Das Verschwinden der Sterne (eBook)

Roman

****

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
400 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46336-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Verschwinden der Sterne -  Kristin Harmel
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
So außergewöhnlich wie herzergreifend: ein dramatisches Frauenschicksal zur Zeit des 2. Weltkriegs Eine junge Frau nutzt ihr Wissen über die Wildnis, um jüdische Flüchtlinge vor den Nazis zu retten - bis ein grausames Geheimnis alles zu zerstören droht. Seit sie als kleines Kind aus ihrem Elternhaus entführt wurde, ist Jona fast auf sich allein gestellt in der unerbittlichen Wildnis Osteuropas aufgewachsen. 1942 trifft sie tief im Wald auf eine Gruppe Juden, die den Nazis entkommen konnten. Jona ist fassungslos, als sie erfährt, was in der Welt geschieht. Sie bringt den Flüchtlingen alles bei, was sie über das Überleben abseits der Zivilisation weiß. Doch dann treibt ein bitterer Verrat Jona zur Flucht. Als sie sich ausgerechnet in einem von den Deutschen besetzten Dorf wiederfindet, muss sie sich einer Erkenntnis stellen, die ihr ganzes Leben verändert: Sie ist nicht die, die sie zu sein glaubte ... Einfühlsam, berührend und gleichzeitig hochspannend erzählt Kristin Harmel eine eindrucksvolle Geschichte von Hoffnung, Liebe und Mut in finsteren Zeiten. Entdecken Sie auch die anderen bewegenden historischen Romane der Bestsellerautorin: - Solange am Himmel Sterne stehen - Heute fängt der Himmel an - Ein Ort für unsere Träume - Das letzte Licht des Tages - Das Buch der verschollenen Namen

Kristin Harmel arbeitet als Autorin und Journalistin. Mit ihrem Debüt Solange am Himmel Sterne stehen landete sie einen weltweiten Bestseller. Sie lebt mit ihrem Mann in Orlando, Florida.

Kristin Harmel arbeitet als Autorin und Journalistin. Mit ihrem Debüt Solange am Himmel Sterne stehen landete sie einen weltweiten Bestseller. Sie lebt mit ihrem Mann in Orlando, Florida.

Kapitel 2


1928

Das Mädchen aus Berlin war acht Jahre alt, als Jerusza ihr zum ersten Mal beibrachte, einen Mann zu töten.

Natürlich hatte Jerusza den Rufnamen des Kindes verworfen, sobald sie, sechs Jahre zuvor, den frischen, kühlen Rand der Wälder erreicht hatten. Inge bedeutete »die Tochter eines heldenhaften Vaters«, und das war eine Lüge. Das Kind hatte jetzt keinen Elternteil mehr bis auf den Wald selbst.

Außerdem hatte Jerusza von dem Augenblick an, in dem sie zum ersten Mal das Licht über Berlin sah, gewusst, dass das Kind Jona genannt werden sollte, was auf Hebräisch »Taube« bedeutete. Sie hatte es gewusst, schon bevor sie das Muttermal des Mädchens sah, das mit der Zeit nicht verblasst, sondern kräftiger, dunkler geworden war, ein Zeichen, dass dieses Kind etwas Besonderes war, dass es zu etwas Großem bestimmt war.

Der richtige Name war von entscheidender Bedeutung, und die alte Frau konnte Jona nichts anderes nennen als das, was sie war. Sie erwartete, natürlich, im Gegenzug dasselbe, Respekt vor ihrer wahren Identität. Jerusza bedeutete »angenommenes Erbe« – eine Anspielung auf die magischen Kräfte, die sie von ihrer eigenen Linie erhalten hatte, und ein Tribut an die Tatsache, dass sie vom Wald selbst angenommen worden war –, und das war der einzige Name, bei dem Jona sie nennen durfte. »Mutter« bedeutete etwas anderes, etwas, das Jerusza nie sein würde, nie sein wollte.

»Es gibt Hunderte von Arten, ein Leben zu nehmen«, erklärte Jerusza dem Mädchen an einem schwindenden Julinachmittag kurz nach dem achten Geburtstag des Kindes. »Und du musst sie alle kennen.«

Jona, die dabei war, einen winzigen Zaunkönig aus einem Stück Holz zu schnitzen, sah auf. Sie hatte damit begonnen, sich zur Gesellschaft Geschöpfe zu gestalten, was Jerusza nicht verstand, denn sie selbst schätzte Einsamkeit mehr als alles andere, aber es schien ein harmloser Zeitvertreib zu sein. Jonas Haar, in der Farbe der tiefsten sternlosen Nacht, ergoss sich über ihren Rücken, wallte über vogelartige Schultern. Ihre Augen – endlos und beunruhigend – waren trübe vor Verwirrung. Die Sonne stand tief am Himmel, und Jonas Schatten erstreckte sich hinter ihr bis zum Rand der Lichtung, als versuchte er, in die Bäume zu fliehen. »Aber du hast mir doch immer gesagt, dass das Leben kostbar ist, dass es Gottes Geschenk an die Menschheit ist, dass es beschützt werden muss«, erwiderte das Mädchen.

