»Göttinnen und Fußabstreifer« (eBook)
288 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60337-9 (ISBN)
Rose-Maria Gropp, Jahrgang 1956, ist Journalistin, Publizistin, Kunstkennerin und Kritikerin. Sie schreibt über Kunst in all ihren Erscheinungsformen. Viele Jahre lang war sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Dr. Rose-Maria Gropp, Jahrgang 1956, ist Journalistin, Publizistin, Kunstkennerin und Kritikerin. Sie schreibt über Kunst in all ihren Erscheinungsformen und gern auch über andere schöne Dinge. Über viele Jahre hinweg war sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und war dort für das Ressort »Kunstmarkt« verantwortlich.
EINLEITUNG
»›Nichts ist einander so ähnlich wie ein Pudel dem anderen, das gilt auch für die Frauen.‹ Er behauptete mit Vorliebe: ›Es gibt nur zwei Kategorien von Frauen – Göttinnen und Fußabstreifer.‹ Und immer, wenn er dachte, ich könne mich zu sehr als Göttin fühlen, tat er, was er konnte, um mich zum Fußabstreifer zu erniedrigen.«
Françoise Gilot über Picasso[1]
Es gilt, die Blickrichtung zu wechseln
Picasso war der Maler der Frauen, lebenslang. Als ein Zentralgestirn schien er über sie zu herrschen, als Künstler und Mann, in einem Begehren, das durch sie hindurchgeht und über sie hinwegflottiert. Er hat Frauen gemalt, er hat sie gefeiert und zertrümmert, bis zum Erlöschen seiner Schöpferkraft in Todesnähe. Wir sehen die Frauen im Spiegel und Zerrspiegel seiner unermüdlichen Produktivität.
Um Picasso gab es ein regelrechtes Geflecht von Frauen, eng untereinander verwoben, in dessen Zentrum er zu nisten beliebte. So entstand ein Modell fortwährender Überschneidungen und unerklärter Ablösungen. Er brauchte die immer neue Frau, er wollte die immer jüngere Frau, die seine Potenz in jedem Sinne beglaubigte. Nennen wir diese Verflechtungen das »System Picasso«.
In der »Einführung« zu seiner groß angelegten Picasso-Biografie schreibt John Richardson, dass er ursprünglich die Idee hatte, Picassos »Entwicklung anhand seiner Porträtmalerei nachzuzeichnen. Genauer, anhand der Porträts seiner Ehefrauen und Geliebten, denn mir war aufgefallen, dass die Bildnisse, die Picasso von den ihm nahestehenden Frauen schuf, jedesmal seinen gesamten Stil beeinflussten«.[2] Richardson ließ aus guten Gründen diesen Plan fallen, ganz so simpel ist Picassos Schaffensprozess dann doch nicht. Allerdings hält sich die These hartnäckig, und bis heute werden Perioden von Picassos Œuvre als »Epochen« bezeichnet, benannt nach der jeweiligen Frau in seiner Nähe. Die kann dann »Hauptgeliebte« heißen oder, französisch elegant, »Maîtresse en titre«. Anders, auf der Kehrseite gewissermaßen, bezeichnet Richardson Dora Maar und Picassos Ehefrauen Olga Khokhlova und Jacqueline Roque gleich als »Privatmärtyrerinnen«.[3]
Schier unzerstörbar hält sich die Unterstellung, dass der einzige Beitrag der Frauen zur Kunst Picassos darin bestehe, zum Objekt in jeder Hinsicht gemacht zu werden, womöglich mit Freuden. Lassen wir diese unerfreuliche Vorstellung aus.
Schauen wir lieber auf die Viten der Frauen. Ich habe versucht, den Einfluss ihrer Herkunft auf ihre Lebenswege zu erkunden, ihre Gedanken und die Motive für ihr Handeln zu verfolgen, mich, soweit das möglich ist, in ihre Gefühle zu versetzen – vor, mit und nach Picasso. Damit stelle ich mich gewissermaßen an ihre Seite. Das bedeutet keineswegs, sich ihnen vorbehaltlos unkritisch zu nähern, womit ja bloß wieder bestehende Klischees zementiert wären. Deshalb sei hier auch ausdrücklich vorausgeschickt, dass es nicht um das abwegige Unterfangen geht, Picassos unbezweifelbare Bedeutung für die künstlerische Moderne herabzusetzen – und genauso wenig darum, seine Prägungen, Vorstellungen und Bedürfnisse moralischen Kategorien zu unterwerfen. Es geht vielmehr um den Versuch, den Auswirkungen nachzugehen, die Picassos Ambitionen, Leidenschaften und Ängste auf die Frauen in seiner Nähe, auf unterschiedliche Weise, hatten.
Was den Mythos Picasso stabilisiert
Picasso ist einer der meistbeforschten Künstler aller Zeiten, und vielfältige Mythenbildung bestimmt nach wie vor den herrschenden Diskurs über ihn. Immerhin sind seit zwei, drei Jahrzehnten die Frauen, die ihm begegneten, ins Blickfeld gerückt. Es bleibt jedoch überwiegend bei seiner Perspektive, die eingenommen ist unter dem Aspekt seines Schaffens. Allerdings wird zunehmend weniger unter den Tisch gekehrt, dass Picassos Verhältnis zu ihnen – im Leben wie auch im Werk – Züge von Ambivalenz, mitunter Aggressivität bis hin zu kaum verborgener Misogynie trägt. Wie zum Ausgleich wird dann sein quasi überzeitliches »Genietum« beschworen, das dieses Frauenbild erklären, wenn nicht gar legitimieren soll. Schauen wir hier also, mit Picasso im Blick, kurz auf diese Kategorie »Genie«.
