Brandmal (eBook)
576 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60371-3 (ISBN)
Elina Backman arbeitet im Bereich Medien und Marketing und ist Kreativchefin und Vorstandsmitglied bei Bauer Media in Helsinki. Ihre wahre Leidenschaft sind jedoch Bücher aller Art. Ihr erster Thriller ist bereits ein großer Erfolg und erscheint in 15 Sprachen. Sie lebt mit ihrer Familie in einem alten Holzhaus bei Helsinki.
Elina Backman arbeitet im Bereich Medien und Marketing und ist Kreativchefin und Vorstandsmitglied bei Bauer Media in Helsinki. Ihre wahre Leidenschaft sind jedoch Bücher aller Art. Ihr erster Thriller ist bereits ein großer Erfolg und erscheint in 15 Sprachen. Sie lebt mit ihrer Familie in einem alten Holzhaus bei Helsinki.
Helsinki, Mittwoch, 12. Juni 2019
Als Saana die Augen zum ersten Mal öffnet, schwankt und dreht sich das Zimmer. Sofort schließt sie sie wieder und fällt schnell zurück in einen unruhigen Schlaf. Zwei Stunden später schreckt sie verschwitzt hoch. Die Uhr zeigt jetzt halb elf. Sie steht auf, trinkt ein Glas Orangensaft und geht auf die Toilette, entscheidet sich dann aber, wieder ins Bett zu gehen. Als sie endlich vollständig aufwacht, ist es drei Uhr. Das Zimmer dreht sich nicht mehr so stark wie am Vormittag. Ihr Magen knurrt. Zuletzt hat sie vor dreizehn Stunden etwas gegessen und auch da nur die gesalzenen Nüsse von der Bar.
Im Moment spielt Zeit für Saana keine Rolle. Niemand erwartet sie irgendwo, niemand braucht sie. Aber der Hunger spielt durchaus eine Rolle. Und so bestellt sie sich an ihrem ersten Tag ohne Arbeit Essen über den Lieferservice.
Als die Pizza ankommt, öffnet sie mühsam im zerknitterten T-Shirt die Tür und schämt sich für ihren Zustand. Der Lieferant, ein Typ mit schwarzen Haaren und dunklen Augen, drückt ihr eilig eine Eineinhalb-Liter-Flasche Cola und einen unten noch heißen Pizzakarton in die Hand.
Den Rest des Tages wandert Saanas Blick zwischen Pizzakarton und Laptop hin und her, während sie sowohl Serien als auch die Trost spendende Pizza Margherita verschlingt. Gerade läuft The Killing, Staffel 2, Folge 3. Etwas düster, aber großartig. Süchtig machend. Sie sieht sich eine Folge nach der anderen an und freut sich, dass sie die Serie erst jetzt entdeckt hat. So erwarten sie noch fast zwei Staffeln perfekte Krimiunterhaltung. Linden und Holder. Lindens Wollpullover, ihr scharfer Verstand und das regnerische Seattle. Schon immer hat Saana Polizeiserien geliebt, obwohl sie auch etwas Verstörendes haben. Sie regen die Fantasie zu sehr an. Außerdem ist sie süchtig nach True-Crime-Podcasts, wenngleich sie ihr manchmal aufs Gemüt schlagen. Ihr Dauerfavorit ist darum Hercule Poirot, der sichere Zufluchtsort des Mordgenres und ein leichterer Klassiker. Eine Serie, die in eine ganz andere Welt entführt. Wie entspannend es doch ist, in das alte England einzutauchen und dem Leben der feinen Leute zu folgen, die sich für Banketts herausputzen und sich die Zeit in Hotels und Gutshäusern mit Dinieren, Jagen und Spaziergängen im Garten vertreiben. Was die Stimmung angeht, ist Poirot das Fröhlichste, was Saana erträgt. Morde passieren häufig, aber Poirot löst sie alle. Der Zuschauer kann einfach die Szenerie und die Landhausstimmung genießen und so gut wie möglich versuchen, die Hinweise auf den jeweiligen Mörder zu sammeln. Leider hat sie alle Poirots bereits viele Male gesehen. Entweder errät sie, wer der Täter ist, oder sie erinnert sich daran. The Killing ist viel fesselnder. Etwas Neues und auf einem ganz anderen Niveau.
Saana drückt auf Pause, um auf die Toilette zu gehen. Auf dem Weg zurück späht sie verstohlen durch die Wohnzimmervorhänge. Draußen scheint es warm und sonnig zu sein. Die Birken sind schon dicht belaubt und grün. Auch dieses Jahr hat es Saana überrascht, wie unmerklich sich das üppige Grün ausbreitet. Den ganzen Frühling über hat sie in der Redaktion gesessen und hastig unterhaltsame Online-Artikel in den Computer getippt. Im Laufe der Jahre haben David Bowies Tod, das Zikavirus sowie jede Menge kleine, bedeutungslose Klatschartikel ihren Arbeitstag gefüllt.
