Nur zwei alte Männer -  Thomas Sautner

Nur zwei alte Männer (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
176 Seiten
Picus (Verlag)
978-3-7117-5484-4 (ISBN)
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Der ehemalige Starfotograf Joseph Wasserstein und der Tänzer Hakim Elvedin wohnen Garten an Garten am Rande Wiens. Sie erhalten eines Tages Besuch von Julia, die erfahren hat, dass Joseph Wasserstein ihr leiblicher Vater sein könnte. Unter dem Vorwand, an einer Publikation über den Fotografen zu arbeiten, verbringt sie einen Sommer bei den skurrilen alten Männern, die ihr langsam zur Familie werden. Eines Abends aber ist alles nicht wie sonst und in Folge hält ein nie dagewesenes überirdisches Ereignis die ganze Welt wochenlang in Atem. Auch die drei stehen im Bann des Unbekannten und ahnen nach und nach, dass es im Universum mehr geben muss, als der Menschheit begreifbar ist. Thomas Sautners neuer Roman über das Altwerden und das Altsein, über ewig währende Kindheit und den absurd schönen Sinn des Lebens.

Thomas Sautner wurde 1970 in Gmünd geboren, heute lebt er im nördlichen Waldviertel sowie in Wien. Neben zahlreichen Essays und Erzählungen erschienen im Picus Verlag seine Romane »Fuchserde«, »Milchblume«, »Die Älteste«, »Das Mädchen an der Grenze«, »Großmutters Haus« und 2021 »Die Erfindung der Welt«.

Thomas Sautner wurde 1970 in Gmünd geboren, heute lebt er im nördlichen Waldviertel sowie in Wien. Neben zahlreichen Essays und Erzählungen erschienen im Picus Verlag seine Romane »Fuchserde«, »Milchblume«, »Die Älteste«, »Das Mädchen an der Grenze«, »Großmutters Haus« und 2021 »Die Erfindung der Welt«.

– 1 –


Die Leute behaupteten, im Alter verlaufe das Leben schneller, Joseph Wasserstein aber wusste, dass das Schwachsinn war und Tatterer wie er sich täuschten. Bloß von der Schlappheit in Kopf und Gliedern rührte der Eindruck. Bloß weil sie selbst daherkamen wie die Schneckenpost, glaubten sie, dass das Leben rundum immer rascher ablief. Das war alles, verdammt aber auch!

Das Spannendste zuletzt waren noch seine Träume gewesen. Geträumt hatte Joseph sie in grobkörnigem Schwarz-Weiß – jenem Stil, in dem er während seiner besten Zeit fotografiert hatte, Aufnahmen in einem Spektrum von hellstem Tag bis dunkelster Nacht und dazwischen eine unerschöpfliche Vielfalt aus Grau. Wie oberflächlich Farbaufnahmen doch waren. Schwarz-Weiß-Fotografien hingegen führten das Sehen ins Essenzielle, offenbarten den Kern der Menschen und der Dinge. Und nun also träumte er in Schwarz-Weiß.

Die Frau in seinem Traum war sympathisch gewesen, entspannt und natürlich; Typ breitschultrige, sommersprossige Wassersportlerin. Sie hatte einen selbstsicheren, freundlichen Blick. Mit dieser Natürlichkeit kam sie auf ihn zu und befriedigte ihn mit der Hand. In Schwarz-Weiß.

Und was war nun das Ikonografische an diesem Bild, was die tiefere Bedeutung? Als sich Joseph Wassersteins Aufwühlung gelegt hatte, war die Nachricht zu erkennen. Nicht eigentlich um Sex ging es in diesem Traum. Sondern um Barmherzigkeit. Um letzte Gnade. Darum, nur noch darum.

»Hakim, wir kennen uns doch jetzt schon eine Zeit lang.«

»Vierzig Jahre, mein Freund. Vierzigmal Frühling, Sommer, Herbst und Winter.«

Joseph Wasserstein nickte träge.

»Weißt du was, Hakim?«, sagte er schließlich.

