Der Untermieter (eBook)

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2023 | 1. Auflage
208 Seiten
Atlantik Verlag
978-3-455-01534-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Untermieter -  Georges Simenon
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Der Taugenichts Élie und die Tänzerin Sylvie lernen sich an Bord eines Schiffes kennen; Sylvie ist auf der Rückreise von Kairo und Élie auf dem Weg von Istanbul nach Brüssel zu lukrativen Geschäften. Doch Élies Geschäfte laufen nicht gut, und nach einem Raubüberfall steht er plötzlich als Mörder da. Kurzerhand versteckt Sylvie die Beute und bringt Élie bei ihrer Mutter unter, die in Charleroi eine Pension führt - bis schließlich auch der Mutter dämmert, dass sie einen gesuchten Mörder beherbergt. 

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben am 4. September 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, in einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und mehr als 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen bestimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

Cover
Verlagslogo
Titelseite
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Biographie
Impressum

1


Mach das Fenster zu!«, jammerte Élie und zog sich die Decke bis zum Kinn. »Bist du verrückt geworden?«

»Hier riecht’s nach Krankheit«, erwiderte Sylvie, deren nackter Körper sich zwischen dem Bett und dem grauen Fenster abzeichnete. »Du hast vielleicht geschwitzt heute Nacht!«

Er schniefte kurz und rollte seinen mageren Körper zusammen, während die Frau in das warme Licht des Badezimmers trat und Wasser in die Wanne laufen ließ. Für einige Minuten erübrigte es sich zu sprechen, denn das Rauschen aus den Wasserhähnen übertönte alles andere. Mit einem Auge sah Élie mal zum Fenster, mal zum Bad. Die Scheibe glitzerte in tückischem Weiß. Frühaufsteher hatten es sicher schneien sehen. Inzwischen war es elf Uhr, und aus dem gelblichen Himmel, der über den Dächern von Brüssel hing, lösten sich keine Flocken mehr. In der Avenue du Jardin Botanique brannten noch die Straßenlaternen und die Lichter in den Schaufenstern.

Von seinem Platz aus konnte Élie gut die schwarz schimmernde Straße sehen, auf der eine Straßenbahn nach der anderen vorbeifuhr. Außerdem fiel sein Blick auf den Botanischen Garten, den liegen gebliebenen Schnee, den halb zugefrorenen Teich und drei Schwäne, die erstarrt in einem Rest dunklen Wassers trieben.

»Stehst du nicht auf?«

»Ich bin krank.«

Sie waren bis drei Uhr morgens im Merry Grill geblieben. Élie, dessen Nase wund war vom vielen Schnäuzen, hatte längst gedrängt, nach Hause zu gehen. Er hatte eine schlimme Erkältung, vielleicht sogar eine Grippe oder Bronchitis. Er war nass geschwitzt und fühlte sich wehrlos einer feindlichen Umgebung ausgeliefert.

»Mach das Fenster zu, Sylvie!«

Sie drehte den Wasserhahn ab und durchquerte das Zimmer. Der Badezimmerspiegel war beschlagen.

»Wie lang van der Sowieso wohl pennt? Findest du es nicht ulkig, dass er auch im Palace wohnt und auch noch direkt neben uns?«

Élie Nagéar war nicht in der Stimmung, irgendetwas ulkig zu finden, und er knurrte:

»Ich weiß schon, dass du mich seinetwegen bis drei Uhr auf den Beinen gehalten hast.«

»Idiot!«

Es stimmte zwar, aber es lohnte nicht, darauf zu bestehen. Außer einigen Animierdamen, die vor leeren Gläsern saßen, war fast niemand mehr im Merry Grill gewesen. Die Kapelle musizierte lustlos, und Sylvie gähnte. Doch dann wurde ein dicker Holländer von zwei Brüsselern hereingelotst, und alles hatte sich nur noch um sie gedreht.

Der Holländer wollte sich amüsieren. Er hatte ein helles, fast kindliches Lachen. Nach einigen Minuten saßen bereits vier Frauen bei ihm am Tisch. Der Champagner floss in Strömen, und es wurden gute Zigaretten und Havannas geraucht.

Sylvie, die mit Élie an der Bar saß, ließ die lärmende Gruppe nicht aus den Augen.

