Dalee (eBook)

«Ein phantastischer Abenteuerroman, eine phantastische Parabel auf das Leben.» (ARD, ttt)
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2023 | 1. Auflage
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00564-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dalee -  Dennis Gastmann
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Ein Junge, ein Elefant, eine Reise über das Meer. Dennis Gastmann erzählt von lebenslanger Freundschaft, von einem Neuanfang am Rande der Welt und von Dalee, einem alternden Elefanten, der allmählich sein Gedächtnis verliert. Ein Elefant vergisst nie, sagt man. Aber was, wenn doch? Es ist ein großes Wagnis. Ein Dampfer mit einer ganzen Elefantenherde im Bauch sticht in Kalkutta in See und nimmt Kurs auf die Andamaneninseln. An Bord sind auch der junge Bellini, seine Familie und ihr Arbeitselefant, Dalee. Indien ist unabhängig geworden, und die Familie lässt alles hinter sich, um auf dem fernen Archipel ein neues Leben zu beginnen. Keiner ahnt, was sie dort erwartet: undurchdringlicher Dschungel, ehemalige Häftlinge eines Kolonialgefängnisses und ein märchenhaft reicher Unternehmer, der nicht hält, was er verspricht. Mittendrin soll Bellini das altehrwürdige Handwerk des Mahuts, des Elefantenführers, erlernen. Der Große Graue ist sein engster Gefährte, der Junge reitet auf dem Rücken des Elefanten sogar durchs Meer. Doch Dalee wird mit dem Alter sonderbar, launenhaft und gefährlich. Er scheint das Gedächtnis zu verlieren. Opulent und bildreich erzählt Dennis Gastmann von einem Neuanfang im Unbekannten, von lebenslanger Freundschaft und vom Abschiednehmen. Ein großer Roman, ein außergewöhnliches Abenteuer, inspiriert von einer wahren Geschichte.

Dennis Gastmann, geboren 1978 in Osnabrück, hat alle Kontinente bereist - als Schriftsteller, Filmemacher und «Guerilla-Korrespondent» der ARD-Auslandsmagazine. Er reiste «Mit 80.000 Fragen um die Welt» (2011), begegnete Heiligen und Hexern, Asketen und Oligarchen, und wanderte zu Fuß über die Alpen, um seine Sünden zu büßen («Gang nach Canossa», 2012). Seine Reportagen wurden mehrfach preisgekrönt und dreimal für den Grimme-Preis nominiert. Für den «Atlas der unentdeckten Länder» (2016) besuchte er die letzten unbekannten Orte der Erde, für «Der vorletzte Samurai» (2018) erkundete er Japan. Zuletzt erschien «Dalee», sein erster Roman. Dennis Gastmann lebt in Hamburg und arbeitet in der ganzen Welt.

Dennis Gastmann, geboren 1978 in Osnabrück, hat alle Kontinente bereist – als Schriftsteller, Filmemacher und «Guerilla-Korrespondent» der ARD-Auslandsmagazine. Er reiste «Mit 80.000 Fragen um die Welt» (2011), begegnete Heiligen und Hexern, Asketen und Oligarchen, und wanderte zu Fuß über die Alpen, um seine Sünden zu büßen («Gang nach Canossa», 2012). Seine Reportagen wurden mehrfach preisgekrönt und dreimal für den Grimme-Preis nominiert. Für den «Atlas der unentdeckten Länder» (2016) besuchte er die letzten unbekannten Orte der Erde, für «Der vorletzte Samurai» (2018) erkundete er Japan. Zuletzt erschien «Dalee», sein erster Roman. Dennis Gastmann lebt in Hamburg und arbeitet in der ganzen Welt.

Als ich Kind war, ließ ich mich auf den Grund des Meeres sinken und faltete die Hände hinter dem Kopf. Ich lag im Seegras wie einer, der in die Sterne schaut, Locken zwischen den Fingern, Halme zwischen den Zehen, und über mir, im Licht, das in den Ozean fiel, schwebte Dalee.

