Liar (eBook)
512 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30416-4 (ISBN)
Leonard Howells durchlebt einen Albtraum: Seine Tochter Caroline wurde entführt und dabei lebensgefährlich verletzt. Nur einem Mann traut Howell zu, sie zu retten: Eddie Flynn. Eddie weiß, wie es ist, eine Tochter zu verlieren. Und als ehemaliger Betrüger und jetziger Spitzenanwalt kennt er alle Tricks, um seine Gegner hinters Licht zu führen. Doch als die Lösegeldübergabe scheitert und Leonard Howells selbst unter Verdacht gerät, sind plötzlich zwei Leben in Gefahr. Irgendjemand zieht im Hintergrund die Fäden in einem Spiel, das vor vielen Jahren begann. Und in dem Eddie bald nicht mehr weiß, wer die Wahrheit sagt, und wer lügt ...
Steve Cavanagh wuchs in Belfast auf und studierte in Dublin Jura. Er arbeitete in diversen Jobs, bevor er eine Stelle bei einer großen Anwaltskanzlei in Belfast ergatterte und als Bürgerrechtsanwalt bekannt wurde. Mittlerweile konzentriert er sich auf seine Arbeit als Autor. Seine Thrillerserie um Eddie Flynn machte ihn zu einem der erfolgreichsten Spannungsautoren in Großbritannien und den USA.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 27/2023) — Platz 19
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KAPITEL EINS
Um kurz nach Mitternacht stand ich einigermaßen nüchtern draußen vor dem Haus, in meinem besten schwarzen Anzug, mit weißem Hemd und grüner Krawatte, die Schuhe poliert und die Haare gebürstet, während ich auf einen Wagen wartete, der mich mitten in einen wahren Albtraum bringen sollte.
Auf der West 46th Street war alles ruhig. Die Bar an der Ecke hatte schon Feierabend gemacht. Die letzten Restaurantbesucher mieden die Außentische. Sie blieben lieber drinnen und dankten Gott für die Erfindung der Klimaanlage. Ich stand erst fünf Minuten draußen auf der Straße, aber schon war mein frisches Hemd am Rücken durchgeschwitzt. Der Juli in New York ist in jeder Hinsicht heiß und feucht.
Im Sommer nahmen die Verbrechen zu, weil die Menschen verrücktspielten. Üblicherweise Menschen, die den Rest des Jahres kein bisschen verrückt waren. Den Kriminellen war es oft zu heiß, um sich selbst oder anderen Schaden zuzufügen, aber diesen Rückgang der Verbrechensrate glichen die ganz normalen Leute aus, die in der grausamen Hitze durchdrehten – die Hände feucht von Blut und Schweiß. In einem Augenblick der Raserei tun Menschen anderen Unvorstellbares an. Im Juli spielten sie alle verrückt.
Seit zwei Wochen litten wir unter einer rekordverdächtigen Hitzewelle, und auch das Dunkel der Nacht brachte keine Erleichterung.
Im Gegensatz zu den meisten Anwälten hatte ich keinen Aktenkoffer dabei. Und auch keinen Notizblock. Tatsächlich war ich nicht mal sicher, ob ich einen Stift bei mir hatte. In meiner Jackentasche befand sich ein einzelnes Dokument. Vier Seiten lang. Einzeilig beschrieben. Der Anwaltsvertrag zur Unterschrift meines neuen Mandanten. Was anderes brauchte ich nicht. Der Vorteil einer Ein-Mann-Kanzlei besteht darin, dass man nicht haufenweise Notizen machen muss, falls jemand anderes einen Fall weiterführen muss. Zeugenaussagen, Polizeiverhöre, Gerichtstermine, Geschworenenauswahl – abgesehen von der einen oder anderen irgendwo hingekritzelten Notiz hatte ich alles im Kopf. Ausnahmen waren Fälle, die wir alle am liebsten vergessen.
Während ich meinen Anzug vollschwitzte, fragte ich mich, ob der Fall, den ich übernehmen sollte, einer von denen sein würde, die ich in späteren Jahren am liebsten vergessen würde.
Der Anruf war vor gut zwanzig Minuten eingegangen, direkt übers Bürotelefon, nicht übers Handy. Entsprechend wollte ich erst gar nicht rangehen. Ein paar Auserwählte hatten meine Handynummer. Meine besten Mandanten, ein paar Freunde und die jeweiligen Innendienstler auf einem halben Dutzend Reviere, die mir Bescheid gaben, wenn irgendwelche interessanten Verhaftungen reinkamen.
