Große Werke: Farm der Tiere / 1984 / Die großen Essays (3in1-Bundle) (eBook)
800 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-30588-8 (ISBN)
Orwells unvergleichliche Zukunftsvision »1984«: Winston Smith, Geschichtsfälscher im Staatsdienst, verliebt sich in die schöne und geheimnisvolle Julia. Gemeinsam beginnen sie, die totalitäre Welt infrage zu stellen, als Teil derer sie bisher funktioniert haben. Die große Parabel »Farm der Tiere«: Man beraubt sie der Früchte ihrer Arbeit, sperrt sie ein, beutet sie aus. Die Tiere auf dem Gutshof haben genug und proben den Aufstand - für eine bessere Welt, in der alle Tiere gleich und frei sind. Klartext: »Die großen Essays« zeigen den politischen Autor in Reinform, deutlich, gewitzt, klug; einer, der kein Blatt vor den Mund nahm.
George Orwell wurde 1903 in Motihari/ Bengalen als Sohn eines britischen Kolonialbeamten geboren. Er besuchte Privatschulen in England, diente in der burmesischen Imperial Police, arbeitete als Lehrer und Buchhandelsgehilfe, machte als Vagabund in Südengland und Paris Erfahrungen, kämpfte auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg und arbeitete als freier Schriftsteller und Journalist. Neben seinen Welterfolgen »Farm der Tiere« und »1984« ist er durch zahllose politische wie literarische Essays bekannt geworden. Er starb 1950 in London.
KAPITEL I
Den Hühnerstall seines Gutshofes hatte Mr. Jones am Abend abgeschlossen, aber so betrunken, wie er war, hatte er nicht daran gedacht, auch die Ausschlupfklappen zu schließen. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe schwankte hin und her, als er über den Hof torkelte, an der Hintertür des Herrenhauses die Schuhe abstreifte und sich aus dem Fass in der Vorratskammer noch ein Glas Bier einschenkte, bevor er hinaufging ins Schlafzimmer, wo Mrs. Jones schon schnarchend im Bett lag.
Sobald aus dem Zimmer kein Licht mehr zu sehen war, begann in den Ställen geschäftiges Treiben. Am Tag hatte nämlich die Nachricht die Runde gemacht, dass Major, der altehrwürdige, preisgekrönte Eber, in der Nacht zuvor etwas Sonderbares geträumt hatte, wovon er den anderen Tieren berichten wollte. So war man übereingekommen, sich am späteren Abend, wenn man vor Mr. Jones sicher war, in der großen Scheune zu versammeln. Der alte Major (so wurde er von allen genannt, obwohl der Name, unter dem er viele Preise gewonnen hatte, eigentlich Willingdon Beauty lautete), genoss auf dem Hof ein so hohes Ansehen, dass alle bereit waren, auf die eine oder andere Stunde Schlaf zu verzichten, um sich anzuhören, was er ihnen mitzuteilen hatte.
Im hinteren Teil der Scheune hatte sich Major bereits unter einer Laterne, die von einem der Balken herunterhing, auf einer mit Stroh gepolsterten Rampe niedergelassen. Im stolzen Alter von zwölf Jahren war er mittlerweile recht korpulent, aber durchaus noch eine ehrfurchtgebietende Erscheinung, mit einem klugen, gutmütigen Gesicht, obwohl man ihm nie die Hauer abgeschliffen hatte. Nach und nach trudelten die anderen Tiere ein und machten es sich jedes nach seiner Fasson bequem. Als erste erschienen die drei Hunde Bluebell, Jessie und Pincher, gefolgt von den Schweinen, die sogleich im Stroh vor der Rampe Platz nahmen. Die Hennen hockten sich auf die Fensterbretter, die Tauben flatterten auf die Dachbalken, die Schafe und Kühe legten sich wiederkäuend hinter die Schweine. Die beiden Kaltblüter Boxer und Clover betraten die Scheune gemeinsam. Für den Fall, dass eines der kleinen Tiere sich unter dem Stroh gemütlich eingerichtet hatte, setzten sie mit äußerster Vorsicht einen ihrer fellbedeckten Hufe vor den anderen. Clover war eine etwas untersetzte Stute in den besten Jahren, die nach der Geburt ihres vierten Fohlens nie wieder ihre ursprüngliche Figur zurückerlangt hatte. Boxer war ein riesiger Ackergaul mit einem Stockmaß von über einem Meter achtzig und so stark wie sonst nur zwei Pferde zusammen. Eine Blesse ließ ihn ein wenig dümmlich erscheinen, und er war tatsächlich nicht unbedingt der Hellste, doch aufgrund seiner Charakterstärke und seiner Arbeitskraft wurde er allseits respektiert. Nach den Pferden kamen Muriel, die weiße Ziege, und Benjamin, der Esel. Benjamin war das älteste Tier auf dem Hof, und das schlecht gelaunteste. Er machte nur selten das Maul auf, und wenn er es denn tat, kam meistens eine ironische Bemerkung heraus – er sagte zum Beispiel immer, Gott habe ihm nur deshalb einen Schwanz gegeben, damit er die Fliegen vertreiben könne, er aber hätte gut und gerne auf beides verzichten können. Er war das einzige Tier auf dem ganzen Gutshof, das niemals lachte. Und wenn man ihn fragte, warum nicht, antwortete er, dass es seiner Ansicht nach ja wohl nichts zu lachen gebe. Nichtsdestoweniger und auch wenn er es niemals zugegeben hätte, war er Boxer sehr ergeben, und sonntags grasten die beiden immer nebeneinander auf der Koppel hinter der Obstwiese – natürlich ohne ein Wort miteinander zu sprechen.