»Wenn du krank bist, geh schlafen!«

Er war nicht eifersüchtig, blieb aber trotzdem, vielleicht nur, um sie zu ärgern.

»Ist es van der Sowieso, der dich interessiert?«

Ein Name, den Sylvie dem Holländer einfach nur so gegeben hatte. Es hatte sie geärgert, die anderen Frauen prassen zu sehen, während sie vor ihrem Gin-Fizz saß. Sie fand sie hässlich.

»Gehen wir!«

Als sie auf dem Weg in ihr Zimmer durch die Halle des Palace gingen, waren sie van der Sowieso begegnet. Es war den vier Frauen also nicht gelungen, ihn zu halten. Er war allein! Im Fahrstuhl blickte er Sylvie mit einer schmeichelhaften Verwunderung an.

Und Sylvie musste die Nacht mit Élie Nagéar verbringen, der schwitzte, eine geschwollene Nase und rote Augen hatte und keinen Sou mehr besaß.

»Was hast du vor, draußen um diese Zeit?«

»Keine Ahnung«, antwortete sie und zog ihre Strümpfe an. »Auf alle Fälle brauche ich Geld.«

»Ich habe keins.«

Bis jetzt hatte nur im Bad das Licht gebrannt, und das Zimmer lag gleichsam unter einem grauen Staubschleier. Nachdem Sylvie die Strümpfe an den schwarzen Strapsen ihres Strumpfgürtels befestigt hatte, drehte sie am Lichtschalter, und das Bild, das sich dem Auge im Fensterrahmen dargeboten hatte, verschwamm bis zur Unkenntlichkeit.

Das Zimmer wirkte mit einem Mal luxuriös. Auf dem Toilettentisch, zwischen den großen Leuchtern mit rosa-seidenen Schirmen, glitzerten Glasflacons mit Silbermontierung und Kristallbehälter für Schminkutensilien. Sylvie zog eine dünne Bluse über ihre nackten Brüste.

»Du hast doch noch ein paar Hundert Franc.«

»Du wirst wohl deinen Goldklumpen verkaufen müssen«, brummte er, während er sich die Nase putzte.

Die Berührung seiner gereizten Haut mit dem Taschentuch war so schmerzhaft, dass er sich nur mit äußerster Vorsicht schnäuzte.

»Glaubst du, dass ich mich davon trenne?«

Er glaubte überhaupt nichts. Er hatte von nichts mehr eine Vorstellung. Er schwitzte. Das Bett roch verschwitzt. Der Pyjama klebte an seiner Haut, und das Licht war ihm unangenehm.

Er hatte Sylvie zwei Wochen zuvor an Bord der Théophile Gautier kennengelernt. Sie war auf der Rückreise von Kairo, wo sie in irgendeinem Nachtclub Barmädchen gewesen war. Er fuhr von Istanbul nach Brüssel, wo er ein Teppichgeschäft abwickeln wollte: Es ging darum, eine Million Teppiche, die nicht durch den Zoll gegangen waren, möglichst schnell zu verkaufen.

Es waren nicht seine Teppiche. Die Angelegenheit zog sich schon Monate hin. Zwanzig Zwischenhändler waren darin verwickelt, in Pera, in Athen und selbst in Paris. Man wusste nicht mehr, wem die Ware eigentlich gehörte und wer welchen Anteil zu bekommen hatte.

Élie Nagéar, der Beziehungen in Brüssel hatte, war in das Geschäft eingestiegen und war so zuversichtlich aufgetreten, dass er einen Vorschuss auf seinen Anteil erhalten hatte.

Es war klar: Wenn er die Teppiche verkaufte, würde er zweihunderttausend Franc kassieren.

Sylvie reiste zweiter Klasse. Seit dem ersten Tag schwirrten ständig vier oder fünf Männer um sie herum, und sie blieb bis zwei oder drei Uhr morgens an Deck.

Wer ihr den Zuschlag für die erste Klasse gezahlt hatte? Auf jeden Fall war es nicht Nagéar, der ihr zu dem Zeitpunkt noch nicht nähergekommen war. Das war ihm erst kurz vor der Ankunft in Neapel gelungen, als sie ihm anvertraut hatte, dass ihr Ticket nur bis zu diesem Hafen ging.

