Geschichte der Sowjetunion (eBook)

Von der Oktoberrevolution bis zum Untergang
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
130 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-78519-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geschichte der Sowjetunion -  Susanne Schattenberg
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Nach den Revolutionen des Jahres 1917 und einem blutigen Bürgerkrieg wurde am 30. Dezember 1922 die Sowjetunion gegründet. Am 21. Dezember 1991 löste sie sich auf. Dazwischen liegen 69 Jahre, in denen sie die Welt prägte - durch den stalinistischen Terror, durch ihren Sieg über die Armeen Hitlerdeutschlands, als Atommacht im Kalten Krieg und mit Gorbatschows Entspannungspolitik. Bis heute lastet ihr Vermächtnis auf dem postsowjetischen Raum. Im Inneren brachte sie unter Stalin Hungersnöte, Deportationen, den Gulag und willkürliche Erschießungen. Aber gleichzeitig erfuhr das Land eine grundlegende Modernisierung, war der erste Mann im All ein Sowjetmensch. Susanne Schattenberg durchmisst die Jahre unter dem Sowjetstern und zeigt, wie sie bis heute nachwirken.

Susanne Schattenberg lehrt als Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas an der Universität Bremen und ist Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa.

II. Stalinismus (1928–​1953)


Als Stalinismus gilt die Zeit von dem Punkt an, als Stalin 1928 alle Konkurrenten um die Parteiführung aus dem Politbüro entfernt hatte und sein Programm der Entkulakisierung und forcierten Schwerindustrialisierung mit dem ersten Fünfjahrplan ins Werk setzte. Hauptmerkmal des Stalinismus war die ständige Gefahr, jederzeit willkürlich verhaftet und erschossen zu werden. Diese Strafpraxis endete mit Stalins Tod: Ohne ihn gab es keinen Stalinismus.

1. Stalins «großer Umbruch» oder «Revolution von oben»


1928 verkündete Stalin das endgültige Ende der NÖP, den Beginn des Ersten Fünfjahrplans (1928–​1932), der forcierten Schwerindustrialisierung sowie den erneuten Kampf gegen die Bauern. Er begann damit eine regelrechte Kulturrevolution. Dies war die zweite «Attacke» auf den «Kapitalismus», einst von Lenin und Trotzki angekündigt, nun von Stalin als «großer Umbruch» realisiert. «Revolution von oben» wird daher auch genannt, was er bis 1932 durchsetzte: Die zarischen Fachleute in den Volkskommissariaten, Betrieben, Bildungs- und Kultureinrichtungen wurden diffamiert, verhaftet und verurteilt; die gerade erst aufgebauten nationalen Eliten in der Ukraine, im Kaukasus, Zentralasien, auf der Krim und in Tatarstan wurden als «Nationalisten» und «Separatisten» abgesetzt, verhaftet und ermordet, die gerade erst latinisierten Sprachen zwangsweise ins Kyrillische überführt; an den Hochschulen wurde die Fachwissenschaft zugunsten von Unterricht in «Historischem Materialismus» zusammengekürzt; die Frauenabteilungen wurden aufgelöst, weil Stalin befand, «die Frauenfrage» sei in der Sowjetunion gelöst; alle noch selbständigen Verbände und Organisationen wurden aufgelöst oder staatlicher Kontrolle unterstellt. Mit dem radikalen personellen und strukturellen Umbruch ging ein massiver Normen- und Wertewandel sowie ein radikales Freund-Feind-Denken einher: Wer nicht für die Bolschewiki war, galt als Volksverräter. Zudem erzeugte Stalin eine künstliche Kriegsstimmung, als er 1931 verkündete, die Sowjetunion habe 300 Jahre Rückstand in zehn Jahren aufzuholen; sollte sie das nicht schaffen, werde sie «zermalmt».

