Die Kinder der Luftbrücke (eBook)

Roman | Die unmögliche Liebe zwischen einer jungen Mutter und einem amerikanischen Piloten
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2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2924-6 (ISBN)

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Die Kinder der Luftbrücke -  Juliana Weinberg
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Eine junge Frau kämpft um das Überleben ihrer hungernden Kinder Berlin, Westsektor, 1948. Nora schafft es kaum noch, ihre Kinder mit genügend Lebensmitteln zu versorgen, geschweige denn sich selbst. Westberlin ist abgeriegelt. Ihr Ehemann gilt seit Jahren als vermisst. Wird er je zu ihr zurückkommen? Noras Verzweiflung wächst mit jedem Tag, den ihre hungernden Kinder schwächer werden. Sie hört nicht auf zu kämpfen, bis sie endlich Arbeit als Übersetzerin bei den US-Alliierten am Flughafen Tempelhof findet. Dort trifft sie auf den amerikanischen Piloten Matthew, in den sie sich unerwartet und heftig verliebt. Hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen gegenüber ihrem verschollenen Ehemann und der Hoffnung, ein besseres Leben für ihre Kinder zu ermöglichen, stellt sie sich ihren Gefühlen. Bevor sie Matthew ihre Entscheidung mitteilen kann, stürzt dieser mit seinem Rosinenbomber vom Himmel ...

Juliana Weinberg wurde in Neustadt an der Weinstraße geboren. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern im Pfälzer Wald. Neben dem Schreiben ist ihr Beruf als Lehrerin ihre große Erfüllung.

Juliana Weinberg wurde in Neustadt an der Weinstraße geboren. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern im Pfälzer Wald. Neben dem Schreiben ist ihr Beruf als Lehrerin ihre große Erfüllung.

Kapitel 1


Juni 1948

Die Schlange der Wartenden vor dem Gemischtwarengeschäft in der Dudenstraße rückte nur langsam voran. Nora Thalfang schaute ungeduldig an den vielen Köpfen und Hüten vorbei, um einen Blick in den Laden zu erhaschen, doch sie konnte nichts erkennen. An ihrem Arm baumelte der noch leere Stoffbeutel, ihr Portemonnaie mit den Lebensmittelmarken und den spärlichen Geldscheinen, über die sie verfügte, drückte sie fest an sich. Jörg, ihr Fünfjähriger, der mit ihrer Mutter zu Hause war, hatte einige Wünsche geäußert, bevor sie aufgebrochen war. Er sehnte sich nach Kuchen und Marmelade. Veronika, die mit ihren acht Jahren bereits recht vernünftig – vielleicht sollte man es auch ernüchtert nennen – war, hatte die Augen verdreht. Sie wusste, wie schwierig es war, genügend Lebensmittel für die ganze Familie zu bekommen. Obwohl der Krieg nun schon drei Jahre zurücklag, war das Leben in Berlin entbehrungsreich und hart.

Die Kunden in der Schlange bewegten sich ein kleines Stück nach vorne. Niemand murrte darüber, dass es so lange dauerte, Schlangestehen, Warten und Hoffen gehörten für die Berliner seit Langem zum Alltag.

Nora schob die Sorge, auch bei diesem Einkauf wieder kaum etwas ergattern zu können, weit von sich. Aber der Gedanke an ihre Kinder, an ihre ausgemergelten Körper, bei denen die Rippen scharf hervorstachen, ließ sich nicht einfach beiseitekehren. Veronika klagte oft darüber, dass sie sich in der Schule nicht konzentrieren konnte, weil der knurrende Magen sie vom Lernen abhielt.

»Frau Thalfang!«

Die Stimme ihrer Nachbarin, Emmi Brombach, die im Hochparterre des Mietshauses wohnte, in dem Nora sich mit ihrer Mutter und Schwester eine Wohnung teilte, riss sie aus ihren düsteren Gedanken.

