Ein Mann mit vielen Talenten (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
160 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27558-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Mann mit vielen Talenten - Castle Freeman
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'Faust und Mephisto sind angekommen in den Wäldern von Vermont. Castle Freeman ist der Meister der coolen Verzauberung.' Michael Köhlmeier
Taft, ein dem Alkohol zugeneigter Eigenbrötler, steckt in einer Sinnkrise. Da kommt der schneidige Fremde namens Dangerfield gerade recht, der ihm auf der Veranda ein verführerisches Angebot macht: Taft hat sechs Monate Zeit, alles zu bekommen, was er jemals wollte - zu einem hohen Preis. Mit der Gewissheit, nichts zu verlieren zu haben, lässt sich Taft auf den Pakt ein und versucht auf seine Art, das teuflische Spiel zu unterlaufen. Doch der Stichtag rückt näher, und Dangerfield denkt nicht daran, von seiner Forderung abzurücken. Freeman besticht durch lakonische Dialoge und tiefe Kenntnis der menschlichen Psyche und 'sorgt einfach nur - sehr, sehr komisch - für gute Laune' (Deutschlandfunk).

Castle Freeman wurde 1944 in San Antonio, Texas, geboren. In Chicago aufgewachsen, studierte er an der Columbia University. Heute lebt er in Vermont, arbeitete als Redakteur und schreibt Short Stories und Romane. Sein Roman 'Männer mit Erfahrung' (Nagel & Kimche, 2016) wurde 2015 mit Anthony Hopkins, Julia Stiles und Ray Liotta verfilmt. Zuletzt erschienen von ihm 'Auf die sanfte Tour (Nagel & Kimche, 2017), 'Der Klügere lädt nach (Nagel & Kimche, 2018) sowie bei Hanser die Romane Herren der Lage (2021) und Ein Mann mit vielen Talenten (2022).

Glücklich der Mann, dessen Vater zum Teufel geht


Wer irgendwas von Langdon Taft wollte, versuchte, es vor elf Uhr morgens zu bekommen. Die hellen, schönen Vormittagsstunden waren Tafts beste Zeit. Nach dem Erwachen war er voller Schwung, doch der ließ um elf nach, und Taft wurde zerstreut. Man könnte auch sagen: Er brauchte Zerstreuung. Ein Mittel zur Zerstreuung. Ein bestimmtes Mittel. Um elf, das wusste man, schenkte Taft sich seinen ersten Sir Walter Scott ein. Als Exgentleman, Exlehrer, Exgelehrter, Exhausmann und Exabstinenzler hatte er vieles hinter sich, eigentlich das meiste, nicht aber — wie seine Nachbarn und Freunde feststellten — Sir Walter Scott.

Tatsächlich war das nichts als üble Nachrede. Taft war kein Vormittagstrinker. Wenn er morgens etwas trank, dann nicht aus Gewohnheit, sondern weil er in der Nacht zuvor vergessen hatte aufzuhören. So war es auch zweifellos an dem Tag, an dem Eli Adams um halb elf an die Tür des Raums klopfte, der Taft als Arbeitszimmer diente. Zu spät.

»Eli!«, rief Taft. »Eli, alter Freund! Komm rein, setz dich. Trink einen Schluck zum Wachwerden mit uns.«

Vorsicht, flüsterte Dangerfield. Er stand im Schatten hinter Taft. Seltsamerweise trug er über dem hellblauen Hemd und der rot gepunkteten Fliege einen frisch gebügelten weißen Kittel. Er hatte ein Stethoskop um den Hals gehängt, und auf der linken Brusttasche des Kittels stand eingestickt MASSACHUSETTS GENERAL HOSPITAL. Er hätte ein gut verdienender Arzt sein können. Vorsicht, murmelte er.

»Uns?«, fragte Eli.

