Eva (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
208 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27735-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eva - Verena Keßler
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Verena Keßlers Roman über das Kinderkriegen und die Klimakatastrophe ist ein nuanciertes, warmherziges und tiefgründiges Porträt von Mutterschaft.
Was, wenn Sina nicht schwanger werden kann? Wenn Mona nie Kinder bekommen hätte? Wäre die Welt dadurch ein besserer Ort? Ja, findet Klimaaktivistin Eva Lohaus: Nur ein Geburtenstopp kann unseren Planeten noch retten. Während sie mit den Konsequenzen ihrer radikalen Vision kämpft, hadern die Schwestern Sina und Mona mit ihren eigenen Lebensentwürfen. Aus der Ferne beneiden, aus der Nähe bemitleiden sie sich, gemeinsam versuchen sie, Verantwortung und Erwartungsdruck zu widerstehen. Doch erst die Begegnung mit Monas neuer Nachbarin verändert unseren Blick aufs Muttersein wirklich.
Was spricht heute gegen, was für eigene Kinder? In ihrer präzisen und bestechend schmucklosen Sprache erzählt Verena Keßler von vier Frauen, die ihre ganz eigenen Antworten auf diese Frage finden.

Verena Keßler, geboren 1988 in Hamburg, lebt in Leipzig, wo sie am Deutschen Literaturinstitut studierte. Ihr Debütroman, Die Gespenster von Demmin (2020), wurde für zahlreiche Preise nominiert und mit dem Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium ausgezeichnet. Eva (2023) ist ihr zweiter Roman.

Sie würde diesem Hahn den Hals umdrehen, so viel stand fest. Seit Wochen riss das Viech sie im Morgengrauen aus dem Schlaf, schrie einfach in die Stille hinein, nahm sich diesen friedlichen Raum und zerfetzte ihn, stellte seine Interessen über die jeder anderen Art. Tiere waren auch nur Menschen, das hatte sie in ihrer ersten Nacht hier begriffen, während sie hellwach im Bett gelegen und sich gefragt hatte, wie sie in dieser Bruchbude gelandet war, fernab der Zivilisation.

Als »Herausforderung für Heimwerker« war das Haus auf Ebay Kleinanzeigen zum Verkauf angeboten worden, ein Euphemismus für heruntergekommen und im Prinzip unbewohnbar. »Unter dem PVC sind noch alte Dielen«, hatte der Vorbesitzer gesagt, als er sie bei der Besichtigung durch das mit ramponierten Möbeln zugestellte Obergeschoss geführt hatte. »Da ist noch richtig was rauszuholen, wenn man die aufarbeitet. Kann Ihr Mann mit der Schleifmaschine umgehen?« Sie hatte ihn von oben bis unten gemustert und den Blick dann einen Moment auf seinem Schritt ruhen lassen. »Ich bin nicht verheiratet«, hatte sie schließlich geantwortet. »Aber vielleicht gibt es ja Schleifmaschinen, die auch Frauen bedienen können. Ich lasse mich im Baumarkt beraten.« Sie fühlte den Rausch der Überlegenheit, wenn sie an diesen Moment zurückdachte, an sein verdattertes Gesicht, sein gestammeltes »Ach so«. Doch dieses Gefühl hielt nie lange an.

04:23, zeigten die grünen Leuchtziffern ihres Weckers. Es war noch nicht mal fünf Stunden her, dass sie ins Bett gegangen war. Sie hatte den Kreidler, ihren einzigen Nachbarn im Umkreis von zwei Kilometern, bisher nicht auf die Ruhestörung durch seinen Hahn angesprochen. Er war ein Mann, dessen Physiognomie seinen Charakter verriet, engstirnig, so schätzte sie ihn ein. Früher hätte sie sich so eine Oberflächlichkeit nicht zugestanden, aber je älter sie wurde, desto häufiger stellte sie fest, dass sie in diesen Dingen Recht behielt. Sie war vorsichtig geworden, musste abwägen, wofür sie kämpfte. Also grüßte sie nur knapp, wenn sie ihn sah, und führte die Diskussion mit ihm stattdessen in Gedanken. Wozu er den Hahn überhaupt halten würde, fragte sie da, eine Henne brauche keinen Hahn zum Eierlegen. Ob ihn diese Tatsache etwa beunruhige?

