Aus dem Staub erhebst du mich (eBook)

Wie Versöhnung mit der Vergangenheit alles veränderte.

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Gerth Medien (Verlag)
978-3-96122-585-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aus dem Staub erhebst du mich -  Mary Marantz
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Wenn draußen der Regen fiel, dann wurde es auch drinnen nass. Mary Marantz erzählt von ihrer beschwerlichen Kindheit in einem improvisierten Wohn-Trailer in den Bergen von West Virginia. Eine Kindheit in großer Freiheit, aber ebenso in großer Armut. Und sie schildert eindrücklich, wie sie später alles daransetzte, ihre Vergangenheit ungeschehen zu machen. Trotz aller Verletzungen und seelischen Narben, die Mary in ihrer Kindheit voller Entbehrungen erlitten hat, ist sie heute in der Lage, frei und versöhnt auf ihre Vergangenheit zu blicken und sie als Teil von Gottes Geschichte mit ihrem Leben zu begreifen. Aus dem Schmutz und Staub, der sie als Kind wie eine zweite Haut umgab, hat Gott etwas Neues gestaltet. Eine bemerkenswerte Autobiografie, die dabei hilft, zu einem heilsamen Frieden mit sich, der eigenen Geschichte und mit Gott zu finden.

Mary Marantz wuchs unter ärmlichsten Verhältnissen in einem Wohn-Trailer in den Wäldern West Virginias auf. Sie ist die Erste ihrer Familie, die aufs College gehen konnte, und hat später an der Elite-Universität Yale einen Master-Abschluss in Philosophie und Jura gemacht. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie heute eine erfolgreiche Online-Beratungsplattform für Unternehmer. Das Ehepaar lebt in New Haven, Connecticut. © Foto: Justin Marantz

Mary Marantz wuchs unter ärmlichsten Verhältnissen in einem Wohn-Trailer in den Wäldern West Virginias auf. Sie ist die Erste ihrer Familie, die aufs College gehen konnte, und hat später an der Elite-Universität Yale einen Master-Abschluss in Philosophie und Jura gemacht. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie heute eine erfolgreiche Online-Beratungsplattform für Unternehmer. Das Ehepaar lebt in New Haven, Connecticut. © Foto: Justin Marantz

1. Am Anfang war der Dreck


Am Rande eines unbefestigten Weges an der Airport Road, wo sich die Straße gabelt und weiter zum höchsten Punkt des Fenwick Mountain hinaufschlängelt, kann man anhalten und von dort oben zusehen, wie ein Sturm aus allen Richtungen aufzieht. Als ich klein war, haben wir das oft gemacht. Wir standen draußen unter dem hölzernen Dachüberhang der schäbigen Veranda, die aus zusammengewürfelten Resten von allem bestand, was man so finden konnte (die Nägel waren teils nur halb eingeschlagen, krumm und unter der Peitsche der glühenden Sommersonne verrostet), und sahen zu, wie die Blitze die heiße Dunkelheit des Juli-Himmels erhellten. Wir lauschten, wie der Donner grollte und die Berge erschütterte.

Papa stand neben mir in seinen schmutzigen Jeans und dem längst vergilbten weißen Unterhemd, die nackten, ramponierten Füße auf den Brettern der Veranda. Sein dunkles Haar stand wild in alle Richtungen, aufgeladen durch die Elektrizität.

„Das ist wirklich schön, nicht wahr, Kind? Weißt du, wenn du genau hinhörst und zählst, kannst du schätzen, wie weit das Gewitter von uns weg ist.“ Der nächste Blitz leuchtete auf und wir begannen, gemeinsam zu zählen. Wir waren nur bis „zwei“ gekommen, bevor wir das Grollen des Donners wieder aufsteigen hörten. Dieses Gewitter kam nicht. Er war bereits über uns.

Als der Regen einsetzte, prasselte er in Strömen und Wellen über uns hinweg und hämmerte einen Johnny-Cash-Rhythmus auf das Blechdach unseres einachsigen Trailers. Er harmonierte perfekt mit dem einsamen Pfeifen des Sturmes durch das Windspiel, das Mama vor meinem Fenster aufgehängt hatte. Das wahre Schlaflied von West Virginia.

In dieser Nacht standen wir da und starrten dem Sturm ins Auge – es war die Art von erderschütternder Wildheit, die einem das Gefühl gibt, dass die Hand Gottes selbst nur ein paar Meter über dem Boden schwebt und mit dem Finger direkt auf einen zeigt. Wir erstarrten, als der Blitz nur zwei Häuser weiter einschlug und der Transformator aufleuchtete und Funken schlug wie ein Feuerwerkskörper. Das Haus blieb verschont, aber die Garage brannte nieder und mit ihr der Hund der Familie. Nun, um genau zu sein, starb er, als die Feuerwehrmänner ihn erschießen mussten, um ihn von seinem Elend zu erlösen, aber er wäre ohnehin verloren gewesen.

