Isolde. Richard Wagners Tochter (eBook)

Eine unversöhnliche Familiengeschichte | Biografie mit neuen Erkenntnissen über Richard Wagner

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1., Originalausgabe
344 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77329-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Isolde. Richard Wagners Tochter - Eva Rieger
Systemvoraussetzungen
21,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Eigentlich war Isolde von Bülow, geboren am 10. April 1865, die Lieblingstochter ihrer Mutter Cosima. Für ihren leiblichen Vater Richard Wagner war sie sein »wunderliches Wunderkind«. Sie dichtete und komponierte schon als Dreizehnjährige, gestaltete Theaterkostüme, und die Feministin Malwida von Meysenbug, eine Freundin der Familie, empfahl die Ausbildung ihres »starken hellen Soprans«. Auch Cosima wollte für ihre Tochter nur das Beste - nämlich eine gute Partie. Die war der Musiker und Dirigent Franz Beidler, den Isolde im Dezember 1900 heiratete, nicht. Ihm fehle die »vornehme Gesinnung« - so Cosima, die ihn nach guter Zusammenarbeit vom Bayreuther Hügel verbannte, als er sich weigerte, einen Dirigiertermin zu übernehmen. Isolde rächte sich, als sie der Mutter zukommen ließ, ihr geliebter Sohn Siegfried sei homosexuell - damals ein schweres Vergehen. Die Folge: Isolde wurde die Herkunft als Tochter Richard Wagners aberkannt und ihr Sohn damit enterbt. Eine beispiellose Schlammschlacht begann.



Eva Rieger, Musikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Genderforschung, Filmmusik und Musikpädagogik, lebt in Liechtenstein.

2.Isoldes Kindheit 1868-1871


Richard war der glücklichste Vater. Er hatte in seiner Ehe mit Minna Kinder entbehrt, nun aber war ihm mit 52 Jahren das erste Kind geschenkt worden, dem zwei weitere folgen sollten. Nach der anstrengenden Arbeit am Schreibtisch überkam ihn oft die Lust, über die banalsten Dinge zu lachen, ob Wortspiele oder Kalauer. Seine Freude an solchen Spielereien war für die Kinder herrlich. »Wie die drei Kleinen gestern um uns (wie immer abends!) tobten, sangen, schrien, sagte R.: ›Wir wissen gar nicht, wie glücklich wir sind!‹« Zugleich wurde ihm bewusst, wie ihm die Zeit davonlief: »Ich freue mich der Kinderchen um unser Haus, des vielen Lebens, das um mir ist, nur möchte ich 15 Jahre jünger sein«, verriet er Cosima, die er zuweilen »die gute Glucke« nannte.

Geburtstage wurden im Hause Wagner von nun an opulent gefeiert. An Richards 56. im Mai 1869 standen alle vier Kinder − in Anlehnung an Rienzi − als Friedensboten vor seiner Büste, »genau nach der edelsten Vorschrift costümirt«, frische Palmen in der Hand, und sie empfingen das Geburtstagskind mit der Musik aus dieser frühen Oper, die Hans Richter im Nebenzimmer auf dem Klavier spielte.[37] 

So glücklich er und Cosima über die Kinder waren, Cosima sah es als ihre wichtigste Aufgabe an, Richard zur Vollendung des Rings des Nibelungen zu verhelfen, und sie war begeistert, als er ihr im Januar 1869 ankündigte, unbedingt Siegfried beenden zu wollen. Sie positionierte sich bewusst als Dienerin, denn er wurde oft heftig, wenn sie widersprach, und ließ sie in Konfusion und Verwunderung zurück, weil sie ihn nicht verstand. Freilich mochte er keine andauernden Streitereien und versöhnte sich bald wieder, doch sie lernte rasch, Meinungsverschiedenheiten möglichst zu vermeiden und seine gelegentlichen Ausbrüche als Zeichen einer übermäßigen Empfindlichkeit einzuordnen.

