Die Tochter des Doktor Moreau (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Limes (Verlag)
978-3-641-30471-3 (ISBN)

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Die Tochter des Doktor Moreau -  Silvia Moreno-Garcia
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Dieser Dschungel verbirgt die dunkelsten Geheimnisse: Nach »Der mexikanische Fluch« der neue Bestseller von Silvia Moreno-Garcia!
Mexiko, Ende des 19. Jahrhunderts: Carlota Moreau wächst fern von der zivilisierten Welt im Dschungel der Halbinsel Yucatán auf. Sie ist die Tochter eines begabten Wissenschaftlers, der auf seinem Anwesen geheime Experimente durchführt. Als Eduardo Lizalde, der Sohn von Doktor Moreaus Geldgeber, eintrifft und Carlota den Hof macht, scheint ihr Weg in die feine Gesellschaft vorgezeichnet. Doch die dunklen Labore verbergen unzählige Geheimnisse - und das gefährlichste von ihnen ist Carlota selbst.

Nominiert als bester Roman für den Hugo Award 2023!


Von Silvia Moreno-Garcia bereits erschienen:
Der mexikanische Fluch
Die Tochter des Doktor Moreau

Die in Mexiko geborene Kanadierin Silvia Moreno-Garcia ist als höchst vielseitige Autorin bekannt. Mit jedem ihrer Romane, darunter der Überraschungsbestseller »Mexican Gothic« (zu Deutsch »Der mexikanische Fluch«), erfindet sich Moreno-Garcia neu und meistert alle Genres - darunter den Schauerroman, den Noir-Krimi und die Science-Fiction sowie die Fantasy. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem World Fantasy Award, dem Sunburst Award, dem Locus Award und dem British Fantasy Award. Sie lebt in Vancouver, British Columbia, und schreibt als Kolumnistin für die Washington Post.

1


Carlota


An diesem Tag würden sie eintreffen, die beiden Herren, deren Boot soeben durch den Mangrovenwald glitt. Der Dschungel war voller Geräusche. Vögel schrien volltönend ihr Unbehagen hinaus, als könnten sie das Herannahen fremder Eindringlinge vorhersehen. In ihren Hütten hinter dem Haupthaus fanden die Hybriden keine Ruhe. Selbst der alte Esel, der sich an seinem Mais gütlich tat, machte einen gereizten Eindruck.

Carlota hatte in der vergangenen Nacht viel Zeit damit zugebracht, eingehend die Zimmerdecke zu betrachten, und am Morgen tat ihr der Bauch weh, wie immer, wenn sie nervös war. Ramona hatte ihr einen Bitterorangentee aufbrühen müssen. Carlota gefiel es gar nicht, wenn die Nerven ihr Streiche spielten, aber Dr. Moreau bekam eben selten Besuch. Die Isolation, so sagte ihr Vater, tue ihr gut. Als kleines Kind war sie krank gewesen, und Ruhe und Gelassenheit waren wichtig für sie. Außerdem waren die Hybriden angemessenem gesellschaftlichem Umgang im Wege. Wenn überhaupt mal jemand Yaxaktun besuchte, dann waren es entweder Francisco Ritter, der Anwalt und Korrespondent ihres Vaters, oder Hernando Lizalde.

Herr Lizalde kam immer allein. Carlota war ihm nie vorgestellt worden. Zweimal hatte sie ihn aus einiger Entfernung mit ihrem Vater außerhalb des Hauses herumgehen sehen. Jedes Mal war er rasch wieder verschwunden, er hatte noch nicht eine Nacht in einem der Gästezimmer verbracht. So oder so war er kein häufiger Gast. Seine Anwesenheit schlug sich überwiegend in Briefen nieder, die alle paar Monate eintrafen.

Und nun kam Herr Lizalde, sonst nur eine ferne Präsenz, ein Name, ausgesprochen, doch nie wirklich manifestiert, zu Besuch – und nicht nur das, er brachte auch den neuen mayordomo mit. Seit Melquíades sie vor beinahe einem Jahr verlassen hatte, hatte der Doktor allein die Zügel von Yaxaktun in der Hand gehalten, eine unbefriedigende Situation, da er den größten Teil seiner Zeit im Labor verbrachte oder tief in seinen Überlegungen versunken war. Dennoch schien ihr Vater nicht geneigt gewesen, einen neuen Verwalter zu suchen.

»Der Doktor ist zu wählerisch«, sagte Ramona, während sie die Knoten und Verfilzungen aus Carlotas Haar bürstete. »Herr Lizalde, er schickt Briefe und schreibt, hier wäre dieser Mann, dort ein anderer. Aber Ihr Vater sagt immer: ›Nein, dieser ist nicht geeignet und jener auch nicht.‹ Als kämen so viele Menschen hierher.«

»Warum wollen die Leute nicht nach Yaxaktun kommen?«, fragte Carlota.

