Lauter Sünder / Schöne Aussicht (eBook)
208 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61093-2 (ISBN)
Slawomir Mrozek, geboren 1930 in Borzecin bei Krakau, studierte Architektur, Kunstgeschichte und Orientalistik. In Polen war er zunächst als Karikaturist erfolgreich, bevor er als Schriftsteller in Erscheinung trat. 1957 erschien sein erstes Buch mit satirischen Erzählungen. Es folgten seine Stücke (darunter ?Tango?, ?Emigranten?, ?Polizei?, ?Striptease?), mit denen er Weltruhm erlangte. In Deutschland gehören sie zu den meistgespielten Theaterstücken überhaupt. 1962 verließ er Polen und beantragte 1968, als Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings, in Frankreich politisches Asyl. Nach langen Jahren in Paris und später in Mexiko kehrte er 1996 in seine Heimatstadt Krakau zurück. Die letzten Jahre lebte er in Nizza, wo er 2013 verstarb.
Slawomir Mrozek, geboren 1930 in Borzecin bei Krakau, studierte Architektur, Kunstgeschichte und Orientalistik. In Polen war er zunächst als Karikaturist erfolgreich, bevor er als Schriftsteller in Erscheinung trat. 1957 erschien sein erstes Buch mit satirischen Erzählungen. Es folgten seine Stücke (darunter ›Tango‹, ›Emigranten‹, ›Polizei‹, ›Striptease‹), mit denen er Weltruhm erlangte. In Deutschland gehören sie zu den meistgespielten Theaterstücken überhaupt. 1962 verließ er Polen und beantragte 1968, als Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings, in Frankreich politisches Asyl. Nach langen Jahren in Paris und später in Mexiko kehrte er 1996 in seine Heimatstadt Krakau zurück. Die letzten Jahre lebte er in Nizza, wo er 2013 verstarb.
Der Morgen des nächsten Tags. Der Vorhang am Fenster ist aufgezogen, man sieht die Kirche gegenüber. Tante Rosa sitzt auf dem Sofa, Rev. Burton, im Bademantel, auf dem Stuhl. Neben Tante Rosa auf dem Sofa ein Paket aus dem Delikatessenladen, in Schmuckpapier eingewickelt, mit einem Band und einer Schleife verschnürt. Tante Rosas Reisetasche steht auf dem Boden. Das Porträt des Priesters an der Wand hängt wieder normal.
TANTE ROSA
Was macht er da so lange?
REV. BURTON
In dieser Phase benutzt er Kölnisch Wasser.
TANTE ROSA
argwöhnisch Woher wissen Sie das?
REV. BURTON
Weil ich annehme, daß er sich schon rasiert hat.
TANTE ROSA
Wasser? Was für ein Wasser?
REV. BURTON
Rasierwasser.
TANTE ROSA
Das weiß ich, aber was für eine Sorte?
REV. BURTON
Keine Ahnung.
TANTE ROSA
Sie kennen ihn schon so lange und wissen das nicht?
REV. BURTON
Wir haben uns gerade gestern kennengelernt.
TANTE ROSA
Gestern erst, und ihr wohnt schon zusammen?
REV. BURTON
Nur seit gestern.
TANTE ROSA
Meinen Sie nicht, daß das zu schnell ist?
REV. BURTON
Es hat sich so ergeben.
TANTE ROSA
Was hat sich ergeben?
REV. BURTON
Die Umstände.
TANTE ROSA
Was für Umstände?
REV. BURTON
Umstände, die nicht von uns abhingen.
TANTE ROSA
Umstände hängen immer von einem anständigen Fräulein ab.
REV. BURTON
Offensichtlich bin ich kein anständiges Fräulein.
TANTE ROSA
Erzählen Sie mir nichts, sonst glaube ich es noch. Arbeiten Sie?
REV. BURTON
Wie bitte?
TANTE ROSA
Haben Sie eine Stellung?
REV. BURTON
Noch nicht.
TANTE ROSA
Was heißt ›noch nicht‹? Das heißt, Sie haben keine.
REV. BURTON
Aber ich werde eine haben.
TANTE ROSA
Wann?
REV. BURTON
Morgen.
TANTE ROSA
Und was machen Sie?
REV. BURTON
Ich bin Psychotherapeutin.
TANTE ROSA
Nicht schlecht. Alle diese Psycho-sonstwas verdienen gut. Wie viel verdienen Sie?
REV. BURTON
Genügend.
TANTE ROSA
Genügend, das heißt zu wenig. Richard hat keine Ahnung von Geld. In der Hinsicht ist er eine Niete.
REV. BURTON
Das macht nichts.
TANTE ROSA
Lieben Sie ihn?
REV. BURTON
Er ist sehr lieb.
TANTE ROSA
Sicher, aber verrückt. Was macht eigentlich ein Psychotherapeut?
REV. BURTON
Er hilft den Leuten bei ihren Problemen.
TANTE ROSA
Das trifft sich ja gut, ich habe Probleme. Können Sie mir helfen?
REV. BURTON
Gern.
TANTE ROSA
Erstens: Mein Neffe hat sich taufen lassen.
REV. BURTON
Das ist kein Problem.
TANTE ROSA
Für Sie nicht. Über wessen Probleme reden wir, über meine oder über Ihre?