An jenem Morgen schimmerte die Lagune, als würde der Himmel darin treiben, und Dalee war eine Wolke in den Wellen, so leicht zog er dahin. Streckte ich eine Hand nach ihm aus, kam er näher und berührte sie mit einer Fußspitze. Weißer Sand wirbelte in die Höhe und rieselte wie Schnee auf mich herab. Oder so, wie ich mir Schneeflocken vorstellte. Und immer wenn sich Dalee neigte und nach mir sah, mit seinen honigfarbenen Augen, dann vergaß ich, dass ich nicht schwimmen konnte.

Die erwachende Sonne mäanderte über den Bauch meines Gefährten wie über den Kiel eines sich wiegenden Fischerboots und bemalte ihn mit ihren Strahlen. Ich lächelte vor Glück. Doch ein Junge, der die Luft anhält, sollte nicht zu viele Zähne zeigen. Erst recht, wenn ihm hier und da ein Zähnchen fehlt. Und so schlüpfte eine Blase aus meinem Mund, die sich bald darauf in drei Bläschen teilte.

«Bellini», sagte ich mir. «Los, fang sie ein!»

Da sausten die Bläschen davon, jedes auf seinen eigenen Wegen. Das erste strich Dalee um die Beine. Es war blind und taub, aber wenn es denken und fühlen konnte, dann meinte es wohl: «Das müssen Ruder sein, so wie sie durch die Strömung ziehen!» Das zweite Bläschen erkundete sein großes, wehendes Ohr und hielt es bestimmt für eine Flosse. Das dritte schien zu zweifeln: «Habe ich es mit einer Seeschlange zu tun oder doch mit einem Schnorchel?» Es tänzelte das Atemrohr entlang, das Dalee hin und wieder über Wasser hob. Sonst ragten nur seine hohe Stirn und sein haariger, rund gewölbter Buckel aus dem Indischen Ozean hervor, in dem er schwerelos spazieren ging. Dalee genoss das erhabene Vergnügen, Dalee zu sein, und ich fragte mich voller Erstaunen, welche wunderbaren Dinge er wohl heute vollbringen würde, dieser Dalee.

Wie er durch die Wellen glitt, wie er segelte, wie er seine Kreise im Wasser zog, Runde um Runde über mich hinweg. Dalee paddelte nicht wie ein Hündchen, zappelte nicht wie ein Kind und strampelte nicht mit den Beinen wie eine streunende Katze, die man in den Fluss geworfen hatte. Er strich mit der Anmut eines Rochens über die Riffe, leicht wie eine Seefeder, königlich wie eine Karettschildkröte, von Seepocken gefleckt, von mümmelnden Kaninchenfischen über die Algenfelder begleitet, von den Jahren und Jahrzehnten gegerbt. Dalee fühlte sich im Meer so geborgen wie an Land. Oder hatte er mit dem Wasser sogar sein wahres Element gefunden?

Ich sollte erwähnen, wie groß Dalee war. Von seinen siebzehn Zehen bis zum Scheitel seines Rückens, auf dem fünfhundertdreiundzwanzig feine zimtbraune Härchen wuchsen, maß er neun Komma neun Fuß. Mein Vater, der zwar ein wenig dürr, aber für einen Inder gewiss nicht klein geraten war, konnte unter ihm hindurchwandern und brauchte dabei kaum den Kopf einzuziehen. Die ganze Familie hätte Platz in seinem Schatten gefunden. Meine Mutter, mein Vater, mein kleiner Bruder und meine Großeltern, die ich so vermisste, Tante Uma, Onkel Kishor und ich.