»Ja. Aber das wichtigste Leben, das du beschützen musst, ist dein eigenes.« Jerusza streckte eine Hand flach aus und legte sie mit der Kante an ihre eigene Luftröhre. »Wenn jemand kommt, um dich zu holen, kann ein harter Schlag hier, korrekt ausgeführt, tödlich sein.«

Jona blinzelte ein paarmal, sodass ihre langen Wimpern ihre Wangen berührten, die unnatürlich blass waren, immer blass, obwohl die Sonne unerbittlich auf sie herunterbrannte. Als sie den hölzernen Zaunkönig neben sich auf dem Boden ablegte, zitterten ihre Hände. »Aber wer sollte denn kommen, um mich zu holen?«

Jerusza starrte das Mädchen voller Missbilligung an. Sie hatte den Kopf in den Wolken, Jeruszas Lehren zum Trotz. »Du törichtes Kind!«, fauchte sie.

Das Mädchen zuckte vor ihr zurück. Es war gut, dass das Mädchen Angst hatte; entsetzliche Dinge würden geschehen. »Deine Frage ist die falsche, wie üblich. Es wird einmal ein Tag kommen, da wirst du froh sein, dass ich dich gelehrt habe, was ich weiß.«

Es war keine Antwort, aber das Mädchen würde sie nicht gegen sich aufbringen. Jerusza war so kräftig wie eine Bergziege, klug wie eine Nebelkrähe, rachsüchtig wie eine Elster. Sie lebte jetzt seit fast neun Jahrzehnten auf dieser Erde, und sie wusste, dass das Mädchen verängstigt von ihrem Alter und ihrer Weisheit war. Jerusza mochte es so; dem Kind sollte klar sein, dass Jerusza keine Mutter war. Sie war eine Lehrerin, nichts weiter.

»Aber Jerusza, ich weiß nicht, ob ich ein Leben nehmen könnte«, erwiderte Jona schließlich leise. »Wie würde ich denn dann mit mir selbst leben?«

Jerusza schnaubte verächtlich. Es war schwer zu glauben, dass das Mädchen noch immer so naiv sein konnte. »Ich habe vier Männer und eine Frau getötet, Kind. Und ich lebe sehr gut mit mir selbst.«

Jonas Augen wurden groß, aber sie sprach nicht wieder, bis das Licht vom Himmel verschwunden und die Lektionen des Tages zu Ende waren. »Wen hast du getötet, Jerusza?«, flüsterte sie in die Dunkelheit, während sie unter einem Dach aus Fichtenrinde, das sie sich erst in der Woche zuvor gebaut hatten, auf dem Waldboden auf dem Rücken lagen. Sie zogen alle ein bis zwei Monate weiter, errichteten eine neue Hütte aus den Gaben, die der Wald ihnen spendete, wobei sie jedes Mal einen Spalt in der hastig zurechtgehauenen Rindendecke ließen, um die Sterne sehen zu können, wenn kein Regen drohte. An diesem Abend war der Himmel klar, und Jerusza konnte den Kleinen Wagen, den Großen Wagen und Draco, den Drachen, über den Himmel ziehen sehen. Das Leben änderte sich ständig, aber die Sterne blieben stets konstant.

»Einen Bauern, zwei Soldaten, einen Schmied und die Frau, die meinen Vater ermordet hat«, antwortete Jerusza, ohne Jona anzusehen. »Sie alle hätten mich selbst getötet, wenn ich ihnen die Chance dazu gegeben hätte. Du darfst nie jemandem diese Gelegenheit geben, Jona. Vergiss diese Lektion, und du wirst sterben. Und jetzt ruh dich ein bisschen aus.«

Bis zum nächsten Vollmond wusste Jona, dass ein Tritt genau rechts neben die Basis der Wirbelsäule eine Niere zerfetzen konnte. Ein horizontaler Schlag mit der Handkante gegen den Nasenrücken konnte die Gesichtsknochen tief in den Schädel rammen und eine Hirnblutung verursachen. Ein harter Zehentritt gegen die Schläfe, sobald ein Mann am Boden lag, konnte ein Leben rasch beenden. Ein schneller Würgegriff hinter einem sitzenden Mann, in Verbindung mit einem scharfen Ruck nach hinten, konnte ein Genick brechen. Ein Messer, an der Speichenarterie entlang vom Handgelenk zum inneren Ellbogen hochgezogen, konnte einen Mann binnen Minuten verbluten lassen.