»Es ist weit von der Hauptstadt entfernt. Und Sie wissen ja, was die Leute sagen. Sie alle klagen, es läge zu nah am Rebellengebiet. Sie denken, es ist das Ende der Welt.«

»So abgelegen ist es nicht«, widersprach Carlota, auch wenn ihre Vorstellung von der Halbinsel ausschließlich auf Karten in Büchern beruhte, in denen Entfernungen zu ebenmäßigen schwarz-weißen Linien wurden.

»Es ist enorm abgelegen. So sehr, dass Menschen, die an Pflasterstraßen und die tägliche Zeitung am Morgen gewöhnt sind, lieber zweimal nachdenken, ehe sie herkommen.«

»Warum bist du dann hier?«

»Meine Familie, sie haben einen Ehemann für mich ausgesucht, aber er hat nichts getaugt. Faul, hat den ganzen Tag nicht gearbeitet, und am Abend hat er mich geschlagen. Lange Zeit habe ich mich nicht beklagt, aber dann, eines Morgens, hat er mich schlimm geprügelt. Zu schlimm. Oder vielleicht auch nur so schlimm wie immer, aber ich konnte es nicht länger ertragen. Also habe ich meine Sachen gepackt und bin gegangen. Ich bin nach Yaxaktun gekommen, weil einen hier niemand finden kann«, erklärte Ramona achselzuckend. »Aber andere sind nicht so wie ich. Andere wollen gefunden werden.«

Ramona war noch nicht sonderlich alt; die Fältchen in ihren Augenwinkeln waren nicht tief, und nur wenige graue Strähnen durchzogen ihr Haar. Aber sie sprach in gemessenem Ton, und sie erzählte von vielen Dingen, weshalb Carlota sie für sehr weise hielt.

»Denkst du, dem neuen mayordomo wird es hier nicht gefallen? Glaubst du, er will gefunden werden?«

»Wer weiß? Aber Herr Lizalde selbst bringt ihn her. Herr Lizalde hat angeordnet, einen neuen mayordomo einzustellen, und er hat recht. Ihr Vater, er tut den ganzen Tag irgendetwas, aber er tut nie das, was getan werden muss.« Ramona legte die Bürste weg. »Seien Sie nicht so nervös, Kindchen. Sie zerknittern noch das Kleid.«

Besagtes Kleid wies anstelle der üblichen schlichten Musselinschürze einen Überfluss an Rüschen und Plisseefältchen und eine gewaltige Schleife im Rücken auf. Lupe und Cachito hatten kichernd in der Tür gestanden und Carlota betrachtet, als sie herausgeputzt worden war wie ein Pferd vor einer Ausstellung.

»Sie sehen hübsch aus«, sagte Ramona.

»Es zwickt«, klagte Carlota, die fand, sie habe Ähnlichkeit mit einer riesigen Torte.

»Zupfen Sie nicht daran herum. Und ihr zwei, geht und wascht euch das Gesicht und die schmutzigen Hände«, befahl Ramona und unterstrich ihre Worte mit einem ihrer besonders vernichtenden Blicke.

Lupe und Cachito traten zur Seite, um Ramona Platz zu machen, als sie ging und sich dabei unentwegt über all die Dinge beschwerte, die sie an diesem Morgen zu tun hatte. Carlota schmollte. Ihr Vater sagte, das Kleid sei der letzte Schrei, aber sie war leichtere, schlichtere Kleidung gewohnt. Es mochte sich in Mérida oder Mexico City oder sonst irgendwo gut machen, aber in Yaxaktun wirkte es einfach nur schrecklich überladen.

Lupe und Cachito fingen wieder an zu kichern, als sie näher kamen und sich die Knöpfe genauer anschauten, den Taft und die Seide betasteten, bis Carlota sie wegschob, woraufhin sie erneut in Gekicher ausbrachen.

»Hört auf damit, ihr zwei«, sagte sie.

»Sei nicht böse, Loti, es ist nur, weil du so lustig aussiehst, fast wie eine deiner Puppen«, meinte Cachito. »Aber vielleicht bringt der neue mayordomo ja Süßigkeiten mit, die magst du.«

»Ich glaube kaum, dass er Süßigkeiten mitbringt«, entgegnete Carlota.

»Melquíades hat uns Süßigkeiten mitgebracht«, wandte Lupe ein, setzte sich auf ein altes Schaukelpferd, das für jeden von ihnen längst zu klein war, und schaukelte damit vor und zurück.