Einen Umbruch führte Stalin auch im Politbüro herbei: Die geschassten Weggefährten Lenins, meist Intellektuelle westlicher Prägung, ersetzte er durch Männer, die sich im Bürgerkrieg bei der blutigen Eroberung und Sowjetisierung des Südens bewährt hatten: Sergei Kirow (1886–​1934) und Anastas Mikojan (1895–​1978) hatten 1920 Baku unterworfen und dienten seitdem als Parteiführer im Kaukasus; Grigori Ordschonikidse (1886–​1937) war maßgeblich daran beteiligt, die Kaukasusrepubliken in die Transkaukasische Republik zu zwingen, die er als Parteivorsitzender dann leitete; Lasar Kaganowitsch (1893–​1991) hatte 1920 mit Turkestan erobert und war 1925 von Stalin in die Ukraine entsandt worden, um dort den «nationalistischen Bestrebungen» ein Ende zu bereiten. Auch Stalin selbst, bürgerlich Dschugaschwili, war kein Denker, der wie Lenin Marx studiert hätte. Nach dem Abbruch des Priesterseminars (1894–​1899), wo er vermutlich in erster Linie die Kunst der Demütigung gelernt hatte, war er auf der Flucht, hatte im Untergrund ein raues Leben geführt, mitunter Banken überfallen und sich den Namen «Stalin» – der Stählerne – zugelegt. Besondere Härte demonstrierte er, als er 1918 in Zarizyn (seit 1925 Stalingrad) alle Weißen exekutieren ließ. Er brüstete sich, dass bei Gewaltausübung seine «Hand nicht zittern» würde, eine Eigenschaft, die er auch von seinen Mitstreitern erwartete.

Obwohl er 1878 geboren war, gab Stalin sein Geburtsjahr mit 1879 an. Zu seinem 50. Geburtstag 1929 ließ er sich als «Führer» ausrufen und von der Propaganda als «standhafter Bolschewik» und «Nachfolger Lenins» feiern. Es war der Anfang eines Personenkults, der ihn bald als «weisen Führer», «Vater aller Völker» und «genialen Kriegsherrn» inszenierte.

«Amerika einholen und überholen».  Mit seinen Mitstreitern begann Stalin, die Vision von einem industrialisierten, modernen Land umzusetzen, das nichts mehr mit dem rückständigen, bäuerlichen Russland der Zarenzeit zu tun haben sollte. Doch anstatt dem Rat von Wirtschaftsexperten zu folgen, die Leichtindustrie zu entwickeln und mit Exporterlösen die Schwerindustrie langsam aufzubauen, beschloss das Politbüro, die Schwerindustrialisierung mit allen Mitteln zu forcieren und dies mit Getreideexporten zu finanzieren. Stalin belebte dafür Lenins Losung wieder, die USA «einholen und überholen». Daher sah der erste Fünfjahrplan eine Reihe von Großprojekten vor, die v.a. in ihrer Größe die USA übertrumpfen sollten: Am Dnjepr sollte der größte Staudamm der Welt entstehen (1927–​1932), der den Hoover-Damm in den Schatten stellte; im Niemandsland im Ural sowie im Kusbass in der Ukraine sollten binnen sagenhaften 1000 Tagen zwei der größten Stahlwerke (1929–​1932) errichtet werden. Der Bau der Turkestan-Sibirischen-Eisenbahn (kurz: Turksib; 1927–​1930) durch die Hungerwüste Zentralasiens und der Metro im Untergrund Moskaus (1931–​1935) waren weitere Prestigeprojekte, mit denen die Bolschewiki ihren Willen demonstrierten, wahrhaft utopischen Raum zu erschließen und dabei die Naturkräfte zu bezwingen.

