Frankie (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
208 Seiten
Carl Hanser Verlag München
978-3-446-27787-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frankie -  Michael Köhlmeier
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Der neue Roman von Michael Köhlmeier - eine rasante Road Novel, ein unvergessliches Duo
Ein Teenager, ein soeben aus dem Gefängnis entlassener Großvater und eine geladene Pistole: Frank ist vierzehn, lebt in Wien, kocht gern und liebt die gemeinsamen Abende mit seiner Mutter. Aber dann gerät sein Leben durcheinander. Der Großvater ist nach achtzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden. Frank kennt ihn nur von wenigen Besuchen. Der alte Mann reißt den Jungen an sich, einmal tyrannisch, dann zärtlich. Frank ist fasziniert von ihm. Am Ende stehen sich die beiden auf einer Autobahnraststätte gegenüber wie bei einem Duell. Michael Köhlmeier erzählt von einer Initiation, von Rebellion und Befreiung und der ewigen Faszination des Bösen - von einem Duo, das man nie wieder vergisst.

Michael Köhlmeier, 1949 in Hard am Bodensee geboren, lebt in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Bei Hanser erschienen die Romane »Abendland« (2007), »Madalyn« (2010), »Die Abenteuer des Joel Spazierer« (2013), »Spielplatz der Helden« (2014, Erstausgabe 1988), »Zwei Herren am Strand« (2014), »Das Mädchen mit dem Fingerhut« (2016), »Bruder und Schwester Lenobel« (2018), »Matou« (2021), »Frankie« (2023) und zuletzt »Das Philosophenschiff« (2024), außerdem die Gedichtbände »Der Liebhaber bald nach dem Frühstück« (Edition Lyrik Kabinett, 2012) und »Ein Vorbild für die Tiere« (Gedichte, 2017) sowie die Novelle »Der Mann, der Verlorenes wiederfindet« (2017), »Die Märchen« (mit Bildern von Nikolaus Heidelbach, 2019) und »Das Schöne« (59 Begeisterungen, 2023). Michael Köhlmeier wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. 2017 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk und 2019 mit dem Ferdinand-Berger-Preis.

2


So war das gewesen am Dienstag, als wir ihn beim Gefängnis abgeholt hatten. Heute ist Samstag. Heute Morgen haben wir ihn zu seiner neuen Wohnung begleitet. Er hat sich den Wecker gestellt, hat ihn aber nicht gehört, wir mussten ihn wecken. Auch der Kaffeegeruch konnte ihn nicht wach kriegen, mich kriegt der immer wach, sogar durch die geschlossene Tür hindurch, und ich mag das sehr. Wenn ich einmal so alt bin wie er, werde ich mich immer noch an diesen Geruch erinnern, hoffentlich wird er dann nicht anders sein.

Mama hat sich nicht getraut, ihn anzufassen, sie hat nur geflüstert: »Es ist halb sieben, Papa, wach auf, es ist halb sieben!« Sie hat sich nicht einmal getraut, laut zu sprechen.

Ich habe ihn an der Schulter gerüttelt. Und war dabei grob. Wenn man grob sein muss, ist man gern grob. Würde er sich beschweren, könnte ich sagen, es sei zu seinem Besten. Zuerst wusste er nicht, wo er ist. Er sah hilflos und ungefährlich aus. Um neun Uhr warte ein Mann auf ihn bei seiner zukünftigen Wohnung. Der Mann müsse ihm vorher etwas sagen und ihm dann die Schlüssel übergeben. So hatte es beim Abschied aus dem Gefängnis geheißen. Der Beamte im Gefängnis hatte nur mit Mama gesprochen, nicht mit Opa, das hat sie mir später erzählt. Als ob Opa ein Kind wäre und das Gefängnis ein Kindergarten und Mama seine Mutter und nicht seine Tochter.

