Das Sanatorium (eBook)
512 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-28740-5 (ISBN)
Mit farbigem Buchschnitt in limitierter Auflage.
Halb versteckt im Wald und überragt von dunkel drohenden Gipfeln war Le Sommet schon immer ein unheimlicher Ort. Einst diente es als Sanatorium für Tuberkulosepatienten, dann verfiel es mit den Jahren und wurde schließlich aufgegeben. Nun hat man es zu einem Luxushotel umgebaut, doch seine düstere Vergangenheit ist noch immer spürbar. Als Detective Inspector Elin Warner zur Verlobungsfeier ihres Bruders anreist, beginnt der Albtraum: Erst verschwindet Isaacs Verlobte, dann geschieht ein Mord. Schließlich schneidet auch noch ein Schneesturm das Hotel von der Außenwelt ab, und die Gäste sind mit einem Killer gefangen ...
Sarah Pearse wuchs im englischen Devon auf und studierte englische Literatur und Creative Writing an der University of Warwick, bevor sie einen Diplomstudiengang in Rundfunkjournalismus absolvierte. Sie lebte mehrere Jahre in der Schweiz, bevor sie nach Großbritannien zurückkehrte. Ihr Debüt, »Das Sanatorium«, eroberte die internationalen Bestsellerlisten. Mit »Das Retreat« setzt Sarah Pearse diesen spektakulären Erfolg fort.
- Spiegel Jahres-Bestseller: Belletristik / Paperback 2023 — Platz 12
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Paperback (Nr. 25/2023) — Platz 18
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PROLOG
Januar 2015
Ausgediente medizinische Gerätschaften liegen auf dem Boden zerstreut: mit Rost übersätes Operationsbesteck, zerbrochene Glasflaschen, der zerschrammte Rahmen eines uralten Rollstuhls. Eine zerschlissene Matratze lehnt zusammengesackt an der Wand, gallegelbe Flecken bedecken pockenartig den Bezug.
Die Hand fest um den Griff seines Aktenkoffers geschlossen, verspürt Daniel Lemaitre einen heftigen Schwall von Abscheu: Es ist, als hätte die Zeit selbst die Seele des Gebäudes an sich gerissen und etwas Verrottetes, etwas Krankendes an ihrer Stelle zurückgelassen.
Er eilt den Korridor entlang, seine Schritte hallen auf dem Fliesenboden wider.
Halt die Augen auf die Tür gerichtet. Schau nicht zurück.
Doch die tristen Relikte zerren an seinem Blick; jedes von ihnen erzählt eine Geschichte. Es braucht nicht viel, um sich die Menschen vorzustellen, die einst hier untergebracht waren und sich die Lungen aus dem Leib husteten.
Manchmal glaubt er, er könne es sogar riechen, was dieser Ort einst war, diesen beißend scharfen Geruch von Chemikalien aus den OP-Sälen – noch immer hängt er in der Luft.
Daniel hat die Hälfte des Korridors hinter sich gebracht, als er stehen bleibt.
Eine Bewegung im Raum gegenüber – dunkel, verschwommen. Sein Magen zieht sich zusammen. Ohne sich zu rühren, späht er hinein, lässt seinen Blick über seine schemenhaften Umrisse wandern: ein Schwung auf dem Boden verstreuter Akten, die verdrehten Schläuche eines Beatmungsgeräts, ein zerbrochenes Bettgestell, schlaff herabhängende, ausgefranste Fixiergurte.
Seine Haut kribbelt vor Anspannung, doch er kann nichts Auffälliges erkennen. Im Gebäude ist es still, nichts regt sich.
Er atmet schwer aus, geht wieder weiter.
Sei nicht albern, ermahnt er sich. Du bist müde. Zu viele Überstunden, die kurzen Nächte.
Daniel öffnet die Eingangstür. Der Wind heult wütend auf und versucht, sie wieder zurückzudrücken. Als er hinaustritt, wird er von einer eisigen Schneeböe geblendet, dennoch ist es eine Erleichterung, draußen zu sein.
Das Sanatorium zerrt an seinen Nerven. Obwohl er weiß, was aus ihm werden wird – jede Tür, jedes Fenster, jeden Lichtschalter des neuen Hotels hat er selbst in die Pläne eingezeichnet –, kann er in diesem Moment nicht anders als die Vergangenheit sehen, das, was dieser Ort einst war.
