendariat, zu mir in die Wohnung ein, zum Brunch. Ich brauche neue Bilder, neue Geschichten, neue Gefühle in diesen Wänden. Außerdem liebe ich Gastgeben und Großzügigsein, im Gegensatz zum Ehemann, der immer beleidigt war, wenn ich Freundinnen zu uns eingeladen habe, als störten sie sein Reich, unser gemeinsames Land, unsere Scheißnation. Es gibt einen richtigen Brunch mit Blumen auf dem Tisch, Blumen, die da sechs Wochen nach ihrem Verwelken immer noch stehen werden, und mit Waffeln und Rührei und Lachs. Die Bemitleidenswertigkeit eines von einer frisch getrennten Ehefrau in der ehemaligen Ehewohnung zubereiteten BRUNCHS bleibt meinen Gästen nicht verborgen, das sehe ich ihnen an, und ebenso sehe ich es dem Brunch an, dem Verräter. Alle geben sich sehr viel Mühe mit mir. Alle außer David, der ist verhalten, scheint sich unwohl zu fühlen, was daran liegen könnte, dass wir uns auf einer Party geküsst haben, da war ich noch eine WIFE, und dann war ich das zwei Tage später nicht mehr. Vielleicht hat er Angst, dass er ein Grund war, vielleicht sogar der Grund, und so war der Kuss jetzt auch wieder nicht gemeint. Ist er natürlich nicht, also der Grund, aber ein Auslöser schon. Ich hatte nämlich nicht den Hauch eines schlechten Gewissens.

 

Ein paar Tage später kommt der Ehemann vorbei, der ehemalige, und holt auch noch die letzten Dinge ab, die ich eigentlich gut gebrauchen könnte, aber ich sage nichts. Soll er alles mitnehmen, ich stehe ja irgendwie schon in seiner Schuld. Wir sitzen noch eine Weile zusammen, das erste Mal seit – na ja, in unserer, meiner Küche, und seine Wut scheint abgeklungen, jetzt ist da nur noch Trauer, was es nicht einfacher macht. Wir reden über Belangloses, rauchen, rauchen drinnen und viel. Die Wohnung stinkt sowieso seit Tagen nach Rauch, weil ich es für eine gute, heilsame Idee gehalten habe, in jedem neu eingerichteten Zimmer bei geschlossenem Fenster eine Kippe zu rauchen. Wir hören auch Musik, und dann kommt Goodbye my Lover von James Blunt, und, WERMACHTDENNSOWAS, wir fangen beide an zu heulen, heulen uns so richtig gegenseitig an, hier, friss, trink, ertrink in meinen Tränen, du Arsch, du Liebe. Wir umarmen uns, es wird zu viel, wir sagen: Bis bald, wir sehen uns. Er wohnt ja jetzt immer noch ganz in der Nähe, eine Straße weiter bei Ferdinand. Bis bald also, tschüss.

Vom Küchenfenster aus schaue ich ihm hinterher, aber erst nachdem ich das Licht ausgemacht habe, ich will dabei ungern beobachtet werden. Da schlurft er davon, durch unsere dunkle Straße, die im Frühling sehr schön war, als die Kirschbäume blühten. Damals, im Frühling, habe ich mich gefragt, warum Menschen überhaupt irgendwelche anderen Bäume pflanzen als Kirschbäume, aber jetzt weiß ich, warum, sie blühen nämlich nur sehr kurz, und dann sehen sie nach gar nichts mehr aus, sind öde und kahl. Wenn er an einer Straßenlaterne vorbeikommt, erkenne ich ihn besser, ich weiß gar nicht, wieso ich das überhaupt mache, das Hinterherschauen, wahrscheinlich mache ich es nur, weil ich es kann. Gleich biegt er ab, denke ich, auf die Hauptstraße, die zum Bahnhof führt, und dann biegt er wieder ab, in die hässlichste Straße der Stadt, direkt an den Bahngleisen gelegen. Manche mögen die Straße, weil sie den Müll und die Graf‌f‌iti URBAN finden. Da wohnt er jetzt, der Ehemann. Ferdinand hatte ein Zimmer frei, und sie kannten das ja, das Zusammenwohnen, wir haben ja alle mal zusammengewohnt, es ist gar nicht so lange her. Bevor der Ehemann auf die Hauptstraße biegt, wende ich mich ab und schalte das Licht ein. Dann setze ich mich zurück an den Küchentisch, auf dem der Aschenbecher mit unseren gerauchten...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2023
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • Affäre • Alkohol • Amsterdam • Anwaltskanzlei • Coming of Age • Debüt • Depression • Deutsche Literatur • Ehe • Erwachsenwerden • Feminismus • Freundschaft • Generation Y • Generation Z • Herzschmerz • Hochzeit • Jugend • Junge deutsche Literatur • Junge Frau • Jungsein • Jura • Juristin • lakonisch • Lebenskrise • Liebeskummer • Millennials • Münster • Musik • Orientierungslosigkeit • Rooney • Sally • Scheidung • Sinnsuche • Studentenleben • Studium • Trennung • Verliebtheit • Weiblich • Zynisch
ISBN-10 3-257-61349-0 / 3257613490
ISBN-13 978-3-257-61349-0 / 9783257613490
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