Es war nach Mitternacht, also wusste ich, dass es weder meine Frau noch meine Tochter sein konnte. Was der Anrufer auch wollen mochte, es konnte warten.
Ich ließ den Anrufbeantworter anspringen.
»Das Büro der Anwaltskanzlei Eddie Flynn ist momentan geschlossen. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht …«
»Eddie, ich weiß, dass du mich hörst. Bitte geh ran.« Eine männliche Stimme. Nicht mehr ganz jung, vielleicht um die vierzig oder fünfzig. Der Mann bemühte sich um deutliche Aussprache, die einen Tonfall der New Yorker Arbeiterklasse verbergen sollte. Brooklyn-Irisch.
Eine Pause entstand, während der Mann darauf wartete, dass ich den Hörer abnahm. Ich gab etwas mehr Wasser in meinen Bourbon und setzte mich aufs Bett. Ich schlief in einem kleinen Zimmer hinterm Büro. Nachdem ich in letzter Zeit ein paarmal richtig gut bezahlt worden war, würde ich mir bald eine Anzahlung auf eine Wohnung leisten können. Vorerst musste das Ausziehbett im Hinterzimmer genügen.
»Mir läuft die Zeit weg, Eddie. Wir machen es folgendermaßen: Ich nenne dir meinen Namen, und du hast zehn Sekunden Zeit, den Hörer abzunehmen. Wenn du es nicht tust, lege ich auf, und du hörst nie wieder von mir.«
Der erste Eindruck sagte mir, dass ich auf den Typ verzichten konnte. Er störte mich bei meinem abendlichen Schlummertrunk. Heutzutage genehmigte ich mir einen Drink pro Tag. Mein Magen wollte ihn schon um sechs, aber ich hatte festgestellt, dass ich ihn besser brauchen konnte, kurz bevor ich mich aufs Ohr haute. Ein großes Glas voll, langsam getrunken, half mir einzuschlafen und verhinderte manchmal sogar die Albträume. Nein, ich kam zu dem Schluss, dass der Typ heißen konnte, wie er wollte. Ich würde diesen Hörer nicht abnehmen.
»Leonard Howell«, sagte die Stimme.
Der Name war mir gleich vertraut, aber um diese Uhrzeit konnte ich nicht klar denken. Ein langer Tag im Gericht, Mandantentermine und keine Gelegenheit, irgendwo was zu essen, bedeutete, dass ich um diese Zeit nicht mehr ganz bei mir war. Manchmal wusste ich kaum noch, wie ich hieß.
Nach vier Sekunden fiel mir ein, woher ich den Namen des Anrufers kannte.
»Lenny, ich bin’s, Eddie.«
»Schön, deine Stimme zu hören. Du weißt vermutlich, warum ich anrufe.«
»Ich habe die Nachrichten gesehen und die Zeitungen gelesen. Es tut mir sehr leid um …«
»Dann wirst du dir denken können, dass ich nicht am Telefon sprechen möchte. Hättest du vielleicht später etwas Zeit? Ich brauche rechtlichen Beistand. Tut mir leid, wenn ich barsch klinge. Mir bleibt nicht viel Zeit«, sagte er.
Ich hatte Millionen Fragen, aber keine, die ich am Telefon stellen konnte. Ein alter Freund der Familie brauchte Hilfe. Mehr musste ich vorerst nicht wissen.
»Kannst du um vier?«, fragte er. Er musste es nicht aussprechen. Irgendwas war im Busch.
»Kann ich. Aber ich komm nicht erst um vier. Wenn ich was tun kann, würde ich lieber jetzt gleich rüberkommen. Wie gesagt, ich habe die Nachrichten gesehen. Ich weiß noch, wie du damals für meinen Dad Fußballwetten platziert hast. Er hat dich immer gemocht. Hör mal, das mit deiner Tochter tut mir wirklich leid. Und wenn es dir hilft … Ich habe es selbst erlebt. Ich weiß, was du durchmachst.«
Er sagte nichts. Das hatte er nicht erwartet.
»Ich erinnere mich gut an deinen Dad. Und an dich. Deshalb rufe ich an. Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann. Jemanden, der meine Lage nachvollziehen kann«, sagte er.
»Verstehe. Ich wünschte, es wäre anders, aber ich verstehe. Meine Tochter war zehn, als sie entführt wurde.«
»Und du hast sie zurückbekommen«, sagte Howell.