Doch diese Größe hatte ihren Preis. Dalee musste jeden Schritt bedachtsam gehen. Sein stolzes Gewicht zog ihn zu Boden wie ein böser Fluch. Und wenn die Nacht über die Inseln kam, ließ er sich kaum länger als zwei, drei Stunden nieder, sonst erdrückte ihn die eigene Last, das Herz, die Lunge, die Leber, der nimmersatte Magen und die Knochen. Ein Elefant ist verletzlicher, als man denkt. Man nennt ihn Dickhäuter, aber um sein Maul, seine Augen und seinen Anus herum ist die Elefantenhaut dünn wie der Flügel einer Libelle. Und wer sie berührt, der stellt fest, wie kitzlig er ist. Ein Elefant schwitzt nicht, außer an einer winzigen Stelle oberhalb der Zehennägel, daher fächeln seine Ohren immerzu im Wind. Er kann den tiefsten Kummer fühlen, das weiß ich genau, aber für eine echte Träne der Trauer fehlen ihm die Drüsen. Und wenn er doch einmal weint, dann nur, weil ihm Sand in den Augen juckt. Ein Elefant ist albern wie ein Kind, trotzdem wird er seine große, fleischige rosarote Zunge nicht herausstrecken, wenn er seine Späße treibt. Seinen Knochen fehlt das Mark, dem Skelett das Schlüsselbein, und wer den Elefanten in einen Röntgenkasten steckt, der stellt fest, dass er in Wahrheit auf Zehenspitzen geht wie eine Tänzerin. Dennoch kann er sich nicht einmal mit dem Fuß an der Schläfe kratzen, ohne sofort der Länge nach hinzuschlagen.

«Der Elefant ist ein Schwächling!», sagte Großvater einmal. «Der jämmerlichste Schwächling unter den Tieren. Jeder Floh von seiner Größe würde mit einem einfachen Satz über das Gateway of India springen! Und wer hat je einen Elefanten hüpfen sehen?»

Aber derselbe Leib, der an Land so schwer war, ließ Dalee im Ozean schweben und im Rhythmus der Dünung tanzen, umschwärmt von silbrig glänzenden Blaumakrelen, umrankt von Gärten aus Seenelken, Gorgonien und Montiporen. Und irgendwo dort, unter den schwingenden Elefantenfüßen, lag ein Junge im Meeresbett, kniff die Augen zusammen und träumte wie ein Kind der See.

Ich hatte Kiesel gesammelt, bei den Kasuarinenbäumen am Ufer der Lagune, und die bunten, rund gewaschenen Steine in den Saum meines Wickelrocks geknotet. Als der Dhoti so schwer war, dass ich kaum mehr gehen konnte, hob mich Dalee auf seinen Rücken und ritt in die Wellen, dorthin, wo die Seegraswiesen wuchsen. Schon stand ich auf dem Kopf des Elefanten, aufrecht wie ein Sepoysoldat mit seiner Muskete. Ich legte die Arme an und schloss die Lider, sog den Wind ein, der warm von der Küste her wehte, schnürte ihn zu Bündeln und verstaute ihn in jedem Winkel, den ich fand. In der Mundhöhle, im Rachen, in den verzweigten Ästen der Lunge, im Magen und tief in meinem Bauch. Ich holte noch einmal Luft, nun durch die Nase, und verschloss sie mit einem weichen Stück Horn, wie es die Perlenfischer taten.

Ob ich bis drei zählte? Sprach ich ein letztes Gebet? Damals waren meine Beine schneller als der Geist. Ich konnte nicht länger warten, ich musste einfach wissen, wie die Welt von unten aussah und ob es dort die wundersamen schwimmenden Makaken gab, von denen man uns Kindern erzählte. Darum hob ich die Zehen und ließ mich rücklings fallen, hinein in die See.

Nicht lange, da musste ich erkennen, wie fremd ich doch war unter dem Meer. So tollpatschig, plump und träge, während Dalee das Wasser mit allen Sinnen genoss. Er fühlte sich frei – ohne laute Befehle, ohne lästiges Geschirr, ohne Sattel, Riemen und rasselnde Ketten.

«Ein schwimmender Arbeitselefant? Onkel, für wen hältst du uns?», fragen die Touristen aus Bengalen, die heutzutage in Jumbojets auf den Inseln meiner Kindheit landen.

