Porträt einer Ehe (eBook)
448 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60284-6 (ISBN)
Maggie O'Farrell, 1972 in Nordirland geboren, zählt zu den wichtigsten irisch-britischen Autorinnen ihrer Generation. Sie wurde mit dem Somerset Maugham Award und dem Costa Book Award ausgezeichnet. Ihr Roman »Judith und Hamnet« gewann den Women's Prize for Fiction 2020, den National Book Critics Circle Award 2020 sowie den British Book Award 2021 für den besten Roman. Auch »Porträt einer Ehe« stand 2023 auf der Shortlist für den Women's Prize for Fiction und war ein Sunday-Times-Bestseller.
Maggie O'Farrell, 1972 in Nordirland geboren, zählt zu den wichtigsten irisch-britischen Autorinnen ihrer Generation. Sie wurde mit dem Somerset Maugham Award und dem Costa Book Award ausgezeichnet. Ihr jüngster Roman »Judith und Hamnet« führte über Monate die Bestsellerliste der Sunday Times an, gewann den Women's Prize for Fiction 2020 und den British Book Award 2021 für den besten Roman.
Die unglücklichen Umstände
von Lucrezias Zeugung
Palazzo, Florenz, 1544
In den folgenden Jahren sollte Eleonora die Art, wie ihr fünftes Kind gezeugt wurde, bitter bereuen.
Stellen Sie sich Eleonora im Herbst 1544 vor: Sie befindet sich im Kartenraum des Florentiner Palazzos und hält sich eine Landkarte dicht vors Gesicht (sie ist ein wenig kurzsichtig, würde das aber niemals zugeben). Ihre Hofdamen stehen etwas abseits, so nah beim Fenster wie möglich: Es ist zwar schon September, doch in der Stadt ist es drückend heiß. Als würde unten im Hof die Luft gebacken; Schwall um Schwall schwappt aus dem steinernen Rechteck zu ihnen hoch. Der Himmel hängt tief und reglos; kein Hauch bewegt die Seidentücher vor den Fenstern, und die Flaggen auf dem Schutzwall des Palazzos hängen schlaff herab. Die Hofdamen fächeln sich Luft zu und tupfen sich die Stirn lautlos seufzend mit einem Taschentuch ab. Sie alle fragen sich, wie lange sie noch hier in diesem getäfelten Raum ausharren müssen, wie viel Zeit Eleonora noch mit dem Betrachten dieser Karte verbringen will und was sie daran bloß so interessant finden mag.
Eleonoras Augen durchstreifen die Silberstiftdarstellung der Toskana: die Gipfel von Hügeln, das aalartige Geschlängel von Flüssen und die nordwärts aufsteigende, zerklüftete Küstenlinie. Ihr Blick schweift über die Landstraßen, die sich verknoten für die Städte Siena, Livorno und Pisa. Eleonora ist sich ihrer eigenen Seltenheit und ihres Wertes wohl bewusst: Sie hat nicht nur einen Körper, der eine ganze Reihe von Erben hervorzubringen vermag, sondern auch ein schönes Gesicht mit einer Stirn wie geschnitztes Elfenbein, weit auseinanderliegenden tiefbraunen Augen und einem Mund, der schön ist, ob sie nun lächelt oder schmollt. Darüber hinaus verfügt sie über einen raschen, unsteten Verstand. Sie kann im Gegensatz zu den meisten Frauen aus dem Gekritzel auf dieser Karte Kornfelder, Weinberge, Ernten, Bauernhöfe, Klöster und Zehnten zahlende Bauern herauslesen.
Sie legt die Karte hin, und gerade als ihre Hofdamen die Röcke raffen, um in besser belüftete Räumlichkeiten aufzubrechen, nimmt Eleonora eine andere Karte. Sie studiert das Gebiet nahe der Küste; dort scheint nichts verzeichnet zu sein außer ein paar vagen, unregelmäßigen Wasserflächen.