»Was denn, mein Alter?«

»Mich freut’s nicht mehr.«

»Was freut dich nicht mehr?«

»Das Leben.«

Hakim stemmte eine Hand in die Hüfte. »Bist du deppert? Das Leben freut dich nicht mehr? Und das sagst du ausgerechnet, wenn wir miteinander ein Bier trinken?«

»Ja, aber gleich trinken wir es nicht mehr. Dann ist das Schöne auch schon wieder vorbei für den Tag. Dann kommt nichts mehr.« Joseph Wasserstein blickte in seinen verwilderten Garten, als blickte er in eine verstörende Welt. »Hakim, seien wir uns ehrlich, ich hab da einfach nichts mehr zu suchen.«

»Wenn du nichts mehr zu suchen hast, kannst du trotzdem was finden. Ich zum Beispiel finde, du könntest deinen verschrumpelten Tattergreispopo heben und endlich wieder einmal fotografieren!«

Joseph Wasserstein schüttelte den Kopf. »Ich bring kein gutes Bild mehr zusammen.«

»Oder du machst es wie alle Pensionisten und ziehst dir oberflächlich lustige Serien rein, sentimentale Schnulzen, Softpornos.«

»Hab schon alles gesehen. Viel zu viel hab ich schon gesehen.«

»Oder! …« Hakim hob erfreut die Augenbrauen und setzte sein mitreißendstes Gesicht auf. »Oder du suchst dir eine Freundin!«

»Ich bin schon froh, wenn ich mit meiner Prostata halbwegs zurechtkomme und mir nicht in die Unterhose mach. Was soll ich da mit einer Frau?«

»Nicht für Sex, Joseph. Für« – Hakim Elvedin breitete die Arme aus – »für Liiiiiiebe!«

»Unsinn.«

»Ich kann für dich suchen. Eine Freundin, Joseph. Im Internet. Eine liebe. Ich kann das, Joseph. Ich mach das für dich!«

»Nein, such mir lieber die Nummer für den Notar raus, ich vermach dir meine Bude. Und davor noch die Nummer einer Sargfirma. Ich will einen ordentlichen Sarg.«

»Ich will deine Villa nicht. Viel zu groß. Da musst schon selbst drinnenbleiben. Und in einen kleinen, gemütlichen Sarg kommst du noch früh genug.«

In diesem Augenblick brach ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. »Schau!«, jubelte Hakim. »Die Sonne kommt zu uns! Jetzt beginnt der Sommer, darauf wett ich mit dir um ein Bier. Gerade fiel noch Schnee und jetzt … der Sommer, Joseph! Bald schaust du meinen Mädels und mir wieder beim Tanzen zu, gut? Gut, Joseph?« Hakim vollführte eine Drehung, schwang die Arme komödiantisch zum Himmel, stellte sich in seinen wollbesockten Flip-Flops en pointe auf die Zehen, als imitierte er eine Ballerina und suchte während seiner Aufmunterungsnummer vergebens Joseph Wassersteins Augen, Joseph Wassersteins mit einem Mal tränenfeuchte Augen.

»Du machst das richtig, Hakim, mit deiner Kasperei und Tanzerei und so.« Joseph lächelte müde. »Genau so muss man mit dem Leben umgehen, Hakim, genau so wie du. Aber mir, weißt du, mir liegt das nicht. Ich sitz nur noch blöd herum, immer noch in Schwarz angezogen, als gäb’s ein Werk zu vollbringen, und dabei bring ich nicht einmal mehr den Willen auf, laut zu fluchen, wie es sich gehören würde, auf die ganze Scheiße.«

»Scheiße sagt man nicht«, entgegnete Hakim, bewegte rügend den Zeigefinger vor Josephs Gesicht. »Kreuzkümmelnocheinmal. Das darfst du sagen, Joseph. Versuchs einmal. Kreuzkümmelnocheinmal! Na komm, einmal nur! Ganz laut und wild! Kreuzkümmelnocheinmal!«

»Joseph … komm schon! Einmal wenigstens sag es! Kreuz!KümmelNoch!Ein!Mal!«

»Kreuzkümmelnocheinmal«, flüsterte Joseph.

