Rückkehr (eBook)

Roman
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2022 | 1. Auflage
368 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-26471-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rückkehr -  Anne B. Ragde
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Das fulminante Finale der erfolgreichen 'Lügenhaus'-Bestsellerserie
Am Meer, in der Nähe der Stadt Trondheim in Norwegen steht ein alter Bauernhof, der ein großes Geheimnis birgt. Die bewegende Geschichte dreier Generationen von Schweinezüchtern begann in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer Liebe, die nicht sein durfte und einer folgenreichen Lüge, die die Familie Neshov fast zugrunde richtete. Erst Torunn, der Enkelin, gelang es, die Familie zu versöhnen.

Jetzt, im letzten Teil der Bestseller-Serie, beginnt Torunn, den verfallenen Hof wieder wohnlich zu machen. Und sie findet ihre Berufung in dem Bestattungsunternehmen ihres Onkels Margido. Doch ganz ihr persönliches Glück hat auch sie noch nicht gefunden. Zu sehr, so scheint es, hängt auch sie noch an den Geistern der Vergangenheit. Das ändert sich, als ein vermeintlich Fremder auf dem Hof auftaucht.

Anne B. Ragde wurde 1957 im westnorwegischen Hardanger geboren. Sie ist eine der beliebtesten und erfolgreichsten Autorinnen Norwegens und wurde mehrfach ausgezeichnet. Mit ihren Romanen »Das Lügenhaus«, »Einsiedlerkrebse« und »Hitzewelle« gelang ihr einer der größten norwegischen Bucherfolge aller Zeiten. Nachdem Anne B. Ragde zunächst angekündigt hatte, die Lügenhaus-Serie nicht weiterzuschreiben, erscheint nach »Sonntags in Trondheim« und »Die Liebhaber« mit »Rückkehr« das große Finale der auch in Deutschland gefeierten Buchserie.

Ja, ich werde alles im Computer sehen«, sagte Olaug, arrangierte eilig ihre Hinterbacken auf dem Stuhl, schob die Kaffeetasse näher an ihren Teller und schnappte sich eine Scheibe Vollkornbrot.


»Deshalb kommt auch bald meine Enkelin«, fügte sie hinzu. »Nicht die, die das Kind bekommen hat, sondern ihre Schwester. Und sie bringt ihren Computer mit. Damit ich das Wunder sehe. Als Direktübertragung. Aus Australien. Meine Güte, jetzt bin ich also Urgroßmutter! Da muss ich wohl zugeben, dass meine Jugend endgültig zu Ende ist.«

Als Direktübertragung aus Australien … In Tormods Ohren klang das völlig albern.

Aber Olaug war absolut keine, die alles durcheinanderbrachte oder sich Dinge einbildete, wie einige der anderen, die kaum zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden konnten, sicher, weil sie den Tag verdösten; was Olaug sagte, hatte meistens Hand und Fuß, und das war vermutlich auch jetzt der Fall, wenn sie nicht innerhalb einer Sekunde dement geworden war. Aber das glaubte er kaum, obwohl sie wie üblich ziemlich erbärmlich aussah, mit der rosafarbenen, glänzenden Kopfhaut unter den wenigen verbliebenen Haarbüscheln, durch die sie noch den Kamm ziehen konnte, und mit den kleinen Silberkugeln, die wie Bleigewichte an den überforderten, runzligen Ohrläppchen hingen; die sahen aus, als könnten sie jeden Moment reißen.

Er hatte Olaug von seinem ersten Tag an hier gemocht, er hatte es noch nie mit einem Menschen wie ihr zu tun gehabt. Sie sprach mit lauter, schriller Stimme immer das aus, was alle dachten oder was alle möglichst nicht erwähnten, ob es nun um den Tod ging oder um Körpergerüche und -geräusche der anderen, sie verkündete das gleichsam, und die Köpfe drehten sich zu ihr hin, und die Augen wurden aufgerissen.

»Jetzt hör aber mal mit diesem verdammten Gefurze auf!«, sagte sie etwa beim Nachmittagskaffee plötzlich zu ihrem Nebenmann. »In dieser Luft müssen schließlich auch noch andere atmen!« – »Musst du wirklich das halbe Stück Kuchen auf deinem Schoß zerkrümeln? Du bist noch nicht tot, auch wenn du aussiehst wie ein Vogelbrett!« Auch so etwas sagte sie frei heraus, benannte ohne Umschweife, wie es war, da viele Hausbewohner sich den ganzen Tag in einem unkonzentrierten Halbschlaf befanden, weil sie nachts wach lagen.