Wenn Eleonora eines nicht ertragen kann, dann ist das Nutzlosigkeit. Unter ihrer Ägide ist jeder Raum, jeder Gang, jedes Vorzimmer dieses Palazzos renoviert und mit einem Zweck versehen worden. Jede nackte Wand ist geschmückt und verschönert worden. Keinem ihrer Kinder, keiner ihrer Bediensteten oder Hofdamen ist auch nur eine Minute der Untätigkeit gestattet. Von morgens bis abends werden sie auf Trab gehalten durch einen Stundenplan, den Eleonora aufgesetzt hat. Wenn sie nicht schläft, erfüllt sie eine Aufgabe: schreibt Briefe, lernt Sprachen, erstellt Pläne und Listen oder überwacht die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder.
In Eleonoras Kopf regen sich Ideen, was mit dem Marschland zu tun wäre. Man muss es trockenlegen. Nein, man muss es bewässern. Man könnte Feldfrüchte anpflanzen. Man könnte eine Stadt bauen. Man könnte Seen anlegen, um Fische zu züchten. Oder ein Aquädukt oder ein –
Ihre Gedanken werden unterbrochen durch das Geräusch einer aufspringenden Tür, gefolgt von Stiefeln auf dem Boden: ein selbstbewusster, zielstrebiger Schritt. Sie dreht sich nicht um, sondern lächelt vor sich hin, während sie die Karte gegen das Licht hält und sieht, wie die Sonne Berge, Städte und Felder aufleuchten lässt.
Eine Hand legt sich auf ihre Hüfte, eine andere auf ihre Schulter. Sie spürt das gesprenkelte Stechen eines Bartes an ihrem Hals, den feuchten Druck von Lippen.
»Was treibst du, mein fleißiges Bienchen?«, flüstert ihr Mann ihr zu.
»Ich mache mir Gedanken über dieses Gebiet hier«, sagt sie und hält weiter die Karte hoch, »hier an der Küste, siehst du?«
»Mmm«, sagt er, lässt einen Arm um sie gleiten, vergräbt sein Gesicht in ihrem hochgesteckten Haar und drückt ihren Leib mit seinem gegen die harte Tischkante.
»Wenn wir es trockenlegten, könnte man es nutzen, für Landwirtschaft oder Häuser und …« Sie bricht ab, denn er macht sich an ihren Röcken zu schaffen, hebt sie hoch, damit seine Hand ungehindert von ihrem Knie über ihren Oberschenkel hoch und immer höher wandern kann. »Cosimo«, tadelt sie ihn flüsternd, doch es ist gar nicht nötig, denn ihre Hofdamen sind dabei, sich mit raschelnden Röcken aus dem Zimmer zurückzuziehen, auch Cosimos Berater gehen, drängeln an der Tür, begierig wegzukommen.
Die Tür fällt hinter ihnen ins Schloss.
»Die Luft dort ist schlecht«, fährt Eleonora fort, mit den blassen, schmalen Fingern auf die Karte weisend, als wäre nichts, als stünde kein Mann hinter ihr und versuchte, sich durch die verschiedenen Schichten ihrer Unterkleider einen Weg zu bahnen, »übel riechend und ungesund, und wenn wir …«
Cosimo dreht sie herum und nimmt ihr die Karte aus der Hand. »Ja, mein Schatz«, murmelt er, während er sie erneut gegen den Tisch drückt, »alles, was du sagst, alles, was du willst.«
»Aber Cosimo, du musst nur mal …«
»Später.« Nachdem er die Karte auf den Tisch geworfen hat, hebt er Eleonora hoch und setzt sie, in der Masse ihrer Röcke wühlend, darauf. »Später.«
Eleonora seufzt resigniert, und ihre Katzenaugen verengen sich zu Schlitzen. Sie sieht ein, dass er von seiner Absicht nicht abzubringen ist. Dennoch packt sie seine Hand.
»Versprichst du es mir?«, fragt sie. »Versprichst du mir, dass ich dieses Land nutzen darf?«
Seine Hand kämpft mit ihrer. Sie tun nur so, das ist ein Spiel, wie beide wissen. Cosimos Arm ist doppelt so dick wie ihrer. Er könnte ihr das Kleid binnen Sekunden vom Leib reißen, mit oder ohne ihre Zustimmung, wäre er eine andere Sorte Mann.