Zum Frühstück rauchte er nur zwei Zigaretten und trank einen schwarzen Kaffee mit Zucker. Hat kein Wort geredet. Wir hätten mit der U-Bahn fahren und eine Stunde länger schlafen können, jeder vernünftige Mensch hätte das getan, das wollte er nicht. Hat er schon am Abend gesagt. Er wolle zu Fuß gehen. Also hatschten wir eine Stunde, quer durch die ganze Stadt, wieder kein Wort, und kamen gerade noch rechtzeitig an, der Mann hat bereits gewartet, aber erst zehn Minuten, das gehe gerade noch, sagte er, aber in Zukunft werde er das vermerken müssen. Der Mann war viel jünger als Opa und am Hals tätowiert, bis hinter das Ohr hinauf ins Haar, auch jünger als Mama war er und redete mit Opa wie mit einem Lausbub. Außerdem sei es ein Entgegenkommen, dass er ihn am Samstag treffe, eigentlich habe er heute frei. Für Mama und mich hatte er nicht einmal einen Blick, wir waren gar nicht da für ihn.

Die zukünftige Wohnung ist Opa gestellt worden. Vom Staat oder von der Stadt Wien oder von der Caritas. Das weiß ich nicht genau. Oder von jemand anderem. Interessiert mich auch nicht. Ich werde so etwas nie nötig haben. Dass er bei uns wohnt, ich meine, für immer, das geht auf jeden Fall nicht. Das wurde nämlich angefragt, schriftlich, bevor man ihn rausgelassen hat. Wir haben zwei Zimmer und die Küche, in der ein Kanapee steht, eine große, gemütliche Küche. Auf dem Kanapee hat Opa seit dem Dienstag geschlafen, über zehn Stunden jede Nacht übrigens, ich habe in meinem Zimmer zu Mittag gegessen, damit ich ihn nicht störe, kalt, was mir Mama am Abend vorgekocht hat und was ich am Herd nur hätte aufwärmen müssen, das traute ich mich aber nicht, weil er danebengelegen hat. Auf die Dauer geht das nicht. Das hat er selber gesagt. Das hat er schon im Gefängnis zu den Leuten gesagt, die sich um ihn kümmern wollten, wenn er draußen ist. Er könne seiner Tochter nicht Schwierigkeiten machen, hatte er gesagt. Wahrscheinlich haben sie das eingesehen. Mama erzählte mir, das hat sie mir erzählt, als Opa noch im Gefängnis war, dass gewisse Leute mit ihm in den letzten Wochen »Draußensein« übten. Was ich nicht uninteressant finde. Wie übt man das? Und was genau ist »Draußensein«?

Seine Wohnung ist in der Brigittenau, im 20. Bezirk. Nicht schön dort. Aber schöner als im Gefängnis. Wir wohnen im 4. Bezirk, in Wieden, in der Blechturmgasse 12, im Hochparterre, Nummer 8, ich kenne nichts anderes, mir gefällt’s. Und der Name der Gasse gefällt mir auch und ist auch überall gut angekommen, wenn ich mich vorgestellt habe.

Mama ist fix und fertig. Seit wir Opa am Dienstag in Krems abgeholt haben, ist sie fix und fertig. Sie benimmt sich so, wie ich mich Papa gegenüber benommen habe, als er noch bei uns war: ängstlich. Ich hatte immer gedacht, ich mache nichts richtig oder das meiste nicht. Am schlimmsten war, wenn er leer vor sich hin geschaut hat und ich in seinem Gesicht lesen konnte, dass es eh keinen Sinn hat, etwas zu sagen bei dem da. Der da war ich. Und gleich hat er ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er dachte, er sei schuld, schließlich hat er mich ja gemacht. Ich habe bei mir gedacht, ich bin für ihn das Letzte, und gerade dann war er besonders lieb zu mir, aber eigentlich nicht zu mir, sondern zu seinem schlechten Gewissen, er hat sich bei seinem eigenen schlechten Gewissen eingeschmeichelt. Und genauso denkt Mama jetzt: Für ihn bin ich das Letzte. Also für Opa. Ich kann sie leider nicht freisprechen, sie ist viel älter als ich. Ich war damals acht, heute, mit meinen vierzehn Jahren, würde ich das nicht mehr denken, auch wenn Papa zurückkäme. Was er natürlich nicht tut. Und warum soll Mama so etwas überhaupt denken? Der Versager ist doch schließlich Opa. Er hat achtzehn Jahre im Gefängnis gesessen, nicht sie. Insgesamt sei er, das hat mir Mama irgendwann vorgerechnet, sechsundzwanzig Jahre seines Lebens im Gefängnis gesessen. Wenn da einer das Letzte ist, dann doch er. Also!