04:36, und wieder das Krähen, laut und schrill. Hysterisch könnte man es fast nennen. Sie hatte es googeln müssen. Es ging dem Hahn darum, sein Revier zu markieren und den anderen Hähnen in der Umgebung klarzumachen, dass die Hennen hier zu ihm gehörten. Darum krähte er auch nicht nur morgens, sondern vereinzelt über den ganzen Tag hinweg. Jämmerlich. Wie viel Stärke konnte es schon beweisen, wenn man seinen Besitzanspruch jeden Tag aufs Neue verkünden musste? Und wann hatte je gegolten, dass der, der am lautesten schrie, auch Recht hatte?

»Du hättest ja nicht dort hinziehen müssen«, hatte Georg bei ihrem letzten Telefonat gesagt. »Das war deine eigene Entscheidung. Du wolltest unbedingt die Ausgestoßene spielen.«

Es war nicht das erste Mal, dass sie diese Unterhaltung geführt hatten, und sie hatte nicht mehr die Kraft, sich bis zum letzten Argument zu verteidigen. Sie wusste, dass es Georg ohnehin nur darum ging, seine Abwesenheit zu rechtfertigen. Ein einziges Mal hatte er sie bisher hier besucht. Spät am Abend war er angekommen, hatte sich bekochen lassen und war dann mit ihr ins Bett gegangen, nur um sich hinterher darüber zu beschweren, dass die Bettwäsche klamm war. Am nächsten Morgen war auch er vom Hahn geweckt worden und wieder abgefahren, bevor es hell war. Seitdem fehlte angeblich die Zeit, die Fahrt hier heraus sei zu lang, das Benzin so teuer, er wisse nicht, was er Carola sagen solle. Als ob es ihm früher schwergefallen war, irgendwelche Fortbildungen zu erfinden. Nein, es lag an etwas anderem. Er konnte ihr die Sache mit Maddie nicht verzeihen und war gleichzeitig zu feige, das zu sagen.

04:41, Eva schlug die Bettdecke beiseite und stand auf. Es war kühl im Raum, noch waren die Nächte frisch, obwohl der Sommer schon vor der Tür stand. Fröstelnd schloss sie das Fenster, was wegen der tiefen Risse zwischen Rahmen und Wand eher eine symbolische Geste war. Doch es gab Schlimmeres. Sie dachte daran, was ihre Mutter immer gesagt hatte: Wo es reinzieht, zieht’s auch wieder raus.

*

Eva Lohaus will keine Kinder, alleine lebt sie trotzdem nicht. Sie schaltete den Wasserkocher an und versuchte, die Stimme zu ignorieren, die sich ständig in ihre Gedanken drängte. Es war nicht die Stimme der Journalistin, auch wenn das naheliegend gewesen wäre, doch an die erinnerte sie sich kaum noch, das Gespräch war Monate her. Nein, es klang wie eine amerikanische Nachrichtensprecherin, überartikuliert, ernst, nachdrücklich. Sie sagen also: Lieber denen, die bereits geboren sind, ein angenehmes Leben ohne Einschränkungen ermöglichen? Die Küche war der einzige Raum, der bisher einigermaßen wohnlich war. Die braungeblümte Fliesenzeile würde sie zwar erst austauschen können, wenn die dringenderen Renovierungen abgeschlossen waren, doch der Herd funktionierte, die Spüle war angeschlossen, und nachdem sie die Oberschränke einen halben Tag lang mit Scheuermilch bearbeitet hatte, konnte sie auch die nutzen. Sie goss heißes Wasser in ihre Teetasse und setzte sich auf ihre alte Ledercouch, die in der Küche stand, bis die anderen Räume bewohnbar wären.

