Die Netanjahus (eBook)

oder vielmehr der Bericht über ein nebensächliches und letztlich sogar unbedeutendes Ereignis in der Geschichte einer sehr berühmten Familie

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Schöffling & Co. (Verlag)
978-3-7317-6224-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Netanjahus -  Joshua Cohen
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Winter 1959-1960: Ruben Blum ist Historiker und der einzige Jude am nördlich von New York gelegenen Corbin College. Wie er immer wieder betonen muss, ist er deswegen jedoch noch lange nicht auf die Geschichte des Judentums festgelegt. Am liebsten würde er sich auch vor der heiklen Kommission drücken, bei der es um die Bewerbung eines Kollegen aus Israel geht, doch der Dekan hat ihn zur Teilnahme verdonnert. Da dieser Ben-Zion Netanjahu gleich seine ganze Familie zum Vorstellungsgespräch mitschleppt, wird Blum auch noch unfreiwillig zum Gastgeber. Die Netanjahus mit ihren drei verzogenen Söhnen fallen in sein Haus ein wie eine Plage, und bald gerät Blums mühsam errungene Akzeptanz im amerikanischen Mainstream in Gefahr. Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Campusroman Die Netanjahus nähert sich dem Thema jüdische Identität auf originelle Weise. Joshua Cohen verwandelt eine wahre Begebenheit im Leben der berühmten Politikerfamilie mit überbordender Fantasie und wilder Komik in ein literarisches Feuerwerk.

Joshua Cohen wurde 1980 in New Jersey geboren und hat vielfach ausgezeichnete Erzählbände und Romane veröffentlicht. Für seinen Campusroman Die Netanjahus erhielt er den National Jewish Book Award for Fiction und den renommierten Pulitzer Preis 2022. Er lebt in New York.

Joshua Cohen wurde 1980 geboren und hat mehrere Erzählbände und Romane veröffentlicht. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Für »Die Netanjahus« wurde er 2022 mit dem National Jewish Book Award for Fiction und dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

1

Mein Name ist Ruben Blum, und ich bin Historiker, jawohl, Historiker. Bald schon, nehme ich an, dürfte ich historisch sein. Damit meine ich, ich werde sterben und selbst Geschichte werden, eine seltene Form der Verwandlung, die traditionell den Gelehrten der exakten Wissenschaften vorbehalten ist. Wenn Juristen sterben, wird aus ihnen kein Recht, wenn Mediziner sterben, werden sie nicht zu Medizin, Professoren der Naturwissenschaft hingegen verwesen zu Biologie und Chemie, sie versteinern zu Geologie, sie zergehen in ihrer Wissenschaft, ganz so wie Mathematiker zu Statistik werden. Gleiches gilt auch für uns Historiker – nach meiner Erfahrung sind wir die einzigen Geisteswissenschaftler, für die das gilt –, die einzigen, die zu dem werden, was wir erforschen; wir altern, wir vergilben, wir werden faltig und spröde wie unsere Quellen, bis unsere Leben in der Vergangenheit versinken und selbst zum Stoff der Zeit werden. Oder vielleicht spricht da nur der Jude aus mir … Gojim glauben, das Wort werde Fleisch, Juden hingegen glauben, das Fleisch werde Wort, das ist ja auch die natürlichere, rationalere Inkarnation …

Um mich weiter vorzustellen, werde ich nun eine Bemerkung des damaligen besser-namenlos-bleibenden Präsidenten der American Historical Association zitieren, den ich noch als Student kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kennenlernte: »Ah«, sagte er mit einem schlaffen Händedruck, »Blum haben Sie gesagt? Ein jüdischer Historiker?«

Die Bemerkung des Mannes sollte mich sicherlich verletzen, doch mir machte sie nichts als Freude, und selbst heute kann ich über die Beschreibung lächeln. Ich erfreue mich an der unbeabsichtigten Ungenauigkeit und daran, dass die Doppeldeutigkeit als eine Art psychologischer Test funktionieren kann: »›Ein jüdischer Historiker‹ – was denken Sie, wenn Sie das hören? Welches Bild steht Ihnen da vor Augen?« Tatsächlich ist die Bezeichnung gleichermaßen zutreffend wie unzutreffend. Ich bin ein jüdischer Historiker, aber ich bin kein Historiker, der sich mit jüdischer Geschichte befasst – oder jedenfalls war das nie mein beruflicher Schwerpunkt.

