Im nächsten Jahr zur selben Zeit (eBook)

Roman

(Autor)

Tamara Rapp (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-27013-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im nächsten Jahr zur selben Zeit -  Jana Voosen
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Wärst du bereit, für deine Träume zu kämpfen? Ein Buch über den Mut in schweren Zeiten.
Hamburg, 1940: Anni ist das Lieblingskind des Süßwarenfabrikanten Friedrich Brand. Aufgewachsen zwischen Karamell und Schokolade, kann sie es kaum erwarten, in den Familienbetrieb einzusteigen. Doch der Krieg bringt ihre heile Welt mehr und mehr ins Wanken. Plötzlich verlangt ihr Vater, dass sie heiratet, und lädt immer öfter seinen Parteifreund Julius nach Hause ein. In der Fabrik sieht Anni 'Fremdarbeiter' unter schlimmsten Bedingungen schuften. Auch den jungen Polen Pawel, dem sie sich auf unerklärliche Weise nahe fühlt. Doch es ist eine Liebe, die nicht sein darf. Als ihre Beziehung entdeckt wird, stellt ausgerechnet Julius Anni vor eine schier unmögliche Wahl.

'Jana Voosen erzählt emotional und tiefgründig-eine faszinierende Autorinnenstimme, die lange im Ohr bleibt' Teresa Simon

  • Wärst du bereit, für deine Träume zu kämpfen? Ein Buch über den Mut in schweren Zeiten.
  • Hamburg, 1940: Anni verliebt sich in den polnischen Zwangsarbeiter Pawel. Ihre Liebe ist verboten, und doch ist sie das Beste, was ihnen jemals passiert ist.
  • Für Leserinnen von Barbara Leciejewski und Teresa Simon


Im Alter von sechs Jahren verkündete Jana Voosen, Jahrgang 1976, entweder Schauspielerin oder Schriftstellerin werden zu wollen. Vierzehn Jahre später absolvierte sie eine Schauspielausbildung in Hamburg und schrieb währenddessen ihr erstes Buch. Seitdem war sie in zahlreichen TV-Produktionen zu sehen ('Homeland', 'Tatort' u.a.) und veröffentlicht Romane, Kurzgeschichten, Drehbücher sowie Theaterstücke. Jana Voosen lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

2


Köln, BDM-Haushaltungsschule, Juni 1940


Mit Schwung öffnete Anni die Türen des schmalen Kleiderschranks ihres Zimmers im Mädchenpensionat, das sie sich mit ihrer Freundin Käthe und der gemeinsamen Feindin Else teilte. Fein säuberlich, gestärkt und gebügelt, lagen darin Kante auf Kante Blusen, Schürzen, Unter- und Nachtwäsche sowie Handtücher. An der Stange hingen in Reih und Glied wie Soldaten beim Spalier drei Röcke, ein Mantel und das Kleid für besondere Gelegenheiten, das sie in dem ganzen vergangenen Jahr hier kaum je einmal hatte tragen können. Was hätten das auch für Gelegenheiten sein sollen? Die Haushaltungsschule des Bunds Deutscher Mädel konnte man nicht gerade als Vergnügungsstätte bezeichnen.

Nachdenklich musterte Anni das karierte Blatt Papier, das sie mit einer Reißzwecke an der inneren Schrankwand befestigt hatte. Dreißig Karos in der Breite und zwölf in der Höhe. Der Zettel war klein, und doch enthielt er dreihundertsechzig Kästchen, eines für jeden Tag, den sie hier verbracht hatte. Manchmal war es Anni so vorgekommen, als zöge die Zeit sich endlos dahin. Als würden die Sekunden langsamer schleichen, während man Wäsche legte, Säume umnähte, kochen, backen und bügeln lernte oder endlose Vorträge über Rassenkunde über sich ergehen ließ. Sie griff in ihre Schürzentasche und holte einen Bleistift heraus. Der Zettel zeigte nur noch ein einziges leeres Quadrat, die dreihundertneunundfünfzig anderen hatte sie an jedem Abend sorgfältig mit einem Kreuz versehen. Und heute war es endlich vorbei. Sie hatte das Jahr überstanden und durfte zurück nach Hause. Nach Hamburg, in ihr wunderschönes Elternhaus am Alsterufer.

Anni malte das letzte Kreuz und betrachtete zufrieden ihr Werk. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer vor Freude. Mit Schwung warf sie ihren Koffer, den der Hausmeister für sie aus dem Keller geholt hatte, auf ihr Bett, das eher einer Pritsche glich und jedes Mal empört quietschte, wenn man sich darauf niederließ oder auch nur im Schlaf umdrehte. Staub wirbelte auf und verschmutzte die blütenweiße Bettwäsche. Gestern hätte Anni das noch mit Schrecken erfüllt. Fräulein Winter, die Hauswirtschaftslehrerin, führte ein strenges Regiment im Haus. Doch von heute an konnte ihr das ganz gleichgültig sein.