Der Berg, von dem ich stamme, war nie gut zu Tieren.

Ich war kein hübsches Kind.

Ich hatte eine klaffende Zahnlücke und wilde, braune Locken – die Art Frisur, die zum Synonym wurde für die Achtzigerjahre und die besondere Vorliebe dieses Jahrzehnts für billige Dauerwellen, Haarspray-Ponys und die Möglichkeit, alles, was einem an sich nicht passte, zu verändern. Meine Augen standen zu dicht beieinander, meine Lippen waren viel zu schmal, und – um dem Elend noch eins draufzusetzen – die Nase, die ich von meinem Vater geerbt hatte, saß genau in der Mitte und erinnerte alle anderen Teile meines Gesichts daran, dass sie viel zu klein waren.

Im Sommer 1989 traf man mich üblicherweise mit nackten Beinen an – leicht blutig von den letzten Kratzern im Gestrüpp – , wie ich über die Schulter eine Antwort auf die Aufforderung rief, vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein. Währenddessen lief ich so schnell, wie meine schlaksigen, für meinen Körper viel zu langen Beine mich trugen, über die verwilderte Wiese hinter unserem Trailer. Immer weiter bahnte ich mir den Weg in die tiefen, dunklen Wälder, die gleich hinter dem Unkraut begannen und deren Sirenengesang mich unwiderstehlich anlockte.

Im Schutz und Schatten des Waldes konnte ich sein, wer immer ich wollte.

Es gibt eine Menge Dinge, die ich Ihnen über meine Kindheit erzählen werde, aber bevor wir dazu kommen, müssen Sie etwas wissen: Diesen Teil – der Teil mit den Wäldern – nun, den würde ich nicht ändern wollen.

Von meiner Geburt bis zu meinem Weggehen mit achtzehn Jahren wuchs ich auf dem Gipfel eines Berges im ländlichen West Virginia in einem einachsigen Trailer auf, der aus Holz und Aluminium zusammengezimmert war.

Jeden Winter knackte das Dach des Trailers unter dem Gewicht eines halben Meters Schnee, der üblicherweise in Nicholas County fiel. Die Abdeckung des alten Holzofens passte nie richtig, sodass die Flammen jedes Mal oben herausschlugen, wenn ein Holzscheit nachgeworfen wurde. Die orange-blauen Flammen tanzten gefährlich nah an den Fäden der Dämmwatte, die von der durchsackenden Decke herabhingen. Wenn der Frühling kam, regnete es dank des schadhaften Blechdachs drinnen genauso stark wie draußen, und der Geruch von Schimmel hing noch im Spätsommer in der Luft und klebte an meiner Kleidung und meiner Würde. Noch lange nach dem Ende eines Gewitters strömte dunkles Wasser von überall herab.

Die Fußböden bestanden aus aufgeweichten Spanplatten, die mehr oder weniger von dem fadenscheinigen braunen Teppichboden zusammengehalten wurden, der sich seinen Weg über den Wohnzimmerboden bahnte – ein Überbleibsel aus den Tagen, als der Trailer neu gewesen war. Jetzt war er mit einer Mischung aus altem Tierkot und neuen Dreckbrocken bedeckt, die jeden Abend von Papas Holzfällerstiefeln fielen, bis man nicht mehr sagen konnte, wo der braune Teppich endete und der Schmutz begann.

Und … es war ein Zuhause.

Wenn ich den Leuten diese Dinge über mich erzähle, um ihnen zu erklären, wer ich bin, kann man sehen, wie sich Unbehagen schwer auf ihre Schultern legt. Wie eine Last, um die sie nicht gebeten haben. Sie schütteln sich und sind verunsichert und sagen Dinge wie: „Gott sei Dank bist du da rausgekommen! Zum Glück bist du das nicht mehr!“ Aber genau das ist der Punkt, an dem sie sich irren.

Natürlich habe ich diesen Trailer gehasst, als ich aufwuchs. Ich hasste alles an ihm. Ich saß stundenlang mit einem Bleistift und einem blauen Spiralheft draußen und zeichnete Skizzen davon. Ich dachte mir aus, wie ich Wände um ihn herum errichten könnte. Ein Dach darüber bauen. Ich wollte ihn irgendwie verändern und damit mich und meine Zukunft, einfach über Nacht. Ich träumte jeden Tag davon, wie aus unserem Trailer ein richtiges Haus würde. Als ob mir das allein schon eine echte Chance im Leben geben würde.