»Ich verspreche es«, sagt er, küsst sie, und sie lässt seine Hand los.
Noch nie, überlegt sie, während er in Gang kommt, hat sie sich ihm verweigert. Und wird es auch nie tun. Es gibt in ihrer Ehe viele Bereiche, in denen sie das Sagen hat, mehr als andere Frauen in ähnlichen Positionen. Ihm ungehinderten Zugang zu ihrem Körper zu gewähren, findet sie, ist ein kleiner Preis für all die Freiheiten und Möglichkeiten, die ihr gewährt werden.
Sie hat bereits vier Kinder und beabsichtigt, mehr zu bekommen, so viele, wie ihr Mann in sie hineinzupflanzen gewillt ist. Eine Herrscherfamilie muss groß sein, um dem Herzogtum Stabilität und Langlebigkeit zu verleihen. Vor ihrer Heirat mit Cosimo drohte diese Dynastie abzusterben, Geschichte zu werden. Und jetzt? Sind Cosimos Herrschaft und die Macht der Region gefestigt. Dank Eleonora gibt es im Kinderzimmer oben bereits zwei männliche Erben, die man dazu ausbilden wird, in Cosimos Fußstapfen zu treten, und zwei Mädchen, durch deren Verheiratung man sich mit anderen Fürstenhäusern verbinden kann.
Sie versucht, sich auf diesen Gedanken zu konzentrieren, denn sie möchte wieder schwanger werden, möchte nicht mehr an die ungetaufte Seele denken müssen, die sie letztes Jahr verloren hat. Sie spricht nie darüber, sagt niemandem, nicht einmal ihrem Beichtvater, dass das perlgraue Gesicht und die gekrümmten Finger dieses Kindes sie noch immer in ihre Träume verfolgen, dass sie sich nach ihm sehnt und sein Verlust in ihr ein großes Loch hinterlassen hat. Das beste Heilmittel gegen diese verschwiegene Schwermut ist, sagt sie sich, so rasch wie möglich wieder ein Kind zu bekommen. Sobald sie wieder schwanger ist, wird alles gut sein. Ihr Körper ist stark und fruchtbar. Das toskanische Volk nennt sie »la fecundissima«, die Fruchtbarste, und das trifft die Sache. Beim Gebären hat sie auch nie so höllische Qualen gelitten, wie man ihr hatte weismachen wollen. Als sie das Haus ihres Vaters verließ, nahm sie Sofia, ihr eigenes Kindermädchen, mit, und diese kümmert sich jetzt um die Sprösslinge. Eleonora ist jung, schön, ihr Mann liebt sie, ist ihr treu und ihr zuliebe zu allem bereit. Sie wird das Kinderzimmer oben unter dem Dach füllen; sie wird es mit Erben vollstopfen, Kind um Kind um Kind gebären. Warum nicht? Nie mehr wird ihr ein Kind vorzeitig entgleiten; das wird sie nicht zulassen.
Während sich Cosimo in der Hitze der Sala delle Carte Geografiche abrackert, seine ...
Erscheint lt. Verlag | 27.10.2022 |
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Übersetzer | Thomas Bodmer |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Marriage Portrait |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 16. Jahrhundert • anspruchsvolle Romane • Belletristik Neuerscheinung 2022 • Bestseller aus Großbritannien • britische Literatur • britische Literatur Frauen • British Book Award Preisträgerin • Die stumme Herzogin • Ehe • Ferrara • Florenz • Gift • Hamnet • Heirat • Heranwachsen • Herzog • Herzogin • Historischer Roman 16. Jahrhundert • historischer Roman adelige • Historischer Roman Italien • Junge Frau • Lucretia • lucrezia • Medici • Meine letzte Herzogin • My Last Duchess • Robert Browning • Roman • Roman Geschenk • The Marriage Portrait • tragisch • Vergiftung • Women's Prize for Fiction Preisträgerin |
ISBN-10 | 3-492-60284-3 / 3492602843 |
ISBN-13 | 978-3-492-60284-6 / 9783492602846 |
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