Hakim besah ihn. »Kreuzkümmelnocheinmal, bist du ein schlechter Verflucher.«

»Flucher.«

»Was?«

»Flucher. Man sagt Flucher. Nicht Verflucher.«

»Flucher passt für dich nicht. Du bist ein schlechter Verflucher.«

»Kreuzkümmelnocheinmal!«, brummte Joseph Wasserstein.

»Na also«, sagte Hakim Elvedin.

Als er jung gewesen war – und jung waren in Joseph Wassersteins dreiundachtzigjährigen Augen alle Rotzlöffel bis fünfundsechzig –, war das Leben eine Kinderkarussellfahrt gewesen. Er selbst war impulsiv und laut und lässig gewesen, hatte die Dinge fest im Griff und die Zukunft exakt im Blick gehabt, kurzum: Er war beschenkt gewesen mit dem Zauber der Fehleinschätzung. Ach, es war herrlich gewesen! Er und seinesgleichen hatten die Welt regiert. Was für eine unbeschwerte Zeit!

Damals hatte er die wichtigsten und spannendsten Leute fotografiert, was sie in den Augen dritter noch wichtiger und noch spannender gemacht hatte und ihn, den Fotografen, zum Starfotografen – und damit selbst zum Star. Es war ein simpler Taschenspielertrick gewesen. Business, Showbusiness.

Freilich mochten darüber hinaus horizontweite Dinge existieren. Dinge, die größer waren als die eigene Pracht und Vorstellungskraft. Fernab des Lichtes der Berühmten, Reichen und Schönen war er ja auch tatsächlich über Menschen gestolpert, die ihm still imponierten; Menschen, die, ohne etwas zu tun, über allen Mächten zu stehen schienen: erhabene Alte.

Joseph Wasserstein glaubte damals, etwas zu sehen in ihren oft milchigen, oft geheimnisvoll funkelnden Augen. Diese Alten schienen weit hinauszublicken über unser Erdendasein. Es verlieh ihnen eine Aura der Weisheit und – so empfand es Joseph damals und so empfanden es die Betrachter seiner großformatigen Porträts – es verlieh ihnen eine Aura unnachahmlicher Gelassenheit.

Heute freilich wusste Joseph es besser, denn heute war er alt, wie sie es damals gewesen waren. Die Knacker, die auf seinen Fotos dieses geheimnisvoll Sphärische hatten, drückte garantiert nur ein Darmwind. Und das verklärte Leuchten ihrer Augen rührte daher, dass sie sich diebisch darauf freuten, gleich gewaltig einen fahren zu lassen. »Weisheit! Na klar! Auf dass der Geist mit Karacho himmelwärts aus uns fahre!«

Was war er nur für ein Häufchen Mensch. Sein Leben schien nur noch aus dem notdürftigen Zusammenhalten seines Körpers zu bestehen, aus Inkontinenz, Mattigkeit, Vergesslichkeit, aus permanenten Wehwehchen, unterbrochen von echten Schmerzen und der erbärmlichen Glorifizierung der seit Jahrmillionen vergangenen Jugend. Und dann auch noch diese Rührseligkeit! Zum aus der Haut Fahren! Schier alles konnte ihn rühren. Weil ihn alles an die zerbrechliche Schönheit des Lebens erinnerte. Die nichtigste Beobachtung trieb ihm Tränen in die Augen. Aber Hauptsache, er trug noch seine löwenprächtige Mähne! Als ob er noch immer der wilde Hund von damals wäre! Eine Glatze sollte er sich rasieren lassen wie diese Verrückten in den Irrenanstalten. Eine Stoppelglatze und dazu rund um die Uhr einen Anstaltspyjama tragen und Filzpantoffel....

Erscheint lt. Verlag 22.2.2023
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alter • Aufgaben • Freundschaft • Garten • Katzen • Liebe • Malina • Raumschiff • Sinn des Lebens
ISBN-10 3-7117-5484-8 / 3711754848
ISBN-13 978-3-7117-5484-4 / 9783711754844
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