Vielmehr bin ich nach dieser Lesart ein amerikanischer Historiker – oder ich war es. Nach einem halben Jahrhundert Forschung und Lehre wurde ich vor Kurzem von meinem Lehrstuhl als Andrew William Mellon Memorial Professor für Amerikanische Wirtschaftsgeschichte emeritiert, den ich an der Corbin University in Corbindale, New York, innehatte, im manchmal ländlichen, manchmal wilden Herzen des Chautauqua County, unweit des Ufers des Eriesees zwischen Apfelplantagen und Bienenstöcken und Molkereien – oder, wie es die abschätzigen geografischen Analphabeten aus der Großstadt New York nennen, »Upstate«. (Ich gehörte selbst einst zu diesen Stadtbewohnern, und auch wenn die alte Weisheit, dass Lehrer mehr von ihren Schülern lernen als umgekehrt, nicht zutrifft, so habe ich mir dies doch frühzeitig angeeignet: Bezeichne Corbindale niemals als »Upstate«.) Mein ursprünglicher Forschungsschwerpunkt war zwar die Wirtschaft der prä-amerikanischen, britisch-kolonialen Zeit, doch mein wissenschaftlicher Ruf, so ich denn einen habe, wurde auf dem Gebiet erworben, der heute meist »Steuergeschichte« genannt wird, und vor allem durch meine Forschungen zum Einfluss der Steuergesetzgebung auf politische Entscheidungen und Umwälzungen. Um es deutlich zu sagen: Dieses Forschungsgebiet hat mir keine Freude gemacht, aber es stand mir offen. Oder besser gesagt, das Gebiet existierte gar nicht, bevor ich es entdeckte, und wie ein stümperhafter Kolumbus entdeckte ich es nur, weil es da war. Als ich in die akademische Welt eintrat, war Amerika bereits überfüllt, selbst Amerikanische Wirtschaftsgeschichte war drangvoll, und ich konnte immer ganz gut mit Zahlen umgehen. Die Beschäftigung mit der Geschichte der Steuern wies mir den Weg aus dem Ghetto der kolonialen Katallaktik und schließlich sogar aus Amerika selbst hinaus, hinein in die europäischen Stadtstaaten, feudale Steuerpacht, den Kirchenzehnt, die antike Entwicklung von Zöllen und Abgaben … bis zurück zum Stein von Rosette und sogar zur Bibel, die beide – was die meisten Menschen vergessen – im Wesentlichen bloß Steueraufzeichnungen sind …

Was ist sonst noch bemerkenswert an mir? Ich wünschte, ich wüsste es. Aber wissen wir das je? Früher habe ich manche meiner Seminare mit einem abgewandelten Zitat von Mark Twain eröffnet, der seinerseits Benjamin Franklin paraphrasierte, welcher wiederum wahrscheinlich ungenannte Briten plagiierte: »… nichts auf dieser Welt ist wirklich sicher – außer dem Tod und den Steuern und den Abgabeterminen Ihrer Hausarbeiten …«

Ich möchte meinen, dass mein Beruf mich empfänglicher als die meisten Menschen gemacht hat für den selektiven Gebrauch von Fakten und für die Art und Weise, wie jede Epoche, jede ideologische Strömung sich eine eigene maßgeschneiderte Chronik zusammenschustert, die zu ihren Zielen passt und ihrem Selbstbild schmeichelt – von Washingtons »Ich kann nicht lügen«, nachdem er die Axt an seines Vaters Kirschbaum gelegt hatte, bis zu den sensationslüstern ausgewählten Film- und Fernsehaufnahmen von der Ermordung Kennedys, die den Eindruck vermitteln, dass die Mafia, die CIA, der KGB und Marylin Monroe sich zu einem Planungstreffen in einer abgeschirmten Nische des 21 Club verabredet hatten. Meine eigene Version dieser selbstgewählten Geschichte ist meine akademische Vita, wie sie im Netz steht. Verzeihen Sie einem alten Mann, wenn er zu viel erklärt: Gehen Sie auf Corbin.edu, klicken Sie auf Fachbereiche, klicken Sie das Historische Seminar an und dort bei Personal auf meinen Namen. Dann finden Sie mehr oder weniger eine Wiedergabe meines Lebenslaufs, nur auf die Höhepunkte hin redigiert: die neun Auszeichnungen für Hervorragende Lehre an der Corbin University (1968, 1969, 1989, 1990, 1992, 1995, 1999, 2000, 2001), den Preis für den Historiker des Jahres von der American Historical Association (1993), die Ehrendoktorwürden von der London School of Economics und der Nationaluniversität von Singapur, eine ziemlich aktuelle Liste meiner Publikationen sowie eine Bibliografie. Zu meinen derzeit lieferbaren Büchern gehören Eine Allgemeine Geschichte der Steuern; Besteuerung ohne Vertretung: Eine Geschichte Amerikas in zehn Steuern; Importquoten, Exportsubventionen: Eine Übersicht nichttarifärer Handelshemmnisse; Embargo: Eine Geschichte; Blutgeld: Die Besteuerung der Sklaverei und George Sewall Boutwell: Sklavereigegner, Stimmrechtler und Vater der Bundessteuerbehörde.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin stolz auf diese Leistungen, oder vielmehr bin ich darauf dressiert, solchen Stolz auszudrücken oder gar zu empfinden, hauptsächlich weil jede Sprosse meiner immer länger werdenden Leistungsleiter mich weiter von meiner Herkunft entfernen sollte – von Ruvn Yudl Blum, geb. 1922 in der Central Bronx als Sohn jüdischer Einwanderer aus Kiew, die mich zu einem aufstrebenden Mitglied der Mittelschicht erzogen. Sie sorgten dafür, dass ich eine gute Bildung genoss, indem sie mich auf gute Schulen und Universitäten schickten, um mich dann in schamlosem Jiddisch auszuschimpfen, als ich mich zu einem Intellektuellen entwickelte.