»Ja, dir«, beklagte sich Cachito. »Mir hat er nie was Süßes gegeben.«

»Weil du beißt«, sagte Lupe. »Ich habe niemandem in die Hand gebissen.«

Und das hatte sie auch nicht, so viel stimmte. Als Carlotas Vater Lupe erstmals ins Haus gebracht hatte, da hatte sich Melquíades fürchterlich aufgeregt und gesagt, der Doktor könne Carlota unmöglich mit Lupe allein lassen. Was, wenn sie das arme Kind kratzte? Aber der Doktor hatte erwidert, es werde schon nichts geschehen, Lupe sei artig. Außerdem hatte sich Carlota so sehr eine Spielkameradin gewünscht, dass sie keinen Ton gesagt hätte, selbst wenn Lupe gebissen und gekratzt hätte.

Aber an Cachito hatte Melquíades sich nie gewöhnen können. Vielleicht, weil er viel ungestümer war als Lupe. Vielleicht, weil er männlich war und Melquíades sich mit einem Mädchen in einer gefühlten Sicherheit hatte wiegen können. Vielleicht, weil Cachito Melquíades tatsächlich einmal in den Finger gebissen hatte. Es war keine tiefe Wunde gewesen, nur ein Kratzer, aber Melquíades hatte den Jungen gehasst und Cachito nie ins Haus gelassen.

Andererseits hatte Melquíades für niemanden von ihnen viel übriggehabt. Ramona hatte schon für Dr. Moreau gearbeitet, als Carlota fünf Jahre alt gewesen war, und Melquíades war bereits vorher in Yaxaktun gewesen. Aber Carlota konnte sich nicht erinnern, dass er den Kindern je ein Lächeln gegönnt oder sie als irgendetwas anderes als ein Ärgernis betrachtet hatte. Wenn er Süßigkeiten mitgebracht hatte, dann bloß, weil Ramona ihn zuvor gebeten hatte, er solle Leckereien für die Kleinen besorgen, nicht weil er von sich aus auf die Idee gekommen wäre. Nur wenn sie Lärm gemacht hatten, dann hatte er vielleicht gebrummt, sie sollten ein Bonbon nehmen und verschwinden, still sein und ihn in Ruhe lassen. Aber in seinem Herzen gab es keinen Platz für Kinder.

Ramona liebte sie, Melquíades duldete sie.

Doch nun war er fort, und Cachito ging im Haus ein und aus, huschte durch die Küche und das Wohnzimmer mit seinen samtbezogenen Sofas, hämmerte sogar mit den Fingern auf die Klaviertasten ein und rang dem Instrument dissonante Töne ab, wenn der Doktor nicht zugegen war. Nein, die Kinder vermissten Melquíades nicht. Er war pingelig gewesen und hochnäsig, weil er Arzt in Mexico City gewesen war, was er für eine großartige Leistung gehalten hatte.

»Ich weiß überhaupt nicht, wozu wir einen neuen mayordomo brauchen«, sagte Lupe.

»Vater schafft das nicht allein, und Herr Lizalde will, dass alles perfekt in Ordnung ist«, wiederholte sie, was man ihr gesagt hatte.

»Was kümmert es Herrn Lizalde, wie er das schafft oder nicht? Der lebt doch nicht hier.«

Carlota sah in den Spiegel und fummelte an ihrer Perlenkette herum, die ihr wie das Kleid an diesem Morgen aufgezwungen worden war, um dafür zu sorgen, dass sie geschniegelt und gestriegelt aussah.

Cachito hatte recht: Carlota ähnelte wirklich einer ihrer Puppen, hübsche Porzellandinger auf einem Regal mit rosaroten Lippen und kugelrunden Augen. Aber Carlota war keine Puppe, sie war ein Mädchen, fast schon eine Frau, und es kam ihr ein wenig albern vor, dass sie auszusehen hatte wie eine bemalte Porzellanfigur.

Doch stets das pflichtbewusste Kind, wandte sie sich vom Spiegel ab und sah Lupe mit ernster Miene...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2023
Übersetzer Frauke Meier
Sprache deutsch
Original-Titel The Daughter of Doctor Moreau
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Abenteuerroman • Buchclub • Der mexikanische Fluch • Die Insel des Dr. Moreau • Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen • Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle • Dracula Untold • dystopie fantasy • eBooks • Experiment • H. G. Wells • Historischer Roman • Horror • horrortok • Laura Purcell • Lesekreis • Liebesromane • Mexican Gothic • Mexiko • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Phantastischer Roman • Roman • Romane • Schauerroman • slashersummer • Stuart Turton • Südamerika • summerhorror • The Island of Dr. Moreau • Van Helsing • Wissenschaft • Yucatan • Zusatzmaterial
ISBN-10 3-641-30471-7 / 3641304717
ISBN-13 978-3-641-30471-3 / 9783641304713
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