Der treue Spion (eBook)

Kriminalroman | Charmant und intelligent - der dritte Band der historischen Krimireihe

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
400 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0554-6 (ISBN)

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Der treue Spion -  Uta Seeburg
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Ein französischer Diplomat verschwindet 1896 spurlos aus dem Münchner Hotel Vier Jahreszeiten.Vermutlich hat er Informationen zu einer neuen Erfindung besessen, die es ermöglicht, telegrafische Falschmeldungen zu produzieren. In den unruhigen Zeiten, auf die Europa zusteuert, birgt diese Technik eine zerstörerische Macht. Die Ermittlungen führen Gryszinski auf eine verhängnisvolle Reise mit düsterem Ausgang.

Zwanzig Jahre später hält ein grausamer Krieg die Welt im Klammergriff. Gryszinskis Sohn Fritz ist mittlerweile erwachsen und wird als Meldegänger an der Front in Verdun eingesetzt. Unverhofft gerät er an neue Indizien zum Fall des verschwundenen Diplomaten.Fritz begibt sich auf eine geheime Mission durch Europa, in der Hoffnung, zu Ende zu führen, was sein Vater begonnen hat.



Uta Seeburg ist Berlinerin und lebt in München. Sie arbeitete bereits als Werbetexterin, Drehbuchautorin und Redakteurin, widmet sich aber heute ausschließlich der Schriftstellerei. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin wohnt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Haidhausen.

2.


Verdun, 1916

Wieder blickt er nach oben. Der Fesselballon hängt immer noch im bleigrauen Himmel. Er hat die Form einer Wurst, mit vier geschwungenen Flossen an einem Ende: ein französisches Feldluftschiff. Fritz von Gryszinski erinnern diese Ballons an Kalmare, die schlafend im Ozean treiben, unter sich den zerklüfteten Meeresboden, voller langer Bodenspalten und Trichter, in denen er und seine Kameraden hocken und auf ihre Chance warten herauszukommen. Doch die schlafenden Kalmare sind wachsam. Unter ihren plumpen Körpern baumelt ein kleiner Korb, und in dem sitzt ein Mann mit einer Kamera und einem Telephon. Er photographiert jeden Meter der weiten Ebene, die sich unter ihm auftut. Und sobald er eine Bewegung sieht, greift er zum Telephon, dessen Kabel wie eine Angelschnur aus seinem Korb nach unten hängt. Ein verlorenes Summen am anderen Ende, irgendwo in einem stillen Schützengraben. Gemurmelte Sätze, ein Seufzer aus einer der Erdspalten. Und dann bricht ein Krach los, wie ihn Fritz sich niemals zuvor hat vorstellen können. Der Beschuss, das Trommelfeuer. Erst vor einigen Wochen hat die deutsche Artillerie den Feind hundert Stunden lang ohne Pause unter Feuer genommen, mit der monotonen Effizienz eines Fließbands. Ein Prasseln auf einer stählernen Pauke, das sich schließlich zu einem einzigen Ton verdichtet, der so laut ist, dass es einen schüttelt und an einem zerrt, bis man nichts mehr weiß und nichts mehr ist.

Fritz ist froh, dass er nicht tagelang im Graben sitzen muss, auch wenn seine Aufgabe oftmals noch gefährlicher ist. Dafür bleibt er in Bewegung. Er ist Meldegänger. Ein menschlicher Ersatz für das Telephon, das für ihn bisher nur der schwarze Apparat mit der lustigen Kurbel war, der im Flur seiner Eltern steht und mit einem fordernden Klingeln den Vater von der Abendtafel wegholt. Erst spät hat er begriffen, dass dieses spezielle Telephon in seinem Zuhause eigentlich nur dann läutet, wenn irgendwo in München jemand außerhalb der Bureauzeiten ermordet wurde. In den Schützengräben hängen weitaus tödlichere Feldtelephone an den Leitungen, als wären sie bereit zur Verabreichung einer Infusion. Doch die Kabel sind nur oberflächlich verlegt, hastig aufgehängt oder irgendwie eingebuddelt und werden ständig zerschossen. In einem solchen Fall müssen Meldegänger die Nachrichten zwischen den einzelnen Frontabschnitten verbreiten. Die meisten arbeiten sich schnell zu Fuß durch das Geäst der Gräben. Doch manchmal ist jegliche Kommunikation gestört, dann müssen die Gräben verlassen werden, um eine Botschaft in die Außenwelt zu bringen. Das ist Fritzens Spezialität. Denn Friedrich von Gryszinski ist schnell, sagenhaft schnell. Sobald er auf seinem Fahrrad sitzt.

