On Air (eBook)

Spiegel-Bestseller
Erinnerungen an mein Leben mit der Musik | Die Radio-Legende und Stimme des ESC

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
544 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01326-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

On Air -  Peter Urban
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Seit Jahrzehnten prägt Peter Urban die deutsche Radiolandschaft - als legendär trockener Kommentator des Eurovision Song Contests, als Moderator verschiedener Musiksendungen, inzwischen auch als Podcaster. Offen und unprätentiös beobachtet er seit fast 50 Jahren als Popexperte die nationale und internationale Musikszene und hat in seiner langen Laufbahn unzählige Popgrößen getroffen, interviewt und porträtiert - von Keith Richards über Yoko Ono zu David Bowie, Elton John, Joni Mitchell, Harry Belafonte und Eric Clapton. Mit diesem Buch legt er nun seine Memoiren vor, den Soundtrack eines Lebens, das beruflich wie privat immer von der Musik geprägt war.  Die Reise beginnt in den 1950er Jahren in Niedersachsen, wo sich die Familie Urban nach der Flucht aus dem Sudetenland eine neue Heimat aufbaut. Schon früh kommt Peter Urban im Familienorchester «Urbani» mit Musik in Kontakt, doch seine Leidenschaft ist nicht die Klassik, sondern die neue Musik von der Insel. In den 1960er Jahren beginnt die andauernde Liebesbeziehung zu England, seine andere große Liebe ist der HSV, wo er zeitweilig auch Stadionsprecher ist. Seine Lust an neuen Stilformen ist später der Schlüssel zum großen Erfolg seiner Musiksendungen. Dieses Buch erzählt von einem bewegten Leben und ist zugleich ein Stück internationale Musikgeschichte made in Hamburg.   

Peter Urban, 1948 in Bramsche geboren, begann seine Karriere beim NDR in den frühen 70er Jahren mit der Sendung «Musik für junge Leute». 1977 erschien seine Dissertation über Songtexte aus der anglo-amerikanischen Popmusik. Seit 2003 war er Redakteur für das Format «Nachtclub», seit 1997 kommentiert er den Eurovision Song Contest im deutschen Fernsehen. Er ist heute immer noch mit «Die Peter Urban Show» für den NDR tätig, seit Januar 2021 ist er mit seinem Podcast «Urban Pop» erfolgreich..

Peter Urban, 1948 in Bramsche geboren, begann seine Karriere beim NDR in den frühen 70er Jahren mit der Sendung «Musik für junge Leute». 1977 erschien seine Dissertation über Songtexte aus der anglo-amerikanischen Popmusik. Seit 2003 war er Redakteur für das Format «Nachtclub», seit 1997 kommentiert er den Eurovision Song Contest im deutschen Fernsehen. Er ist heute immer noch mit «Die Peter Urban Show» für den NDR tätig, seit Januar 2021 ist er mit seinem Podcast «Urban Pop» erfolgreich..

1 Son of a Teacher Man


Ein kühler grauer Nachmittag im Dezember 1954, ich bin sechs. Meine Eltern stapfen mit mir durch den Schneeregen zum Saal Sanders in der Otterbreite. Dort will die katholische Volksschule ein Weihnachtsmärchen aufführen, mein erster öffentlicher Auftritt steht bevor, passenderweise als Peterchen, der mit Schwester Anneliese und Maikäfer Herrn Sumsemann zum Mond fliegt, um dessen sechstes Bein zu finden. Hinter der Bühne lebhaftes Gegacker wie auf dem Hühnerhof, dazu heilloses Durcheinander. Jeder will sein Kostüm vorführen, das hilfsbereite Sandmännchen, die freundliche Nachtfee, der grimmige Mondmann, die hibbeligen Sternchen. Die bemalten Pappkulissen stehen bereit, das Kinderzimmer, die Mondrakete, die Milchstraße, die Weihnachtswiese. Ich werfe von der Seite einen Blick in den gefüllten Saal. Die Lichter verlöschen, meine Lehrerin schiebt mich sacht in die Mitte der dunklen Bühne, von dort soll ich das Eröffnungslied singen. Ich stehe ganz nah am geschlossenen Vorhang, er riecht alt und muffig, ich muss husten. Dann wird er weggezogen, das Scheinwerferlicht blendet brutal, ich kann nichts sehen, bin starr vor Schreck, wie hypnotisiert. Ein sanft gezischtes «Los, Peter» weckt mich auf, dann höre ich meine zittrige Stimme singen: «Leise, Peterchen leise, der Mond geht auf die Reise …»

Willkommen zu Peterchens Mondfahrt.