Task schob ihm die Flasche Sir Walter über den Tisch und ein Glas hinterher. »Wasser?«

»Nichts, danke. Gar nichts. Oder doch, vielleicht einen Kaffee.«

»Gibt’s nicht«, sagte Taft. »Trinke ich nie. Hab ich nicht im Haus. Das Zeug ist schlecht für dich, Eli, richtig schlecht. Mir hat mal ein Arzt gesagt, wenn er seine Patienten dazu bringen könnte, für ihre Gesundheit auf eine Sache zu verzichten, würde er sagen: Kaffee. Genau, Kaffee. Schädlicher als Alkohol, als Zigaretten, als Drogen, als unsittliche Frauen, als —«

»Schädlicher als Arbeit?«

»Na ja«, sagte Taft. »Du weißt schon, was ich meine. Halt dich von Kaffee fern, Eli. Setz dich.«

Eli setzte sich gegenüber von Taft an den Tisch.

Dangerfield beugte sich zu Tafts Ohr hinunter. Fragen Sie ihn, was er will, flüsterte er.

»Was kann ich für dich tun, alter Freund?«, fragte Taft.

»Als ich neulich hier war, bin ich danach zu Marcia gefahren«, sagte Eli. »Die mit dem kleinen Sohn, du weißt schon.«

»Bobby«, sagte Taft.

»Sean. Er ist seit einer Woche im Massachusetts General.«

»Das klingt nicht gut.«

»Ist es auch nicht«, sagte Eli. »Bevor die mit der Therapie anfangen können, muss der Junge operiert werden. Die beiden wissen nicht, was sie tun sollen, und aus diesen Ärzten kriegt man nichts raus. Carl arbeitet nur noch Teilzeit, und Marcia putzt, wenn sie kann, aber sie hat ja auch noch das Baby.«

Taft nickte, hob sein Glas und nahm einen Schluck. »Bist du sicher, dass du nicht auch …?« Er zeigte auf die Flasche.

Eli schüttelte den Kopf. »Also hab ich ihr gesagt, ich rede mal mit dir«, sagte er. »Und sie hat gesagt, das soll ich nicht.«

Dangerfield beugte sich wieder zu Tafts Ohr und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: Fragen Sie ihn, was Sie seiner Meinung nach tun sollen. Sind Sie etwa Arzt?

»Das tut mir leid«, sagte Taft zu Eli. »Aber was soll ich deiner Meinung nach tun? Bin ich etwa Arzt?«

»Du weißt, was du bist«, sagte Eli. »Ein Freund. Ein alter Freund. Die Rechnungen vom Mass General liegen bei ihnen auf dem Fernseher. Der Stapel ist fünf Zentimeter dick, und dabei haben die gerade erst angefangen. Es kommen fünf-, sechsstellige Beträge auf sie zu, oder sie verlieren ihr Kind. Wahrscheinlich verlieren sie’s so oder so. Das wissen sie. Aber sie brauchen Hilfe. Und du kannst ihnen helfen. Mit Leichtigkeit. Und du bist ein Freund der Familie.«

Sagen Sie: Nicht von dieser Familie.

»Nicht von dieser Familie«, sagte Taft.

»Komm schon«, sagte Eli.

»Von wegen komm schon, mein Lieber. Du kennst die Geschichte.«

»Das ist jetzt wirklich bald Geschichte. Wie lange ist das her? Dreißig Jahre?«

»Wir Tafts haben ein langes Gedächtnis.«

»Na und?«

»Na und? Sie hat mich abserviert.«

»Na und?«, fragte Eli noch einmal. »Der kleine Junge im Mass General hat dich nicht abserviert. Seine Mutter hat dich nicht abserviert. Das war seine Großmutter, Herrgott!«

Hinter Tafts Stuhl zischte Dangerfield: Ich wette, jetzt wünscht sie sich, sie hätte das nicht getan.

»Ich wette, jetzt wünscht sie sich, sie hätte das nicht getan«, sagte Taft.

»Was war das?«, fragte Eli.

»Ich sagte, ich wünschte —«

»Ich hab dich schon verstanden. Okay, wie du meinst. Marcia hat gleich gesagt, ich soll es lassen. Na gut, dann werde ich mal gehen«, sagte Eli, blieb aber sitzen.