Wieder sieht er nach oben zu dem aufmerksamen Kalmar. Unmöglich zu wissen, worauf sein aufmerksames Auge sich jetzt richtet. Das Gelände liegt nur unter leichtem Beschuss, kaum einer lässt sich blicken, wie die Krebse liegen alle unterm Sand. Es ist ein kühler Frühlingsabend, die leichte Decke einer blauen Dämmerung breitet sich allmählich über das zerfurchte Land. Bald werden die Raketen aufsteigen, um das Schlachtfeld zu erhellen. Die Leuchtkugeln der Franzosen hängen an seidenen Fallschirmen und taumeln sacht zu Boden, fluoreszierende Quallen im schwarzen Wasser. Fritz streicht über seine Meldetasche, prüft noch einmal deren Inhalt. Karten der Umgebung, ein Kompass, ein Feldstecher. Eine Taschenlampe, bei deren Gebrauch allerdings Vorsicht geboten ist, zu schnell wird der Feind auf ein kleines Licht in der Dunkelheit aufmerksam. Die Tasche lässt ihn an den Tatortkoffer des Vaters denken, sein Markenzeichen bei der Münchner Polizeidirektion. Die Dinge, die Fritz bei sich trägt, finden sich auch in dem väterlichen Koffer. Dort gibt es natürlich noch viel mehr: Pinzetten, Tütchen für Indizien und allerlei geheimnisvolle Pastillen, Tinkturen und Pülverchen. Einen Blick in die Vergangenheit tut sein Vater damit, in die dunkle Mitte eines Mordes, einen Abgrund, in den er sich mithilfe der Spuren fallen lässt. Die Dinge in Fritzens Tasche dagegen, die haben nur mit der Zukunft zu tun, denn sie sollen ihm beim Überleben helfen.

Unwillkürlich muss Fritz grinsen, als er an das Röhrchen mit dem Rußpulver denkt, das man benutzt, um Fingerabdrücke zu nehmen. Als Schuljunge hatte ihm einmal einer das Pausenbrot geklaut, da ist Fritz mit dem Pulver, einem weichen Pinsel und sogar einem amtlichen daktyloskopischen Formular aus dem Tatortkoffer in die Schule marschiert, um eine forensische Untersuchung des Vorfalls vorzunehmen. Sehr wütend ist sein sonst so gutmütiger Vater geworden, als er das Fehlen der Ausrüstung bemerkt hat. Doch er wurde etwas milder gestimmt, als Fritz erklärte, dass es sich bei dem entwendeten Objekt um eine von Frau Brunners speziellen Semmeln gehandelt hatte, für die sie die beiden Hälften des Gebäcks in Schmalz röstet und das Knochenmark eines geschmorten Schweins in die Einkerbungen des knusprigen Teigs gibt. Sein Magen zieht sich zusammen. Seit einiger Zeit sitzt er in einem Trichter fest, und letztendlich ist es der Hunger, der ihm den Mut eingibt, es nun endlich zu wagen, egal, wohin das Auge des Kalmars gerade blickt.

Fritz greift sein Fahrrad, ein Militärrad des Modells Diana 30. Kurz hinter ihm ist ein längerer deutscher Laufgraben, da muss er rein und ein Stück hindurch, dann wieder hoch auf freies Land, so schnell aus der Schusslinie raus wie möglich. Die Nachricht soll er einem Stabschef überbringen, der sich in einem Lager wenige Kilometer hinter der Front befindet.

Er holt tief Luft, wuchtet sein Rad über den Rand des Trichters, klettert hinterher. In diesem Teil des Geländes sollte man besser nur am Boden kriechen, aber Fritz kann sein Fahrrad nicht aufgeben, drum springt er auf den Sattel – mit einer so oft geübten fließenden Bewegung, dass sein ganzer Körper manchmal im Schlaf zuckt, wenn er sie in seinen Träumen vollführt – und rast los, kracht irgendwie mit dem Rad unter sich in einen Graben, wirft sich zu Boden. Ein paar Geschosse pfeifen über den Graben hinweg, er merkt es kaum.

