Insel der Vergessenen (eBook)

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2023 | 1. Auflage
448 Seiten
OKTOPUS by Kampa (Verlag)
978-3-311-70403-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Insel der Vergessenen -  Victoria Hislop
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Ihr ganzes Leben lang wünscht sich die Londoner Archäologin Alexis Fielding, mehr über ihre Wurzeln zu erfahren. Doch ihre Mutter Sofia weigert sich, von ihrer griechischen Familie und ihrer Kindheit zu erzählen. Mit fünfundzwanzig beschließt Alexis, sich selbst ein Bild zu machen und reist nach Kreta. In Sofias Heimatort macht sie eine schockierende Entdeckung: Vor der Küste, direkt gegenüber dem Dorf Plaka, liegt die verlassene Felseninsel Spinalonga, wo sich bis in die 1960er-Jahre eine der letzten europäischen Leprakolonien befand. Als Alexis einer alten Freundin ihrer Mutter begegnet, erfährt sie endlich die ganze tragische und zugleich wunderschöne und berührende Geschichte ihrer Familie, die eng verknüpft ist mit dem Schicksal der Leprakranken auf Spinalonga.

Victoria Hislop, geboren 1950 in Bromley in der Grafschaft Kent, studierte Anglistik und arbeitete bei Verlagen und als Journalistin, bevor sie 2005 mit ihrem Debütroman Insel der Vergessenen schlagartig internationale Berühmtheit erlangte. Der Roman wurde mit dem British Book Award ausgezeichnet und 2010 als Fernsehserie adaptiert. Seit 2013 engagiert sich Hislop ehrenamtlich als Botschafterin eines Vereins zur Unterstützung von Leprakranken. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Sissinghurst, Kent, verbringt aber einen Teil des Jahres auf Kreta und nahm im September 2020 die griechische Staatsbürgerschaft an.

VICTORIA HISLOP geboren 1950 in Bromley in der Grafschaft Kent, studierte Anglistik und arbeitete bei Verlagen und als Journalistin, bevor sie 2005 mit ihrem Debütroman »Insel der Vergessenen« schlagartig internationale Berühmtheit erlangte. Der Roman wurde mit dem British Book Award ausgezeichnet und 2010 als Fernsehserie adaptiert. Seit 2013 engagiert sich Hislop ehrenamtlich als Botschafterin eines Vereins zur Unterstützung von Leprakranken. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Sissinghurst, Kent, verbringt aber einen Teil des Jahres auf Kreta und nahm im September 2020 die griechische Staatsbürgerschaft an.

Erster Teil


1


Plaka, 2001

Nachdem das Seil losgebunden war, flog es durch die Luft und besprühte die bloßen Arme der Frau mit Meerwasser. Es trocknete schnell in der Sonne, die aus dem wolkenlosen Himmel auf sie niederbrannte, und hinterließ ein feines Muster aus Salzkristallen auf ihrer Haut. Alexis war der einzige Passagier in dem kleinen, verwitterten Boot, und als es vom Kai in Richtung der einsamen, unbewohnten Insel tuckerte, erschauerte sie bei dem Gedanken an all die Männer und Frauen, die vor ihr dorthin gefahren waren.

Spinalonga. Sie spielte mit dem Wort wie mit einem Olivenkern, den man langsam im Mund hin und her bewegt. Die Insel lag direkt vor ihnen, und als sich das Boot der großen venezianischen Festung am Ufer näherte, meinte sie die Vergangenheit dieses Ortes förmlich spüren zu können, eine Vergangenheit, die nicht vergangen war. Dies ist ein Ort, dachte sie, an dem Geschichte noch immer lebendig ist, wo echte Menschen leben, keine Sagengestalten. Was für ein Unterschied zu den antiken Palästen und Sehenswürdigkeiten, die sie während der vergangenen Wochen, Monate, sogar Jahre besucht hatte.

Alexis hätte natürlich ebenso gut in den Ruinen von Knossos herumklettern können, um sich anhand der Trümmerreste ein Bild davon zu machen, wie das Leben vor viertausend Jahren ausgesehen haben mochte. Doch seit Kurzem hatte sie das Gefühl, dass diese Vergangenheit einfach zu weit entfernt war, um sie wirklich zu berühren. Obwohl sie ein Diplom in Archäologie und einen Job in einem Museum hatte, spürte sie, dass ihr Interesse an dem Gegenstand mit jedem Tag abnahm. Ihr Vater war ein Gelehrter, der seine Studien mit Leidenschaft betrieb, und ganz naiv hatte sie immer angenommen, sie würde einfach in seine Fußstapfen treten. Für jemanden wie Marcus Fielding konnte eine antike Zivilisation gar nicht antik genug sein, um sein Interesse zu wecken. Für Alexis hingegen, inzwischen fünfundzwanzig, hatte der Ochse, den sie auf dem Weg hierher überholt hatte, entschieden mehr Bedeutung für ihr Leben, als es der Minotaurus im Innern des kretischen Labyrinths je haben konnte.

