Das Mädchen vom Striezelmarkt (eBook)

Weihnachtsmarkt-Saga
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
540 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-2839-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Mädchen vom Striezelmarkt -  Dominique Steinberg
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Eine Holzschnitzerin und ihr Traum von Freiheit und Liebe

Dresden, 1899. Für Lea gibt es nichts Schöneres im Jahr als ein Besuch des Striezelmarkts mit seinen bunten Verkaufsständen und tausend Lichtern. Denn Leas heimliche Leidenschaft ist das Schnitzen von Holzfiguren. Doch ihr Traum, ihre kleinen Kunstwerke irgendwann einmal auf dem berühmten Weihnachtsmarkt auszustellen, bleibt ihr, dem jüdischen Mädchen, verwehrt. Aber dann geschieht dank eines Freundes Leas persönliches kleines Weihnachtswunder: Als Geselle verkleidet und unter falschem Namen verkauft sie ihre Holzschnitzereien auf dem Striezelmarkt und hat großen Erfolg. Der bleibt nicht unbemerkt - und schon bald steht nicht mehr nur ihre Zukunft auf dem Spiel, sondern auch ihr Leben ...



DOMINIQUE STEINBERG wurde 1969 in Heidelberg geboren, studierte Geschichte und Anglistik und veröffentlichte unter anderem Namen bereits mehr als zwanzig historische Romane, von denen einige zu Bestsellern avancierten. Steinberg lebt und arbeitet in der Nähe von Neustadt an der Weinstraße.

DOMINIQUE STEINBERG wurde 1969 in Heidelberg geboren, studierte Geschichte und Anglistik und veröffentlichte unter anderem Namen bereits mehr als zwanzig historische Romane, von denen einige zu Bestsellern avancierten. Steinberg lebt und arbeitet in der Nähe von Neustadt an der Weinstraße.

1.


Im Salon über dem Antiquitätengeschäft brannten an diesem Nachmittag nur wenige Lichter. Die Liebermanns empfingen zwar Dutzende von Gästen, doch es war keine der üblichen Geselligkeiten, die ihre Bekannten in die Eliasstraße führte. Das Kommen und Gehen und das Schlagen von Türen brachten kalte Luft und Unruhe in den geschmackvoll eingerichteten Raum. Dabei bemühte sich jeder der Neuankömmlinge um ein würdevolles Auftreten. Bärtige Herren in schwarzem Zwirn, den Zylinderhut auf dem Kopf, ließen sich schweigend auf Fußbänken oder Schemeln nieder, von denen sie sich nur mithilfe des Hauspersonals wieder erheben konnten. Ihre Ehefrauen legten die klammen Mäntel ab und scharten sich sogleich um den Kamin, wo nur ein kleines Feuer entfacht worden war. Auch für sie wurden eilig Stühle herbeigebracht. Das Dienstmädchen ging langsam durch den Raum, um den Besuchern Erfrischungen anzubieten. Es gab russischen Tee, den die meisten Gäste jedoch dankend ablehnten. Keiner wollte vor dem anderen den Eindruck erwecken, er sei nur gekommen, um zu essen und zu trinken. Geredet wurde, wenn überhaupt, nur leise, mit gesenkter Stimme. Die meisten saßen einfach ein Weilchen da und starrten ins Leere. Ehe sie sich erhoben, nickten sie den Gastgebern zum Abschied zu und verließen dann den Salon, um anderen Besuchern Platz zu machen. Damit war die Pflicht der Schiwa, der Totenklage für den alten Jakob Liebermann erfüllt.

