Im Schatten des Oleanders (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
416 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-24285-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Schatten des Oleanders - Rosa Ventrella
Systemvoraussetzungen
3,49 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Carbonara, ein Dorf in Apulien, in den 30er Jahren: Margiala, eine starke Frau von außergewöhnlicher Schönheit, hat drei Töchter: Rosetta, schön und furchtlos wie sie selbst, Cornelia, die das honigfarbene Haar und die hellen Augen ihres tragisch verstorbenen Vaters besitzt, und Diamante, die jüngste, mit ihren ungezähmten Locken und ihrem rebellischen Geist. Die vier Frauen sind eine eingeschworene Gemeinschaft, mutig gehen sie gemeinsam durchs Leben. Auch als Rosetta und Cornelia heiraten und Diamante eine freie Beziehung zu ihrer großen Liebe Antonio beginnt, halten sie zusammen. Doch dann stehen die vier vor der größten Herausforderung ihres Lebens, denn der große Krieg kommt nach Apulien ...

Rosa Ventrella lebt mit ihrer Familie in Cremona. Ursprünglich stammt sie aus Bari und ist dort in den Achtzigerjahren aufgewachsen wie die Protagonistin ihres Romans »Die Geschichte einer anständigen Familie«. Sie hat als Verlagslektorin gearbeitet und leitet seit Jahren kreative Schreibworkshops für Kinder und Erwachsene. Die Übersetzungsrechte ihrer Romane sind in 23 Länder verkauft worden.

1


Frühling 1938

Es versprach, ein heißer Frühling zu werden – einer, in dem man sich nichts Schöneres vorstellen kann, als durch die bunten Felder zu toben, um bei Sonnenuntergang erschöpft und verdreckt nach Hause zurückzukehren.

Gleichzeitig hätte es nicht schlimmer sein können, weil alles klebte vor Schweiß, zu dem sich ein unangenehmes Jucken von den Blütenpollen gesellte.

Trotzdem war das für mich die schönste Zeit des Jahres: Vorfreude lag in der Luft, alles konnte kaum erwarten, zu neuem Leben zu erwachen. Wir verabschiedeten uns vom Winter wie von einem alten Griesgram, der sich gegen die neue Zeit sträubt. Nur dass keiner mehr auf ihn hörte, sobald der Frühling in der Luft lag.

Bei Compare Bertoni verabschiedete man sich mit einem ganz bestimmten Ritual von der Kälte. Das geschah Ende Februar, wenn der Winter nur noch eine ferne Erinnerung war und die ersten Sonnenstrahlen für Wärme sorgten. Man konnte sie regelrecht schmecken!

Dazu trommelte uns der alte Uberto alle vor dem großen Feigenbaum zusammen, der vor seinem Haus aufragte. Er war wirklich majestätisch, und ich musste mir den Hals verrenken, um ihn in seiner ganzen Pracht bewundern zu können. Der knotige Stamm hatte sich x-fach um sich selbst geschlungen, eine Schlinge für jedes Jahr, das er hier schon stand, um über das Haus von Signor Bertoni und die vorigen Generationen zu wachen.

Warum sich dieses bedeutungsvolle Ritual Jahr für Jahr ausgerechnet unter dem Feigenbaum dieses kauzigen Alten abspielte, weiß ich nicht. Für mich war ein Feigenbaum so gut wie der andere. Wäre es nach mir gegangen, hätte man auch den in unserem Garten nehmen können. Doch in meinem Dorf bekam alles einen festen Platz zugewiesen im Leben, alles und jeder hatte eine Rolle zu erfüllen, die Dingen wie Menschen übergestülpt wurde wie eine zweite Haut. Und die Aufgabe des alten Bertoni und seines Feigenbaums bestand nun einmal darin, den Winter zu verjagen.

Zu diesem Zweck schwang der alte Brummbär eine dicke Gerte, mit der er den armen Feigenbaum gründlich auspeitschte. Bei jedem Schlag mischte sich ein heiseres Röcheln in das Blätterrauschen, so als stöhnte das Gewächs tatsächlich unter den Peitschenhieben.