Sie sah hinunter auf den Stapel Blusen, die sie soeben aus dem Schrank genommen hatte, und wurde von plötzlichem Übermut erfasst. Statt die sorgfältig gefalteten Kleidungsstücke ordentlich auf den Boden des geöffneten Koffers zu legen, griff sie nach dem obersten und warf es von der Stelle, an der sie stand, die gut zwei Meter in Richtung Bett. Weitere Kleidungsstücke folgten, mit beiden Händen griff Anni in den Schrank und schleuderte alles kunterbunt durcheinander in den Koffer, bis ein wüster Haufen entstanden war. Anni lachte auf, doch sie zuckte zusammen, als sie hörte, wie sich die Zimmertür hinter ihrem Rücken öffnete. Wenn das Fräulein Winter war, war sie geliefert. Selbst wenn dort bloß ihre Mitbewohnerin Else im Türrahmen stand, würde diese sofort auf dem Absatz kehrtmachen, um sie bei der Lehrerin anzuschwärzen …

Anni, die herumgefahren war, ließ befreit die Luft entweichen, als sie Käthe erkannte, die mit offenem Mund auf die Bescherung starrte.

»Was machst du denn da?« Käthe schüttelte den Kopf, dass die dunkelblonden Zöpfe flogen. »Nun musst du zu Hause alles noch mal bügeln.«

»Ach, das …«, Anni unterbrach sich. Das macht unsere Hilde, hatte sie eigentlich sagen wollen, sich aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge gebissen. Bei Käthe gab es keine Hausangestellten, dafür aber fünf weitere Geschwister in einer viel zu kleinen Wohnung. »Das macht mir nichts aus«, sagte sie stattdessen, obwohl Käthe wusste, wie sehr sie Hausarbeiten hasste. Plötzlich fragte sich Anni, wie Hilde es wohl finden würde, einen Berg Wäsche von ihr bügeln zu müssen, den sie aus bloßem Übermut zerknüllt hatte.

Sie ging zu dem Koffer hinüber und versuchte halbherzig, etwas Ordnung in das Chaos zu bringen. Käthe trat hinzu und half ihr dabei.

Als sie gerade das Gepäckstück mit den Lederschnallen verschlossen und mit vereinten Kräften vom Bett gewuchtet hatten, betrat Else das Zimmer. Keinen Moment zu früh. Mit einer schnellen Bewegung schlug Anni das Deckbett zurück, um die verräterischen Staubflecken darauf vor den Augen der anderen zu verbergen. Gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie sich noch immer von Else einschüchtern ließ. Diese schien jedoch beschlossen zu haben, ihre Zimmernachbarinnen jetzt, da das gemeinsame Jahr im Pensionat beendet war, zu ignorieren. Sie marschierte bis zur Fensterseite, wo sich ihr Bett befand, öffnete den Spind daneben und begann ihrerseits mit dem Packen. Natürlich nicht ohne ihren schlichten braunen Koffer mit energischen Strichen vom Schmutz des Kellers befreit zu haben, bevor sie ihn auf die Matratze hievte. Mit geübten Handgriffen beförderte sie die Kleidungsstücke hinein, und Anni hätte schwören können, dass dabei nicht eine einzige neue Falte entstand.

Else summte mit demonstrativer Fröhlichkeit ein Lied, und Anni wechselte einen Blick mit Käthe. Beide verdrehten die Augen. Erneut von Übermut gepackt, stupste Anni die Freundin mit dem Ellenbogen an, nickte ihr aufmunternd zu, und dann schmetterte sie aus vollem Hals den Text dazu.

»Mütter, ihr gleicht reifen Ähren, die der Zukunft Sinn gebären.

Niemals endend, Liebe spendend,

hütet ihr die jungen Saaten,

dass dem Führer sie geraten.«

Natürlich war die schüchterne Käthe nicht in den Gesang mit eingefallen, aber sie grinste bis über beide Ohren. Else hatte zu summen aufgehört und kniff verärgert die Lippen zusammen.

»Was ist los, Else?«, fragte Anni und ließ sich auf ihre Matratze plumpsen. »Gibt es vielleicht was, das du uns mitteilen möchtest? Sag bloß, du trägst schon das erste Kindlein für den Führer unterm Herzen? Konnte der Herr Verlobte bei seinem letzten Besuch etwa nicht an sich halten?«

Sie hörte, wie Käthe nach Luft schnappte. »Anni«, hauchte sie entsetzt, während Else zu ihnen herumfuhr.