***

Die Gartenstraße machte ihrem Namen alle Ehre, hübsche, großzügige Einzelhäuser aus dunkelrotem Klinker thronten unter alten hohen Bäumen inmitten grüner Gärten. Kurz vor ihrem Ende lag ein größeres lang gestrecktes Backsteingebäude, die katholische Volksschule, deren Leiter mein Vater war. Wir wohnten in der Lehrerwohnung im Obergeschoss der Schule, wir, das waren Mutter Anni, Vater Karl und mein vier Jahre ältere Bruder Klaus. Mein Schulweg war der kürzeste der Stadt, aus der Wohnungstür die Treppe hinunter auf den Flur direkt in die Klasse. Meine erste Lehrerin, Fräulein Wienert, schrieb mir später, dass sie als junge Anfängerin Angst gehabt hatte, den Sohn des Schulleiters zu unterrichten, dabei war die Situation für mich genauso unangenehm, ich musste den Eindruck widerlegen, dass ich bevorzugt wurde, was nie der Fall war, und hatte das ständige Gefühl, besonders korrekt und brav sein zu müssen, weil man das vom Sohn des Chefs eben erwartete. In den Zeugnissen tauchte ständig die Bemerkung «zu still, sollte sich mehr beteiligen» auf, und das meine gesamte Schulzeit über bis zum Abitur. So still fand ich mich gar nicht, ich verlegte meine Aktivitäten nur lieber in die Pausen und in den Nachmittag. Kaum aus der Schule, flitzte ich durch den riesigen Garten, versteckte mich auf Bäumen und unter Rhododendronbüschen, tobte durch mein eigenes Paradies. Mein Erkundungsdrang endete nicht am Schulzaun, mit Nachbarkindern ging es über Leitern und Baugerüste auf das Dach des nahen Getreidespeichers am Bahndamm, über ein offenes Fenster hinein in unsere eigene Geheimwelt zwischen Säcken voller Roggen- und Weizenkörnern, wir waren nicht mal zehn.

Die Musik schlich sich konventionell in mein Leben. Bei uns zu Hause fiedelte es kräftig, mein Bruder übte an Violine und Gitarre, auch mein Vater holte ab und zu seine alte Geige aus dem abgewetzten Koffer. Ich wurde zur Blockflöte abgeordnet, fing eher widerwillig damit an. Nach und nach kamen aber Töne aus dem schmalen Gerät, die nicht mehr piepsig, sondern schön und zart klangen, wenn man den Luftdruck nicht zu hart einsetzte. Es ließen sich überraschend schnell und einfach Melodien finden oder diese vom Notenblatt abspielen. Blockflöte machte mir tatsächlich Spaß, und so wurde ich in das Familienensemble aufgenommen. Musik eigenhändig zu spielen, gehörte zu unseren Ritualen, besonders am Weihnachtsfest, das katholisch, traditionell und sentimental inszeniert wurde, mit Geheimniskrämerei, Versteckspiel und sich steigernder Aufregung. Schon Tage vorher durfte das Wohnzimmer nicht betreten werden, bis endlich an Heiligabend das Glöckchen klingelte. Natürlich hatte das Christkind die Geschenke abgeliefert, nicht der unchristliche Weihnachtsmann, wie es im überwiegend protestantischen Niedersachsen üblich war. Die Lichter und Kerzen brannten, die Vanillekipferln und Haselnussmakronen dufteten. Vor der Bescherung musste gesungen und musiziert werden, Mutter führte am Klavier, die beiden Streicher kratzten mehr oder weniger gekonnt auf ihren Saiten, ich blies die Flöte. Ich liebte den glitzernden «Weihnachtszauber», auch nachdem mir klar wurde, welches Theaterstück da aufgeführt wurde. Ich spürte einen beinahe spirituellen Hauch von Geborgenheit, Wärme, Harmonie und Freude, der natürlich umso stärker blies, wenn der materielle Segen besonders üppig ausfiel und die neueste Märklin-Lok unter dem Baum haltgemacht hatte.

Nicht nur zur Weihnachtszeit trat unser Familienorchester in Aktion, auch wichtige Familienfeiern wie der 85. Geburtstag von Opa Korschil wurden von einer Darbietung des «Urbani-Orchesters» gekrönt. Dabei hätte unser Ensemble eigentlich ganz anders heißen müssen. Mein Großvater trug den tschechischen Namen «Koril», für den er in der sudetendeutschen Heimat unserer Familie die deutsche Schreibweise «Korschil» verwandt hatte. Sein Sohn Karl war zwar das jüngste Kind, aber im Gegensatz zu seinen Schwestern durfte er seine Schulzeit verlängern und tat das an einer «Lehrer-Bildungsanstalt» in Brünn, der Hauptstadt Mährens. Drei Jahre später, mit neunzehn, war Karl Korschil Junglehrer an einer Dorfschule. Kurz vor der Annexion des Sudetenlandes 1938 durch Hitler-Deutschland nahmen er und seine Schwestern Anni und Paula offiziell den Mädchennamen ihrer deutschstämmigen Mutter an, sicherlich auch, um sich rechtzeitig den politischen Veränderungen anzupassen: aus Karl Korschil wurde Karl Urban. Im August 1939 zog ihn die Wehrmacht ein, gleich nach Kriegsbeginn wurde er in Polen verwundet und entging so dem späteren Schicksal seiner Garnison beim desaströsen Angriff auf Russland. Als Kinder erfuhren wir von ihm wenig über den Krieg und die Nazis, wir fragten auch nicht oft und selten intensiv.

