Watzlaff (eBook)
272 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61096-3 (ISBN)
Außerdem: Nochmals von vorn, Propheten'
Slawomir Mrozek, geboren 1930 in Borzecin bei Krakau, studierte Architektur, Kunstgeschichte und Orientalistik. In Polen war er zunächst als Karikaturist erfolgreich, bevor er als Schriftsteller in Erscheinung trat. 1957 erschien sein erstes Buch mit satirischen Erzählungen. Es folgten seine Stücke (darunter ?Tango?, ?Emigranten?, ?Polizei?, ?Striptease?), mit denen er Weltruhm erlangte. In Deutschland gehören sie zu den meistgespielten Theaterstücken überhaupt. 1962 verließ er Polen und beantragte 1968, als Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings, in Frankreich politisches Asyl. Nach langen Jahren in Paris und später in Mexiko kehrte er 1996 in seine Heimatstadt Krakau zurück. Die letzten Jahre lebte er in Nizza, wo er 2013 verstarb.
Slawomir Mrozek, geboren 1930 in Borzecin bei Krakau, studierte Architektur, Kunstgeschichte und Orientalistik. In Polen war er zunächst als Karikaturist erfolgreich, bevor er als Schriftsteller in Erscheinung trat. 1957 erschien sein erstes Buch mit satirischen Erzählungen. Es folgten seine Stücke (darunter ›Tango‹, ›Emigranten‹, ›Polizei‹, ›Striptease‹), mit denen er Weltruhm erlangte. In Deutschland gehören sie zu den meistgespielten Theaterstücken überhaupt. 1962 verließ er Polen und beantragte 1968, als Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings, in Frankreich politisches Asyl. Nach langen Jahren in Paris und später in Mexiko kehrte er 1996 in seine Heimatstadt Krakau zurück. Die letzten Jahre lebte er in Nizza, wo er 2013 verstarb.
Ein großes Zimmer mit drei Wänden. In der mittleren zwei symmetrisch angebrachte Fenster, hinter denen man die Äste von Bäumen mit bereits etwas gelbbraun gefärbtem Laub und einen blauen Spätnachmittagshimmel sieht. Grüne, nach innen geöffnete Fensterläden. Dazwischen ein vergoldeter Rahmen, der früher wohl ein Bild enthielt. Darunter ein abgenutztes Sofa. Weiter vorn auf der linken Seite – »links« und »rechts« vom Zuschauer aus gesehen – ein runder, mit grünem Stoff bespannter Tisch. Darüber hängt eine Petroleumlampe mit großem Schirm aus Milchglas. Ein paar Rohrstühle. Gleichartige Türen in der linken und in der rechten Wand. An beiden Wänden je ein Hirschgeweih.
Von rechts treten auf: Sie und Papa. Sie, eine hübsche Achtzehnjährige in einem kurzen, ärmellosen, violetten Sackkleid. Weiße Strümpfe und schwarze Lackschuhe mit niedrigen Absätzen. Trägt eine kleine Reisetasche und ein Handtäschchen.
Papa, ein stattlicher und kräftiger Mann an die Fünfzig, sieht gesund aus, hat ein grobschlächtiges, etwas apoplektisches Gesicht. Fassonschnitt, gestutzter, graumelierter Schnurrbart. Solider dunkler, ein wenig altmodisch wirkender Anzug, Fliege, Melone. Trägt Koffer und Regenschirm. Stellt den Koffer rechts vom Eingang in die Ecke.
Nimmt ihr die Reisetasche ab, stellt sie neben seinen Koffer. Behält den Regenschirm in der Hand.
SIE
sich umsehend Wo sind wir?
PAPA
Rate mal!
SIE
Nicht nötig! Ich weiß alles. Wirft sich auf das Sofa. Ich bin verloren.
PAPA
Warum denn?
SIE
Du hast mich kompromittiert.
PAPA
Wieso denn?
SIE
Du bist ein Scheusal, ein Scheusal!
PAPA
Was hast du denn jetzt schon wieder?
SIE
Wir befinden uns in einem Hotel.
PAPA
Nichts dergleichen!
SIE
sachlich Wo denn sonst?
PAPA
Ja, wie soll man das bezeichnen?
SIE
abermals tragisch Widersprich mir nicht! Ich habe gleich gewußt, daß das dabei herauskommt. Irgendein Provinzhotel, das schmierige Lächeln des Portiers und natürlich ein Doppelzimmer. Ach, wie mickrig das alles ist, wie mickrig! Schluchzt, schnieft, sucht Tränen zu vergießen.
PAPA
Da bist du aber im Irrtum.
SIE
Ich flehe dich an, hab wenigstens die Courage, es zuzugeben. Du richtest mich zugrunde. Du bist ein widerlicher Egoist, du hast dein Wort gebrochen.
PAPA
Ich bitte dich …
SIE
Nur keine Ausreden! Alle werden es erfahren. Und er auch. Du weißt schon, wer. Schluchzt ein wenig künstlich.
PAPA
Beruhige dich endlich! Das ist kein Hotel.
SIE
Natürlich nicht! Das ist eine schmutzige, verstunkene Absteige. Hier gibt es ja nicht einmal Bett, Schrank und Telefon … Bricht plötzlich ab, zieht einen Spiegel aus der Handtasche, schaut hinein. Mein Gott, wie ich aussehe!