»Wie kannst du es wagen?«, zischte sie und wurde rot bis unter den flachsblonden Haaransatz. Doch ebenso schnell fasste sie sich wieder und setzte eine hochmütige Miene auf. »Ihr seid doch bloß neidisch. Weil ich nach Hause fahren und Hermann heiraten werde, während ihr entweder Kühe melken oder die Schmutzwäsche anderer Leute waschen müsst.«

Anni wandte sich an Käthe. »Was ist der Unterschied zwischen einer Ziege und einem Ehemann?«, fragte sie, zwinkerte ihr spitzbübisch zu und fuhr gleich darauf, ohne eine Antwort abzuwarten, fort: »Es gibt keinen. Beide meckern rum, wenn man sie nicht füttert.«

Käthe kicherte.

Else schlug mit einem Knall ihren Koffer zu und musterte Anni verächtlich. »Wenn du es hier schon schrecklich findest, dann warte mal ab, bis das Pflichtjahr beginnt. Da wirst du von morgens bis abends schuften und dir nachts vermutlich noch den Hausherrn vom Leibe halten müssen. Wobei, da besteht bei dir vermutlich keine Gefahr. So wie du aussiehst …«

»Ach ja?« Anni erhob sich und funkelte sie kampfeslustig an. »Und was bitteschön meinst du damit?« Es war eine rhetorische Frage. Sie wusste genau, was Else meinte, nämlich die Tatsache, dass Anni mit ihrem dunklen Haar von Weitem wie eine Jüdin oder sogar eine Zigeunerin wirkte. Man musste schon ein wenig näherkommen, um zu erkennen, dass ihre Augen so blau waren wie der Himmel an einem wolkenlosen Tag. Auf der Augenfarbentafel, mit denen ihr Rassenkunde-Lehrer Herr Dengermann die Iriden aller Schülerinnen in der ersten Stunde des Schuljahres verglichen hatte, erreichte sie als Einzige die Nuance 1a. Das war der Moment gewesen, ab dem Else, blond und blauäugig, sie gehasst hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis Anni kapiert hatte, dass die andere es schlicht nicht ertragen konnte, nicht die arischsten Augen der Klasse zu haben. Selbst wenn die im Kopf eines Mädchens saßen, das ansonsten nicht einmal entfernt dem Idealbild der deutschen Frau entsprach.

Als Else nichts erwiderte, sondern wortlos an ihr vorbei in Richtung Tür gehen wollte, verstellte ihr Anni den Weg.

»Ich werde mir überhaupt niemanden vom Leibe halten müssen. Weder den Hausherrn noch einen Ehemann. Ich werde eine Stelle in der Süßwarenfabrik meines Vaters antreten.«

Else hielt mitten in der Bewegung inne. Mit einiger Genugtuung registrierte Anni, dass es ihrem Gegenüber die Sprache verschlagen hatte.

»Natürlich«, sagte Else, nachdem sie sich gefangen hatte. »Ich hätte mir ja denken können, dass unsere verwöhnte Fabrikantentochter einen Weg findet, um sich zu drücken. Vati macht’s möglich. Herzlichen Glückwunsch.«

Anni spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Ihre Feindin hatte einen empfindlichen Nerv getroffen. »Ich werde in der Firma gebraucht«, versetzte sie so würdevoll wie möglich.

»Das kann ich mir vorstellen. Deine Expertise im Wäschefalten und Kuchenbacken ist natürlich genau das, was in einem Unternehmen gebraucht wird.« Else umklammerte den Griff ihres Koffers fester. »Leider haben wir nicht alle das Glück, einflussreiche Väter zu besitzen, die uns in Watte packen und uns jeden Stein aus dem Weg räumen.« Sie verließ das Zimmer und schlug die Tür mit einem Knall hinter sich zu. Anni stemmte die Hände in die Hüften und wollte gerade ihrem Ärger Luft machen, als ihr Blick den von Käthe traf. Die, anders als sie selbst, im nächsten Monat ihr Landjahr antreten würde.

Die Worte blieben Anni im Halse stecken....

Erscheint lt. Verlag 13.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • deutsche Familiengeschichte • Deutsche Nachkriegsgeschichte • Drama • eBooks • Emanzipation • Erwachsen werden • Frauenromane • für immer die deine • Große Liebe • Historische Romane • Liebesgeschichte • Liebesromane • Neubeginn • Neuerscheinung • Romane für Frauen • Selbstbestimmung • Zwangsarbeit • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-27013-8 / 3641270138
ISBN-13 978-3-641-27013-1 / 9783641270131
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