Aber im Universum ging es um Ausgewogenheit, daher brachte Jerusza dem Mädchen für jede Methode des Tötens auch eine Art bei, Heilung zu verabreichen. Heidelbeeren konnten bei einem Herzversagen den Blutkreislauf wieder in Schwung bringen oder eine sterbende Niere wiederbeleben. Katzenmelisse, zu einer Paste zerrieben, konnte eine Blutung stillen. Klettenwurzeln konnten Gift aus der Blutbahn entfernen. Zerdrückte Holunderbeeren konnten ein tödliches Fieber senken.

Leben und Tod. Tod und Leben. Zwei Dinge, die wenig bedeuteten, denn letztendlich überlebten die Seelen den Körper und wurden eins mit einem unendlichen Gott. Aber das verstand Jona nicht, noch nicht. Sie wusste noch nicht, dass sie um Tikkun olam, der Heilung der Welt, willen geboren worden war und dass jede Mizwa, die zu erfüllen sie gerufen wurde, göttliche Funken aus Licht emporsteigen lassen würde.

 

Wenn nur der Wald allein sie beide am Leben erhalten könnte, aber während das Mädchen heranwuchs, brauchte sie Kleidung, Milch, um ihre Knochen zu kräftigen, Schuhe, damit ihre Füße nicht im Sommer vom Waldboden aufgeschürft wurden oder im Winter abfroren. Als Jona klein war, ließ Jerusza sie hin und wieder für einen Tag und eine Nacht allein im Wald zurück, machte ihr Angst mit Geschichten von Werwölfen, die kleine Mädchen fraßen, damit sie sich nicht vom Fleck rührte, während sie sich allein in nahe gelegene Städte hinauswagte, um die Dinge zu holen, die sie brauchten. Aber als das Mädchen begann, mehr Fragen zu stellen, blieb ihr keine andere Wahl, als anzufangen, sie mitzunehmen, ihr die Gefahren der Außenwelt zu zeigen, ihr in Erinnerung zu rufen, dass man niemandem vertrauen konnte.

Es war eine kalte Winternacht des Jahres 1931, und Schnee rieselte von einem schwarzen Himmel herab, als Jerusza das staunende Kind zu einer Stadt namens Grajewo im Nordosten Polens mitnahm. Und obwohl Jerusza ihr ausdrücklich eingeschärft hatte, still zu bleiben, konnte Jona ihre Worte offenbar nicht im Zaum halten. Während sie durch die Dunkelheit auf ein Bauernhaus zuschlichen, bombardierte das Mädchen sie mit Fragen: Woraus ist dieses Dach gemacht? Warum schlafen die Pferde in einer Scheune und nicht auf einem Feld? Wie haben sie diese Straßen gemacht? Was ist das da auf der Fahne?

Schließlich schnellte Jerusza zu ihr herum. »Genug, Kind! Hier gibt es nichts für dich, nichts als Verzweiflung und Gefahr! Dich nach einem Leben zu sehnen, das du nicht verstehst, ist, als würdest du in die Sonne starren; deine Torheit wird dich zugrunde richten.«

Jona war so verblüfft, dass sie eine Weile schwieg, aber nachdem Jerusza durch die Hintertür in das Haus geschlüpft und mit einem Paar Stiefel, einer Hose und einer Wolljacke, die Jona mindestens durch ein paar Winter bringen würden, wieder aufgetaucht war, weigerte sich Jona, ihr zu folgen, als Jerusza ihr ein Zeichen gab.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«, fragte Jerusza gereizt.

»Was tun sie da?« Jona zeigte durch das Fenster des Bauernhauses, wo die Familie um einen Tisch versammelt war. Es war der erste Abend von Chanukka, und diese Familie war jüdisch; das war der Grund, weshalb Jerusza dieses Haus ausgewählt hatte, denn sie wusste, dass die Leute beschäftigt sein würden, während sie sich ihre Dinge nahm. Jetzt stand der Vater der Familie da, das Gesicht erhellt vom Schein der Kerze, die auf der Menora der Familie brannte, und obwohl seine Stimme nicht zu vernehmen war, war offensichtlich, dass er sang, die Augen geschlossen. Jerusza...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2022
Übersetzer Veronika Dünninger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • 2. Weltkrieg Romane • Die Nachtigall • dramatische Romane • Drittes Reich Romane/Erzählungen • Frankreich • Geschichte zum Mitfiebern • Historischer Liebesroman • Historische Romane • historische romane 20. jahrhundert • historische Romane 2. Weltkrieg • Judenverfolgung Bücher • Liebesgeschichte • Liebesroman • Nationalsozialismus Roman • Osteuropa • resistance • Romane 2. Weltkrieg • Romane Zweiter Weltkrieg • Starke Frauen • Ungewöhnliche Geschichte • Widerstand • Widerstand gegen den Nationalsozialismus
ISBN-10 3-426-46336-9 / 3426463369
ISBN-13 978-3-426-46336-9 / 9783426463369
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99