Und trotzdem leben wir (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46558-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Und trotzdem leben wir -  Michaela Küpper
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Ein berührender Roman über das Schicksal von Kriegswitwen und ihr mutiges Leben nach dem 2. Weltkrieg im Paperback von der Autorin Michaela Küpper, die bekannt für ihre einfühlsamen Romane über das Leben inn der Kriegs-und Nachkriegszeit ist Deutschland 1945. Endlich ist der Krieg zu Ende, und nun stehen vor allem die Frauen vor der Aufgabe, das Überleben ihrer Familien zu sichern. In einer kleinen Stadt am MIttelrhein lebt Gerrit in einem Haus, in dem viele Flüchtlinge Schutz gesucht haben. Eines Tage steht die ausgebombte Kölnerin Eva vor der Tür und bittet um Unterkunft. Eher widerwillig stimmt Gerrit zu, ist doch gerade ein Zimmer frei geworden, nachdem die vorige Bewohnerin, die junge Hilda, spurlos verschwunden ist. Eva kann aufatmen, doch das Zusammenleben der Frauen ist zunächst geprägt von Neid und Misstrauen - und dem Kampf ums Überleben. All jenen Frauen gewidmet, die sich und ihre Kinder nach dem Krieg alleine durchbringen und ein neues Leben beginnen mussten

Michaela Küpper wurde im niederrheinischen Alpen geboren und ist in Bonn aufgewachsen. In Marburg studierte sie Soziologie, Psychologie, Politik und Pädagogik. Dann zog es sie zurück ins Rheinland, wo sie nach einem Volontariat viele Jahre lang als Projektmanagerin in einem Verlag tätig war.Heute arbeitet sie als freie Autorin, Redakteurin und Illustratorin. Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Website: www.michaelakuepper.de

Michaela Küpper wurde im niederrheinischen Alpen geboren und ist in Bonn aufgewachsen. In Marburg studierte sie Soziologie, Psychologie, Politik und Pädagogik. Dann zog es sie zurück ins Rheinland, wo sie nach einem Volontariat viele Jahre lang als Projektmanagerin in einem Verlag tätig war. Heute arbeitet sie als freie Autorin, Redakteurin und Illustratorin. Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Website: www.michaelakuepper.de

1.


Jetzt. Emil liebt den Moment, in dem Himmel und Erde entflammen, in dem der Fluss Feuer fängt. Er liebt diese magische Lichtflut, ihr rotgoldenes Gleißen.

Der Strom schwelgt in Purpur, Flusskiesel werden zu Diamanten und Stille legt sich über das Land. Sogar die Vögel verstummen. Ein ehrfürchtiges Innehalten der Natur.

Emils Blick schweift über die abgeholzten Pappeln hinweg, über die Betontrümmer und die Überreste des zerschossenen Panzers. Den aufgelaufenen Frachtkahn denkt er sich als ehernes, die Strömung teilendes Felsungetüm. So ist es fast wie früher. So kann er das Abendrot uneingeschränkt genießen als das, was es ist: ein unverrückbares Wunder der Schöpfung. Wunder sind so ähnlich wie Ewigkeit, fährt ihm durch den Sinn. Nicht kaputt zu kriegen.

Aus dem strahlenden Lichtfeuer löst sich eine Silhouette, unscharf, mehr Bewegung als Körper. Noch ehe er sie richtig erkennen kann, ahnt er instinktiv, dass es Hilda ist.

»Na, Kleener.« Sie stellt sich vor ihn hin, so nah, dass er den Kopf in den Nacken legen muss, um ihr ins Gesicht zu sehen. Er hebt den Arm, beschirmt seine Augen.

»Ach, du bist’s!«, tut er überrascht.

»Yes, it’s me. In vollster Pracht.« Sie lacht und tritt einen Schritt zur Seite, damit ihn das Licht nicht mehr so stark blendet. Langsam nimmt er seinen Arm herunter, mimt nun den Gleichgültigen.

»Noch Spaß gehabt gestern Abend?«

»Spaß? Von wegen!« Sie stößt ein verächtliches Schnauben aus. »Ist doch alles öde hier.«

»Für mich sah’s aus, als hätt’st du dich köstlich amüsiert.«

»Amüsiert? Wobei?«

»Na, beim Tanzen.«

»Das Herumgehopse nennst du tanzen?« Sie furcht die Stirn, verzieht den Mund, schiebt dann scheinbar harmlos nach: »Oder meinst du wegen dem Kranzler?« Als ob sie das nicht gleich gewusst hätte! Er sagt nichts darauf. Eine so dämliche Frage hat keine Antwort verdient, doch Hilda scheint auch keine zu erwarten. »Kranzler ist ein aufgeblasener Gockel«, behauptet sie, legt ihre Hände ins Kreuz, streckt den Rücken durch. »Mit dem hab ich nur geredet, damit er mir was zu trinken spendiert. Diese ewige Selbstzahlerei hab ich satt. Wozu ist man jung, wenn man sich nicht mal einladen lassen darf?« Sie schaut zu ihm hin, wütend beinahe, als hätte er den Schlamassel zu verantworten. »Wie satt ich das hier alles habe. So satt!« Ihre Hände schleudern durch die Luft, eine allumfassende Geste, die folglich auch seine Person mit einbezieht.