„Wir könnten rund um den Anhänger Pfosten setzen, wie Spinnenbeine, direkt in den Boden“, sagte ich zu Mama, als ich ihr meine Skizzen zeigte. „Man könnte Löcher graben und sie mit Beton ausgießen, wie bei der Schaukel, und das würde reichen, um ein richtiges Dach zu tragen.“

Ich wusste: Wenn ich nur die richtigen Pläne hätte, eine Art Blaupause für das Leben, das ich aufbauen wollte, dann würden Mama und Papa meine Vision erkennen, und ich könnte sie dafür gewinnen. Ich könnte sie retten – vor der Welt, vor sich selbst und vor einer Reihe von unglücklichen Entscheidungen. Und dann könnten wir uns dieses gute Leben gemeinsam aufbauen, Seite an Seite.

Wenn sie nicht überzeugt werden konnten oder wollten, würde ich es eben einfach selbst machen.

Also, ja, ich habe von klein auf gewusst, dass ich auf die eine oder andere Weise aus diesem Trailer herauskommen und ein anderes Leben führen würde, was auch immer ich dafür tun müsste, um es zu schaffen. Aber zu sagen, das Mädchen von damals bin nicht mehr ich – nun, das wäre falsch. Alles, was ich bin, beginnt und endet mit diesem Trailer. Und wo auch immer ich hingehe, wer auch immer ich auf dem Weg geworden bin: Ich trage diesen Trailer in mir.

Für mich ist mein Leben – entkernt und von Grund auf neu aufgebaut – weniger eine Erfolgsgeschichte geworden als vielmehr ein Lied der Erlösung, eine Versöhnung mit den Wurzeln, die mich wachsen ließen, eine Melodie, die aus den schmutzigsten Winkeln meines Lebens geboren wurde.

Denn was mich und meine Geschichte betrifft: Am Anfang war der Dreck.

Das ganze Jahr über verfütterte ich Reste von braunen Bohnen und Maisbrot an die Streuner, die sich auf das Grundstück verirrten. Sie alle wurden von einer verwilderten, grau getigerten Katze in Schach gehalten, die mich als ihr Eigentum adoptierte, als ich gerade vier Jahre alt war und sie auf dem Schulhof der Grundschule in New Hope fand. Das Kätzchen kam schnurrend auf mich zu, mit seinen grünen Augen und dem markanten M im Fell auf der Stirn, was ich als Zeichen dafür nahm, dass wir zusammengehörten. Also wickelte ich das Kätzchen in meine Lieblingsdecke und schmuggelte es nach Hause, wo ich es vorläufig Thomas nannte … bis es ein Jahr später Junge bekam und fortan Thomasina genannt wurde.

Als wir aufwuchsen, hatten wir ständig streunende Hunde und Katzen, die zu vorübergehenden Haustieren wurden, aber keines von ihnen nahm ein glückliches Ende. Sie liefen weg oder verschwanden, wurden von einem Lastwagen angefahren, der etwas zu schnell fuhr, wurden irgendwo ausgesetzt, wenn wir sie nicht behalten konnten, oder erkrankten an etwas, das vermutlich heilbar gewesen wäre, wenn wir sie jemals zum Tierarzt gebracht hätten. Stattdessen starben sie dort, wo sie lagen, oder Mama rief unseren Nachbarn an – den mit der Schrotflinte – und das war’s.

„Ich hasse es, ein Tier leiden zu sehen“, war alles, was sie zu diesem Thema sagte.

Das waren die willkommenen Haustiere, die ich kannte, als ich aufwuchs. Aber in unserem Trailer gab es auch viele unwillkommene Hausgenossen. Im Winter wimmelte es von Mäusen und im Sommer von Kakerlaken, die überall herumflitzten. Und oft fand ich sogar die zappelnden, sich windenden, blanchierten Körper von Maden in der Küchenspüle, die sich am Abendessen der letzten Woche labten. Ich...

Erscheint lt. Verlag 23.1.2023
Übersetzer Karo Kuhn
Verlagsort Asslar
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Armut • Autobiografie • Entbehrungen • Freiheit • Frieden • Gnade • Heilung • Herkunft • Hoffnung • Jura • Kindheit • Lebensgeschichte • Neuanfang • Vergangenheit • versöhnt leben • Versöhnung • Virginia • Wohn-Trailer • Wunden • Yale
ISBN-10 3-96122-585-0 / 3961225850
ISBN-13 978-3-96122-585-9 / 9783961225859
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