Die Chirurgin von London (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
512 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-28467-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Chirurgin von London - Audrey Blake
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Im viktorianischen London greift eine junge Dame zum Skalpell - doch ihr Können muss geheim bleiben ...
London 1845. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern wächst Nora Beady im Haus des exzentrischen Chirurgen Dr. Horace Croft auf. Während andere junge Damen sich mit Handarbeiten und höflicher Konversation beschäftigen, assistiert Nora Dr. Croft bei seinen Operationen und fertigt anatomische Skizzen an. Als Dr. Croft den jungen Arzt Daniel Gibson einstellt, muss sie ihr Wissen jedoch vor ihm verbergen. Aber die Rolle einer anständigen Dame gefällt Nora ganz und gar nicht, und so greift sie eines Nachts erneut zum Skalpell. Prompt erwischt Daniel sie am Seziertisch. Er schwankt zwischen Entsetzen und heimlicher Bewunderung ...

Audrey Blake ist das Pseudonym der beiden Autorinnen Regina Sirois und Jaima Fixsen. Die beiden wohnen 2.500 km voneinander entfernt - Jaima in Kanada und Regina in Kansas - und haben sich bei einem Schreibwettbewerb kennengelernt. Sie teilen ihre Vorliebe für Geschichte, Sprache und bemerkenswerte Frauen.

Prolog


Mit seiner schwarzen Tasche unter dem Arm stapfte Dr. Horace Croft über den unebenen Bürgersteig. Obwohl an diesem Nachmittag die Sonne schien, war es still in den Straßen, und Angst lag in der Luft. Die Geschäfte waren geschlossen und die Türen verriegelt, durch die Fenster beobachteten ihn viel zu viele Menschen mit furchterfüllten Gesichtern. Seit fünfzehn Jahren graute es ganz London vor der Cholera. Nun war sie angekommen.

Croft hatte versucht, sich darauf vorzubereiten, indem er die ersten Seuchenberichte aus Indien, Russland und Japan studiert hatte. Er war nicht gläubig, und doch hatte er vor Erleichterung ein stummes Dankesgebet gesprochen, als 1827 der Ausbruch im Kaukasus zum Erliegen gekommen war, bevor die Seuche Europa erreichen konnte. Wie töricht von ihm! Nur vier Jahre später war die tödliche Krankheit aus den dunklen Wäldern des Ostens in den Balkan vorgedrungen. Im nächsten Jahr hatte sie die felsige Küste Englands erreicht. Wie durch ein Wunder war der Ausbruch in Sunderland eingedämmt worden, doch das hatte ihnen lediglich eine Gnadenfrist verschafft. Drei Monate später waren die ersten Fälle in London aufgetaucht.

Er hatte heute schon zehn Patienten besucht, alle lebten weniger als eine Meile voneinander entfernt. Er runzelte die Stirn, immer noch aufgewühlt nach seinem letzten Hausbesuch.

Jemmy Watt hatte am Vortag zum ersten Mal nach ihm rufen lassen, damit er dessen fiebernde Frau behandelte. Heute war sie bereits tot, genau wie ihre Kinder, und Jemmys Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide. Es wäre ein Wunder, wenn Croft ihn am nächsten Tag lebend antreffen würde. Gegen diese Krankheit konnte man nicht ankämpfen. Noch dazu ärgerte ihn, dass die Jungen von der Gemeinde Feiglinge waren und sich geweigert hatten, die Leichname von Jemmys Familie abzuholen. Croft hatte die Kerle angeherrscht und verwünscht, sie davor gewarnt, die infektiösen Leichen liegen zu lassen. Irgendwann hatten sie die Toten schließlich doch geholt, allerdings nicht, ohne sich zuvor Leinentücher um die Gesichter zu binden als Schutz vor den ansteckenden Gerüchen. Nach all dem Geschimpfe hatte Croft nun eine staubtrockene Kehle.