Am Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbor wurde ich mit meiner Jugendliebe getraut und in die US-Armee eingezogen, die mich zunächst im Rechnungswesen einsetzte, weil ich einen Buchhaltungskurs (angetreten auf Drängen meiner Familie) zur Hälfte absolviert hatte, wegen meiner schlechten Haltung (leichte Skoliose, Zwölf-Grad-Krümmung) und meiner Tippfähigkeiten (76 Wörter pro Minute). Ich überstand den Krieg, ohne das Land zu verlassen, und verbrachte den größten Teil meiner Dienstzeit damit, elegante kleine Studien fortgeschrittener Prätenziosen zu tippen, angelehnt an Eliot (»Der qualmige Kerzenstummel der Zeit / Zerrinnt. Auf der Rialto einst«) und Pound (»Wucher mordet das Kind im Mutterleib / Und hemmt des jungen Mannes Werben«), die ich an elegante kleine Lyrikzeitschriften schickte, wo sie abgelehnt wurden, Soldschecks zu bearbeiten und Reisekosten von Fort Benning nach Fort Sill und zurück zu erstatten.

Nach dem Krieg schrieb ich mich am City College in New York ein, wo meine anfängliche Neigung zu den Geisteswissenschaften, vor allem zur Literatur, durch verschiedene Zwänge (elterliche, praktische) geradegerückt und in Spalten angeordnet wurde, um sich leichter zu einer beruflichen Laufbahn addieren zu lassen. Der Kompromiss sah so aus: Aus meiner Vorliebe Literatur wurde Geschichte, aus der Vorliebe aller anderen für Buchhaltung wurde Wirtschaftslehre, und Amerika blieb Amerika. Ich blieb bis zum Abschlussexamen an der Columbia, und nach mutlosem Suhlen im Dunkel der Lehraufträge wurde ich der erste Jude, der jemals vom Corbin College (damals war die Corbin University noch ein schlichtes College) angestellt wurde, und damit meine ich nicht der erste jüdische Dozent mit Aussicht auf Professur am Historischen Seminar des Corbin College, sondern den ersten Juden überhaupt an der gesamten Hochschule – Lehrkörper und, soweit ich das beurteilen konnte, Studentenschaft eingeschlossen.

Der hervorragende und heute vergessene Literaturkritiker Van Wyck Brooks hat den Ausdruck einer »brauchbaren Vergangenheit« geprägt, womit er eine Vergangenheit meint, die jeder – und jede – »moderne«, distanzierte, entwurzelte amerikanische Intellektuelle für sich selbst schaffen muss, um Bedeutung in der Gegenwart und eine Richtung für die Zukunft zu finden. An diesen Ausdruck...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2023
Übersetzer Ingo Herzke
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1960 • Amerika • Campusroman • Netanjahus • Politik • Pulitzer • Pulitzer-Preis • Ruben Blum • USA
ISBN-10 3-7317-6224-2 / 3731762242
ISBN-13 978-3-7317-6224-9 / 9783731762249
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