In ihrer Urschrift feministischer Kunstwissenschaft Why Have There Been No Great Women Artists? inquiriert Linda Nochlin im Jahr 1971 den – selbstredend männlichen – »Genie«-Begriff (genius): »Der Große Künstler hat natürlich ›Genie‹. ›Genie‹ wiederum ist jene überirdische und geheimnisvolle Kraft, die dem Großen Künstler auf irgendeine Weise eingepflanzt ist.« Der Große Künstler trägt »von Geburt an eine geheimnisvolle Essenz in sich«.[4] Auch für Picasso scheint dieses unausrottbare Klischee der mysteriösen Gabe gegolten zu haben, wenn er erzählt haben soll:
»›Als ich noch ein Kind war, sagte meine Mutter zu mir: Wenn du Soldat wirst, wirst du General werden. Wenn du ein Mönch wirst, wirst du schließlich Papst werden. Statt dessen habe ich es als Maler versucht und bin Picasso geworden.‹«[5]
Er verkündete selbst die Vorzeichen seiner Auserwähltheit, ausgesprochen von der eigenen Mutter. Schöner lässt sich ein grandioses Ego nicht zur Schau stellen.[6] Dass er, der als Pablo Ruiz-Picasso am 25. Oktober 1881 in Málaga geboren wurde, 1901 im Alter von 19 Jahren den Namen der Mutter annahm, passt dazu.[7] Er tat das, weil Ruiz ein sehr gebräuchlicher Familienname in Spanien ist und »Picasso« ihm ein Unterscheidungsmerkmal sicherte.
Mit dem »Genie« aufs Engste verknüpft ist das unkaputtbare Attribut der »Muse«. Es erscheint hartnäckig und unhinterfragt in den meisten Texten, die den Frauen des Systems Picasso gelten. Eigentlich waren die Musen vor allem Künstler inspirierende Quellnymphen der griechischen Mythologie. Es ist Simone de Beauvoir, die sie in ihrer berühmten, 1949 veröffentlichten Abhandlung Le Deuxième Sexe, auf Deutsch Das andere Geschlecht, in ein modernes Gewand kleidet:
»Da die Frau den Stoff für die poetische Betätigung des Mannes bildet, liegt es nahe, daß er sich auch von ihr inspiriert glaubt; die Musen sind Frauen. Die Muse ist Mittlerin zwischen dem Schöpfer und den natürlichen Quellen, aus denen er schöpfen muß. (…) Die Muse schafft nichts aus sich selbst, sie ist eine gefügig gemachte und zur Dienerin eines Herrn gewordene Sibylle.«
Und ein paar Seiten weiter:
»Auf alle Fälle erwartet er (i. e. der Mann) von ihr (i. e. der Frau), daß sie ihn sich selber von außen her als das vor Augen führt, was er in sich selbst nicht fassen kann, denn die Innerlichkeit des Existierens ist ein Nicht, und um zu sich selber zu gelangen, muß er sich in ein Objekt entwerfen. Die Frau ist für ihn der höchste Lohn, denn in einer fremden Gestalt, die er im Fleische besitzen kann, ist sie er selbst in seiner Verherrlichung. (…) Die Frau ist das Andere, das sich annektieren läßt und doch das Andere bleibt.«[8]
Man könnte sagen, dass sich bei Simone de Beauvoir die Geburt der Frau als »Assistenzfigur« aus dem Geist der Muse vollzieht. Als Assistenzfiguren nämlich werden die Frauen in Picassos Kraftfeld gern behandelt. Das passt perfekt zur profanen Hagiografie des »Genies«, das Nebenfiguren, die nicht stören, dafür aber vom Rand auf die Gestalt im Zentrum verweisen, zu schätzen weiß. Wir werden sehen, dass dieses veritable Bildprogramm immer wieder durch jeweilige Erstkontakt-Szenen beglaubigt wird. Im Anekdotischen dieser Szenen wird die Auratisierung von Picassos Person gewissermaßen festgeschrieben und weitergetrieben, in den Schlüsselmomenten erster Begegnungen wird seine Strahlkraft zumindest insinuiert.[9]
Künstlerin sein neben Picasso
Linda Nochlin stellt in ihrem Essay, mit Blick auf Picasso, auch die hübsche Frage: »Hätte Señor Ruiz (i. e. Picassos Vater, der Maler und akademischer Kunstlehrer war) einer kleinen Pablita ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt, den gleichen Ehrgeiz in ihr geweckt?« Ihre rhetorische Frage beantwortet sich selbst. Und Linda Nochlin macht, daraus folgernd, ...
Erscheint lt. Verlag | 23.2.2023 |
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Zusatzinfo | Mit zahlreichen Abbildungen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Biographie • Die Frauen von Picasso • Dora Maar • Dora Maar • Eva Gouel • Fernande Olivier • Françoise Gilot • Frauen • Frauenbildnisse • Gabrielle Lespinasse • Geliebte • Geneviève Laporte • Gertrude Stein • Jaqueline Roque • Künstlerinnen • Kunstmarkt • Maler • Malerei • Marie-Thérèse Walter • Moderne Kunst • Musen • Olga Chocholwa • Pablo Picasso • Picasso • Portraits • Schaffensphasen • Sylvette David • Sylvette David |
ISBN-10 | 3-492-60337-8 / 3492603378 |
ISBN-13 | 978-3-492-60337-9 / 9783492603379 |
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