Wie es in ihrem Berufsleben weitergehen würde, war im Moment für sie weniger wichtig als die Frage, was mit Ed werden sollte. Denn während sie die spätsommerliche Wärme auf ihrer griechischen Ferieninsel genossen, schien sich ihre junge, vielversprechende Liebe dem Ende zuzuneigen. Ihre Zuneigung war im intellektuellen Treibhausklima einer Universität aufgeblüht, doch draußen in der wirklichen Welt verwelkt. Nach Ablauf von drei Jahren glich sie einem Setzling, der es nicht geschafft hatte, im Blumenbeet zu gedeihen.

Ed sah gut aus. Das war eine Tatsache, nicht nur ihre persönliche Meinung. Aber gerade sein gutes Aussehen störte sie manchmal ganz entschieden, war ihrer Ansicht nach der Grund für seine arrogante Haltung und sein zuweilen beneidenswertes Selbstwertgefühl. Sie hatten sich nach dem Motto »Gegensätze ziehen sich an« gefunden: Alexis mit ihrer blassen Haut, dem dunklen Haar und den dunklen Augen, und der blonde, blauäugige Ed. Machmal jedoch hatte sie das Gefühl, dass ihre eigene, ungestümere Natur durch Eds Neigung zu Disziplin und Ordnung zurückgedrängt wurde, und sie wusste, dass sie das nicht wollte. Selbst das kleinste Quäntchen an Spontaneität, nach dem sie sich sehnte, schien ihm ein Gräuel zu sein.

Viele seiner guten Eigenschaften, die alle Welt an ihm so schätzte, trieben sie inzwischen in den Wahnsinn. Sein unerschütterliches Selbstbewusstsein etwa. Es beruhte auf der Tatsache, dass Ed zu jeder Zeit haargenau wusste, was auf ihn zukam, und zwar schon vom Zeitpunkt seiner Geburt an. Ed war eine lebenslange Stellung in einer Anwaltskanzlei garantiert, und die kommenden Jahre waren für ihn eine vorhersagbare Folge von Posten und Wohnungen in angemessener Lage. Was Alexis haargenau wusste, war nur, dass sie nicht füreinander geschaffen waren. In den Ferien hatte sie immer öfter über die Zukunft nachgegrübelt. In der kam Ed allerdings nicht vor.

Selbst im Alltagsleben passten sie nicht zusammen. Die Zahnpasta wurde am falschen Ende ausgedrückt. Aber sie war die Missetäterin, nicht Ed. Seine Reaktion auf ihre angebliche Schlampigkeit war symptomatisch für seine ganze Lebenseinstellung. Immer wieder versuchte sie seine übertriebene Ordnungsliebe anzuerkennen, ärgerte sich aber jedes Mal aufs Neue über die unausgesprochene Kritik an ihrer chaotischeren Art. Und dann dachte sie daran, wie sie sich im Durcheinander des Arbeitszimmers ihres Vaters immer wohlgefühlt, das Schlafzimmer ihrer Eltern jedoch, wo ihre Mutter für helle Wände und klinische Sauberkeit sorgte, grässlich gefunden hatte.

Immer war alles nach Eds Kopf gegangen. Er war ein Glückskind: immer Klassenbester und jedes Jahr unangefochtener Sieger bei allen Wettkämpfen. Der geborene Schulsprecher. Es wäre schmerzlich mitanzusehen, wenn diese Seifenblase platzte. Er war in dem Glauben erzogen worden, dass die Welt ihm gehörte, aber Alexis begann allmählich einzusehen, dass sie in seiner Welt keinen Platz hatte. Sollte sie wirklich ihre Unabhängigkeit aufgeben und mit ihm leben? Zugegeben, einiges sprach dafür: eine schäbige Mietwohnung in Crouch End gegen ein schickes Apartment in Kensington einzutauschen – war sie wahnsinnig, das auszuschlagen? Doch auch wenn Ed davon ausging, dass sie im Herbst bei ihm einziehen würde, gab es einige Fragen, die sie sich stellen musste: Was für einen Sinn sollte es haben zusammenzuwohnen, wenn sie nicht die Absicht hatten, zu heiraten? Und war er überhaupt der Mann, den sie sich als Vater ihrer Kinder wünschte? Derlei Zweifel waren ihr seit Wochen, sogar schon seit Monaten durch den Kopf gegangen, und früher oder später musste sie den Mut aufbringen, einen Entschluss zu fassen. Doch Ed übernahm den größten Teil des Redens und war voll und ganz mit der Organisation dieser Ferien beschäftigt, sodass er nicht zu bemerken schien, wie sie von Tag zu Tag schweigsamer wurde.