Sie sagt: »Er glaubt, er hat nichts zu verlieren. Solche Leute sind gefährlich!«

An den Abenden seit dem Dienstag waren wir immer zusammen, in der Küche, Mama, Opa und ich. Er hat nicht viel geredet, meistens nur gefragt. Einen Suppenwürfel ließ er in eine von den großen Tassen fallen und goss kochendes Wasser darüber. Oder er machte sich einen Grog. Billiger Rum, den er sich selber beim Gourmet-SPAR an der Wiedner Hauptstraße besorgt hat, und heißes Wasser. In derselben Tasse. Nicht einmal unter den Wasserhahn gehalten hat er sie. Schon war es seine Tasse. Die haben wir ihm mitgegeben in seine neue Wohnung. Mama hat sie in Seidenpapier eingewickelt und in seinen Koffer gelegt.

Mit dem Fragen ist es so eine Sache. Eigentlich müsste ich, wenn ich über ihn schreibe und ihn etwas fragen lasse, kein Fragezeichen setzen, sondern ein Rufzeichen. »Darf ich noch von dem Gulasch haben!« Oder: »Darf ich mir noch ein Bier nehmen!« »Hast du Kandiszucker!« Immer Rufzeichen. Das muss er sich abgewöhnen, denke ich. So kommt er draußen nicht weit. In diese Richtung hätten sie mit ihm üben sollen. Das Radio wollte er anhaben, die ganze Zeit, hat immer einen Sender gesucht, wo geredet wird. Von Musik hält er nicht viel. Nachrichten, aber auch Gesprächssendungen, Diskussionen oder Berichte oder Reportagen, das ist seines. Und Kandiszucker, darauf steht er. Mama, brav, hat gleich welchen eingekauft, ein brauner muss es sein. Wir haben einen Radioapparat in der Küche, einen mit einem CD-Player und zwei Boxen. Den hat er nicht angeschaltet, sondern immer seinen eigenen. Das ist ein uraltes Gerät, ein Kofferradio, hell wie seine verdorbene Hose. Weil er nur sein eigenes Radio einschaltet, tut er so, als ob wir nichts hören. Normal wäre es, wenn einer fragt: Stört es euch, wenn ich jetzt Radio höre? Fragt er nicht. Und fernsehen wollte er nicht. Ich dachte wieder, das ist wegen dem elektrischen Licht, das tut seinen blauen Augen nicht gut. Wir haben nämlich den Fernseher in der Küche stehen. Wo auch sonst? Im Bad vielleicht? Mama und ich schauen am Abend beim Essen immer in den Fernseher, das ist unsere Gemütlichkeit. Dabei unterhalten wir uns. Wir haben schon festgestellt, dass wir uns nicht unterhalten, wenn der Fernseher nicht läuft. Dann sind wir nämlich ebenfalls still. Das ist komisch. Finden wir. Wir haben darüber gelacht und den Fernseher wieder eingeschaltet. Sehr gern sehen wir die Millionenshow am Montag um 20 Uhr 15 mit Armin Assinger im zweiten Österreichischen, wir finden beide, da lernt man einiges, und über den Herrn Assinger müssen wir manchmal schmunzeln, weil er so witzige Sachen sagt und die Kandidaten durcheinanderbringt, manchmal könnte ich mich kugeln, aber er meint es immer gut. Und am Sonntag um 20 Uhr 15 schauen wir den Tatort....

Erscheint lt. Verlag 23.1.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abendland • Autobahn • Coming-of-age • Duell • Gefängnis • Matou • Mörder • Rebellion • Road Novel • Wien
ISBN-10 3-446-27787-0 / 3446277870
ISBN-13 978-3-446-27787-8 / 9783446277878
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