Das Planungschaos war anfangs enorm. Von Beginn an setzten Staat und Partei weniger auf durchdachte Pläne als auf Kampagnen. Um die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu zu animieren, über ihre Grenzen hinauszugehen, führte die Regierung 1928 den Titel «Held der Arbeit» ein und propagierte die sozialistische Stoßarbeit. Arbeiterbrigaden waren aufgerufen, im Wettbewerb gegeneinander anzutreten und mit «Gegenplänen» den staatlich verordneten Plan überzuerfüllen. Während Zeitungen, Romane und Spielfilme den Enthusiasmus der Erbauerinnen und Erbauer priesen, waren die Arbeits- und Lebensumstände anfangs katastrophal: Statt Maschinen gab es Handarbeit; statt Kantinen und Unterkünften gab es Erdlöcher und Zelte, in denen die Menschen hausten. Doch auch das verklärten die Medien und tatsächlich einige enthusiastische Männer und Frauen: «Erst bauen wir die Hochöfen, dann vernichten wir die Wanzen.»

Erste Schauprozesse und Anfänge des GULag.  Mit der forcierten Industrialisierung begann eine neue Hetzkampagne gegen die «alten» Experten, die mehrheitlich gegen Stalins Wirtschaftspläne argumentiert hatten. Auf Stalins Geheiß wurde im März 1928 im Ort Schachty im Kusbass die Aufdeckung eines angeblichen Komplotts von Bergbauingenieuren inszeniert, die dort Sabotage betrieben hätten, um die Sowjetmacht zu stürzen und die Übernahme durch ihre früheren deutschen Eigentümer herbeizuführen. Im folgenden Schauprozess im Sommer 1928 wurden elf Ingenieure zum Tode und 38 zu Haftstrafen verurteilt. Damit war die Jagd auf die «alten Spezialisten» eröffnet, die von den Medien und Arbeiteraktivisten als «Spione» und «Schädlinge» diffamiert, bedroht und denunziert wurden. Den zweiten Schauprozess Ende 1930 organisierte Stalin gegen acht Wirtschaftsexperten aus dem Obersten Volkswirtschaftsrat und der Staatlichen Planungsbehörde «Gosplan». Ihnen legte der Staatsanwalt zur Last, sie hätten als «Industriepartei» die Invasion Frankreichs vorbereitet. Sechs Todesurteile ergingen. Im dritten Schauprozess im Frühjahr 1933 wurden neben zehn russischen auch sechs britische Ingenieure der Firma «Metro Vickers» angeklagt und des Landes verwiesen. In allen drei Fällen ging es Stalin nicht nur darum, Fachkräften eine Lektion zu erteilen, ihre Expertise niemals über die Ideologie zu stellen, sondern auch jeweils Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu demonstrieren, dass er auf die Verträge, die er gerade mit ihnen verhandelte, nicht angewiesen sei.

Allerdings wurden nicht alle Todesurteile vollstreckt, sondern einige der herausragenden Fachleute unter Aufsicht der GPU auf Baustellen eingesetzt, wo ihre Expertise dringend benötigt wurde. Nicht nur Ingenieure, auch Arbeiter wurden mit Beginn der Industrialisierung in immer größerem Ausmaß zur Zwangsarbeit und Umsetzung der Prestigeprojekte herangezogen. Das erste Lager hatte noch Lenin 1923 im enteigneten Solowezki-Kloster auf einer Insel im Weißen Meer anlegen lassen. Hierher wurden ein Großteil der seit 1928 verhafteten Ingenieure sowie viele andere «Feinde» gebracht, die in den Jahren 1931–​1933 den Weißmeer-Ostsee-Kanal (kurz: Belomor-Kanal) errichteten. Es war das erste und einzige Mal, dass die Propaganda Zwangsarbeit öffentlich machte und als Umerziehung der «Schädlinge» zu nützlichen Sowjetmenschen pries. Der massenhafte Einsatz...

Erscheint lt. Verlag 14.7.2022
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Reisen Reiseführer Europa
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte 20. Jahrhundert • Bürgerkrieg • Diktatur • Entspannungspolitik • Geschichte • Gorbatschow • GULAG • Kalter Krieg • Kommunismus • Lenin • Revolution • Sowjetunion • Sozialismus • Stalin • Terror • UdSSR
ISBN-10 3-406-78519-0 / 3406785190
ISBN-13 978-3-406-78519-1 / 9783406785191
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