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Saana muss grinsen. Den ganzen Frühling über hat sie einfache Kochrezepte zusammengestellt, aber nach dem Fotografieren keines davon ausprobiert. Auch was die Planks angeht, blieb es bei der einen Testwoche. Eigentlich hat sie das ganze Frühjahr über nur gearbeitet. Sie hat Zeichen und Wörter gezählt, sich wegen Abgabeterminen gestresst, vor dem Rechner gesessen, manchmal bis spät in die Nacht. Nach der Arbeit war sie dann immer so kaputt gewesen, dass sie nur noch im Bett liegen und Netflix oder HBO Nordic schauen konnte. Unvorstellbar, nach solchen Arbeitstagen noch Rechnungen zu bezahlen, Staub zu saugen oder zu kochen. Graue Staubflusen schweben über den Holzboden, und durch den Briefkastenschlitz flattern regelmäßig Mahnungen herein. Ist das normal?, fragt sich Saana und stopft sich mehr Pizza in den Mund. Für all ihre Bekannten scheint es das zu sein. Alle arbeiten viel und haben es ständig eilig. Aber wohin und weswegen? Ihr scheint, als würden auch ihre Freunde Stress für etwas besonders Tolles halten. Alle arbeiten unter Hochdruck und schaffen es trotzdem noch ins Fitnessstudio. Keiner ist jemals niedergeschlagen oder erschöpft. Abends, wenn das Licht nur noch in einem Teil des Büros brennt, hat Saana an ihrem stillen Schreibtisch manchmal Symptome von Burn-out gegoogelt und nichts gefunden, was nicht auf sie zugetroffen hätte: »starke Müdigkeit, Zynismus und Minderung des beruflichen Selbstwertgefühls«. Das ganze Frühjahr über hat sie ihren Blick so selten vom Bildschirm abgewandt, dass sie nicht einmal bemerkte, wie sehr sich die Natur schon in Richtung Sommer entwickelte. Erst nur die Erde, die unter dem Schnee zum Vorschein kam, ein paar vereinzelte Zugvögel und Krokusse. Dann plötzlich alles auf einmal: der Frühsommer. Grüne Birken, Nachtigallen und Menschen in T-Shirts. Licht.
Sie steht auf und geht zurück zum Fenster. Welcher Tag ist heute? Mittwoch. Sie war gestern also tatsächlich bis in die Puppen unterwegs. Eine Abschiedsfeier mit nur wenigen Leuten, aber dafür umso mehr Getränken.
Der kräftige Gesang der Amsel auf dem Baum vor dem Haus ist bis ins Zimmer zu hören. Saana muss das Fenster schließen, damit der fröhliche Vogelgesang ihr nicht die dumpfe, graue Katerstimmung vermiest. The Killing, das regnerische Seattle, Pizza, Müdigkeit und Übelkeit. Ihre Komfortzone. Eigentlich idiotisch, sich im verkaterten Zustand etwas so Nervenaufreibendes anzusehen, bei dem ständig Mörder und Leichen auftauchen. Trotzdem muss es sein. Die Serie gibt ihr ein Gefühl der Geborgenheit und vertreibt die Einsamkeit. Ihre bedrückenden Gedanken werden auf angenehme Weise von der spannenden Handlung begraben.
Sie beißt in das letzte Stück Pizza. Wahrscheinlich hat sie bereits 1500 Kalorien intus. Die fettige Pizza macht durstig, aber wenigstens dreht sich das Zimmer nicht mehr vor ihren Augen. Während sie mit vollem Bauch auf dem Sofa liegt, denkt sie, dass doch eigentlich alles in Ordnung ist. Auch wenn die Frühjahrsmüdigkeit zuerst von Entlassungsgerüchten auf der Arbeit und schließlich von den schlechten Nachrichten abgelöst wurde, ist das Leben doch ganz okay. Alles wird gut werden.
Saana wirft einen Blick auf ihre gepackten Taschen im Flur und wechselt für den Rest des Abends in eine totale Liegeposition. Morgen wird sie die Stadt für den Sommer verlassen. Keine Katerstimmung mehr, sondern Sport und Meditation, frische Luft und grüne Smoothies. Alles, was Menschen an ganz normalen Tagen so tun. Aber noch nicht heute. Unter der Fleecedecke und mit dem Kopf auf dem Kissen sieht sie zufrieden zu, wie Netflix eine weitere Folge startet. Erst morgen wird auch in ihrem Leben ein neuer Abschnitt beginnen.
Am nächsten Morgen deuten nur noch ein leichtes Zittern ihrer Hände und etwas Sodbrennen darauf hin, dass sie einen Kater hatte. Der Regenerationsprozess dauert normalerweise ein bis zwei Tage. Tag eins: Schlaf nachholen, die Alkoholvergiftung aus dem Organismus führen und das Gift durch Pizza und Süßigkeiten ersetzen. Tag zwei: Fett, Salz und die Überdosis Zucker aus dem Körper leiten, Blähungen und vorübergehender Stimmungsabfall. Reue. Störung des Schlafrhythmus wegen des verschlafenen Katertages. Sinnestäuschungen und Albträume aufgrund von Schlafmangel. Schließlich Wut: nie wieder einen solchen Kater. Und dann: Tag drei. Alles vergeben, alles vergessen. Ein neues Leben, neue Versprechen, Demut und Regeneration. Die Illusion, dass man nie wieder Lust auf Wein haben wird. Tag sieben: Durst.
Saana steht mit der Kaffeetasse in der Hand in der...
Erscheint lt. Verlag | 26.1.2023 |
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Reihe/Serie | Die Saana-Havas-Reihe | Die Saana-Havas-Reihe |
Übersetzer | Alena Vogel |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Cold Case • Dunkle Vergangenheit • Ermittlerduo • Finnland • Helsinki • Journalistin • Krimi • Krimis • Krimi Serien • Mord • Neuerscheinung 2023 • Psychothriller • Rache • Schwedenkrimis • Serienkiller • Skandinavien • Skandinavische Krimis • skandinavische Thriller • Spannung • Thriller • Thriller Bücher |
ISBN-10 | 3-492-60371-8 / 3492603718 |
ISBN-13 | 978-3-492-60371-3 / 9783492603713 |
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