Tochter einer leuchtenden Stadt (eBook)

Roman | Vier Frauenschicksale, für immer miteinander verwoben durch die Liebe zur Heimat

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
496 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2957-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tochter einer leuchtenden Stadt -  Defne Suman
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Vom Untergang einer Stadt und einer Liebe, die alle Grenzen überwindet  An einem orangegetünchten Abend kommt im September 1905 in der Hafenstadt Smyrna ein kleines Mädchen zur Welt. Sie wächst behütet auf bei ihrer griechischen Familie, umgeben von goldfarbenen Minaretten, dem süßen Duft von Feigen und dem Klang einer Mandoline, die ein verliebter Junge unter ihrem Fenster spielt. Doch die Idylle zerbricht jäh, als nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs aus Nachbarn plötzlich Feinde werden. Während die Stadt von einem verheerenden Feuer heimgesucht wird, retten drei Familien, eine griechische, eine türkische und eine levantinische, was ihnen am meisten am Herzen liegt: ein Mädchen, das einst an einem orangegetünchten Abend zur Welt kam.  Die unvergessliche Geschichte einer mutigen Frau, deren pralles Leben geprägt ist von ihrer Liebe zur Heimat. Einer Frau, die die einmalige Schönheit und den tragischen Untergang ihrer Stadt am eigenen Leib erfährt und ihr leidenschaftliches Vermächtnis mit uns teilt.  

Defne Suman wurde in Istanbul geboren und wuchs auf der Insel Prinkipo auf. Sie studierte Soziologie an der Bosporus-Universität und arbeitete anschließend als Lehrerin in Thailand und Laos. Später setzte sie ihre Studien in Oregon, USA, fort und lebt heute mit ihrem Mann in Athen.

Defne Suman wurde in Istanbul geboren und wuchs auf der Insel Prinkipo auf. Sie studierte Soziologie an der Bosporus-Universität und arbeitete anschließend als Lehrerin in Thailand und Laos. Später setzte sie ihre Studien in Oregon, USA, fort und lebt heute mit ihrem Mann in Athen.

II    Froschregen


Psomalani, 1919


»Sie kommen! Sie kommen! Das britische Konsulat hat es verkündet. An der Uferpromenade machen sie schon die Läden zu! Fischer vor Lesbos haben die Schiffe gesehen. Manche verschanzen sich schon mit Säcken und Ballen. Morgen laufen sie in die Bucht ein, noch vor Sonnenaufgang! Diesmal stimmt es wirklich!«

Als Stavros mit den anderen Jungen aus dem Viertel atemlos auf dem Platz ankam, sah er Panayota vor dem Mäuerchen mit ihren Freundinnen seilspringen. Die Jungen waren vom Quai her offensichtlich gelaufen, jetzt japsten sie mit hochroten Wangen und fast irrem Blick. Mit dem Seil in der Hand schielte Panayota zu Stavros hinüber, dem der Schweiß von den Schläfen troff. Mit seiner seit Kurzem brüchigen Stimme rief er: »Habt ihr gehört? Sie kommen!«, und die anderen Jungen taten es ihm papageienartig nach.

»Sie kommen! Sie kommen! Habt ihr’s gehört? Und wie sie kommen!« Der letzte Satz war auf Türkisch. Dann sagten sie wie einen Abzählvers die Namen der griechischen Panzerkreuzer auf, die sie schon als Kinder auswendig gelernt hatten:

»Patris, Temistoklis, Atromitos, Siria … Sie sind schon vor Lesbos!«

Sie gingen bis zur Mitte des Platzes. Die Sonne hatte sich zurückgezogen und fiel nur noch auf das ferne Grün an den Gleisen. Die Männer, die im Kaffeehaus die Würfel kullern ließen, bekamen von den schrillen Rufen der Jungen draußen gar nichts mit. Auch die von Fenster zu Fenster miteinander plaudernden Mütter ließen sich nicht weiter stören. Nur die alten Frauen, die vor dem Haus saßen und Linsen verlasen, schmatzten mit den zahnlosen Mündern und nickten. Allenthalben war es staubig, doch die Zitronenbäume blühten und erfüllten mit ihrem grünen frischen Duft das ganze Viertel. Als Nikos Mutter das Gekröse der geputzten Fische vor die Tür stellte, regten sich die Dächer ringsum. Die Katzen, die sich den lieben langen Tag auf den Ziegeln leckten, strömten allesamt herunter in die Menekşe-Straße.

