Striptease (eBook)
304 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61092-5 (ISBN)
Slawomir Mrozek, geboren 1930 in Borzecin bei Krakau, studierte Architektur, Kunstgeschichte und Orientalistik. In Polen war er zunächst als Karikaturist erfolgreich, bevor er als Schriftsteller in Erscheinung trat. 1957 erschien sein erstes Buch mit satirischen Erzählungen. Es folgten seine Stücke (darunter ?Tango?, ?Emigranten?, ?Polizei?, ?Striptease?), mit denen er Weltruhm erlangte. In Deutschland gehören sie zu den meistgespielten Theaterstücken überhaupt. 1962 verließ er Polen und beantragte 1968, als Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings, in Frankreich politisches Asyl. Nach langen Jahren in Paris und später in Mexiko kehrte er 1996 in seine Heimatstadt Krakau zurück. Die letzten Jahre lebte er in Nizza, wo er 2013 verstarb.
Slawomir Mrozek, geboren 1930 in Borzecin bei Krakau, studierte Architektur, Kunstgeschichte und Orientalistik. In Polen war er zunächst als Karikaturist erfolgreich, bevor er als Schriftsteller in Erscheinung trat. 1957 erschien sein erstes Buch mit satirischen Erzählungen. Es folgten seine Stücke (darunter ›Tango‹, ›Emigranten‹, ›Polizei‹, ›Striptease‹), mit denen er Weltruhm erlangte. In Deutschland gehören sie zu den meistgespielten Theaterstücken überhaupt. 1962 verließ er Polen und beantragte 1968, als Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings, in Frankreich politisches Asyl. Nach langen Jahren in Paris und später in Mexiko kehrte er 1996 in seine Heimatstadt Krakau zurück. Die letzten Jahre lebte er in Nizza, wo er 2013 verstarb.
Büro des Polizeipräsidenten. Unerläßliche Requisiten: ein Schreibtisch, zwei Stühle, eine gut sichtbare Tür, zwei Porträts: das des Infanten (Säugling in einem altmodischen Kinderwagen oder Kleinkind im Stil der bürgerlichen Kinderphotographien des 19. Jahrhunderts) und das des Regenten (alter Knacker mit martialischem Schnurrbart). Wer mit der Polizei zu tun hat, trägt Schaftstiefel, Säbel, Vatermörder und Schnurrbart. Der Verschwörer hat einen Spitzbart à la Fortschrittler des 19. Jahrhunderts. Die kurze Ziviljacke des Provokateurs sitzt etwas zu knapp. Alle Uniformknöpfe blitzen schrecklich metallen. Die Uniformen sind dunkelblau.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
beendet stehend das Ablesen eines Textes … bleibt mir also nur noch das Verlangen, meinen Verbrechen mit größtem Abscheu abzuschwören und unserer Regierung fürderhin mit allen Kräften in gebührender Ehrfurcht und allerhöchster Liebe auf immerdar zu dienen. Setzt sich, legt das Blatt beiseite.
DER HÄFTLING
Legen Sie es nicht weg. Ich unterschreibe.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Wieso?
DER HÄFTLING
Ich unterschreibe, und damit basta.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Aber warum denn?
DER HÄFTLING
Wieso »warum«? Seit zehn Jahren sitze ich in Untersuchungshaft und Sie verhören mich, seit zehn Jahren legen Sie mir täglich diesen Schrieb zur Unterschrift vor, und wenn ich mich weigere, drohen Sie mir mit peinlichen Folgen oder reden auf mich ein, daß ich besser daran täte zu unterschreiben. Und wenn ich endlich dazu bereit bin, um hier herauszukommen und unserer Regierung dienen zu können, wundern Sie sich und fragen »warum«?
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Aber wieso denn jetzt auf einmal?
DER HÄFTLING
Weil ich mich gewandelt habe, Herr Präsident.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Inwiefern gewandelt?