Lea, die jüngste Tochter des Verstorbenen, stand ein wenig abseits und nestelte nervös an den schwarzen Perlen ihrer Kette. Sie wusste, dass die Schiwa zu den Traditionen gehörte, auf deren Einhaltung ihr Vater strikt gepocht hätte. Dennoch wünschte sie sich, die Leute würden endlich gehen und sie mit ihrer Trauer allein lassen. Ihr einziger Trost war, dass die Trauerzeit an diesem Abend zu Ende ging. Ab morgen würden sie alle ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen. Das Hausmädchen würde die schwarzen Tücher von den Spiegeln nehmen und den Trauerflor von der Tür entfernen. Ihre Brüder würden den Laden öffnen und Möbel verkaufen, genauso wie sie es vor Vaters Tod getan hatten. Dora, ihre Schwägerin, würde sich weiterhin um den Haushalt kümmern. Im Grunde war Lea sogar froh, dass die Ehefrau ihres ältesten Bruders Aaron diese Pflichten übernommen hatte, denn Lea hatte nie viel Interesse für die Tätigkeiten aufgebracht, mit denen sich die anderen jungen Mädchen ihres Alters beschäftigten. Vermutlich war das der Grund gewesen, warum ihr Vater sie in das teure Pensionat im Harz geschickt hatte. Dort hatte man Lea auf eine Ehe vorbereiten wollen, und zunächst hatte sie sich auch Mühe gegeben, ihren Vater nicht zu enttäuschen. Sie hatte Klavier-, Gesangs- und Tanzunterricht genommen. Sie hatte gelernt, wie man Haushaltsbücher führt und mit Dienstboten umgeht. Mit diesen und vielen weiteren Kenntnissen war sie im Sommer nach Dresden zurückgekehrt, wo sie aber bald hatte feststellen müssen, dass ihr Wissen überhaupt nicht anwendbar war. Jakob Liebermann war trotz seines geschäftlichen Erfolgs ein bescheidener Mann gewesen, der mehr Wert auf Fleiß und die Einhaltung der religiösen Gebote gelegt hatte als auf teure Kleidung oder delikate Speisen. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, das Antiquitätengeschäft am Sabbat zu öffnen. Er hatte darauf bestanden, dass man am Freitagabend in die Synagoge ging und die Feiertage einhielt. All das war Lea in ihrem Pensionat im Harz aber nicht beigebracht worden, was ihren Vater zu dem Urteil bewogen hatte, er habe sein Geld zum Fenster hinausgeworfen.

Lea blickte trübsinnig zum Kamin, wo das Porträt ihres Vaters hing, das einzige Gemälde im Salon, das unverhüllt geblieben war. Je länger sie es betrachtete, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Trotz seiner Strenge hatte sie den alten Mann geliebt, und sein Tod schuf eine schmerzhafte Leere in ihr. Wie gern hätte sie ihm doch vor seinem Tod gesagt, dass er sich um sie nicht sorgen müsse, dass sie mit ihrem Leben zufrieden sei. Sie hätte ihm auch gerne anvertraut, was sie wirklich glücklich machte, aber vermutlich hätte ihn das so aufgeregt, dass ihn der Schlag noch früher getroffen hätte. Also hatte sie nur stumm seine Hand gehalten.

»Lea!«, rief ihre Schwägerin.

Dora war eine große, grazile Frau, die auf der Straße bewundernde Blicke auf sich zog. Sie hatte ein ebenmäßig geformtes Gesicht mit milchig-blasser Haut und pechschwarzes, seidig glänzendes Haar, um das Lea, deren Haarfarbe an Herbstlaub erinnerte, sie beneidete. Wie gewöhnlich trug Dora auch heute einen dunklen Rock und darüber eine fast knielange Weste aus nachtblauer Seide, die mit winzigen Perlen bestickt war und sehr elegant wirkte. Dora bewegte sich anmutig an ihren Gästen vorbei, eines der beiden Dienstmädchen wie ein Gefolge im Schlepptau, bis sie vor Lea stand. Lea bekam einen trockenen Mund. So erging es ihr immer, wenn Dora sich dazu herabließ, mit ihr zu sprechen, denn ihre Schwägerin vermittelte ihr neuerdings allzu oft das beklemmende Gefühl, ein überflüssiger Esser im Haus der Liebermanns geworden zu sein.

»Wie oft muss ich dich rufen, bis du mich hörst?« Doras Frage klang vorwurfsvoll, dennoch umspielte ein sanftes Lächeln ihre geschwungenen Lippen. Eigentlich lächelte sie fast immer, selbst wenn es dafür keinen Anlass gab. »Der Notar ist endlich da. Dein Bruder und ich wollen die Schiwa nun aufheben. Es wird Zeit, die Leute heimzuschicken!« Mit einem kritischen Blick überprüfte sie, ob Leas Frisur auch saß und ihre Kleidung in Ordnung war.

Normalerweise hätte sich Lea dagegen gewehrt, doch heute ließ sie die Blicke ihrer Schwägerin unkommentiert über sich ergehen. Sie war müde und ganz und gar nicht in der Stimmung, mit Dora zu streiten. Ihr Vater hatte sie manchmal gegen Doras Sticheleien in Schutz genommen. Nicht weil er ihre Meinung nicht geteilt hätte, sondern, weil er in seinem Haus keinen Unfrieden geduldet hatte. Nun aber war er tot, und es gab niemanden mehr, der Dora hätte Einhalt gebieten können. Ihr Bruder Aaron hatte zwar nichts gegen sie, stand aber, was familiäre Angelegenheiten betraf, ganz aufseiten seiner Frau. Er teilte Doras Ansicht, dass Leas Mangel an Liebreiz und ihre Verträumtheit schuld daran waren, dass sich noch immer kein Mann für sie interessiert hatte.

