Der Künstler und die Assassinin (eBook)
284 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-347-64657-5 (ISBN)
Patrick Wunsch wurde am 21. Februar 1988 in Bielefeld geboren, wo er bis heute lebt. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Bielefeld Germanistik und Anglistik im Bachelor, gefolgt von einem Masterstudium der Interdisziplinären Medienwissenschaft. 2016, mit dem Einstieg ins Berufsleben, begann die Arbeit am Debütroman, die etwa ein Jahr später weitestgehend abgeschlossen war. Im März 2018 ging es weiter mit dem Nachfolger. Als Autor möchte Patrick Wunsch künstlerisch und philosophisch interessierten Lesern anspruchsvolle Werke bieten, die mit Poesie und Provokation den Zeitgeist abbilden, unbequeme Wahrheiten auf den Punkt bringen und nicht um jeden Preis konventionellen Formeln folgen. Er möchte Figuren schaffen, die fragwürdige Entscheidungen treffen, aber in ihrem Zwiespalt zwischen Idealismus und Zynismus sympathisch bleiben. Neben der Literatur betätigt sich Patrick Wunsch als Game Designer (Great Potion Games) und Musiker (träumen von aurora, Beyond Martian Skies).
Patrick Wunsch wurde am 21. Februar 1988 in Bielefeld geboren, wo er bis heute lebt. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Bielefeld Germanistik und Anglistik im Bachelor, gefolgt von einem Masterstudium der Interdisziplinären Medienwissenschaft. 2016, mit dem Einstieg ins Berufsleben, begann die Arbeit am Debütroman, die etwa ein Jahr später weitestgehend abgeschlossen war. Im März 2018 ging es weiter mit dem Nachfolger. Als Autor möchte Patrick Wunsch künstlerisch und philosophisch interessierten Lesern anspruchsvolle Werke bieten, die mit Poesie und Provokation den Zeitgeist abbilden, unbequeme Wahrheiten auf den Punkt bringen und nicht um jeden Preis konventionellen Formeln folgen. Er möchte Figuren schaffen, die fragwürdige Entscheidungen treffen, aber in ihrem Zwiespalt zwischen Idealismus und Zynismus sympathisch bleiben. Neben der Literatur betätigt sich Patrick Wunsch als Game Designer (Great Potion Games) und Musiker (träumen von aurora, Beyond Martian Skies).
1
Es war der zwölfte Juni des Jahres, in dem der Erfolg des Künstlers Leon Witt seinen Höhepunkt erreicht hatte. Gegen achtzehn Uhr lag eine Ahnung von Abend in der Luft. Es kühlte ab. Die Sonne ließ sich träge sinken, wohlverdient am Ende eines Tages, an dem sie sich verausgabt hatte.
In drei Stunden würde ein anderer Stern am Himmel stehen.
»Bitte nicht rasen«, sagte Valerie. »Sterben werden wir alle, aber heute Abend würde es uns besonders schlecht passen.«
Vielleicht hätte der Chauffeur eine verdrießliche Miene gezogen, wäre es nicht Valerie May gewesen, die den Tadel an seinem Fahrstil aussprach. Er warf ein flüchtiges Lächeln in den Rückspiegel. »Sehr wohl, Mademoiselle.«
Mademoiselle, das gefiel Valerie. Zufrieden sank sie ins weiche Polster zurück.
Neben ihr sah Leon auf die Uhr. Leon Witt, der emsige Künstler, sah unablässig auf die Uhr. »Das Leben ist zu kurz für all die Dinge, die wir tun wollen«, sagte er, »wie könnte man da nicht in Eile sein? Man sollte es genießen, wenn man schon einmal gezwungen ist, sich Zeit zu lassen. Zeit ist der größte Luxus.«
Der Chauffeur lächelte erneut.
Valerie war klar, dass Leon das sagte, weil er vor einem öffentlichen Auftritt ohnehin nicht konzentriert arbeiten konnte. Der Abend war für ihn verloren, was das betraf. Nicht ein einziges Mal hatte er sein Notizbuch gezückt, seit sie losgefahren waren.