DER HÄFTLING
Eine richtige innere Wandlung. Ich mag nicht mehr gegen die Regierung kämpfen.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Aber warum denn nicht?
DER HÄFTLING
Ich bin es leid. Soll gegen die Regierung kämpfen, wer will. Was geht’s mich an? Spione einer fremden Macht, Agenten oder dergleichen werden sich wohl noch finden lassen. Ich jedenfalls habe keine Lust mehr. Ich habe das meine getan.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
traurig Von Ihnen hätte ich das nicht erwartet. Den Kampf gegen die Regierung einstellen! Konformist werden! Und wer macht das? Der älteste Gefängnisinsasse des Landes!
DER HÄFTLING
Eben, Herr Präsident! Stimmt es übrigens, daß ich der letzte Häftling im ganzen Lande bin?
DER POLIZEIPRÄSIDENT
zögernd Ja!
DER HÄFTLING
Sehen Sie! Jedermann ist längst davon überzeugt, daß unser System das beste ist. Meine ehemaligen Kollegen haben ihre Schuld bekannt, haben Gnade gefunden und durften nach Hause gehen. Es gibt einfach niemanden mehr zum Verhaften. Und ich soll der letzte Verschwörer sein? Im Grunde bin ich Briefmarkensammler.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Das sagen Sie jetzt. Und wer hat die Bombe auf den General geworfen?
DER HÄFTLING
Jetzt kommen Sie mir schon wieder mit dieser alten Geschichte. Und außerdem war es ein Blindgänger. Schade um jedes Wort!
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Ich erkenne Sie wirklich nicht wieder. Zehn Jahre lang haben Sie alle Aussagen verweigert und sich prächtig gehalten. Wie oft haben Sie, statt zusammenzubrechen und, wie es sich gehörte, zu unterschreiben, stolz die Porträts erhebt sich und steht stramm unseres Infanten und Seines Onkels, des Regenten, setzt sich bespuckt. Wir haben uns doch so aneinander gewöhnt. Alles war in bester Ordnung, und jetzt wollen Sie auf einmal die ganze Vergangenheit ausradieren.
DER HÄFTLING
Ich sage Ihnen doch, daß es keinen Sinn mehr hat. Wenn ich ideologisch nicht so vereinsamt wäre, könnte ich vielleicht noch weitermachen. Aber man stelle sich vor, daß unser ganzes schönes, fruchtbares, friedliches Land schon seit langem erhebt sich und steht stramm für unseren Infanten und Seinen Onkel, den Regenten, begeistert ist, und daß keiner mehr im Gefängnis ist außer mir, dem letzten Häftling! Ehrlich gesagt, Herr Präsident, ich habe meine früheren Überzeugungen einfach verloren. Daß das ganze Volk für die Regierung und gegen mich ist, gibt doch zu denken. Mit einem Wort: Wir haben eine sehr gute Regierung.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Hmmm … Hmmm …
DER HÄFTLING
Wie bitte?
DER POLIZEIPRÄSIDENT
steht auf, wird amtlich Indem ich mit aufrichtiger Freude und Zufriedenheit das Geständnis des Häftlings zur Kenntnis nehme, aus dem hervorgeht, daß sich unter dem erzieherischen Einfluß des Gefängnisses in ihm ein innerer Wandel vollzogen hat, fühle ich mich dennoch verpflichtet, nachzuprüfen, ob seine neuen, erfreulichen und allseitig wissenschaftlich begründeten Ansichten auch genügend tiefschürfend und dauerhaft sind. Setzt sich, in einem anderen Ton Nun sagen Sie mal, wie kommen Sie eigentlich plötzlich auf die Idee, daß unsere Regierung gut sei?