»Dann geh doch weg«, brummelt er mit gesenktem Blick.

»Du, das mach ich!« Die Antwort kommt so prompt und entschlossen, dass er nun doch wieder aufschaut. »Ich geh in die Schweiz«, verkündet Hilda und legt gleich nach: »In der Schweiz sind alle stinkreich, weil sie sich aus dem beschissenen Krieg rausgehalten haben.«

»In die Schweiz«, wiederholt er gedehnt. »Wer’s glaubt.«

»Was denn, du glaubst mir nicht?« Sie legt jetzt neckisch den Kopf zur Seite, grinst. »Wart’s ab! Wirst schon sehen.«

»Warum sollten sie dich aufnehmen?«, kontert er mit vorgerecktem Kinn. »Da könnt ja jeder kommen.« Fast gegen seinen Willen gleitet ihm dieser Satz über die Lippen, denn er hat ihn immer gehasst. Da könnte ja jeder kommen. Er zum Beispiel. Und was hat einer wie er schon zu wollen? »Nimmst du mich mit?« Die Frage ergibt sich wie von selbst. Fast glaubt er, jemand anders hätte sie gestellt.

»Dich?« Hilda lacht auf. »Nee du. Mit einem Kerlchen wie dir im Schlepptau komm ich bestimmt nicht weit.«

»Kommste sowieso nicht.« Er kreuzt die Unterarme auf den angewinkelten Knien, legt sein Kinn darauf ab, will ihr nicht zeigen, dass ihre Antwort ihn getroffen hat.

»Ich komm überall hin, wenn ich will.« Sie klingt plötzlich milde, fast nachsichtig. Mit einem Fuß streift sie ihre Sandale ab, entledigt sich auch der anderen, steht nun barfuß da in ihrem gelben Kleid, das in diesem besonderen Licht aufblüht wie eine Osterglocke. Vergessen alle Fadenscheinigkeit, vergessen die vorstehenden Rippen darunter, die kantigen Hüften. In diesem Moment wirkt Hildas Körper perfekt, wie der einer Tänzerin. Prompt hebt sie sich auf ihre Zehenspitzen und reckt die Arme empor, als wollte sie nach etwas greifen, doch ihre Hände greifen nicht, sie wedeln nur sanft hin und her, spielerisch, wie eine Blüte, die sich im Abendwind wiegt. Er schaut ihr zu, wie sie sich da biegt und streckt, glotzt regelrecht, bemerkt es selbst und kann doch nicht anders. Wie gestern Abend vor Jupps Büdchen. Es macht einen verrückt, dieses Sprunghafte an ihr.

Die spontane Darbietung endet mit einem klirrenden Lachen. Sie senkt die Fersen, steht mit beiden Füßen wieder fest auf dem Boden. »Sag mal, wie alt bist du eigentlich?«

»Sechzehn«, lügt er, weil man mit sechzehn schon ein halbwegs vollwertiger Mensch ist.

»Sechzehn«, wiederholt sie nachdenklich. »Tja, das ist traurig.«

»Traurig? Wieso?«

»Weil du aussiehst wie vierzehn. Das kann einem jungen Kerl doch nicht recht sein.« Sie hätte ihm auch einen Kübel Eiswasser über den Kopf schütten können.

»Blödsinn! Alle schätzen mich älter«, versucht er sich zu retten, setzt sich aufrecht, strafft die Schultern.

»Dann schauen sie nicht richtig hin«, beharrt Hilda stur.

Er beißt sich auf die Lippen, weiß nicht, was er sagen soll. Was will sie eigentlich von ihm? Wieder steigt ihm das Blut zu Kopf. Wie gestern vor Jupps Büdchen. Der Schwoof auf dem Freiluft-Tanzboden war früher weithin bekannt. Dicht an dicht haben sich die Paare, von einem Flussdampfer oder aus den Nachbarorten kommend, aneinander vorbeigeschoben. Als kleiner Bengel ist er einmal in das Gewirr von Röcken und Hosenbeinen hineingeraten und war in Panik ausgebrochen bei dem Gedanken, es nie wieder hinauszuschaffen aus diesem lebendigen Irrgarten. Die Zeiten sind vorbei, in jeder Hinsicht. Jetzt spielt dort nur noch eine alte Frau namens Margarethe auf dem Bandoneon, und aus Mangel an Männern tanzen die Frauen paarweise, umgeben von einer Horde herumhüpfender Kinder, die eigentlich ins Bett gehören.