In der Stadt wurde der Verkehr dichter; der Fahrer bremste ab. Überall Licht und Lichter, Schilder und Warnsignale, kreuz und quer fuhren die Autos – da! Ein Radfahrer, der an Leons Fenster vorbeischoss und knapp den Seitenspiegel verfehlte! Ein Passant mit Einkaufstüten hastete über die Straße, ohne sich umzublicken, ein naives Gottvertrauen an den Tag legend, für das hier und heute keine Rechtfertigung mehr bestehen konnte.
Im Wagen nahm man die Geräusche kaum wahr, man sah das Chaos nur und hatte das Dröhnen und Sausen im Kopf. Alles da draußen wirkte so rau und holprig, die Limousine aber schwebte über den Asphalt.
Die gewaltigen Bildschirme an den Fassaden zeigten Dreisekünder. Models im Bikini grinsten in die Kamera, Männer im Anzug ließen den Blick in die Ferne schweifen. Dann das Produkt: ein Roman, ein Musikalbum, ein Computerspiel, ein Gemälde – das ließ sich so verkaufen –, ein Film. Kommerziell erfolgreiche Kunst bedeutete alles, in dieser Stadt besonders. Als die künstliche Intelligenz die ersten Bestseller schrieb und die Spitze der Charts eroberte, hatten nur Verrückte geglaubt, dass es sich noch zum Guten wenden würde. Doch das hatte es.
Valerie sah die Clips gern. Weil sie so kurz waren, musste jedes Bild, jede Bewegung beeindrucken. Sobald aber Leon erschien, wandte Valerie den Blick ab. Auch wenn er auf den bearbeiteten, dramatisch in Szene gesetzten Fotos und Sequenzen noch besser aussah, sollte sich ihr nicht die Seite ihres Freundes einbrennen, die jeder kannte.
Leon war ein Superstar, der König der Künstler. Schreiben, komponieren, gamedesignen, malen, filmen: Leon beherrschte all das besser als die meisten, die sich auf eine einzige Disziplin fokussierten. Ein renommiertes Magazin hatte ihn den Gott der Kreativität genannt. »Worte wie Blitze«, hatte eine große Zeitung geschrieben, eine andere »die zehn Gebote des Leon Witt« kundgetan.
Von den Metropolen Amerikas bis zu den entlegensten skandinavischen Siedlungen lasen die Menschen seine Geschichten und Gedichte, hörten seine Songs und Kompositionen, spielten seine Spiele, betrachteten seine Gemälde und Zeichnungen und sahen seine Filme und Videos. Sie schwärmten von provokanten Thesen und ewigen Wahrheiten. Sie »verschlangen an einem Stück«, »ließen in Dauerschleife laufen«, »suchteten die ganze Nacht«, »bewunderten ehrfürchtig«, »versanken in Melancholie«. Sie waren »ergriffen«, »inspiriert«.
Es gab Menschen, die sich dafür aussprachen, Leon Witt zum Kanzler oder zum Präsidenten zu wählen, zum Minister wenigstens – für Kunst, scherzten manche, und andere fanden Gefallen an der Idee. Valerie lachte darüber. Jemanden zum wichtigsten Vertreter des Volkes machen, der nichts mehr als seine Ruhe wollte! Solche Stimmen erhoben sich immer, wenn jemand in den Medien ein paarmal etwas Vernünftiges von sich gegeben hatte. Selten aber waren es so viele, und selten war man sich so einig: Das Beste, was dem Land passieren könne, sei die Führung des Künstlerkönigs. »Wer Probleme präzise analysieren und wiedergeben kann, hat sie halb gelöst«, fand man. »Wer das Volk zum Weinen bringen kann, besitzt die Empathie, die gewöhnlichen Politikern fehlt.«
Der Eindruck der Perfektion reichte über Leons eigene Person hinaus, denn er hatte die passende Gefährtin an seiner Seite: Die schöne Valerie begleitete ihn zu allen Veranstaltungen. Val. Immer entzückend auf den Fotos der Paparazzi. Immer witzig in den Interviews der Klatschpresse. Val dichtete keine Sonette, spielte keine Sonaten, entwarf keine Levels, keine Puzzles, keine Quests, malte oder zeichnete nicht und hatte nie einen Camcorder in der Hand gehalten. Für die Öffentlichkeit war sie trotzdem die Seelenverwandte des Künstlers. Sie war genau richtig – fand auch Leons Agent, der penibel darauf achtete, dass Leon nirgendwo allein auftauchte. Und Val ebenso wenig.