DER HÄFTLING
Herr Präsident! Wo haben Sie Ihre Augen? Schließlich hat doch unser Land in seiner ganzen Geschichte noch niemals eine solche Blütezeit erlebt wie jetzt. Vom Fensterchen meiner Zelle aus erblicke ich, wenn ich die Pritsche davorschiebe, den Kübel mit dem Boden nach oben daraufstelle, hinaufsteige und mich auf die Zehenspitzen stelle, eine wunderschöne Wiese, auf der in jedem Frühjahr Blumen in den verschiedensten Farben sprießen. Zur Zeit der Heuernte kommen Landleute auf diese Wiese und mähen das Gras. Im Laufe der letzten zehn Jahre konnte ich auf ihren Gesichtern einen Ausdruck der Zufriedenheit wahrnehmen, der von Jahr zu Jahr deutlicher wurde.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Aber Sie wissen doch, daß die Hausordnung es verbietet, aus dem Fenster zu schauen.
DER HÄFTLING
Das gilt doch nicht für die Zellen, die der ideologischen Umerziehung dienen. Aber das ist noch gar nichts, Herr Präsident. Hinter der Wiese ist ein Hügelchen, und dahinter ist im Laufe der letzten sieben Jahre eine Fabrik mit einem Kamin entstanden, aus dem häufig Rauch aufsteigt.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Als Feind unrichtiger Informationen muß ich Ihnen mitteilen, daß es sich da um ein Krematorium handelt.
DER HÄFTLING
Ja möchten Sie vielleicht, daß man die Verstorbenen wie vor Jahrhunderten in der Erde verscharrt? Haben die Atheisten nicht das gleiche Recht wie die Gläubigen, über ihren Leib und ihren Leichnam zu verfügen? Was Sie sagen, ist lediglich eine Bestätigung dessen, was ich schon geahnt habe, daß nämlich in unserem Lande auch im Bereich der religiösen Überzeugungen weiteste Toleranz herrscht.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Hmmm …
DER HÄFTLING
Oder nehmen wir die Kultur! Immer wenn ich in meiner Zelle auf und ab gehe, mehr in der Längsachse als in der Quere, denn, wie Sie wissen, hat die Zelle die Form eines länglichen Rechtecks, wenn ich also meinen Spaziergang mache, bin ich einfach ganz begeistert.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Dagegen läßt sich nichts sagen.
DER HÄFTLING
Sehen Sie!
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Ich bin im Dienst und darf meine Aufgabe nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das heißt, ich darf mich von Ihrem Sinneswandel nicht so mir nichts dir nichts überzeugen lassen. Zunächst muß ich Ihre Gesinnung prüfen, ob sie frei von Wankelmut und Zweifeln ist. Blicken Sie nicht vielleicht mit einer allzu rosigen Brille auf unsere Wirklichkeit? Versucht man sich ein Gesamtbild von unserem Wirtschaftsleben zu machen, darf man verschiedene Einzelerscheinungen, wie z.B. das Eisenbahnwesen, nicht übersehen.
DER HÄFTLING
Sogar der erbittertste Feind unserer staatlichen Ordnung kann nicht leugnen, daß es das Phänomen Eisenbahn bei uns gibt.
Pause – der Polizeipräsident und der Häftling sehen sich an. Der Polizeipräsident steht auf kommt hinter dem Schreibtisch hervor, geht schweigend auf und ab. Bleibt stehen, schaut einen Augenblick auf die Porträts des Infanten und Seines Onkels, des Regenten. Der Häftling sieht ihm hinterdrein wie beim Tischtennis dem Ball.
DER POLIZEIPRÄSIDENT
Und was diese Herrschaften betrifft, zeigt auf die Bilder hatten Sie da nie zufällig irgendwie merkwürdige Gedanken? … Ungeduldig Sie wissen...
Erscheint lt. Verlag | 25.5.2022 |
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Übersetzer | Ludwig Zimmerer |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
ISBN-10 | 3-257-61092-0 / 3257610920 |
ISBN-13 | 978-3-257-61092-5 / 9783257610925 |
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