Schneiderei Graf - Wendezeiten (eBook)

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2022 | 1. Aufl. 2022
beHEARTBEAT (Verlag)
978-3-7517-1528-7 (ISBN)

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Schneiderei Graf  - Wendezeiten - Susanne Kriesmer
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Bad Godesberg, 1988: Ediths Tochter Astrid hat nach dem Abitur ein Studium in Modedesign abgeschlossen - allerdings wäre es ihrer Familie lieber gewesen wäre, wenn sie ein Handwerk erlernt hätte. Als ihr Onkel Joachim plötzlich spurlos verschwindet, soll sie in der Schneiderei der Familie arbeiten. Doch Astrid wäre nicht Ediths Tochter, wenn sie nicht ihren eigenen Weg gehen würde. Sie flüchtet nach West-Berlin, um dort ein eigenes Mode-Label aufzubauen. In den Wirren und der Euphorie des Mauerfalls lernt sie den Musiker René kennen, und mit ihm an ihrer Seite scheint plötzlich alles möglich.



<p>Susanne Kriesmer wurde 1979 in Andernach am Rhein geboren und ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Nach dem Abitur in Bonn-Bad Godesberg machte sie eine Lehre zur Buchhändlerin. Von ihrer Mutter - einer gelernten Schneiderin - bekam sie ihre erste Nähmaschine geschenkt und näht seitdem in ihrer Freizeit. Mit dem Schreiben von Büchern begann sie nach der Geburt ihrer drei Kinder. Susanne Kriesmer lebt mit ihrer Familie am Rande der Vulkaneifel.</p>

Susanne Kriesmer wurde 1979 in Andernach am Rhein geboren und ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Nach dem Abitur in Bonn-Bad Godesberg machte sie eine Lehre zur Buchhändlerin. Von ihrer Mutter - einer gelernten Schneiderin - bekam sie ihre erste Nähmaschine geschenkt und näht seitdem in ihrer Freizeit. Mit dem Schreiben von Büchern begann sie nach der Geburt ihrer drei Kinder. Susanne Kriesmer lebt mit ihrer Familie am Rande der Vulkaneifel.

2


Juni, Bonn-Bad Godesberg

Edith unterdrückte ein Gähnen, als sie aus der Villa auf die Straße trat. Seit der Zeitumstellung im März kam sie nicht in den Tritt. Diese eine Stunde, die »geklaut« worden war, wie man im Volksmund sagte, hing ihr nach. Dabei wechselte seit beinahe acht Jahren die Zeit im Frühjahr und im Spätherbst. Seit der großen Ölkrise Ende der 70er-Jahre. Damals hatte Edith das nicht viel ausgemacht, aber seit einigen Jahren fand sie es unerträglich.

Sie zog den dünnen Sommermantel enger um sich, und machte sich auf den Weg in die Schneiderei. Aus den Vorgärten der Dürenstraße leuchtete ihr eine bunte Blütenpracht entgegen. Selbst die Luft war erfüllt vom süßen Blumenduft. Eigentlich ein wunderschöner Morgen, wenn sie nur nicht so furchtbar müde wäre. Joachim war mit Britta schon vor einer halben Stunde aufgebrochen, da hatte Edith sich noch in der Küche der Villa an ihren Kaffeebecher geklammert, während ihre große Tochter mal wieder den Schlaf der Gerechten geschlafen hatte. Das Astrid so in den Tag hinein lebte, ohne wirkliches Ziel, machte Edith Sorgen. So konnte es nicht weitergehen.