Aber Emil war dort. Hilda auch, und einer plötzlichen Laune folgend, hat sie ihn auf den Tanzboden gezerrt. Vom Tanzen hatte Emil keine Ahnung, aber davor war ihm nicht bang. Mit grätschbeinigen Polkaschritten im Kreis hüpfen kann jeder, so hat er gedacht und mutig seine Hände in Hildas verschränkt. Im parallelen Gleichschritt sind sie zu Oma Margarethes Aufspiel herumgehoppelt, hopp und hopp und hopp. Hildas Finger fühlten sich kühl an trotz der warmen Witterung, dazu dünn und leicht wie Vogelknöchlein. Sie grinste ihn an mit offenem Mund, ihr Atem ging immer schneller, doch ehe die Hüpferei wirklich anstrengend werden konnte, war sie auch schon wieder zu Ende. Noch immer grinsend, ließ sie ihn einfach stehen. Er ist ihr nachgegangen, fand sie an den Mauervorsprung gelehnt, der neuerdings als provisorische Theke diente, und noch ehe er bei ihr war, hörte er sie sagen: »Mannomann, hab ich ’nen Durst!« Aber sie hat nicht zu ihm gesprochen und auch nicht zu Fräulein Schulze, die den Ausschank führte, sondern zu Kranzler, dem miesen Sack. Kranzler, der sich im beheizten Beschaffungsamt immer schön den Hintern warm gehalten hat, während die Brüder Hagemann – fast derselbe Jahrgang wie er – an der Ostfront die Arschbacken zusammenkneifen mussten. Emil hat für beide geschwärmt. Sie hatten die Junior-Fußballmannschaft trainiert, waren Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr gewesen und hatten sich auch sonst allerorten nützlich gemacht. Würden diese feinen Jungs noch leben, es wäre ein Gewinn für alle. Bei Kranzler ist das Gegenteil der Fall. Immer schön auf sich bedacht, immer schön den Großkotz raushängen lassen. Und zum Dank rissen sich jetzt auch noch die Weiber um ihn. Widerlich.

»Zwei Gläser Champagner«, hörte er ihn auch schon sagen, worauf Hilda ein perlendes Lachen ausstieß, als hätte sie bereits welchen getrunken. Dabei gab’s nur wässrige Molke, wie überall. Dieses Lachen hat Emil endgültig die Laune verhagelt, und er ist gegangen.

Beim Gedanken an Kranzler rümpft er unwillkürlich die Nase, zieht den Nacken ein. Seine Schulterblätter zucken ein wenig, als wollte er die Erinnerung abschütteln. Ob Hilda es bemerkt hat? Sie hockt sich neben ihn, umschlingt ihre Knie mit den Armen, ihre Haut leuchtet golden in dem magischen Licht.

»Kranzler ist ein Depp«, behauptet sie, als wollte sie ihn trösten. »Ich habe ihn stehen lassen.«

Mich hast du stehen lassen, denkt er, sagt aber nichts. Ebenso schweigt er sich darüber aus, dass Egon Wegmeier den Deppen und Hilda später in der Laube hinterm Rebenfeld verschwinden sah.

Was will sie?, fragt Emil sich einmal mehr. Hat sie ihn nicht schon genug gedemütigt? Er bohrt seine Füße in den warmen Sand, bohrt tiefer, bis es kalt und nass wird, blickt dabei in die Ferne. Die Lichterglut erlischt allmählich. Aus dem flammenden Rot wird ein blaustichiges Violett, das in ein tiefdunkles Lila ausläuft. Eine Brise fährt übers Wasser und trägt Flussschlammgeruch mit sich. Vom Boden steigt Feuchtigkeit auf. Zwei Möwen kreischen, als wollten sie einander Gute Nacht sagen; von weit her kämpft sich ein Schlepper stromaufwärts. Das Stampfen seines Motors dringt durch das Tal wie ferne dunkle Trommelschläge.

Seit die Pontonbrücken erhöht wurden, ist der Fluss wieder für die Schifffahrt freigegeben, wenn auch nur für den Transport der allernötigsten Dinge. Emil ist froh darüber. Ohne Schiffe ist ein Fluss kein Fluss.

»In der Schweiz gibt’s Schokolade, die man trinken kann«, tönt Hilda plötzlich in das Schweigen hinein.

»Und die Berge sind aus Käse«, ergänzt Emil...

Erscheint lt. Verlag 3.4.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1945 • 2.Weltkrieg • Amerikanische Besatzung • Ärztin • Ausgebombt • dramatische Romane • Flucht • Flüchtlinge • Gerrit Herr • GI • Historische Romane • historische romane 20. jahrhundert • Historische Romane Deutschland • historische Romane Köln • historische Romane Nachkriegszeit • Hunger • Köln • Kriegswaisen • Kriegswitwen • Leben nach dem Krieg • Michaela Küpper • Mittelrhein • Nachkriegsdeuschland • Nachkriegsgeneration • Nachkriegsjahre • Nachkriegszeit • Nachkriegszeit Deutschland • Nachkriegszeit Romane • Rheinufer • Roman alleinerziehend • Romane über starke Frauen • Solidarität • Starke Frauen • Trümmer • Trümmerfrauen • Vertriebene • Zeitgeschichte Roman • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-426-46558-2 / 3426465582
ISBN-13 978-3-426-46558-5 / 9783426465585
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