So weit Panayota auch von Stavros weg stehen mochte, nahm sie doch die intensive Mischung aus Salz und Schweiß wahr, die von seiner Haut ausging. Ihr war, als würde in ihrem Bauch ein Kätzchen Purzelbäume schlagen. Die Arme, die aus seinem hellblauen Hemd herausstanden, waren schon jetzt im Mai ganz braun, die Haare wiederum vom Salzwasser von der Wurzel bis hin zu den Spitzen weiß. Vermutlich hatten sie sich wieder am Strand herumgetrieben und waren geschwommen wie die Fische. In ihr wurde eine Sehnsucht nach solchen Erfahrungen wach, die sie nicht kannte und wohl auch nie kennenlernen würde, denn sie war ja als Frau zur Welt gekommen. Wie herrlich es sein musste, einfach auf eine Trambahn aufzuspringen, nach Lust und Laune irgendwohin zu fahren und an einem beliebigen Strand ins Wasser zu hüpfen und mühelos auf den Horizont zuzuschwimmen …

Die Mädchen durften nur ins Wasser, wenn in der Gegend des Diana-Bads ein Picknick veranstaltet wurde, aber das war kein Ort, an dem man vor aller Augen seine Schwimmkünste hätte unter Beweis stellen können. Sie standen lediglich im seichten Wasser und spritzten sich gegenseitig an.

Jene Picknicks waren seit jeher Panayotas liebstes Sommervergnügen, doch zusätzlichen Reiz hatten sie gewonnen, seit Kirya Eftalya im Vorjahr in der Franzosen-Straße einen tragbaren Spirituskocher der Marke Primus erstanden hatte. Nun schleppten die Frauen zum Picknick neben den Sonnenschirmen und den Decken auch einen Eimer mit Kaffee, Zucker, Löffeln, Tassen und einem Stielgefäß mit.

Dass am Strand nunmehr Kaffee gekocht wurde, kam am meisten den Mädchen zugute. Während die Mütter sich um den kleinen Kocher scharten und mit den Utensilien hantierten, schubsten die Mädchen sich auf einmal, und schon waren sie mitsamt den Kleidern im Wasser. Hatten die Mütter anfangs noch darauf geachtet, dass niemand nass werden sollte, kümmerte sie das nun, wo es zu spät war, nicht weiter, und schließlich stiegen sie selbst nach Herzenslust in die Wellen. Im Jahr davor hatte Panayotas Mutter noch gesagt: »Das ist jetzt aber das letzte Mal mit diesem Herumgeplansche, nächstes Jahr bleibt ihr brav neben uns sitzen«, doch die Tochter hatte nur die Augen verdreht. Die Jungen sprangen einstweilen in einer kleinen Bucht gleich nebenan von Felsen ins Meer.

Der vergangene Sommer erschien Panayota unendlich fern. Den Herbst und Winter über hatte sich sowohl auf der Welt als auch in ihrer Seele ungeheuer viel getan! Der Weltkrieg war zu Ende gegangen, das Osmanische Reich besiegt. Während manche Männer im Viertel auf diese Nachricht hin ganz aufgeregt gewesen waren, hatte Panayotas Vater, der Krämer Akis, nur seinen Schnurrbart gezwirbelt.

Für die Familie hatte die Niederlage weit früher begonnen, an Weihnachten 1915, als beide Brüder Panayotas beim Einsatz in einem Arbeitsbataillon umgekommen waren. Das war ein so herber Verlust gewesen, dass für die Familie keinerlei Bedeutung mehr hatte, wer den Krieg letztendlich gewonnen und wer ihn verloren hatte. Während in Smyrna die Europäer und die einheimischen Christen den Einmarsch britischer Soldaten in die Stadt gefeiert hatten, waren Akis und Katina nach einem einfachen Mahl im Schein der Petroleumlampe frühzeitig zu Bett gegangen. Smyrna mochte regieren, wer wollte. Es gab keine Nachricht mehr auf der Welt, die den beiden Eltern noch ein Lächeln hätte entlocken können. Seit der Schreckensmeldung vor vier Jahren hatte Katina ihre schwarze Trauerkleidung nicht wieder abgelegt, und sie würde es auch weiterhin nicht tun. Die Spiegel im Haus waren schwarz verhüllt. Das Schicksal Smyrnas war Katina und Akis gleichgültig.