Er selbst saß ganz still da und hinterließ kaum einen Krümel auf Hemd oder Oberschenkel, wenn er Kuchen aß. Und er konnte ein Gesicht machen, das gar nichts verriet. In dieser Hinsicht war Neshov eine gute Schule gewesen.

Es hatte mit seinem Blick nach unten zu tun, vermutete er. Er hatte schon oft darüber nachgedacht, wie er das machte, er glaubte, es gelang ihm, indem er die Augenlider ein wenig schlaff hängen ließ, nicht so oft blinzelte und Mundwinkel und Unterlippe lockerte und ein bisschen fallen ließ. Und zudem nur einsilbige Antworten gab. Dann wurde er erfreulich unsichtbar und uninteressant. Aber nach der Sache mit Margido hatten sie ihm doch etwas zugesetzt.

»Dass es ihn einfach so vor deinen Augen erwischt hat, du Armer!«, hatte Olaug gesagt, und mehrere am Tisch hatten zustimmend genickt.

»Es muss traurig für dich sein, dass dein Sohn von unsgegangen ist«, sagten andere, sie hatten es oft wiederholt, mehrere von ihnen, sie hatten Margido gut gekannt, seinen »Sohn«, der die Toten holte.

Er schaute dann immer nach unten, aber er hätte am liebsten geantwortet, dass Margido keinesfalls von ihnengegangen war, dass er nicht zum Nordpol gereist war, sondern dass er in Tormods Zimmer auf dem Fußboden gestorben war. Wenn die anderen Hausbewohner auf ihn einredeten, kamen Petra und Hannelore wie Engel herbeigeschwebt und erlösten ihn, lenkten mit Kaffee ab, und mit der Frage, ob jemand Milch in den Kaffee wolle und vielleicht ein Stück Kuchen, und er konnte endlich wieder atmen.

Doch das Schlimmste war jetzt vorbei. Der Reiz des Neuen war verflogen. Der Tod war ohnehin ein Thema, das bis zum Überdruss behandelt und diskutiert wurde, sie warteten ja auf den Tod, die ganze Bande, deshalb hatte das besondere Interesse an Margidos Tod damit zu tun, dass Margido ein Außenstehender gewesen war, der nicht im Heim wohnte. Und dass er viel zu jung zum Sterben gewesen war, er hatte sich sozusagen in der Schlange vorgedrängt.

Und dann kam wirklich Olaugs Enkelin, eine energische und patente Frau mit lebhaften dunklen Augen, unter dem Arm trug sie eine kleine Metallplatte, bei der es sich vermutlich um diesen Computer handelte. Sie hatte sich einen langen Schal mehrmals um den Hals gewickelt, der Stoff ähnelte dem, aus dem seinerzeit die Schlafzimmervorhänge auf Neshov genäht worden waren, blaue und grüne Fäden, unordentlich und verworren ineinander verwoben, er hatte diese Vorhänge oft angestarrt, bei allen möglichen Lichtverhältnissen, auch im Stockfinsteren. Torunn hatte sie sicher längst heruntergerissen und weggeworfen, und das war nur gut und richtig so. Sie hatte ihm erzählt, dass sie riesige Müllcontainer bestellt hatte, die auf dem Hofplatz standen, und sie hatte sie bis zum Rand gefüllt, einen nach dem anderen. Sie hatte ihn angelächelt, als sie das erzählte, denn ihr war klar, wie glücklich er bei dem Gedanken an all das Alte wäre, das weggeworfen, zerstört und zertreten wurde, sie wusste, wie sein Dasein dort auf dem Hof gewesen war, sein Leben.

Vielleicht war er für sie eine besondere Stütze, da sie seinen Segen hatte, wirklich alles zu verändern. Alles. Und so eine Zukunft zu gestalten, ihr eigenes Leben zu formen. Er wollte gern glauben, dass sie so empfand, aber er wusste nicht recht, wie er sie fragen, wie er sich ausdrücken sollte. Deshalb war er froh, dass er auf die Idee mit der nagelneuen Fahnenstange samt Flagge und Wimpel gekommen war, als Ersatz für die alte Fahnenstange, die mehrere Generationen lang über dem Hof aufgeragt hatte.

Dadurch begriff sie es vielleicht ganz von selbst.