Nachdem die beiden Pferde sich niedergelassen hatten, kam eine Schar von Entenküken, die ihrer Mutter ausgebüxt waren und einen Platz suchten, wo niemand auf sie treten würde. Schüchtern piepend watschelten sie hin und her, bis Clover schützend eins ihrer langen Vorderbeine ausstreckte und um sie legte, wo sie es sich gemütlich machten und sogleich einschliefen. Kurz vor Toresschluss kam auf einem Stück Zucker kauend die anmutige, aber etwas überkandidelte weiße Stute Mollie hereinstolziert, die Mr. Jones für gewöhnlich vor seinen Pferdewagen spannte. Sie nahm in einer der vorderen Reihen Platz und schüttelte ihre weiße Mähne, wohl in der Hoffnung, dass alle die eingeflochtenen roten Bänder bemerkten. Zu guter Letzt kam die Katze, die sich wie immer nach dem wärmsten Platz umsah und sich schließlich zwischen Boxer und Clover drängte, wo sie während Majors gesamter Rede zufrieden vor sich hin schnurrte, ohne auch nur ein einziges Mal wirklich hinzuhören.
Bis auf Moses, den zahmen Raben, der schlafend auf seiner Stange draußen vor der Hintertür hockte, waren nun alle Tiere versammelt. Als Major sah, dass alle es sich in gespannter Erwartung bequem gemacht hatten, räusperte er sich und ergriff das Wort:
»Liebe Freunde, wie ihr schon gehört habt, hatte ich letzte Nacht einen merkwürdigen Traum. Doch mehr dazu später. Denn zunächst habe ich euch noch etwas anderes mitzuteilen. Ich glaube nicht, dass ich noch lange unter euch weilen werde, liebe Weggefährten, und bevor ich aus dem Leben scheide, betrachte ich es als meine Pflicht, all das Wissen, das ich erworben habe, an euch weiterzugeben. In meinem langen Leben hatte ich viel Zeit, mir Gedanken zu machen, während ich allein in meinem Stall lag. Und ich darf wohl behaupten, dass ich verstanden habe, worum es in diesem Leben geht, ebenso wie im Leben aller anderen Tiere auf dieser Erde. Genau darüber möchte ich heute zu euch sprechen.
Was, liebe Gefährten, ist denn das Wesentliche in unser aller Leben? Machen wir uns doch nichts vor: Unser Leben ist armselig, arbeitsreich und kurz. Wir werden geboren, wir bekommen gerade genug zu essen, damit wir nicht vorzeitig unseren Atem aushauchen, und diejenigen von uns, die über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, sind gezwungen, bis zur Erschöpfung zu arbeiten – bloß um mit erschreckender Grausamkeit geschlachtet zu werden, sobald der jeweilige Nutzen nicht mehr vollständig gegeben ist. Kein Tier im Alter von über einem Jahr weiß noch, was Glück oder Freizeit überhaupt bedeuten, weder hier noch sonst irgendwo in Europa oder in einem anderen Teil der Welt. Das Leben eines Tieres bedeutet Elend und Versklavung. So und nicht anders lautet die Wahrheit.