Für meine Mutter Anni war als Tochter einer Arbeiterfamilie der Besuch einer höheren Schule aus finanziellen und logistischen Gründen ausgeschlossen – ihre Heimatstadt Bärn besaß weder Gymnasium noch Bahnanschluss. Zudem musste sie sich nach dem frühen Tod ihrer Mutter um den Haushalt und ihren jüngeren Bruder kümmern. Meinen Vater lernte sie mit neunzehn kurz vor dem Krieg kennen, für die Hochzeit blieb nur ein kurzer Weihnachtsurlaub Ende 1941. In den ersten vier Jahre ihrer Ehe sah meine Mutter ihren Mann nur bei kurzen Urlauben, 1944 kam mein Bruder Klaus zur Welt. Als im April 1945 russische Truppen Bärn besetzten, flüchtete sie zum Schutz vor Übergriffen mit dem einjährigen Baby aufs Land. Ihre späteren Schilderungen ließen nur vermuten, was sie erlebt hatte. Nachts versteckten sich die Frauen aus Angst mit den Kindern im Wald, manchmal wurden die Kleinen unter Wasser gehalten, damit sie ruhig blieben. Wenn wir tiefer bohren wollten, spürte man schnell, dass Mutter darüber nicht reden wollte.

1947 begannen die Abtransporte der deutschen Bevölkerung. Eingepfercht in einem Güterwagon, stehend, ging die tagelange Fahrt ins Ungewisse, das sich glücklicherweise als amerikanische Zone entpuppte. Nach drei Monaten in verschiedenen Flüchtlingslagern durften die «Heimatvertriebenen», so die offizielle Bezeichnung, im Juli 1947 zu Verwandten im norddeutschen Bramsche weiterreisen. Dort gab es einen Onkel, der schon vor dem Ersten Weltkrieg von großen Tuchfabriken und Webereien als «Gastarbeiter» und Streikbrecher gegen streikende einheimische Arbeiter angeworben worden war.

In Bramsche trafen sich auch meine Eltern wieder, Vater war schon 1946 aus der amerikanischen Gefangenschaft entlassen worden. Das Produkt des Wiedersehens kam im April 1948 auf die Welt und erhielt den Namen Peter Ernst, eine Hommage an den gastfreundlichen Onkel, der auch Pate wurde. Nachdem die Entnazifizierungsbehörde meinen Vater als früheren Wehrmachtsoffizier entlastet hatte, durfte er seinen Beruf wieder ausüben. Und nicht nur das, ehrgeizig, wie er zweifelsfrei war, nutzte er alle Möglichkeiten, das Bild des unbekannten «Flüchtlingslehrers» loszuwerden und sich in der «neuen» Zeit zu profilieren. Noch im selben Jahr gründete er den Kreisverband des katholischen Lehrervereins, wurde von der britischen Schulverwaltung beauftragt, seine deutschen Kollegen über die frisch verordnete demokratische Erziehungskultur zu informieren. Darüber hinaus engagierte er sich in der katholischen Kirchengemeinde, ließ sich in den Stadtrat und später in den Kreistag wählen – alles als Zugereister mit Anfang dreißig.

Meine Mutter schien länger zu brauchen, um die Traumata der Kriegszeit bis zu ihrer Ankunft im Westen zu verdrängen. Von Natur aus schüchtern, hatten sich ihre Ängstlichkeit und Anspannung verstärkt. Ich habe sie selten überschwänglich, unbeschwert, gelöst oder fröhlich erlebt, eher stets zurückhaltend, nachdenklich und übervorsichtig. Nur beim Musizieren lebte sie auf, am frisch erstandenen gebrauchten Klavier oder beim Singen schien sie glücklich zu sein. In Bärn hatte ein befreundeter Gönner der talentierten Anni den Klavierunterricht bezahlt, später hatte sie die Orgel in der Pfarrkirche gespielt und im Kirchenchor gesungen. Diesen Faden nahm sie in der neuen Heimat auf, knüpfte Kontakte in der katholischen Gemeinde, wurde Mitglied des Chors und half als Organistin aus.

Für unser Familienensemble war «Mutti» so eine Art Musical Director,...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2023
Zusatzinfo Mit Abbildungen
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Autobiografie • Biografien • biografien musiker • Biografien Neuerscheinungen 2023 • Biographien bestseller • Bono • ESC • Eurovision Song Contest • Hamburg • Kommentator • Mary Roos • Musik • NDR • Olivia Jones • Peter Urban • Radio • Roland Kaiser
ISBN-10 3-644-01326-8 / 3644013268
ISBN-13 978-3-644-01326-1 / 9783644013261
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