»Das stimmt. Ich habe das Spiel schon mal gespielt. Wenn du meine Hilfe willst, muss ich jetzt gleich da sein. Wo bist du?«
Er seufzte und sagte: »Ich bin zu Hause. Ich schick dir einen Wagen. Wo möchtest du abgeholt werden?«
»In meinem Büro. Ich warte draußen.«
»Der Fahrer ist in einer halben Stunde da«, sagte Howell, und ich hörte es klicken, als er auflegte. Ich dachte an Lenny Howell. Es mochte es nicht, wenn ihn heutzutage jemand Lenny nannte. Er war um einiges älter als ich und in meinem alten Viertel bekannt wie ein bunter Hund. Anfangs war er ein kleiner Gauner gewesen. Krumme Touren und Einbrüche. Seine Familie war arm, und er hatte eine schwere Kindheit gehabt. Sein Alter hatte ihn immer auf der Treppe vor der Haustür verprügelt. Bis mein Vater es eines Tages mitbekam und Lennys Vater für ein Gespräch von Mann zu Mann beiseitenahm. Lenny wurde nie wieder verprügelt. Und er ist nie wieder irgendwo eingebrochen. Stattdessen arbeitete er als Bote für das illegale Wettbüro meines Vaters. Lenny hat von meinem Vater gelernt, wie das Wettgeschäft läuft. Ich kannte ihn ein bisschen. Lenny war der Erste gewesen, der mir einen brauchbaren Trick beigebracht hatte. Eines Tages wurde Lenny etwas zu ruppig mit einem Marine, der seinen Dienstags-Blues nicht bezahlen konnte – die Schulden nach einer verlorenen Wette beim Montags-Football. Der Marine hat Lenny ordentlich den Hintern versohlt und gemeint, er sollte bei der Navy anheuern. Der Marine mochte den kleinen Lenny und nahm ihn unter seine Fittiche. Die Navy hat Lenny das Leben gerettet. Er hatte alles hinter sich zurückgelassen. Ich kannte dieses Gefühl. In meinen Zwanzigern war ich selbst als Trickbetrüger unterwegs gewesen, bevor ich die Seiten wechselte. Allerdings war mir in den letzten Jahren klar geworden, dass man seine Vergangenheit nie wirklich hinter sich zurücklassen kann.
Vor drei Tagen hatte ich Lenny Howell bei einer Pressekonferenz gesehen. Alle großen Nachrichtensender brachten die Story. Der Polizeichef saß links von ihm, Susan – seine neue Frau – rechts. Ihr Ehering war kaum vier Jahre alt. Der Klunker, den sie am selben Finger trug, glitzerte im Blitzlichtgewitter der Kameras, und angesichts seiner Größe fragte ich mich, wie sie es schaffte, ihn zu tragen, ohne sich dabei ihre zarten Finger zu brechen. Wäre ich Howells Berater gewesen, ich hätte ihm nahegelegt, allein vor die Fernsehkameras zu treten.
Er hatte kaum etwas gesagt. Das war auch nicht nötig. Als er seine Brille abnahm und offen in die Kamera blickte, sagten seine müden roten Augen alles. Als er dann sprach, schien es ihm schwerzufallen. Seine Worte waren mir erhalten geblieben, weil ich in derselben Lage gewesen war und seinen Schmerz kannte.
»Wer auch immer meine Tochter Caroline in seiner Gewalt hat … Bitte, tun Sie ihr nichts an! Geben Sie mir Caroline zurück, und Ihnen wird nichts geschehen. Versprochen. Wir wollen nur Caroline zurück.«
Caroline Howell war siebzehn Jahre alt. Seit neunzehn Tagen wurde sie vermisst. Es hatte offizielle Pressekonferenzen der Behörden gegeben, aber das nun war der erste Auftritt ihres Vaters. Howell verstand mehr von vermissten Personen als jeder andere. Er hatte bei den Marines...
Erscheint lt. Verlag | 17.5.2023 |
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Reihe/Serie | Eddie-Flynn-Reihe | Eddie-Flynn-Reihe |
Übersetzer | Jörn Ingwersen |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Liar |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • eBooks • Eddy Flynn • Entführung • Gold Dagger Award • Lüge • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • New York • Politthriller • SPIEGEL-Bestsellerautor • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Staranwalt • The Liar • thirteen • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-30416-4 / 3641304164 |
ISBN-13 | 978-3-641-30416-4 / 9783641304164 |
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