»Guten Tag, Frau Brombach! Was meinen Sie, wird noch etwas für uns da sein, wenn wir den Laden erreicht haben?«

Die Antwort der Nachbarin, die Mitte sechzig sein musste, ging in einem röchelnden Husten unter. Besorgt musterte Nora sie. »Das hört sich aber nicht gut an. Waren Sie inzwischen beim Arzt?«

Emmi Brombach winkte unwirsch ab. »Ach was, zu diesem alten Quacksalber gehe ich nicht mehr. Der will mich nur wieder ins Spital schicken.«

Eine Horde kleiner Jungen, die in durchgescheuerten Lederhosen und geflickten Hemden steckten, rannte aus einem Nachbarhaus und begann mit einem wilden Fangenspiel. Lauthals johlten und lachten sie, und Nora wartete, bis sich der Lärm wieder gelegt hatte. Als die Jungen die Dudenstraße hinabgerannt waren, wandte sich Nora wieder an die Nachbarin. »Dann lassen Sie sich wenigstens von Hanna anschauen. Vielleicht kann sie Ihnen einen Rat geben.«

Noch immer laut schnaufend nickte Emmi Brombach. »Das hört sich schon besser an. Ihre Schwester ist wirklich ein Engel. Gut, dass wir eine Krankenschwester im Haus haben.«

Wieder rückten die Wartenden einen Schritt nach vorn. Nora reckte ungeduldig den Kopf, um zu sehen, welche Waren der Gemischtwarenhändler, Gernot Kluth, bereithielt. Bei ihrem letzten Einkauf hatte er die Wünsche der Kunden, die sich vor ihr in der Schlange befunden hatten, noch halbwegs erfüllen können, als sie an der Reihe war, war dann aber plötzlich Schluss gewesen, und sie hatte den Heimweg mit nur wenigen Gramm Zucker, Mehl und Milchpulver in ihrem Einkaufsbeutel angetreten. Sie spürte, dass Kluth Vorbehalte gegen sie hegte. Wie er stets seinen übellaunigen Blick über ihren blonden Haarschopf und ihre Figur schweifen ließ! Verunsichert überprüfte sie ihr Aussehen im halb zersplitterten Schaufenster des Nebenhauses, in dem sich vor dem Krieg ein Stoffgeschäft befunden hatte. Ihr volles Haar hing ihr, in adrette Wasserwellen gelegt, auf die Schultern – seit Hanna bei ihr eingezogen war, frisierten sie sich gegenseitig, denn ihre Schwester fand, dass man auch in schlechten Zeiten Wert auf sein Äußeres legen sollte. »Was nützt all das Jammern und Klagen und die ganze Trauer? Du musst dich zuerst mal um dich selbst kümmern, außer dir wird es nämlich niemand tun. Und stell dir vor, Joachim kehrt aus der Gefangenschaft zurück und sieht dich strähnig und verwelkt wie eine alte Blume. Das wirst du nicht wollen. Also, her mit den Lockenwicklern!«, hatte Nora die Stimme ihrer Schwester noch im Ohr.

Ach, Joachim, dachte Nora, und der altbekannte Druck meldete sich in ihrer Brust. Es war müßig, darüber nachzudenken, ob er noch lebte. Aber dennoch quälte diese Frage sie Tag und Nacht. Geistesabwesend zupfte sie den Gürtel ihres weißen, mit kleinen roten Blüten bedruckten Sommerkleides zurecht. Es war bereits mehrfach geflickt, doch das fiel kaum auf, denn kein Berliner verfügte im Moment über die Mittel, sich neu einzukleiden. Und selbst wenn sie unerwartet an Geld gekommen wäre, würden die Waren in den Geschäften fehlen.

Endlich war Nora an der Reihe, doch sie ließ Emmi Brombach vor. »Sie zuerst.«

Die Nachbarin legte ihr kurz die Hand auf den Arm. »Danke, mein Kind. Alter vor Schönheit.«

Während sie ihre Wünsche nannte, wanderte Noras Blick über die Auslagen hinter der Theke. Die meisten Waren bewahrte der Händler jedoch vor den Augen der Kunden verborgen unter dem Tresen auf.

»Das war’s. Eine alte Frau wie ich braucht ja nicht viel.« Emmi Brombach legte ihre Lebensmittelmarken und zwei Geldscheine neben die Kasse, bevor sie wieder bellend zu husten begann. Gernot Kluth musterte sie so angewidert wie eine störende Mücke, dann wandte er sich mit kaum freundlicherem Gesichtsausdruck Nora zu.

»Ja?« Er starrte sie an, während die Enden seines Schnurrbarts, die er kunstvoll gezwirbelt hatte, als stamme er noch aus Kaisers Zeiten, leise bebten. »Wonach steht der Frau Studienrätin der Sinn?«

Nora nahm ihre Lebensmittelmarken aus dem Geldbeutel. Im Gegensatz zu ihrer Nachbarin, die auf sie wartete, um mit ihr gemeinsam nach Hause zu gehen, verfügte sie über etliche der bunten Karten, hatte sie doch außer den Kindern und sich selbst ihre Mutter und ihre Schwester zu versorgen.