REV. BURTON
Über Ihre.
TANTE ROSA
Also, das ist mein Problem Nummer eins. Können Sie mir helfen?
REV. BURTON
Ich fürchte, nein. Nach der Verfassung hat jeder das Recht, sich die Religion auszusuchen.
TANTE ROSA
Vielleicht nach der Verfassung, aber nicht meiner Meinung nach. Das heißt, Sie können nicht helfen. Also kommen wir zu Problem Nummer zwei: Nicht genug, daß er sich hat taufen lassen, er mußte auch noch christlicher Priester werden.
REV. BURTON
Wenn er sich hat taufen lassen, konnte er kein Priester einer anderen Religion werden. Dazu müßte er sich umtaufen lassen, zu irgendeinem anderen Glauben übertreten und erst dann …
TANTE ROSA
unterbricht sie Ich frage nicht, ob er Priester werden konnte oder nicht. Es geht darum, daß er Priester wurde. Ich frage Sie, ob Sie in dieser Angelegenheit was unternehmen können.
REV. BURTON
Nein.
TANTE ROSA
Irgendwie scheint mir, daß Sie nicht so viel verdienen, wie Sie sagen.
REV. BURTON
Haben Sie noch irgendwelche Probleme?
TANTE ROSA
Ob ich noch irgendwelche Probleme habe? Wenn Sie hören wollen, daß ich keine habe, dann fragen Sie doch, ob ich Glück habe. Er ist Priester geworden, aber kein katholischer, sondern irgendein protestantischer.
REV. BURTON
Was macht das für einen Unterschied?
TANTE ROSA
Da fragen Sie noch? Das ist mein Problem Nummer drei.
REV. BURTON
Warum?
TANTE ROSA
Weil katholische Priester nicht heiraten dürfen, protestantische dürfen aber.
REV. BURTON
Und das soll ein Problem sein? Sie sollten sich schämen. Sie hätten es lieber, wenn er nicht heiraten würde?
TANTE ROSA
Um Gottes willen, ich verbiete ihm das nicht. Denken Sie, ich möchte einen Päderasten als Neffen haben? Für wen halten Sie mich!
REV. BURTON
Na wo liegt dann das Problem?
TANTE ROSA
Er soll nur heiraten, aber es kommt drauf an, wen. Wen heiratet er? Eine Japanerin oder eine Chinesin? Bitte sehr, warum nicht eine Chinesin? Eine Farbige? Warum nicht. Eine Eskimofrau? Jederzeit. Er heiratet nur nicht, wissen Sie, wen?
REV. BURTON
Ich weiß es nicht.
TANTE ROSA
Eine Jüdin.
REV. BURTON
Warum nicht?
TANTE ROSA
Haben Sie je einen protestantischen Priester mit einer jüdischen Frau gesehen? Das gibt es nicht.
REV. BURTON
Und das ist Ihr Kummer?
TANTE ROSA
Kummer? Sie nennen das Kummer und nichts weiter? Wollen Sie, daß ich eine Herzattacke bekomme? Dann hören Sie sich an, was mein Problem Nummer vier ist. Mein Problem Nummer vier ist, daß ich im Morgengrauen aufstehe, mir ein Taxi nehme, auf den Flughafen fahre, von New York aus hierherfahre, um meinen Neffen zu sehen, und wen sehe ich? Sie.
REV. BURTON
Was ist so schrecklich an mir?
TANTE ROSA
An Ihnen persönlich – nichts. Aber an Ihnen zusammen mit Richard – alles. Nachdem er sich hatte taufen lassen, dachte ich: Das ist ein Unglück, aber jetzt wird er wenigstens keine Nichtjüdin heiraten, weil er überhaupt nicht heiraten darf. Er wird sich zwar nie mehr mit einer ordentlichen Jüdin vermählen, aber auch nicht mit einer dummen Schickse. Das war mein einziger Trost. Und wo ist er jetzt, dieser mein Trost, na wo, sagen Sie mir!
REV. BURTON
Da, wo er war. Richard will mich überhaupt nicht heiraten, und ich will ihn auch nicht heiraten.
Pause.
TANTE ROSA
Ist das wahr?
REV. BURTON
Das ist wahr. Wir schlafen noch nicht einmal zusammen.
TANTE ROSA
Wissen Sie, was?
REV. BURTON
Was?
TANTE ROSA
Sie sind eine absolut gute Psychotherapeutin.
Rev. Bloom kommt im Pyjama herein.
REV. BLOOM
Tante Rosa! Was machst du hier!?
TANTE ROSA
Wieso? Ich habe dir Käsekuchen gebracht.
REV. BLOOM
Aber ich habe dir doch gesagt, daß zwischen uns alles aus ist.
TANTE ROSA
Natürlich, das hast du gesagt.
REV. BLOOM
Na dann … na dann …
TANTE ROSA
Na dann...
Erscheint lt. Verlag | 25.5.2022 |
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Übersetzer | Christa Vogel |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Anthologie • Atmosphäre • Drama • Dramen • Erlebnisferien • Ferien • Hotel • Polen • Romantik • Sammlung • Theaterstück • Urlaub |
ISBN-10 | 3-257-61093-9 / 3257610939 |
ISBN-13 | 978-3-257-61093-2 / 9783257610932 |
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