Aus Mitleid mit dem alten Baum kniffen mein Freund Pietro und ich jeweils ein Auge zu. Mit dem anderen schauten wir uns gründlich um. Der alte Uberto behauptet nämlich, der Geist des Winters würde durch seine kräftigen Hiebe in den Himmel auffahren. Mit wachsamem Blick erwarteten wir jeden Moment, ein übernatürliches, aus Wind bestehendes Wesen zu sehen, das, nach Renetten und Moos duftend, emporschwebte, um dem heiteren Frühling zu weichen. Die eine oder andere Frau ließ sich sogar dazu hinreißen, ein Kreuz zu schlagen und »Amen« zu murmeln, während Uberto das Wunder vollbrachte – ein bisschen heidnische Religion kann schließlich nie schaden. Diesmal hatten die Hiebe von Signor Bertoni ganze Arbeit geleistet, denn seit seinem Ritual waren Eis und Kälte ausgeblieben. Stattdessen hatte sich erst schüchtern, dann immer dreister ein sengend heißer Frühling breitgemacht, was meinen Vater von früh bis spät fluchen ließ. Er begnügte sich nicht damit, die Sonne zu verwünschen, sondern auch noch den Mond, weil seiner Meinung nach alle beide dafür verantwortlich waren, dass alles von diesen glühend heißen Strahlen durchbohrt wurde.

Pietro und ich hingegen genossen unbeschwert die Vor- und Nachmittage sowie die Sonnenuntergänge – mit dem gebräunten Teint, an dem man Bauernkinder angeblich erkennt. Und tatsächlich gehörten wir ja auch zur Landbevölkerung, worauf ich sehr stolz war.

Damals gab es nichts Schöneres, als die Hände beim Heimkommen in die Zinkwanne mit frischem Wasser zu tauchen, die Mama vor die Haustür gestellt hatte. Ich spritzte es mir mehrmals ins Gesicht, bis mir ein Schauder den Rücken hochkroch und die Tropfen an Hals und Brust herabrannen. Selig seufzte ich auf, so sehr genoss ich diesen Kontrast.

Ich war schon von klein auf von Gegensätzen fasziniert – daher auch meine Vorliebe für besonders grelle oder fahle Farben, für zu kalte oder zu heiße Jahreszeiten, für Weiß und Schwarz. Die vielen Zwischentöne hingegen waren mir völlig gleichgültig, als gingen sie mich nichts an.

»Du bist ein seltsames Mädchen«, sagte meine Mutter immer, wenn ich – ganz im Gegensatz zu meinen Altersgenossen, denen es schwerfiel, sich eindeutig für oder gegen etwas zu entscheiden, und die lieber noch Raum für Zweifel oder für eine Kehrtwende ließen – immer gleich wusste, was ich wollte beziehungsweise wozu mich keine zehn Pferde bewegen würden. Das galt auch für Marmeladesorten.

Ich liebte diejenigen, die schwarz waren wie Januarerde, aus festen violetten Pflaumen oder aus den wilden Blaubeeren, die Pietro und ich ganz in der Nähe des großen ausgepeitschten Feigenbaums pflückten. Pflaumen- und Blaubeermarmelade waren meine Lieblingssorten, und Mama konnte mich um keinen Preis dazu bringen, etwas anderes zu essen. Eben wegen meiner Vorliebe für Kontraste kombinierte ich das Januarschwarz am liebsten mit Zitronenkompott.

Dazu legte die Margiala – denn so hieß meine Mutter bei uns im Ort – die Zitronen tagelang ein, bis ihre Schale ganz weich wurde.

Dann entfernte sie sorgfältig die weiße Haut und kochte die Schalen in reichlich Wasser – eine Prozedur, die sie so lange wiederholte, bis diese ihren bitteren Geschmack verloren hatten. Anschließend wurden sie mit den Früchten und mit Zucker zu einer köstlichen Marmelade eingekocht. Mama bereitete große Mengen davon zu, weil der ganze Ort verrückt nach den Marmeladen der Margiala war. Sie kochte zig Gläser davon ein, die dann im Winter gegessen wurden – »um das Aroma des Sommers zu schmecken«, wie sie so schön sagte.

Man muss wissen, dass bei uns im Ort alle einen Spitznamen hatten. Das war eine Art Trophäe, die einem zuerkannt wurde, sobald man alt genug war, um eine Persönlichkeit entwickelt zu haben.

Deshalb hieß meine Mutter »die Margiala«, auch wenn das in ihrem Fall nicht nur ein Spitzname war, sondern auch eine Art Charakterbeschreibung. Und das hat wiederum mit den Rollen zu tun.