»Da biste ja«, sagt ein Kamerad freundlich und löffelt sein Gulasch aus einer Blechschüssel. »Dachten schon, du seist verloren gegangen.«

Der Rest seiner Fahrt besteht nur noch aus der ewig kreisenden Bewegung seiner Beine und einem wirren Muster aus Erinnerungen, das ungefiltert durch seinen Kopf rauscht. Hauptsächlich Szenen aus seiner Kindheit. Fritz lässt sie zu, lädt sie sogar ein. Die unwiederbringlichen Schnipsel helfen ihm, bei sich selbst zu bleiben. Der Vater, der seine Hand nimmt und mit ihm in die Küche läuft. Das väterliche Gesicht verschwindet hinter eine Dampfwolke, als er den Deckel über einem gewaltigen Topf anhebt. Die Mutter, wie sie auf dem Diwan sitzt und stirnrunzelnd in einem Buch liest. Das Stehpult in der Küche, an dem sie schreibt, ihr buntes Tuch um die Schultern geschlungen. Fritz und sein Schulfreund Max knien mit Lupen auf dem Boden und suchen die dicken Teppiche im Salon nach Spuren ab. Die Brunner, wie sie heiße Buchteln aus dem Ofen holt. Er und Max werfen Steine in die Isar, die übervoll vom geschmolzenen Schnee in wilden Strömen unter den Brücken hindurchfließt. Die Spaziergänge mit seinem Vater über den Victualienmarkt, beide mit einer Bratensemmel in der Hand. Die Lesungen gesichtsloser Lyriker in ihrem Salon; er sieht nur ihre nervös wippenden Beine in knittrigen Hosen, weil er unter dem Tischchen im Erker sitzt. Der vertrocknete Erntekranz im Atelier von Onkel Lovis, der diesen an seine Heimat erinnert. Der Stoffelefant auf seinem Kinderbett. Gläser mit eingemachten Beeren auf dem Fensterbrett; konservierte süße Erinnerungen.

Er überbringt seine Nachricht und kehrt dann zu seiner Kompanie zurück, die schon in den Baracken ist. Es herrscht eine milde alltägliche Stimmung, man muss erst in zwölf Tagen wieder in den Graben, viele schlafen schon auf ihren Pritschen. Fritz setzt sich still auf sein Lager. Er hat Post bekommen, zwei Briefe und ein kleines Paket. In dem Päckchen findet er, dick eingepackt in ein paar selbst gestrickten Socken, ein Weckglas, das zu seiner unaussprechlichen Freude mit eingekochten Bratäpfeln gefüllt ist. Er lächelt. Bei der Brunner hat er einen noch größeren Stein im Brett als sein Vater. Der eine Brief stammt von seiner Mutter, er enthält die Abschrift einer italienischen Erzählung für Kinder, die eine ihrer Dichterfreundinnen kürzlich grob ins Deutsche übertragen hat und von der sie glaubt, dass sie ihm gefallen würde, weil sie wunderlich und phantastisch sei. Er faltet die Geschichte zusammen und steckt sie ein, um sie morgen bei Tageslicht zu lesen.

Den anderen Brief hat sein Vater ihm geschickt. Es sind ein paar recht unpersönliche Zeilen, die dort in der etwas fahrigen Handschrift seines Vaters niedergeschrieben sind. Seine Mutter und er hofften, dass Friedrich wohlauf sei und sich weiterhin tapfer für das Wohl seines Vaterlands einsetzen würde. München im Frühling sei schön wie immer, Gott behüte dich, herzliche Grüße aus der Liebigstraße. Fritz dreht das Schreiben hin und her. Zwischen den Zeilen klaffen große Abstände. Jetzt muss er sich ein lautes Lachen verkneifen. Das kann doch nicht sein? Leise tastet er nach seiner Meldetasche, in der er auch eine kleine Schachtel mit Streichhölzern aufbewahrt. Er entzündet eines der Hölzchen und hält es vorsichtig unter den Brief. Sofort erscheint, wie von Geisterhand, ein Schriftzug auf dem frei gelassenen Papier. In Fritz steigt Zärtlichkeit auf. Sein Papa hat ihm doch tatsächlich einige Zeilen mit Geheimtinte geschrieben, vermutlich hat er Zitronensaft verwendet, wie er es ihm gezeigt hat, als er ein Junge war.

...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2023
Reihe/Serie Gryszinski-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte 19. Jahrhundert • 1 Weltkrieg • Alex Beer • Bayern • Das wahre Motiv • Der falsche Preuße • Deutsche Autoren • Ermittler • Erster Weltkrieg • Fritz • Gryszinski • historischer krimi münchen • Historischer Kriminalroman • Jahrhundertwende • Krieg • Krimiserie • Meldegänger • München • Preuße • Sherlock Holmes • Spion • Spionage • Spitzel • Verdun • Volker Kutscher
ISBN-10 3-7499-0554-1 / 3749905541
ISBN-13 978-3-7499-0554-6 / 9783749905546
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