»Hat sie das gesagt?«

»Sie hat gesagt, es wäre Zeitverschwendung.«

Taft schüttelte lächelnd den Kopf. »Aber du wusstest es besser«, sagte er.

»Dachte ich jedenfalls.«

»Entspann dich, mein Freund«, sagte Taft. »Nimm den Stock aus dem Hintern und trink einen mit uns.« Er schob ihm die Flasche noch weiter zu.

Vorsicht.

»Mit uns?«, fragte Eli.

»Mit mir«, sagte Taft. Eli schenkte sich ein, nippte an seinem Glas und verzog das Gesicht.

»Was ist?«, fragte Taft.

»Das ist ein übles Zeug«, sagte Eli. »Du hast so viel Geld und trinkst nicht mal einen ordentlichen Scotch? Der hier schmeckt wie Spülwasser.«

»Er ist billig. Wir Tafts sind sparsame Leute. Nicht umsonst sind wir Schotten.«

»Schotten?«

»Aus den Lowlands. Wie unser Freund hier.« Er wies mit dem Kinn auf die Flasche Sir Walter.

»Ich dachte, ihr seid mit dem Präsidenten Taft verwandt«, sagte Eli.

»Sind wir auch — entfernt. Und was waren dessen Eltern? Schotten.«

»Ich denke, wir sind allesamt Amerikaner«, sagte Eli.

»Jetzt komm mir nicht mit Ellis Island und so weiter. Worauf ich raus will, ist: Wir Tafts sind sparsam. Weshalb ich in der Lage bin, dem armen kleinen Jungen und seiner Mutter und seinem Vater zu helfen. Und seiner verdammten Großmutter — möge ihre schwarze Seele in der Hölle schmoren.«

Hört, hört, murmelte Dangerfield.

»Dann willst du ihnen also helfen?«, sagte Eli.

»Was denkst du denn?«

»Wirklich helfen? Das volle Programm?«

»Das volle Programm«, sagte Taft. »Du machst jetzt Folgendes: Du fährst zu Marcia und sagst ihr, sie soll den fünf Zentimeter dicken Stapel Papier vom Mass General an mich schicken. Und wenn noch mehr Rechnungen kommen, soll sie die Umschläge gar nicht erst aufmachen, sondern gleich an mich weiterleiten.«

»Alle?«

»Alle. Sie soll sich darüber keine Gedanken machen. Und ihr Junge wird wieder gesund.«

»Hoffentlich.«

»Das weiß ich.«

Eli blinzelte, dann lachte er. »Tja«, sagte er, »dann ist ja alles in Ordnung. In allerbester Ordnung. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Danke. Wieso hast du deine Meinung geändert?«

»Ich habe meine Meinung nicht geändert, mein Freund. Ich wollte dich nur ein bisschen zappeln lassen. Entschuldigung.«

»Schon gut. Ich fahre gleich zu Marcia. Aber vielleicht sollte ich vorher noch einen Kleinen nehmen.«

»Bedien dich«, sagte Taft.

»Vielleicht bringe ich dir mal eine Flasche guten Scotch mit.«

»Spar dir die Mühe, alter Freund. Nach dem ersten halben Glas spielt Qualität keine große Rolle mehr, das wird er dir bestätigen«, sagte Taft, wandte den Kopf und sah zu Dangerfield auf.

»Wer?«, fragte Eli.

Vorsicht, flüsterte Dangerfield.

Als Eli Adams gegangen war, ging Dangerfield um den Tisch herum und setzte sich auf den Stuhl, wo Eli gesessen hatte. Er strich die Schöße des...

Erscheint lt. Verlag 25.7.2022
Übersetzer Dirk van Gunsteren
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Devil in the Valley
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • Christopher Marlowe • Country Noir • Familie • Faust • faustischer Pakt • Freunde • Gemeinschaft • Gier • Gute Taten • Himmel • Hölle • Humor • Mephisto • Seele • Teufel • Vermont • Versuchung • Witz
ISBN-10 3-446-27558-4 / 3446275584
ISBN-13 978-3-446-27558-4 / 9783446275584
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