Aber liegt das in der Natur der Sache? Ist das Land, in dem wir leben, etwa so arm, dass es uns kein anständiges Leben ermöglichen kann? Nein, liebe Gefährten, und noch mal nein! Der Boden ist fruchtbar, die klimatischen Bedingungen sind vorteilhaft, und dieses Land wäre sogar in der Lage, eine weitaus größere Anzahl von Tieren zu versorgen, als es gegenwärtig der Fall ist. Allein dieser Hof könnte ein ganzes Dutzend an Pferden ernähren, noch dazu zwanzig Kühe, Hunderte von Schafen – und sie alle könnten ein angenehmes und würdevolles Leben führen, ein Leben, das jenseits dessen liegt, was wir uns derzeit überhaupt vorstellen können. Warum also fristen wir ein so unwürdiges Dasein? Weil fast die Hälfte dessen, was wir produzieren, von den Menschen beansprucht wird. Darin, liebe Weggefährten, liegt die Ursache all unserer Probleme. Und diese Probleme lassen sich mit einem Begriff zusammenfassen: Mensch. Der Mensch ist unser einziges wirkliches Problem. Würde der Mensch von der Bildfläche verschwinden, hätte sich damit auch die Hauptursache für den Hunger und all das, was wir sonst noch erdulden müssen, dauerhaft erledigt.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das konsumiert, ohne etwas zu produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er besitzt nicht die Stärke, um den Boden zu beackern, er verfügt nicht über die Schnelligkeit, ein Kaninchen zu fangen. Und dennoch spielt er sich zum Herrscher über alle Tiere auf. Er lässt sie für sich arbeiten, gewährt ihnen nur das absolute Minimum, damit sie gerade noch existieren können, und behält den größten Teil für sich. Wir sind diejenigen, die schuften und den Boden düngen, aber keiner von uns besitzt mehr als die eigene Haut. Ihr Kühe, die ihr hier vor mir sitzt, wie viele Hektoliter Milch habt ihr im letzten Jahr produziert? Und was wurde aus all der Milch, die euch zur Verfügung hätte stehen sollen, um kräftige Kälber großzuziehen? Unsere Ausbeuter haben sie sich einverleibt, ohne euch auch nur einen Tropfen davon zu lassen. Oder ihr Hennen, wie viele Eier habt ihr im letzten Jahr gelegt, und aus wie vielen dieser Eier sind Küken geschlüpft? Der Großteil kam auf den Markt und brachte Jones und seinesgleichen eine Menge Profit. Und du, Clover, wo sind denn die vier Fohlen, die du zur Welt gebracht hast und die dir in deinen besten Jahren eigentlich Freude machen und Gesellschaft leisten sollten? Sie alle wurden im Alter von nur einem Jahr verkauft, und du wirst kein einziges mehr wiedersehen. Und als Gegenleistung für all den Aufwand und deine Mühe, was hast du jemals bekommen, außer einem Stall und einem mäßig gefüllten Futtertrog?
Unter diesen unwürdigen Bedingungen erreichen wir nicht einmal unsere natürliche Lebenserwartung. Ich selbst kann nicht klagen, denn ich bin einer derer, die noch vergleichsweise glücklich dran sind. Ich habe ein Alter von zwölf Jahren erreicht und über vierhundert Kinder. So sollte es im Leben eines Schweins auch sein. Doch letzten Endes entkommt kein Tier dem grausamen Schlachtermesser. Für euch Mastschweine, die ihr hier vor mir sitzt, hat es sich binnen einem Jahr ausgequiekt, und zwar auf dem Schlachtblock. Dieser Horror steht uns allen bevor – Kühen, Hühnern, Schweinen, Schafen, ausnahmslos allen. Selbst Pferden und Hunden blüht kein besseres Schicksal. Noch am selben Tag, an dem du, Boxer, nicht mehr über deine gewohnte Muskelkraft verfügst, wird Jones dich an...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2023 |
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Übersetzer | Heike Holtsch, Jan Strümpel |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 1984 • 2023 • Aldous Huxley • Alle Tiere sind gleich • Animal Farm • Big Brother Is Watching You • Booktok • Britische Kolonialherrschaft • Bundle • Die Zeitmaschine • Diktatur • Dystopie • dystopie fantasy • eBooks • Englische Klassiker • Eric Arthur Blair • Fahrenheit 451 • Farm der Tiere • Gedankenpolizei • gegen Unterdrückung • Gehirnwäsche • Herr der Fliegen • H.G. Wells • Imperialismus • Klassiker der Weltliteratur • manche sind gleicher • »Mein Kampf« Buchbesprechung • Meinungsfreiheit • Moderne Klassiker • Neuerscheinung • Neusprech • Orwell Essays • Orwells Rosen • politik bücher • Politik verstehen • Pressefreiheit • Propaganda • Ray Bradbury • rebecca solnit • Schöne neue Welt • Totale Überwachung • Totalitarismus • Überwachungsstaat • why i write • Widerstand • William Golding |
ISBN-10 | 3-641-30588-8 / 3641305888 |
ISBN-13 | 978-3-641-30588-8 / 9783641305888 |
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