Der Wagen hielt auf dem Platz vor dem Gebäude. Leon stieg aus, öffnete Valerie die Tür und reichte ihr die Hand. Valerie ließ sich nicht gern bedienen, Leon aber konnte sie die eine oder andere galante Geste zubilligen.
»Monsieur Witt.« Der Fahrer lehnte sich auf das Dach der Limousine. »Meine besten Wünsche für das Interview. Ich schaue nicht viel fern, aber das werde ich mir ansehen.«
»Ich danke Ihnen.«
Nachdem der Wagen um die Ecke gebogen war, wandte sich Leon um und legte den Arm um Valerie. Nebeneinander stehend, betrachteten sie den Koloss aus Beton und Metall und Glas, der oberhalb der breiten, steinernen Freitreppe aufragte. Die unregelmäßigen Konturen muteten wie Bruchstellen an, als wäre dieser Brocken erst kürzlich mit einer gewaltigen Erschütterung, Staubwolken aufwirbelnd, vom Himmel gefallen. Schwer wie der Mond, ewig wie die Sonne.
Sie stiegen empor und traten ein. Das Abendrot fiel durch die Fensterfront; es hätte das Foyer mit dem spiegelnden Marmorboden dem Eindruck nach zum Glühen gebracht, wäre die Klimaanlage nicht solchermaßen aufgedreht gewesen, dass es Valerie in ihrer kurzärmligen Bluse fröstelte.
Zwei Stockwerke hoch war das Foyer. Treppen führten links und rechts des Empfangstresens hinauf zur Galerie. Wer von dort oben einen Blick in die Mitte der Halle warf, verlangsamte die Schritte, blinzelte, starrte. Einer jungen Frau fiel das Tablet aus der Hand. Ein Mann, der sich über das Geländer beugte, nickte Leon zu wie einem alten Bekannten. Dann kratzte er sich am Hinterkopf, tat einen Schritt nach hinten und verschwand.
Valerie ergriff Leons Arm. »Bist du nervös?«, fragte sie.
Er zuckte die Schulter. »Bin ich ein Mensch?«
Valerie lächelte. »Deshalb sind wir ja hier.«
Zur Linken öffnete sich eine Tür, und eine Frau mit blondem Haar, zum Pferdeschwanz gebunden, eilte herbei. Sie trug eine Brille mit dickem, rotem Rahmen und hatte ein breites, weißes Grinsen im Gesicht. »Entschuldigen Sie bitte!«, rief sie. »Es tut mir ja so leid! Es gab noch einige Details zu klären.« Obwohl sie gewiss viele Prominente willkommen geheißen hatte, schien sie sich über Valeries und Leons Ankunft besonders zu freuen. »Sie wissen ja, wie das ist«, sagte sie. »Man hat alles vorbereitet, geht die Flure auf und ab, weil man nur darauf wartet, dass es losgeht, und dann fällt einem last-minute noch etwas Wichtiges ein.« Sie räusperte sich. »Wie dem auch sei«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt. Rémi kann ein wenig mürrisch sein, aber er ist immer pünktlich. Apropos …« Sie sah auf die Uhr. »Monsieur Witt, Mademoiselle – wenn Sie mir bitte folgen möchten?«
Valerie warf Leon einen konsternierten Blick zu. »Sie hat mich nicht mit Namen angesprochen«, raunte sie ihm auf Deutsch zu.
»Nicht jetzt«, flüsterte er streng, den gutmütigen Ausdruck jedoch wahrend.
Ja, ja, dachte Valerie und verzog den Mund. Haltung.
Die Mitarbeiterin wandte sich im Gehen um, zu Leon, den Kopf geneigt. »Und es soll wirklich Ihr letztes Interview sein?«, fragte sie im Tonfall des Bedauerns.
»Das kann ich Ihnen versichern. Ich brauche Zeit für das nächste Projekt.«
»Ich verstehe. Kann das Publikum von Ihrem aktuellen Werk auch offenkundig nicht genug...
Erscheint lt. Verlag | 21.7.2022 |
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Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Einsamkeit • Extremismus • Gegenwartsliteratur • Genie • Gesellschaftskritik • Kreativität • Künstler • Philosophie • Sehnsucht • Spannungsroman • Terror |
ISBN-10 | 3-347-64657-6 / 3347646576 |
ISBN-13 | 978-3-347-64657-5 / 9783347646575 |
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