Sie überquerte die Straße. An der Straßenbahnhaltestelle neben der Sparkasse warteten Pendler. Allein oder in Grüppchen. Edith ging weiter, über die Moltkestraße, hinüber in die Alte Bahnhofstraße und schließlich durch die Theaterpassage an der Koblenzer Straße. Als sie am Inselhotel angekommen war, blieb sie stehen. Sie blickte zum Stadttheater, das neuerdings »Kammerspiele« hieß, und sah dann zu dem Brunnen, der den Theaterplatz dominierte. Er war eines der wenigen positiven Dinge, die Edith der Fußgängerzone abgewinnen konnte. Sie sah dem sprudelnden Wasser zu. Die rauschenden und gurgelnden Geräusche übten eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Schon seltsam, dass Wasser einen solchen Effekt haben konnte. Schließlich ging es ihr auch unten am Rhein so. Aber auch oben im Kottenforst, dachte sie. Auch da konnte man ein Rauschen vernehmen. Das Rascheln der Blätter im Wind klang ähnlich und war genauso beruhigend, zumal der Kottenforst der Ort war, an dem sie die glücklichsten Stunden ihres Lebens verbracht hatte und gleichzeitig auch die schicksalsreichsten. Dort hatte sie Paul das erste Mal geküsst, dort hatte er ihr einen Antrag gemacht, und dort hatte sie ihre Jungfräulichkeit verloren. Edith wurde es schwer ums Herz, wie immer, wenn sie daran dachte, wie anders ihr Leben hätte verlaufen können, wenn nicht der Bau der Berliner Mauer dazwischengekommen wäre. So war sie – Anfang der 60er-Jahre unehelich schwanger – dazu gezwungen gewesen, Heinz zu heiraten. Den sie auch geliebt hatte, aber auf eine brüderliche Art, die am Ende nicht gereicht hatte. Mit Paul hatte sie von Anfang an Briefkontakt gehalten. Bis kurz vor der Trennung von Heinz hatten sie sich geschrieben. Edith hatte Paul von Astrid erzählt, er davon, wie sehr er sie vermisse und wie sehr er sich wünschen würde, seine Tochter kennenzulernen. Über sein Leben in der DDR hatte er nie etwas verlauten lassen. Und dann, wie aus dem Nichts, hatte er nicht mehr geantwortet. Mehrere Briefe hatte Edith danach noch an ihn geschickt. Nichts. Schließlich hatte sie ihm ein letztes Mal geschrieben – dass sie es nicht mehr aushielte, nichts von ihm zu hören. Doch bevor sie den Brief hatte abschicken können, hatte Heinz ihn gefunden. Er hatte ihre Worte gelesen – und alles war eskaliert. So laut wie an jenem Tag war Heinz noch nie geworden. Und danach war er einfach zur Tür ihres gemeinsamen Häuschens in Friesdorf herausgerannt und nicht mehr zurückgekommen. Er hatte sie und die Mädchen zurückgelassen. Erst durch das Scheidungsverfahren hatten sie sich wiedergetroffen. Da war sie schon lange mit Astrid und Britta in der Villa in der Dürenstraße eingezogen. Der Abstand hatte ihr und Heinz gutgetan. Sie hatten wieder miteinander sprechen können wie zwei erwachsene und vernünftige Menschen.

Erwachsen und vernünftig. Edith hatte es so satt, genau das sein zu müssen. Sie sehnte sich nach ihrer Jugendzeit, in der sie unbeschwert und frei gewesen war. Mit Paul. Und heute war sie niedergeschlagen und melancholisch – wegen Paul. Vielleicht war es endlich an der Zeit, damit abzuschließen? Der Kontakt zwischen ihnen war schon vor so langer Zeit abgebrochen. Wenn Edith ehrlich mit sich war, hielt sie sich nur noch an alten Erinnerungen fest und stand sich dabei selbst im Weg! Saß beinahe jeden Abend in ihrem Zimmer, las die alten Briefe und träumte von besseren Zeiten. Das musste sich ändern.

Edith reckte das Kinn vor und setzte ihren Weg zur Schneiderei hinüber fort. Sie musste es nicht nur ändern, sie würde es auch tun!

*

Bonn, Münsterplatz

Astrid trat aus dem Schatten des Bonner Münsters. Sie hatte gewartet, bis ihre Mutter die Villa verlassen hatte, bevor sie aufgestanden war und in aller Ruhe gefrühstückt hatte. Sie wollte den Tag nutzen und war mit der Bahn nach Bonn gefahren. Sie musste einfach raus, etwas anderes sehen als die immer gleichen Straßen Bad Godesbergs. In Bonn, da war sie sich sicher, würde sie endlich Inspirationen finden. Das musste sie auch, allein schon, um Sabine zu beweisen, dass es neue Trends nicht nur in Berlin gab.

Zu schwarzen Leggins trug sie ihr Lieblings-Oversize-T-Shirt mit dem Micky-Maus-Print, das sie mit einem breiten Gürtel in der Taille zusammengeschnürt hatte. Ein Kleidungsstil, der ihrer Mutter voll und ganz zuwider war. Astrid konnte förmlich ihre Stimme im Ohr hören, als sie den Münsterplatz überquerte: »So was würde ich noch nicht mal als Nachthemd tragen.«