PAPA
erfreut über den Wechsel des Themas Hübsch!
SIE
Grauenvoll! Klingle dem Zimmermädchen! Macht ihr Gepäck auf, wühlt darin herum. Worauf wartest du noch? Ich brauche ein Bügeleisen.
PAPA
Wenn du endlich einmal zuhören wolltest …
SIE
Dann klingle ich selbst. Wo ist denn hier die Klingel?
PAPA
Erstens, wenn ich klingle, dann kommt wer und sieht dich in meiner, dich kompromittierenden Gesellschaft.
SIE
Stimmt, das hatte ich vergessen.
PAPA
Zweitens, wenn wer kommt, sieht er auch mich in deiner, mich kompromittierenden Gesellschaft.
SIE
Nein! Klingle lieber nicht!
PAPA
Drittens, ich klingle nicht, weil hier gar keine Klingel ist. Viertens, ich könnte noch so lange klingeln, es käme doch niemand, weil wir hier ganz unter uns sind.
SIE
Wieso? Ist hier niemand?
PAPA
Absolut niemand!
SIE
Dann sind wir also gar nicht im Hotel?
PAPA
Nein! Wie oft soll ich es dir noch sagen? Hängt den Schirm über eine Stuhllehne, nimmt sie an der Hand und führt sie ans rechte Fenster. Reißt es auf. Was siehst du?
SIE
Bäume, einen Park …
PAPA
Einen Wald, einen alten Forst. Wir sind in einer Einöde.
SIE
Du hast mich betrogen.
PAPA
Ich?
SIE
Ja! Du hast mir eine Fahrt ins Blaue versprochen.
PAPA
Ist das nicht eine Fahrt ins Blaue?
SIE
Natürlich nicht! Wenn mir jemand so etwas verspricht, dann denkt er an das fescheste Hotel am Platz, am Meer oder in den Bergen. Und wohin hast du mich gebracht? In eine Bruchbude!
PAPA
Übertreib nicht! Hier ist es ganz gemütlich.
SIE
Ich hatte gedacht, ich verdiente wenigstens einen gewissen Luxus. Aber vielleicht reicht es bei dir nicht dazu?
PAPA
irritiert Aber … wenn du damit gerechnet hast, dann wäre es doch keine Überraschung gewesen … dein Hotel … an diesem Platz.
SIE
Im Gegenteil! Ich bin immer von den Socken, wenn ein Mann hält, was er verspricht.
Papa gibt ihr eine Ohrfeige.
PAPA
Und jetzt marsch, in die Ecke!
Sie geht kindlich schluchzend in die Ecke.
Auf die Knie!
SIE
Ich mag nicht.
PAPA
Auf die Knie, sag ich!
Sie kniet, mit dem Rücken zum Zuschauer, nieder.
Du glaubst, so etwas kannst du dir mir gegenüber herausnehmen?
SIE
Warum haust du mich?
PAPA
Was sollen diese Flausen, Launen und Szenen? Ich bin doch schließlich nicht dein Liebhaber.
SIE
Aber …
PAPA
Kein Wort mehr!
SIE
Nur …
PAPA
Hast du vergessen, wer ich bin?
SIE
Aber du …
PAPA
Du wagst es immer noch, den Mund aufzumachen?
SIE
Aber du sollst doch mein Liebhaber werden.
Schweigen.
PAPA
Woher weißt du das?
SIE
Du hast es selbst gesagt.
PAPA
Das habe ich nicht gesagt.
SIE
Auf jeden Fall hast du es mir zu verstehen gegeben.
PAPA
Wie kannst du es wagen, mir solche Absichten in die Schuhe zu schieben?
SIE
Du hast mir klipp und klar gesagt, daß ich dir gefalle.
PAPA
Eine Frechheit, mir das zu glauben …
Schweigen.
Und selbst wenn es so wäre! In erster Linie hast du Respekt vor mir zu haben. Ich kann sagen, was ich will.
Du hast dich auf jeden Fall bescheiden und anständig zu benehmen.
SIE
Ja, Päpchen!
PAPA
wieder in Zorn geratend Du darfst mich nicht aufregen.
SIE
Ich will es nicht mehr tun.
PAPA
Mich nicht quälen!
SIE
Es soll nicht mehr vorkommen.
PAPA
leiser Und warum nicht?
SIE
Weil du es nicht mehr möchtest.
PAPA
Und wenn ich es wollte?
SIE
dreht sich, immer noch auf den Knien, zum Zuschauerraum hin. Hoffnungsvoll Also machen wir doch was Schlimmes?
PAPA
Wenn ich es mir nicht anders...
Erscheint lt. Verlag | 25.5.2022 |
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Übersetzer | Rolf Fieguth, Ludwig Zimmerer |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Anthologie • Doppelgänger • Drama • Dramen • Flucht • Freiheit • Humor • Polen • Propheten • Sammlung • Schiffbruch • Schiffbrüchiger • Theaterstück • Unfreiheit |
ISBN-10 | 3-257-61096-3 / 3257610963 |
ISBN-13 | 978-3-257-61096-3 / 9783257610963 |
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