Während die beiden ihre Tage unter jener schweren Seelenlast hinbrachten, steuerte Panayota in vollem Galopp auf die Pubertät zu, als säße sie auf dem Rücken eines wilden Pferdes, dessen Zügel ihre Hormone hielten. Im vergangenen Sommer war eine deutsche Familie an den Strand gekommen, deren weibliche Mitglieder vor den Augen der Männerwelt baden gingen. Das Schauspiel der Frauen, die ins Wasser sprangen und dabei ihre langen weißen Beine zeigten, als wären sie am Privatstrand ihres Hauses, wurde von den Kindern bestaunt, von den im Meer herumbalgenden Mädchen, von den Jungen hinter den Felsen und sogar von den Müttern. An dem Tag aber bemerkte Panayota, dass Stavros vom anderen Ende des Strandes her gar nicht die halb nackten Frauen betrachtete, sondern vielmehr sie selbst. Von einem hohen Felsen aus blickte er auf die braunen Schultern Panayotas, auf die schwarzen Locken, die ihrem Zopf entwischt waren. Wie die Fischer hatte er sein Hemd ausgezogen und saß mit nacktem Oberkörper da. Er mochte auch einfach nur ins Leere gestarrt haben, doch wenn dem so war, warum wandte er dann den Kopf ab, sobald ihre Blicke sich trafen? Wenn er das tat, hatte Panayota das Gefühl, sie hätte etwas gesehen, das sie nicht hätte sehen sollen.

Von da an tobten in ihrem Herzen Gefühle, die sie nie zuvor verspürt hatte, und jedes Mal, wenn sie Stavros traf, meinte sie, dass er sie beobachtete. Doch auch sie selbst hielt andauernd nach ihm Ausschau, sei es vor dem Schulhof, auf dem Platz, am Sonntagmorgen in der Kirche, beim Bäcker oder im Eisladen am Quai. Nach der Schule ging sie extra einen Umweg über Kerasohori, wo Stavros’ Vater seine Metzgerei hatte. Manchmal, wenn auch recht selten, half der Junge dort aus, oder er fuhr mit dem Rad Lieferungen zu Stammkunden.

Trotz all ihrer Bemühungen und Umwege war es aber so, dass sie jedes Mal, wenn sie Stavros tatsächlich traf, den Kopf abwandte und so tat, als hätte sie ihn nicht gesehen. Ihren Freundinnen Elpiniki und Adriana fiel das natürlich auf. Wenn junge Leute, die im selben Viertel aufgewachsen waren, nicht miteinander redeten, waren sie sich entweder böse oder sie waren ineinander verliebt … Oder beides gleichzeitig. Da Panayota ständig in Schaufenstern ihr Spiegelbild überprüfte, musste es bei ihr wohl Liebe sein. Elpiniki hatte seit geraumer Zeit ein Auge auf den Fischerssohn Niko geworfen. Hinter Adriana wiederum war ein gewisser Minas her. Wenn nun die scheue Panayota in den abgebrühten Stavros verknallt war, hatte sich ein schönes Grüppchen gefunden.

»Die Flotte ist gestern in Kavala ausgelaufen, die Nacht über ankert sie vor Lesbos, und morgen früh kommt sie noch vor Sonnenaufgang in Smyrna an. Sie werden uns retten! Uns die Freiheit bringen! Lasst euch das gesagt sein!«

Panayota drehte weiter das Seil, als ging sie das nichts an. Ihr pochten wieder die Schläfen, als stünde sie im Mittelpunkt der Welt, als wären aller Augen nur auf sie gerichtet. Verlegen reckte sie das Kinn vor. Wer sie nun sah, konnte sich nur wundern, wie sehr sie hochgeschossen war. Als hätte jemand sie an den Ohren hochgezogen, war sie während des Winters ihren Altersgenossen über den Kopf gewachsen. Ihre Beine waren länger, ihre Arme, sogar die Finger. Bisher hatte sie ihre Arme und Hände nicht mal richtig wahrgenommen, nun wusste sie nicht mehr, wohin damit. Durch jenes Wachstum an sich war sie schon verunsichert genug, doch wenn alte Frauen wie Tante Rozi bei ihrem Anblick drei Mal in die Luft spuckten, um den bösen Blick von ihr abzuwenden, wenn ihre Mutter ihr...

Erscheint lt. Verlag 30.3.2023
Übersetzer Gerhard Meier
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1001 Nacht • Allende • Bestseller • Bunt • Drachenläufer • episch • Familiengeschichte • Feigenbaum • Frau • Frauenunterhaltung • Geschenkbuch für Frauen • Heimat • Internationaler • Krieg und Frieden • Liebe • Mutter und Tochter • Natur • Orient • Reise • Untergang einer Stadt • Vergangenheit • Violetta • Zauberhaft
ISBN-10 3-8437-2957-3 / 3843729573
ISBN-13 978-3-8437-2957-4 / 9783843729574
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,9 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99