Er hatte noch einen letzten Krankenbesuch vor sich, bevor er nach Hause konnte. Bei dieser Patientin hegte er zumindest noch etwas Hoffnung. Francis Beady, ein Schreibwarenhändler, war bereits verstorben und vor einer Woche in Ätzkalk begraben worden, aber seine Ehefrau Margaret ignorierte ihre Trauer mit einem eisernen Willen. Am Vortag war sie zwar schmallippig und kurz angebunden gewesen, aber dennoch fest entschlossen, ihre erkrankte Schwiegermutter am Leben zu halten. Das Beste aber war, dass ihr Kind und ihr Baby noch immer gesund waren. Er hatte Margaret Beady eine Tinktur aus Weidenrinde gegen das Fieber gegeben und sie angewiesen, sich Hilfe für die Pflege ihrer Schwiegermutter zu holen, auch wenn sie beide wussten, dass niemand kommen würde.

»Ich werde es versuchen«, hatte Margaret gesagt, während sie der Schwiegermutter mit einem Löffel Wasser zwischen die trockenen Lippen geträufelt hatte. Das kleine Mädchen – gerade einmal acht oder neun Jahre alt – hatte derweil das Baby auf den Knien geschaukelt. Die alte Frau schien dem Tod noch einmal von der Schippe zu springen.

Ja, er ging davon aus, im Hause Beady Besserung zu sehen. Das Geschäft war natürlich geschlossen, also klopfte er laut an die Tür. Als er keine Antwort erhielt, sah er auf die Armbanduhr. Mrs Beady müsste ihn eigentlich erwarten.

»Mrs Beady!« Er hörte immer noch nichts. Besorgt rüttelte er am Türknauf. Der ließ sich bewegen, die Tür war unverschlossen. Croft runzelte die Stirn. Das sah Mrs Beady gar nicht ähnlich, auch wenn natürlich derzeit nur geringe Einbruchsgefahr bestand – die Nachbarn wussten alle von der Erkrankung der Familie. Croft trat ein und lief an den spärlich beleuchteten Regalen vorbei, in denen Notizbücher und Papier lagen. Innerhalb von nur einer Woche hatte sich ein Staubfilm über die Bretter gelegt.

Es war ein kleiner Laden, aber die Beadys verdienten besser als Jemmy Watt. Nicht, dass Geld die Cholera fernhalten oder auch nur die Sterbewahrscheinlichkeit verringern konnte. Er stieg die Treppen zu den Privatzimmern der Familie im ersten Stock hinauf.

»Mrs Beady?«

Es war zu still, und am oberen Treppenabsatz schlug ihm der verräterische Gestank entgegen. Resigniert trat er ein und stieg über die verwaisten Spielzeuge auf dem Boden hinweg.

Den leblosen Körper der alten Dame fand er im Schlafzimmer, doch Mrs Beadys Gesundheitszustand hatte es ihr offenbar noch erlaubt, ihre Schwiegermutter mit einem Laken zu bedecken. Sie selbst lag zusammengerollt auf dem Wohnzimmerboden, das Haar noch feucht, die Lippen aufgesprungen, ihr Baby neben sich. Es musste nach ihr gestorben sein, da es unbedeckt in seinem eigenen Schmutz lag und Margaret ihr Kind nie vernachlässigt hätte. Seufzend richtete er sich auf und zupfte seinen Mantel zurecht. Was das andere Kind anging …

Croft sah sich um, doch er entdeckte es nirgends.

»Miss Beady?« Den Vornamen des Mädchens kannte er nicht. »Miss Beady!«

Er spürte das sanfte Ausatmen mehr, als dass er es hörte. Sie saß dicht hinter ihm, zusammengekauert in einem schäbigen Sessel. Er hob ihr Kinn an – sie war noch am Leben, die Haut heiß, der Blick getrübt. Er prüfte ihren Puls und runzelte die Stirn, als er die langsamen, schwachen Schläge zählte und das Beben ihrer Finger bemerkte. Mit einer Hand drückte sie eine Schöpfkelle gegen ihren Bauch. Die Schüssel neben ihr war leer. Ihre Lippen bewegten sich, und auch wenn sie es nicht schaffte, einen Ton zu erzeugen, hörte er beinahe das Knistern ihrer schuppigen Haut.

Wasser, formte sie mit den Lippen. In diesem Zimmer gab es kein Wasser.

»Ich bin gleich wieder da«, sagte er, bevor er sich auf die Suche nach der Küche machte. Dort fand er zwar kein Wasser, aber in der Teekanne auf dem Tisch war noch ein kleiner Rest kalter Flüssigkeit. Das würde reichen.