Wie anders waren doch die Reisen in ihrer Studentenzeit gewesen, als sie von einer griechischen Insel zur nächsten geschippert war, als sie und ihre Freunde frei und ungebunden in ihren Entscheidungen waren und unbeschwert in die langen, sonnendurchglühten Tage hineinlebten. Als die Frage, in welche Bar, an welchen Strand man gehen, wie lange man auf einer Insel bleiben wollte, durch das Werfen einer 20-Drachmen-Münze entschieden wurde. Kaum zu glauben, wie sorglos das Leben einst gewesen war. Dieser Urlaub war so voller Konflikte, Streitigkeiten und Selbstzweifel. Es war ein Kampf, der schon lange vor ihrer Ankunft auf Kreta begonnen hatte.

Wie kann ich mit fünfundzwanzig so entsetzlich ziellos sein, hatte sie sich gefragt, als sie ihre Reisetasche packte. Da sitze ich in einer Wohnung, die mir nicht gehört, mache Ferien von einem Job, der mir nicht gefällt, gemeinsam mit einem Mann, der mir kaum etwas bedeutet. Was ist los mit mir?

Als Sofia, ihre Mutter, in ihrem Alter war, war sie bereits seit einigen Jahren verheiratet und hatte zwei Kinder. Warum war sie in so jungen Jahren schon so erwachsen gewesen? Wie konnte sie in dem Alter schon eine Familie gründen, während Alexis sich noch immer wie ein Kind vorkam? Wenn sie mehr darüber wüsste, wie ihre Mutter ihr Leben gemeistert hatte, würde ihr dies vielleicht helfen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.

Doch Sofia war immer sehr zurückhaltend gewesen, was ihre Vergangenheit betraf, und im Lauf der Jahre war ihre Verschwiegenheit zu einer Barriere zwischen Mutter und Tochter geworden. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, fand Alexis, dass die große Menschheitsgeschichte in ihrer Familie so wichtig genommen wurde, während man sie, Alexis, daran zu hindern versuchte, die eigene Geschichte genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Gefühl, dass Sofia vor ihren Kindern etwas verbarg, warf einen dunklen Schatten des Misstrauens auf die Familie. Sofia Fielding schien ihre Wurzeln nicht nur begraben, sondern die Erde darüber auch noch festgestampft zu haben.

Alexis hatte nur einen einzigen Hinweis auf die Vergangenheit ihrer Mutter: ein verblichenes Hochzeitsfoto, das seit Menschengedenken auf Sofias Nachttisch stand und dessen reich verzierter Silberrahmen vom Polieren ganz dünn geworden war. In ihrer frühen Kindheit, als Alexis das große Bett ihrer Eltern als Trampolin benutzte, hatte sie das Bild von dem lächelnden, aber ziemlich steif posierenden Paar immer vor Augen gehabt. Manchmal stellte sie ihrer Mutter Fragen über die schöne Frau in dem mit Spitzen besetzten Kleid und den wie gemeißelt wirkenden weißhaarigen Mann. Wie hießen sie? Warum hatten sie graues Haar? Wo waren sie jetzt? Sofia hatte nur sehr knapp geantwortet: Es waren ihre Tante Maria und ihr Onkel Nikolaos, die auf Kreta gelebt hatten und inzwischen gestorben waren. Damals hatte sich Alexis mit der Antwort zufriedengegeben – aber jetzt musste sie mehr wissen. Die herausgehobene Stellung des Bildes – es war die einzige gerahmte Fotografie im ganzen Haus, abgesehen von den Fotos, die sie selbst und ihren jüngeren Bruder Nick zeigten – hatte sie einfach besonders neugierig gemacht. Dieses Paar war im Leben ihrer Mutter eindeutig wichtig gewesen, und dennoch schien Sofia so ungern über sie zu reden. Nein, sie weigerte sich schlicht und einfach. Als Alexis älter wurde, lernte sie den Wunsch ihrer Mutter nach Privatsphäre zu respektieren – er war so ausgeprägt wie ihr eigenes teenagerhaftes Verlangen, sich abzugrenzen und Gesprächen aus dem Weg zu gehen. Aber darüber war sie jetzt hinausgewachsen.

Am Abend,...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2023
Übersetzer Angelika Felenda
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Erinnerung • Geschichte • Herkunft • Insel • Kreta • Lepra • Liebe • Schicksal • Wurzeln
ISBN-10 3-311-70403-7 / 3311704037
ISBN-13 978-3-311-70403-4 / 9783311704034
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