Was das Äußere betrifft, denkt er, als er sich noch einmal umdreht und an dem Gebäude emporblickt, so ist es um dieses auch nicht viel besser bestellt. Der strenge, rechtwinklige Bau ist fleckig vom feuchten Schnee. Er wurde dem Verfall anheimgegeben, vernachlässigt – die Balkons und Balustraden, auch die lang gezogene Veranda, bröckelnd und marode. Einige der Fenster sind zwar noch intakt, doch der Großteil ist mit Brettern zugenagelt, die Fassade mit hässlichen Vierecken aus Spanplatten gespickt.
Was für ein Kontrast es doch ist, überlegt Daniel, zu seinem Zuhause in Vevey, das direkt am See liegt. Der kubische Entwurf besteht größtenteils aus Glas, um das Panorama einzubinden. Das moderne Haus verfügt zudem über eine Dachterrasse sowie einen kleinen Bootsliegeplatz.
Er selbst hat all das geschaffen.
Mit den Bildern taucht auch Jo auf, seine Frau. Sie wird wohl gerade von der Arbeit heimgekommen sein, im Kopf noch Werbebudgets und Briefings, während sie die Kinder bereits antreibt, ihre Hausaufgaben zu erledigen.
Er stellt sie sich in der Küche vor, wie sie das Abendessen zubereitet. Wie ihr kastanienbraunes Haar ihr beim Hantieren mit den Messern vors Gesicht fällt. Es wird etwas Einfaches werden – Pasta, Fisch oder eine Gemüsepfanne –, sie haben es beide nicht so mit den häuslichen Pflichten.
Der Gedanke heitert ihn auf, wenn auch nur kurz. Als er den Parkplatz überquert, verspürt Daniel bei der Aussicht auf die Heimfahrt Beklommenheit.
Zum Sanatorium, hoch zwischen den Berggipfeln, zu gelangen, ist schon bei optimalen Wetterverhältnissen nicht einfach. Als es erbaut wurde, war die isolierte Lage eine bewusste Entscheidung gewesen, um die Tuberkulosepatienten von der Luftverschmutzung der großen Städte wegzubringen, aber auch, um sie von der übrigen Bevölkerung fernzuhalten.
Der abgeschiedene Standort bedeutet aber auch, dass die Straße dorthin ein einziger Albtraum ist, eine Abfolge schwindelerregender Haarnadelkurven, die sich durch einen dichten Tannenwald fräsen. Auf der Hinfahrt am Morgen war die Straße kaum auszumachen gewesen; die Schneeflocken peitschten gegen die Windschutzscheibe wie weiße Eispfeile und machten es unmöglich, mehr als ein paar Meter weit zu sehen.
Daniel ist fast am Wagen angelangt, als sein Schuh gegen etwas stößt – zerfledderte Überreste eines Plakats, halb unter dem Schnee verborgen. Die Buchstaben mit roter Farbe grob hingeschmiert.
NON AUX TRAVAUX! NEIN ZU DEN BAUARBEITEN!
Wütend zertritt er sie. Die Demonstranten waren erst letzte Woche hier oben aufgetaucht. Mehr als fünfzig von ihnen, wüst beschimpften sie ihn und wedelten mit ihren abgeschmackten Plakaten vor seiner Nase herum. Natürlich wurde das Ganze gefilmt und in den sozialen Medien geteilt.
Es war nur einer der endlosen Kämpfe gewesen, die sie hatten ausfechten müssen, um dieses Projekt zu verwirklichen. Die Leute, denkt Daniel, behaupten, dass sie den Fortschritt wollen – und natürlich das Geld der Touristen, das damit einhergeht. Aber wenn es darum geht, tatsächlich etwas aufzubauen, stellen sie sich quer.
Daniel weiß auch warum. Die Leute mögen keine Gewinner.
Sein Vater hatte es ihm einmal gesagt, und es stimmt. Die Bewohner unten im Ort waren anfangs stolz gewesen, hatten seine kleinen Triumphe gebilligt und sogar gutgeheißen – das Einkaufszentrum in Sitten, den Wohnkomplex in Siders mit Blick auf die Rhône –, aber dann wurde es ihnen zu viel. Zu viel an Erfolg, zu viel an Persönlichkeit seinerseits.
Er hatte damals den Eindruck gewonnen, dass er in ihren Augen genug vom Kuchen abbekommen hatte, dass er gierig geworden war, indem er sich mehr und mehr nahm. Dabei war er gerade erst dreiunddreißig und hatte ein florierendes Architekturbüro – mit Dependancen in Sitten, Lausanne, Genf. Eines in Planung für Zürich.