Musst du ja auch nicht, dachte Astrid. Sie blieb vor dem Beethovendenkmal stehen. Die rund drei Meter hohe Statue gehörte zu den Wahrzeichen der Stadt Bonn. Dahinter erhob sich das Fürstenbergische Palais. Ein gelbes Gebäude mit Sprossenfenstern und dunkelgrünen Läden. Seit 1877 war es die Hauptpost von Bonn. Astrid sah von unten zu dem Komponisten hinauf. Mit strenger Miene blickte er über sie hinweg in die Ferne. In einer Hand hielt er einen Federkiel, in der anderen einen losen Packen Blätter. Fast wirkte es, als würde er gern etwas aufschreiben, würde aber die Melodie nicht zu fassen bekommen, die ihm schon seit Tagen durch den Kopf schwirrte. Zumindest kam es Astrid immer so vor, weil es ihr selbst oft so ging. Dass eine Idee am Rande ihres Bewusstseins aufblitzte, aber einfach nicht greifbar wurde. Vielleicht ist das Beethovendenkmal ein Sinnbild für meine Ideenlosigkeit in den letzten Monaten, dachte sie. Britta hatte recht mit dem, was sie ihr gestern in der Küche an den Kopf geworfen hatte. Ihre Kollektion hatte immer noch kein einziges Stück vorzuweisen. Dafür häufte sich die Zahl der unfertigen Kleidungsstücke, die sie mit Wuttränen in den Müll gepfeffert hatte, weil es wieder nicht so geworden war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Wie sollte sie es je schaffen, ein eigenes Label auf den Markt zu bringen, nach New York zu gehen und vielleicht sogar selbst als Designerin auf der Fashion Week präsent zu sein wie Donna Karan, Wolfgang Joop oder Jil Sander? Ihr Kopf war leer, seit sie zurück in Bad Godesberg war, während ihre Kommilitonen schon erfolgreich kleinere und größere Labels gegründet hatten. Sabine war sogar schon bei einer Modenschau von Claudia Skoda in West-Berlin dabei gewesen. Claudia Skoda, die Ikone der Berliner Undergroundszene! Ihre avantgardistischen Modenschauen waren berühmt berüchtigt. Das war ein riesiger Erfolg für Sabine, die seitdem fleißig an der nächsten Kollektion arbeitete, wie sie sagte.

Astrid seufzte, nahm den Rucksack von der Schulter und zog ihren Walkman hervor. Nachdem sie das Kabel entwirrt hatte, setzte sie sich vorsichtig den Kopfhörer auf, damit ihr seitlicher Zopf nicht verrutschte. Die Play-Taste rastete mit leichtem Widerstand und einem lauten Klick ein. Ein leises Surren ertönte, als sich die Zahnräder im Inneren zu drehen begannen. Die ersten Keyboard-Akkorde von Verdamp lang her von BAP ertönten. Automatisch drehte Astrid den Lautstärkeregler bis zum Anschlag. Sie hockte sich auf das niedrige Mäuerchen vor der schmiedeeisernen Umzäunung des Denkmals und betrachtete das bunte Treiben um sich herum. Durch die laute Musik hatte sie das Gefühl, im Kino zu sitzen und sich einen Film anzusehen. Sie war nur noch die Zuschauerin des alltäglichen Bonner Lebens.

Astrid schaute zum Münster hinüber. Die große Stiftskirche war zur Zeit des Übergangs von der Romanik zur Gotik gebaut worden. Massive Rund- und schlanke Strebebögen zeugten noch heute davon. Bei den spitz zulaufenden Turmspitzen hatte Astrid als Kind immer an die Zipfelmützen von Gartenzwergen denken müssen. Jetzt musste sie über diesen Gedanken schmunzeln. Sie hatte schon immer alles Mögliche in scheinbar alltäglichen Dingen gesehen. Sie war die Träumerin der Familie, während Britta immer nur das sah, was da war – nie mehr.

Die Menschen eilten über den Platz. Astrid musterte sie. Männer in Anzügen mit Aktentaschen, alte Damen mit Handtasche und Hütchen. Mütter mit...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2022
Reihe/Serie Die Bad Godesberg Familiensaga
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50er • Bonn • Bonner • DDR • Deutschland • Elaine Winter • Eva Völler • Familiengeschichte • Familiensaga • Fenja Lüders • Fünfziger • Geschichte • Homosexualität • Jahre • Liebesromane DDR • Mauerfall • Miriam Georg • Mode • Ost-West-Konflikt • Republik • Rhein • Saga • Schwulsein • Verbotete Liebe • Wiedervereinigung
ISBN-10 3-7517-1528-2 / 3751715282
ISBN-13 978-3-7517-1528-7 / 9783751715287
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