»Mehl, Zucker, Milch, Fleischkonserven, getrocknetes Gemüse und Kartoffeln, bitte.«

Kluths dunkle Augen verengten sich, als er sich bückte, um in den verborgenen Regalen unter der Kasse zu kramen. »Ob wir das noch haben?«, murmelte er, bemüht geschäftig Dosen und Verpackungen herumschiebend.

Noras Herz begann zu klopfen. Sie hoffte inständig, den Laden nicht schon wieder nur mit der Hälfte dessen, was sie brauchten, zu verlassen. Dass Kluth sich so lange Zeit ließ – bei den vorherigen Kunden war es viel schneller gegangen –, verursachte ihr ein Stechen im Magen. Schließlich richtete sich der Lebensmittelhändler mühsam wieder auf und knallte einige kleine Kartoffeln sowie je eine Fleisch- und Gemüsekonserve auf die Theke. »Mehr ist nicht da. Der Nächste bitte.«

Fassungslos betrachtete Nora die magere Ausbeute. »Aber … wo ist der Rest? Das sind Rationen für eine oder höchstens zwei Personen, ich habe aber Lebensmittelmarken für insgesamt fünf Personen … Und die Milch! Meine Kinder brauchen Milch.« Die Vorstellung, dass Veronika und Jörg auch heute wieder hungrig zu Bett gehen würden, ließ ihr die Tränen in die Augen schießen.

»Ich kann nur verkaufen, was ich geliefert bekomme. Beschweren Sie sich bei den Amerikanern«, antwortete Kluth mürrisch. »Und nun räumen Sie das Feld, es warten noch andere Kunden.«

»Das ist nicht Ihr Ernst, junger Mann«, mischte sich Emmi Brombach resolut ein und schlug mit der flachen Hand auf den Verkaufstresen. »Was sollen diese Sperenzchen? Geben Sie Frau Thalfang, was sie bestellt hat, sie hat fünf Mäuler zu stopfen!«

»Nicht mein Problem.« Kluth drehte an den Enden seines Schnurrbartes, als seien sie durch Emmi Brombachs Ausbruch in Unordnung geraten. Er versuchte kaum, seine Verachtung zu verbergen.

Mit brennenden Augen packte Nora die Konserven und die wenigen Kartoffeln in ihren Stoffbeutel und verließ an der Seite ihrer Nachbarin das Geschäft. Sie spürte die Blicke der anderen Kundinnen auf sich.

»So ein Mistkäfer!«, schimpfte Emmi Brombach, als sie nebeneinander die Dudenstraße entlanggingen. »Der alte Nazi hat noch nicht kapiert, dass neue Zeiten angebrochen sind. Woanders einkaufen müsste man!«

Nora nickte bedrückt, die Tasche mit den mageren Einkäufen an sich gedrückt. Auch sie vermutete schon lange, dass Kluth noch immer altem Gedankengut nachhing, so verpönt es im Nachkriegsdeutschland auch sein mochte. Hatte er überhaupt nichts verstanden? »Wenn nur das nächste Geschäft nicht so weit entfernt wäre«, sagte Nora bedrückt.

Der Nachhauseweg zeigte wie immer ein deprimierendes Bild. Sie passierten zerlumpte Gestalten, die in den Hauseingängen zerbombter Häuser saßen und ins Leere starrten. In Trümmerlandschaften spielten Kinder Verstecken, als handele es sich um Abenteuerspielplätze. Sie nahm sich vor, Jörg noch einmal zu ermahnen, sich von den Ruinen fernzuhalten, es war zu gefährlich, dort zu spielen. Doch zuerst...

Erscheint lt. Verlag 27.4.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1948 • Amerikaner • Berlin • Besatzung & Wiederaufbau • Flugzeug • Frauenroman • Freundschaft • historisch • Kinder • Krieg • Liebe • Liebesroman • Nachkriegsdeutschland • Nachkriegszeit • Pearl Harbor • Pilot • Piloten • Roman • Sehnsucht • Tempelhof
ISBN-10 3-8437-2924-7 / 3843729247
ISBN-13 978-3-8437-2924-6 / 9783843729246
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