Das Gleiche galt für Lucas, Immobilienentwickler und einer seiner ältesten Freunde. Er war Mitte dreißig und besaß schon drei namhafte Hotels.
Die Leute verübelten ihnen ihren Erfolg.
Und dieses Projekt wurde zum letzten Sargnagel. Sie bekamen die volle Ladung ab: Trolle im Netz, E-Mails, Beschwerdebriefe, Widersprüche gegen Baugenehmigungen.
Ihn knöpften sie sich zuerst vor. In den regionalen Blogs und Social-Media-Kanälen kursierten plötzlich Gerüchte, dass sein Geschäft den Bach runterginge. Danach stürzten sie sich auf Lucas. Ähnliche Geschichten … Geschichten, die er, Daniel, problemlos zurückweisen konnte, doch eine hielt sich hartnäckig.
Sie nagte mehr an ihm, als er sich eingestehen wollte.
Gerede über Bestechungsgelder. Korruption.
Er hatte natürlich versucht, mit Lucas darüber zu reden, doch sein Freund hatte jegliches Gespräch abgeblockt. All das macht ihm weiterhin zu schaffen, ein beständiger Wermutstropfen, wie so vieles andere bei diesem Projekt. Doch er zwingt sich, ihn zu verdrängen. Er muss das ausblenden. Sich auf das Endergebnis fokussieren. Dieses Hotel wird seinen Ruf rehabilitieren und vollends zementieren. Lucas’ Ehrgeiz und Detailversessenheit haben ihn zu einem außergewöhnlich ambitionierten Design beflügelt, zu einem Resultat, das er so selbst nicht für möglich gehalten hatte.
Daniel erreicht seinen Wagen. Die Windschutzscheibe liegt unter einen dicken Schicht Pulverschnee; zu viel für die Scheibenwischer. Er wird ihn wegschaben müssen.
Doch als er nach dem Schlüssel in seiner Tasche greift, fällt ihm etwas ins Auge.
Ein Metallring, neben dem Vorderreifen im Schnee.
Er bückt sich und hebt ihn auf. Es ist ein Armreif, dünn, aus Kupfer. Daniel wendet ihn zwischen seinen Fingern. Auf der Innenseite kann er eine Reihe eingravierter Ziffern ausmachen … ein Datum?
Er runzelt die Stirn. Das Ding muss jemandem gehören, der es erst vor Kurzem verloren hat. Ansonsten wäre es längst vom Schnee bedeckt.
Aber was hatte sein Besitzer so nah am Auto zu suchen?
Bilder von den Demonstranten flackern erneut vor ihm auf, ihre wütenden, höhnischen Gesichter.
Könnte der Reif einem von ihnen gehören?
Daniel zwingt sich zu einem langen, tiefen Atemzug. Als er das Fundstück dann in seine Tasche schiebt, erhascht er aus dem Augenwinkel noch etwas anderes: eine Bewegung hinter der Schneewehe, die sich vor der Mauer des Parkplatzes aufgetürmt hat.
Ein schemenhaftes Profil.
Seine Hand, die sich fester um den Wagenschlüssel schließt, fängt an zu schwitzen. Energisch drückt er den Knopf, um den Kofferraum zu entriegeln, und erstarrt, als er aufschaut.
Vor ihm, direkt zwischen ihm und seinem Auto, hat sich eine Gestalt aufgebaut.
Für einen kurzen Moment schaut Daniel sie wie paralysiert an, während sein Gehirn hektisch versucht zu begreifen, was er da sieht – wie kann jemand sich derart schnell auf ihn zubewegt haben, ohne dass er es mitbekommen hat?
Die Gestalt ist schwarz gekleidet. Etwas bedeckt ihr Gesicht.
Etwas, das...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Elin Warner |
Ein Fall für Elin Warner | Sarah Pearse, Ein Fall für Elin Warner |
Übersetzer | Ivana Marinovi? |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Sanatorium |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • bedruckter Schnitt • Bestseller • Bestsellerliste • Deutsch • eBooks • Eingeschlossene Gesellschaft • Elin Warner • Heimatkrimi • Killer • Krimi • Krimiautoren • Kriminalromane • Krimis • mit Farbschnitt • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Psychothriller • Schweiz • Spannede Bücher • spannende Bücher • spannende Bücher für Erwachsene • spiegel bestseller • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-28740-5 / 3641287405 |
ISBN-13 | 978-3-641-28740-5 / 9783641287405 |
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