Er versuchte, ihr etwas davon auf die Lippen zu träufeln, doch die Tropfen rollten davon, bevor das Mädchen sie erwischte. Nervös tupfte er die Flüssigkeit mit seinem Taschentuch auf. Als er ihr den nassen Stoff an den Mund legte, saugte sie daran. Sie hob die Finger, die bereits spindeldürr waren – die Cholera war fürchterlich aggressiv – , um das Tuch festzuhalten. Er ließ sie eine Weile saugen, dann musste er es ihr wieder wegnehmen, um es erneut zu tränken. Ihr Griff war stärker als erwartet, dennoch versuchte er, sich keine Hoffnungen zu machen. Es war leicht, deprimierend leicht, sich einzubilden, dass die Patienten besser aussahen. Hatte er nicht eben noch gedacht, die alte Frau würde es schaffen? Dieses Mädchen wirkte so fragil wie eine Pusteblume.

Sie konnte nicht allein hierbleiben. Sie musste gebadet und in saubere Kleidung gesteckt werden. Irgendjemand musste das Taschentuch für sie befeuchten und aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann zusehen, wie sie aufgab und starb.

Ah, vor dem Fenster hingen Vorhänge. Das musste reichen, und vermutlich war das der sauberste Stoff im Haus. Mit beiden Händen packte Croft das verschmutzte Nachthemd des Mädchens und riss es vorne entzwei. Sie zuckte zusammen, aber ob es an seinen Händen oder dem Geräusch lag, konnte er nicht sagen. Sie war zu dünn und ihre Haut zu blau. Mit den sparsamen, effizienten Bewegungen eines Feldarztes schälte er ihre dreckige Wäsche ab und zog dann an den Vorhängen. Die Gardinenstange brach aus der Wand und fiel – zusammen mit den Ringen und inmitten einer Wolke aus Putz und Staub – krachend zu Boden, während mit einem Mal gleißendes Sonnenlicht den Raum erfüllte. Er kniff die Augen zusammen und hustete. Das Mädchen machte ein Geräusch. Er beugte sich näher zu ihr und bemerkte das Flackern ihrer eingesunkenen Augen und das Beben ihrer Lippen.

»Komm, wir decken dich mit den Vorhängen zu.«

Er hob sie hoch und wickelte sie in die langen Tücher. Selbst mit den Vorhängen war sie nicht schwerer als ein stattlicher Border Collie. Croft war kräftig und daran gewöhnt, tote Körper zu tragen, aber der herunterhängende Stoff, der sich in seinen Armen verhedderte, war ein Risiko. Er schlang ihn um ihre schlaffen Beine und trug sie die Treppe hinunter. Niemand hielt ihn auf, als er das Haus verließ, doch er zwang sich dazu, an die Haustür der Nachbarn zu klopfen.

»Sie müssen jemanden rufen, der die Leichname abholt«, sagte er zu der Frau mit den müden Augen, die misstrauisch durch den geöffneten Türspalt spähte.

Sie blinzelte. Croft bekämpfte das Verlangen, sie anzufahren. Diese dämliche Frau musste gewusst haben, dass die Beadys krank waren, doch sie hatte keinen Finger gerührt, um ihnen zu helfen.

»Und die da?«, fragte sie.

»Ich nehme sie mit.«

Die Frau protestierte nicht, sie war sich seiner Geringschätzung anscheinend nicht bewusst oder störte sich nicht daran.

Die Blicke, die ihn und das Mädchen auf der Straße streiften, zuckten schnell weiter. Als er zu Hause ankam, atmete er schwer und schaffte es nicht, aufzuschließen. Er musste klopfen und auf seine Haushälterin warten.

»Was machen Sie denn?«, verlangte sie zu wissen. »Sie können die Leichen nicht durch die Haustür hereinbringen.«

Seine üblichen Lieferungen wurden immer in tiefster Nacht an die Hintertür gebracht, denn wenn er damit hausieren ginge, dass er gestohlene Leichen kaufte, könnte er die Menschen genauso gut direkt einladen, seine Fenster...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2023
Übersetzer Kerstin Ostendorf
Sprache deutsch
Original-Titel The Girl in his Shadow
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Bücher über starke Frauen • eBooks • Frau Freundin • historisch • Historische Romane • Liebesromane • London • Medizin • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Roman • Taschenbuch • Viktorianische Zeitalter
ISBN-10 3-641-28467-8 / 3641284678
ISBN-13 978-3-641-28467-1 / 9783641284671
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