In unserem Dialekt ist die »Margiala« eine Frau mit magischen Kräften, eine weise Frau, die weiß, wann man welche Heilkräuter anwendet, wie man den bösen Blick abwehrt, wie man das Geschlecht eines ungeborenen Kindes erkennt, wie man Bauchweh bei kleinen Kindern kuriert und vieles mehr. Aufgrund dieser und anderer Fähigkeiten war meine Mutter im ganzen Ort bekannt.

Alles Gaben, die sie von ihrer Mutter Diamante geerbt hatte, die ihrerseits in ganz Cerignola als weise Frau respektiert wurde.

Pietro und ich liebten es zu angeln. Wir kannten eine Abkürzung über die Felder, die an dem tiefen Graben entlangführte, der während des Faschismus ausgehoben worden war und bis ans Meer reichte. Eine kilometerlange Senke aus aufgeworfener Erde, die einem, wenn man ihr folgte, das Gefühl gab, etwas ganz Aufregendes, Abenteuerliches zu tun. Es hieß, der Duce habe sie mit Meerwasser fluten wollen, und wir Kinder malten uns gerne aus, wie schön es doch wäre, darin zu planschen. Das Meer direkt im Dorf – eine herrliche Vorstellung!

Nicht wir hatten diese Abkürzung entdeckt, auch wenn wir uns mit dieser harmlosen Lüge jahrelang brüsteten. Tatsächlich waren wir eines schönen Tages nur Tommaso gefolgt und zu unserer großen Überraschung am Hafenbecken wieder herausgekommen. Tommaso war mein Kater oder besser gesagt der Kater von all meinen Nachbarn. Er war einfach nicht dafür gemacht, nur einen Besitzer zu haben. Stattdessen war er ein gewitzter Landstreicher, der gern zu uns kam, wenn es etwas zu fressen gab, einen aber jederzeit mit Fremden betrog, wenn diese etwas noch Leckereres zu bieten hatten.

»Pah, Katzen sind wie Frauen!«, behauptete mein Vater. »Sie kennen keine Treue.«

Ich prägte mir sämtliche Ermahnungen und Vorwürfe ein, die Papa so von sich gab, in der festen Überzeugung, dass mir diese Weisheiten im Leben noch mal weiterhelfen würden.

Auch das mit der Treue faszinierte mich – genauso wie die Sache mit den Gegensätzen. Doch während es mir leichtfiel, Vaters Worte in Bezug auf Katzen für bare Münze zu nehmen, tat ich mich deutlich schwerer, sie mit den Frauen in Zusammenhang zu bringen, die ich kannte. Und schon gar nicht mit meiner Mutter. Ich sah förmlich vor mir, wie Tommaso maunzend vor der Haustür hin und her strich, einen Buckel machte und sich mit bebenden Schnurrhaaren aufplusterte, um jede noch so leise lautliche oder emotionale Regung aufzufangen. Er wusste genau, wie er sich verhalten musste, wenn er etwas zu fressen haben wollte, und das hatte nichts damit zu tun, dass er ein Weibchen war – was ich erst viel später feststellen sollte und was meinem Vater zufolge durchaus von Bedeutung war –, sondern nur damit, dass er ein Wildtier war, das gelernt hatte, auf diese Weise zu überleben.

Mein Vater behauptete also, auch Frauen, die etwas erreichen wollen, würden auf dieses abartige Herumschwänzeln und Maunzen zurückgreifen.

»Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn Frauen dir Aufmerksamkeit schenken, mein Sohn. Das kann nur zwei Dinge bedeuten: Entweder sie wollen etwas von dir, und zwar etwas Wichtiges oder Teures. Oder aber sie haben vor, dich hinterrücks zu erdolchen«, hörte ich ihn oft zu meinem Bruder Giuseppe sagen. Ich lauschte ebenso angestrengt wie aufmerksam, wenn mein Vater solche Weisheiten zum Besten gab – vermutlich auch mit offenem Mund, denn ein paar Mal flogen mir Fliegen hinein, so...

Erscheint lt. Verlag 19.7.2023
Übersetzer Christiane Burkhardt
Sprache deutsch
Original-Titel Il Giardino degli Oleandri
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • 30er Jahre • Apulien • eBooks • Elena Ferrante • Frauenroman • Frauenromane • Freundschaft • Gesellschaftsroman • Hafen • Historische Romane • Liebesroman • Liebesromane • Neuerscheinung • Romane für Frauen • Schwestern • Starke Frauen • Süditalien
ISBN-10 3-641-24285-1 / 3641242851
ISBN-13 978-3-641-24285-5 / 9783641242855
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,6 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99