Das Zusammensein hatte für beide unschätzbare Vorteile. Sie gab ihm vor allem Stetigkeit und sorgte dafür, dass er nun ohne Unterbrechungen in Ruhe arbeiten konnte. Während er ihr die Fertigstellung seiner letzten Werke zu verdanken hatte, wurde sie durch ihn an anspruchsvolle Schriften herangeführt, und durch das abendliche Vorlesen erweiterte sie ihren Bildungshorizont. Gemeinsam lasen sie Calderón, Shakespeare, Schiller und Goethe (Faust 2. Teil »mit Entzücken«), Thomas Huxleys Rede über die Erziehung (»vortrefflich«), aber auch Belletristik von Walter Scott und viel Tagesliteratur, die bei Missfallen oft beiseitegelegt wurde. Nur selten erwies Cosima sich als prüde, als sie beispielsweise Wilhelm Heinses mit erotischen Schilderungen gespickten Roman Ardinghello als »nicht griechisch, sondern französisch« abtat.[38]  Eine solche Erotik galt als vulgär, und die Lektüre wurde abgebrochen. Man unterhielt sich über zahllose Themen, und es wurde viel musiziert – Cosima konnte als Pianistin Richards Werke in ihrer Komplexität genauer einschätzen, als seine erste Ehefrau Minna es getan hatte, die als Schauspielerin eher auf bühnentechnische Fragen eingehen konnte.

Bülow schickte im Laufe des Jahres 1869 seine beiden Töchter Daniela und Blandine zu Cosima, da er nach Florenz ziehen wollte. Die Freude war groß, als sie dauerhaft einzogen. Das Paar bemühte sich sehr darum, den Mädchen eine gute Kindheit zu bieten. Ausflüge gehörten zu den Höhepunkten. Um den traditionellen »Fritschi«, den Fastnachtsumzug der Luzerner, zu sehen, speiste man im Luzerner Hotel du Lac und schaute dem bunten Zug zu. Sie besuchten den Zirkus, Knie’s Arena genannt, und sahen aufgeregt zu. Einen Tag später gingen sie zum Jahrmarkt: Kasperltheater, Wachskabinett, Karussell. Es war kein Wunder, dass sich Isolde später gerne an die selige Kinderzeit erinnerte.

Die Kinder wünschten sich ein Pferd, und als Grane eintraf, sprangen sie jubelnd auf den Karren und tanzten. Hans Richter war den Kindern ein Spielkamerad und versetzte mit seiner Waghalsigkeit die Mutter zuweilen in Ängste. Als er die Kinder einmal im Kahn mitnahm, steuerte er die Küste entlang, und Cosima lief am Tribschner Ufer in »der törichsten und unsäglichsten Angst« mit.[39]  Beim Schlittenfahren begoss er zum allgemeinen Entsetzen der Erwachsenen und zur Freude der Kinder die Pfade mit Wasser, um eine Eisbahn herzustellen.

Cosima verbrachte zuweilen ganze Tage mit den Kindern im Garten, oder sie spielten dort allein. Es gab Spring- und Reifenspiele, man pflückte Beeren, nahm Turn- und Tanzstunden. Die Kinder schaukelten nach Herzenslust und erlernten das Schwimmen, was damals für Mädchen ungewöhnlich war. Vielleicht ließ Cosima es zu, weil die Villa so nah am See lag. Sie liefen auch Schlittschuh, und Cosima schreibt, sie seien recht geübte Schlittschuhläuferinnen geworden, »Loldi fanatisch, ungraziös, sah aus wie ein Hussite nach Richard’s Ausdruck, Boni gelassen vornehm, eroberte sich einen Cavalier, ein kleiner sehr wohl angezogener Junge aus guter Familie. Lulu mit Virtuosität nachdem die Angst überwunden war; Fidi kehrte die Bahn, und Eva ließ sich bewundern.«[40]  Cosimas Beschreibung zeigt, wie verbissen sich Isolde auf das Ziel konzentrierte.