Er hob die halben Eier auf die Brotscheibe und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sich die Kaviartube in Reichweite befand, sicher hatte Lillian Albertsen sie benutzt, denn jetzt lag die Tube hier, zwar in der Mitte platt gedrückt, aber es war trotzdem großartig, er brauchte niemanden darum zu bitten. Die Butter hatte er schon vor geraumer Zeit aufgegeben.

Mühsam rollte er die Kaviartube von unten her auf und versah das Ei mit kleinen Kaviarspritzern, ehe er den weißen Plastikverschluss wieder festdrehte. Nun lag die Tube halb voll und dickbäuchig da, man konnte sich ganz einfach bedienen, dachte er, obwohl es sicher nicht lange dauern würde, bis sie abermals platt gedrückt wäre.

»Jetzt musst du aufpassen, Tormod!«

Das war wieder Petra.

»Was?«

»Olaug!«

Aller Augen waren auf die Enkelin gerichtet. Olaug lachte jugendlich und lärmend und zog sie zu sich herunter, um sie zu umarmen, sie stand nicht auf, warum um alles in der Welt hätte sie auch aufstehen sollen. Hier kam eine junge Enkelin mit Neuigkeiten zu einem alten Wrack, und der Stuhlsitz war warm und behaglich unter Olaugs Hintern.

Olaug rief Petra zu, ob die nicht noch einen Stuhl bringen könnte, da niemand Anstalten machte, ein Stück zur Seite zu rutschen.

»Da kümmert sich Hannelore drum!«, sagte Petra.

»Klar!«, sagte Hannelore und marschierte zu den gestapelten Stühlen an der Wand, die immer aufgestellt wurden, wenn sich ein munterer Singkreis im Speisesaal traf. So stand es dann jeweils auf dem Zettel an der Pinnwand in der Rezeption. Munterer Singkreis im Speisesaal. Hannelore musste sich einen Weg durch eine Armada aus Rollatoren bahnen, um zum Stuhlstapel zu kommen, aber daran war sie gewöhnt.

Sicher verstand nur Tormod selbst, dass sie »selbstverständlich« meinte, wenn Hannelore »klar« sagte. Sie war doch Deutsche. Die anderen glaubten sicher, dass Hannelore jederzeit parat und einsatzbereit war, wenn es einen Stuhl zu holen galt.

»Und jetzt wird geskypt. Jetzt bist du online, Olaug«, sagte die Enkelin und starrte die kleine Metallplatte an, die sie auf dem Frühstückstisch neben Olaug aufgeklappt hatte wie ein blankes, hartes Buch. Ihre Kaffeetasse kippte über den Teller, aber niemand schien weiter darauf zu achten.

Er hörte weg und schob das mit Kaviar garnierte Eibrot in den Mund, er liebte Kaviar, liebte das Gefühl, wie sich der Geschmack salzig und spitz in der Mundhöhle verteilte, ehe er mithilfe eines ordentlichen Schlucks Kaffee zäh und fett in die Speiseröhre glitt.

»Ist alles in Ordnung, Tormod?«

Das war Hannelore. Sie sprach leise mit ihm, die anderen konnten es nicht hören.

»Ja«, sagte er. »Aber es ist traurig, dass …«

»Was denn?«, fragte sie und beugte sich tiefer zu ihm herunter.

»Die arme Olaug«, sagte er so leise er konnte. »Die ihr Urenkelkind in so einem Computer ansehen muss …«

»Jetzt machst du aber Witze, Tormod, das ist tausendmal besser als gar nicht, schau, wo sie so weit weg leben. Es ist wie telefonieren, nur können sie sich gleichzeitig auf dem Bildschirm sehen. Das ist doch wunderbar, und sie ist überhaupt nicht arm.«

»Ihre Kaffeetasse ist umgekippt.«

»Jetzt geht alles so schnell, weißt du, Tormod.«

»Das mit dem Kaffee?«

»Nein, die Entwicklung. Im Internet ist alles möglich. Aber du bist da nicht ganz auf dem Laufenden, weißt du, du hast ja nicht mal ein...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2022
Reihe/Serie Die Lügenhaus-Serie
Übersetzer Gabriele Haefs
Sprache deutsch
Original-Titel Datteren
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Bauernhof • Bestattungsunternehmen • Das Lügenhaus • eBooks • Familiengeschichte • Familiensaga • Frauenromane • Liebesromane • Neuerscheinung • Norwegen • Romane für Frauen • Schweinezüchter
ISBN-10 3-641-26471-5 / 3641264715
ISBN-13 978-3-641-26471-0 / 9783641264710
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