Ich begegne ihnen, mit ihren Armbanduhren, Fotoapparaten und den übergroßen schwarzen Sonnenbrillen, am Strand von Corbyn’s Cove, wenn ich Fliegenfischen gehe. Dann werfe ich meine Schnur ins Wasser, verdiene hier und da eine Rupie mit den Skizzen, die ich zeichne, und erzähle ihnen von meiner Jugend mit Dalee, mögen sie mich auch einen Schwindler nennen.

«Verschone uns mit deinen Geschichten, Bellini! Ein tonnenschwerer Bulle im Ozean, der versinkt doch wie ein Stein.»

Aber Dalee war kein Stein. Er badete für sein Leben gern in Tümpeln und Teichen, in Bächen, Flüssen und Sommerseen. Stunde um Stunde konnte er im Wasser sein, während ich auf seinem Rücken saß, Wind in den Haaren, und die Gedanken treiben ließ wie die Seerosen auf einem Weiher. Ich dachte an die Sonntagsschule auf dem Hügel, an die Mistress, unsere weiße Lehrerin, an ihren rollenden Globus aus Nussbaumholz und die fremden Länder, von denen wir Kinder erfuhren, wenn sie mit ihren langen, schlanken Pianofingern auf die Weltkugel wies. Ich dachte auch an Mathemagics, die Magie der Zahlen, und besonders an ihren Malunterricht, den ich so liebte.

Versank ich zu tief in Gedanken, hob Dalee den Rüssel und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Elefanten sind geborene Schwimmer. Sie scheuen jedoch das Salz. Und nichts fürchten sie mehr als die Brandung, den endlosen Mahlstrom der Wellen, die sich schäumend vor der Küste brechen.

Genauso erging es dem Großen Grauen, als Vater ihn das erste Mal an den Ozean führte. Dalee spreizte die Ohren in der Gischt, die der Seewind ans Ufer trug. Er stemmte die Beine in den Meeressand und wollte keinen Fuß mehr weiter. Für einen ungewissen Moment standen sich die beiden reglos gegenüber. Vater und der Elefant, sie betrachteten sich wie im Spiegel.

«Was verlangt er von mir?», schien sich der Bulle zu fragen. «Muss ich ihm wohl zeigen, dass ich kein Fisch bin?»

«Was hat er vor?», dachte Vater. «Muss ich ihm erst noch beweisen, dass ich kein Feigling bin?»

Ein Hieb mit dem Rüssel, ein Schädelstoß oder ein einziger gezielter Tritt hätte genügt, um meinen Vater zu erschlagen. Es gab Ernteelefanten, die sich kurzerhand mit dem Hintern auf ihren Bauern gesetzt hatten, um die Schinderei in der prallen, indischen Sonne ein für alle Mal zu beenden. Das wusste Papaji, und so stürzte er auf den Großen Grauen zu. Ehe der Bulle nach ihm schwingen konnte, kniff er ihn in die Vene zwischen Rumpf und Bein, so beherzt, als wollte er einen Schlafenden wecken. Vater verletzte Dalee nicht, er verwirrte ihn bloß für eine Weile. Aber in die Wellen wagte sich der Elefant noch immer nicht.

Mein Vater hätte Dalee ins Wasser prügeln können. Tak, tak, tak mit dem nagelspitzen, eisernen Elefantenhaken, den er an der Hüfte trug. Doch was für ein elender Treiber wäre er dann...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Abenteuerroman • Älterwerden • Andamanen • Asien • Atlas der unentdeckten Länder • British Empire • Coming of Age • Demenz • Der Gott der kleinen Dinge • Der vorletzte Samurai • Dschungel • Elefant • Familie • Fernweh • Freundschaft • Freundschaft Mensch und Tier • Freundschaftsroman • Geschichte Indiens • Indien • Insel • Kolonialzeit • Meer • Reise • Roman Indien • Schiffbruch mit Tiger • Spiegel Bestseller-Autor • Südostasien
ISBN-10 3-644-00564-8 / 3644005648
ISBN-13 978-3-644-00564-8 / 9783644005648
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