Noch immer kostete es sie Überwindung, ihre Mails zu checken, obwohl die Flut der Drohungen mittlerweile zurückgegangen war. Haben Sie mit dieser Reaktion gerechnet? Wie naiv sie gewesen war. Sie hatte wirklich geglaubt, es würde bei ein paar Nachrichten und Kommentaren bleiben. Sie hatte die Menschen belächelt, die vermutlich blass und ungeduscht vor ihren Rechnern saßen und nichts Besseres zu tun hatten, als einer fremden Frau zu schreiben, dass sie hässlich sei, ungefickt und frustriert, dass sie sich umbringen solle, dass man sie vergewaltigen und ihr ein Kind machen werde, dass niemand ihr ein Kind machen wolle, dass es ein Glück sei, dass Leute wie sie sich nicht vermehrten. Anfangs hatte sie ein paar der User gemeldet und sich ansonsten nicht weiter damit befasst, doch dann waren die Pakete gekommen. Beim ersten dachte sie noch an einen Irrtum, am nächsten Tag aber waren es schon fünf, am dritten kamen vierundzwanzig. Geschmacklose Unterwäsche und Dildos, ein Messerset, Angelschnüre, Babykleidung, Windeln. Alles auf ihren Namen und auf Rechnung bestellt. Die Auseinandersetzung mit den Shops darüber, ob sie verpflichtet war, die Waren zurückzuschicken oder gar zu bezahlen, kostete sie Zeit und Nerven. Doch das Schlimmste war das Wissen darum, dass sie ihre Adresse hatten. Und dann war die Sache mit Maddie passiert.

Eva entsperrte den Bildschirm und öffnete ihr Postfach. Zwei Newsletter, die sie ungeöffnet löschte, Spam, eine Erinnerung ihrer Zahnärztin. Und auch diese Jacobi hatte ihr wieder geschrieben, Betreff: »Ihr Buch — Bitte um Rückmeldung«, hohe Priorität. Es war jetzt zwei Wochen her, dass sie das erste Mal von der Lektorin gehört hatte. Ob sie sich vorstellen könne, ein Buch zu schreiben, ihr Thema sei hochaktuell und verdiene mehr Aufmerksamkeit. Nein, danke. Wenn Eva auf eins gerade wirklich verzichten konnte, dann war es Aufmerksamkeit. Sie löschte auch diese Nachricht. Sicher, ein Buch würde ihr die Gelegenheit geben, ein paar Dinge geradezurücken, dachte sie und nahm einen großen Schluck von ihrem mittlerweile lauwarmen Tee. Sie könnte ausführlicher werden, wäre nicht darauf angewiesen, dass man ihr die richtigen Fragen stellte, sie könnte die Argumente der Gegenseite aufgreifen und auseinandernehmen. Aber nein. Sie durfte sich nichts vormachen. Es gab Hunderte Bücher über die Klimakrise, sie hatte die meisten davon gelesen, und auch wenn sich ein paar davon vielleicht ganz gut verkauften, hatte keines bisher irgendetwas verändert. Die Menschen blieben verblendet, desinteressiert und gefährlich entspannt. Was glauben Sie: Warum sind wir nicht alle völlig in Panik? Sie kippte den letzten Schluck Tee runter und verzog das Gesicht, er war bitter. Dann stand sie auf und streckte sich kurz. In diesem Haus gab es immerhin wirklich etwas zu verändern.

*

Der Vorschlaghammer, den sie im Baumarkt besorgt hatte, lag neben ihr auf dem Beifahrersitz. Sie parkte ihr Auto in der Einfahrt, als sie den Mann ums Haus schleichen sah. Jetzt haben sie mich, das war ihr...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktivistin • Beziehungsleben • Care • Eltern • Familie • Feminismus • Frausein • Kinderlos • Kinderwunsch • Klimawandel • Mutterschaft • Muttersein • Schwangerschaft • Schwestern • Unterhaltung
ISBN-10 3-446-27735-8 / 3446277358
ISBN-13 978-3-446-27735-9 / 9783446277359
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