Dora führte Lea zu einigen Herren, die vor der Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters auf sie warteten, darunter auch Leas Brüder Aaron und Oskar, die ihr höflich zunickten.

»Nun, dann wären wir ja vollzählig«, sagte Aaron, der so vernünftig und sachlich klang wie immer. »Gewiss können wir die Angelegenheit rasch abwickeln, damit der Herr Notar nach Hause kommt, bevor es wieder zu schneien beginnt. Das Wetter ist momentan wirklich unberechenbar, nicht wahr?«

Leas Bruder legte seine Hand auf die Türklinke, ganz der Herr des Hauses, der er in wenigen Augenblicken auch offiziell sein würde. Er war ein gut aussehender Mann, der, obwohl ihm die Zeit für körperliche Ertüchtigung fehlte, eine schlanke, fast schon athletische Statur besaß. Wie alle Liebermanns hatte er braunes welliges, dichtes Haar, und er hatte es sich angewöhnt, es zu scheiteln und länger zu tragen, als es der gängigen Mode entsprach. Ein Oberlippenbärtchen, welches er mit nahezu peinlicher Gewissenhaftigkeit pflegte, verlieh ihm eine dandyhafte Note, was aber keineswegs seinem Wesen entsprach. Mochte Aaron sich auch modisch kleiden und einer Vorliebe für Zigarren und guten Wein frönen, dem Wesen nach war er ein Abziehbild des alten Jakob Liebermann. Lea bezweifelte keinen Augenblick, dass Aaron die Geschäfte des Verstorbenen in dessen Sinne weiterführen würde. Nichts würde sich ändern. Weder für sie noch für die anderen, die unter diesem Dach lebten. Als sie den Notar in seinen Akten blättern sah, wurde dieses Gefühl umso stärker. Sie sah zu ihrem Bruder Oskar, der stumpfsinnig an seinen Nägeln knabberte – eine Unsitte, die ihm niemand je hatte abgewöhnen können. Oskar und Aaron waren Zwillinge, eineiige sogar. Doch trotz ihrer Ähnlichkeit hätte kaum einer die beiden Männer miteinander verwechselt. Oskar war nicht hässlich, besaß aber weder Aarons blendendes Aussehen noch eine Spur von dessen Gewandtheit. Er erweckte stets den Anschein, als wäre er soeben erst aufgestanden oder im Begriff, zu Bett zu gehen. In seinen Augen war kein Funkeln, er machte niemals einen Scherz, über den andere lachten, und fühlte sich von geistreicher Konversation überfordert. Offiziell nahm er im Geschäft dieselbe Position wie Aaron ein, aber jedem in der Familie war klar, dass er dies nur tat, weil sein Vater es so gewünscht hatte. Obwohl Oskars Miene für gewöhnlich nicht preisgab, was er fühlte oder dachte – sofern er überhaupt etwas dachte, – glaubte Lea nun, Erleichterung in den Augen ihres Bruders zu sehen. Vermutlich rechnete er schon damit, dass das Testament des alten Jakob ihn seiner Pflichten in der Geschäftsleitung enthob. Er würde natürlich in der Firma bleiben, aber keine Entscheidungen mehr treffen müssen. Ein entspanntes Leben erwartete ihn. Trist und langweilig, aber geregelt. Für Oskar würde sich alles fügen, nicht aber für Lea. Und ebendas bereitete ihr Sorgen.

Aaron gestattete dem Notar, an dessen Namen Lea sich nicht erinnerte, an Vaters Schreibtisch Platz zu nehmen, wo er sofort daranging, seine Dokumente und Akten vor sich auszubreiten. Für Lea sah es aus, als legte er eine Patience. Sie und Aaron ließen sich auf den von Dora arrangierten Stühlen nieder. Nur Oskar setzte sich nicht. Er trat zu der großen Standuhr, die kurz nach dem Tod des Vaters angehalten worden war, und setzte das Pendel wieder in Bewegung. Als Lea das Ticken vernahm, das ihr seit...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Erzgebirge • Erzgebirgsfiguren • Familiensaga • Krippenschnitzer • Krippenschnitzerin • Sachsen • Saga • Striezelmarkt • Weihnachten • Weihnachtsmarkt
ISBN-10 3-7517-2839-2 / 3751728392
ISBN-13 978-3-7517-2839-3 / 9783751728393
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