Neben dem Spiel und dem Sport kamen auch Klavierstunden nicht zu kurz. Gerne spielte die Mutter mit den Kindern Komödie, und Isolde blühte dabei auf: »Loldi sehr schön, wie aus einer andren Welt, sagt R.«[41]  Man erfand Charaden, Cosima brachte ihnen Lotto und Domino bei und zeigte ihnen die Laterna magica – ein damals populäres Gerät, mit dem sich Bilder herstellen ließen, die real wirkten. Mit Nietzsches Hilfe, ein häufiger Gast im Hause Wagner, war ein Puppentheater aufgebaut worden. Ein Höhepunkt war jedes Mal das Eintreffen des Journals La Poupée Modèle – ein Blatt für junge Mädchen, das Schnittmuster enthielt, mit denen man Figuren bekleiden konnte. Die Mädchen schnitten und klebten begeistert.

Cosima wiederum war ein Kind des Ancien Régime, denn sie selbst wurde in jungen Jahren durch Strafen geprägt. Wenn ihre Kinder logen, kannte sie kein Pardon. »Die Kinder werden sehr ernstlich vorgenommen, mit ihnen geweint, gebetet, sie so weit gebracht, daß sie mich um Strafe bitten.«[42]  Als Isolde einmal »unartig zu heulen« begann, züchtigte sie Cosima mit der Rute, was sie bereute, weil sie das nach eigenem Bekunden sonst nie im Zorn tat. Besonders unerbittlich ging sie mit Daniela um, die sich selbständiger zeigte, als Cosima lieb war. Sie und ihre Schwester Blandine beklagten sich bei ihr über die strenge Behandlung. Richard lehnte körperliche Züchtigung ab – die strengeren erzieherischen Maßnahmen überließ er seiner Frau. Er ließ den Kindern einiges durchgehen: »Abends arbeiten die vier Mädel an R.’s Kopf und machen ihm Locken-Papilot[t]en!«[43]  Sie durften also seine Frisur mit Lockenwicklern traktieren. Und Kindergeschrei inspirierte ihn sogar zu Kompositionen: »R. tollt viel mit den Kindern herum, die gar lieblich sind […] beim Dadadada des Fidi [Siegfried] entwirft R. einiges an der Erzählung Waltrautes (er ›entsendet die Raben‹).«[44] 

Die Jahre in Tribschen wurden von den Geschwistern später als eine glückliche Zeit erinnert, obwohl Isolde die Strenge ihrer Mutter nie vergaß. Richard hatte nun die Muße und Konzentration zum Komponieren und genoss es, eine Familie um sich zu haben. Cosima fand nach der Zerrissenheit der Jahre zuvor ihren Frieden, und die Kinder, die sich austoben durften, erhielten dennoch eine geistig anspruchsvolle und vielseitige Ausbildung.

Gewöhnlich speisten die Kinder von den Eltern getrennt, aber hin und wieder durften sie die Mahlzeiten mit den Erwachsenen einnehmen. Cosima achtete sehr auf die Bildung der Kinder und unterrichtete sie früh in Sprachen, Geographie, Arithmetik und in weiteren Fächern. Sie spielte, las und sang auch mit ihnen, und war »verstimmt über einen Tag, der ohne Kinderstudium vorübergegangen ist«. Als sie herausfand, dass Daniela ein musikalisches Kindermärchen von Elise Polko las, unterband sie dies. Stattdessen griff sie zu Shakespeare und las den Sturm vor: »Große, erhaben sittliche Wirkung davon«[45]  (Daniela, die Älteste, war damals gerade 9 Jahre alt).

...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Bayreuth • Cosima Wagner • Deutschland • Familienfehde • Frauenbiografie • Frauenleben im Kaiserreich • Frauenschicksal • Isolde von Bülow • Künsterlin • neues Buch • Richard Wagner • Töchter berühmter Väter • Tochter von Richard Wagner • Villa Wahnfried • Wagner
ISBN-10 3-458-77329-0 / 3458773290
ISBN-13 978-3-458-77329-0 / 9783458773290
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 4,9 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mein Leben in der Politik

von Wolfgang Schäuble

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
29,99
Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise

von J. D. Vance

eBook Download (2024)
Yes-Verlag
13,99
Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise

von J. D. Vance

eBook Download (2024)
Yes-Verlag
13,99