Er hatte ihr die Strecke Neapel – Marseille bezahlt, sie nach Paris mitgenommen und später nach Brüssel. Nun waren sie seit ein paar Tagen hier, und was die Teppiche betraf, gab es keine Hoffnung mehr.

Élie war obendrein noch krank und hatte kaum mehr tausend Franc in der Tasche. Er hatte den Kopf halb unter der Decke, doch mit einem Auge fixierte er Sylvie, die sich gerade Lippenstift auftrug.

»Ich frage mich, was du um diese Zeit draußen vorhaben kannst!«

»Das ist meine Sache.«

»Es sei denn, du willst van der Sowieso treffen.«

»Warum auch nicht?«

Er war nicht mehr eifersüchtig. An Bord war er es noch gewesen, denn die Männer stritten sich um Sylvie und wussten immer genau, was sie gerade trieb.

Inzwischen kannte er sie besser. Er hatte sie im Bett gesehen, morgens, wenn man ihre Sommersprossen unter den Augen besser erkennen konnte und sich das Gewöhnliche ihres Körpers enthüllte.

»Gib mir Geld«, sagte sie und zog ihren engen Rock über die Hüften.

Er rührte sich nicht, selbst als sie seine Brieftasche aus seiner Jacketttasche zog. Er sah, wie sie vier, fünf, sechs Hundertfrancscheine abzählte und in ihre Tasche steckte. Unentwegt fuhren Straßenbahnen mit ihren großen Lichtern die Avenue du Jardin Botanique hinauf und hinunter.

»Soll ich etwas für dich bestellen?«

Sie wandte sich um und sah ihn erstaunt an.

»Was ist? Antwortest du nicht? … Du bist blöd! …«

Nein, er antwortete nicht. Er sah sie mit einem Auge an, und sie ärgerte sich, weil sie nicht wusste, was er dachte.

»Bis heute Abend.«

Er rührte sich auch nicht, als sie sich ihren Pelzmantel über die Schultern warf.

»Sagst du mir nicht auf Wiedersehen?«

Sie löschte das Licht im Badezimmer, suchte ihre Handschuhe, und ihr Blick fiel auf das trostlose Panorama des Botanischen Gartens.

»Dann eben nicht!«

Doch auch er war nicht mehr derselbe. An Bord der Théophile Gautier hatte er jung und elegant gewirkt. Er war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, sehr schlank, mit schwarzen Haaren und einer etwas zu kräftigen Nase.

»Bist du Türke?«

»Ich bin portugiesischer Herkunft.«

Er war geistreich, oder er hatte vielmehr eine hinreißend skeptische Einstellung. Nachdem sie ihm gesagt hatte, dass sie Tänzerin war, wollte er wissen, in welchem Nachtclub in Kairo sie gearbeitet hatte.

»Im Tabarin.«

»Tausend Franc im Monat und Anteil beim Champagner«, wusste er.

Das stimmte genau! Er kannte Kairo. Er kannte auch Bukarest, wo sie zwei Monate im Maxim gewesen war. Er erzählte ihr von den Männern, mit denen sie Geld verjubelt hatte.

»Bist du reich?«

»Ich werde zweihunderttausend Franc kassieren, wenn ich in Brüssel ankomme.«

Von wegen! Es war aus und vorbei! Er war krank! Er war trübsinnig! Er war hässlich!

»Bis heute Abend.«

Sie ließ ihr Gepäck im Zimmer. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick auf van der Sowiesos Tür und sah dicke holländische Zeitungen aus seinem Briefkasten ragen.

Élie dachte nicht weiter an sie. Er betrachtete die Zimmerdecke, dann das Fenster, dann die erloschenen Lampen. Er zögerte das Naseputzen hinaus, denn es würde ihm wehtun. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach und über den Körper rann.

»Ich hätte gern einen Wagen«, sagte sie zum...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2023
Übersetzer Ralph Eue
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belgien • Beziehungen • Brüssel • Familienbande • Französische Literatur • Gangster • Kriminalroman • Maigret • Mordfall • Mutterfigur • Mutter-Tochter-Beziehung • Noir • Simenon
ISBN-10 3-455-01534-4 / 3455015344
ISBN-13 978-3-455-01534-8 / 9783455015348
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