Altes Leid (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28271-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Altes Leid -  Lea Stein
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Eine Tote im Wald, ein brutaler Täter - und eine neue Polizistin auf St. Pauli
Hamburg, 1947. Nach nur wenigen Wochen Ausbildung tritt Ida Rabe ihre erste Stelle als Polizistin an. Mitten auf St. Pauli, in der Davidwache, soll sie die neu gegründete Weibliche Polizei verstärken. Und schon bald bekommt sie viel zu tun: Im nachkriegszerbombten Hamburg trifft man das Elend an jeder Ecke - in Form von Bettlern, Prostituierten und stehlenden Kindern. Als eine Frau im Umland tot aufgefunden wird, grausam verstümmelt und mit aufgeschnittenem Unterleib, scheint sich niemand besonders für den Fall zu interessieren. Doch Ida, deren eigene dunkle Vergangenheit mit der Unterwelt Hamburgs verschlungen ist, macht sich auf die Suche nach dem Täter. Bald ist klar: In Hamburg geht ein Monster um. Und um es zu fassen, muss Ida ihm gefährlich nahe kommen ...

Der erste Fall für Ida Rabe?

Lea Stein ist das Pseudonym der Autorin und Journalistin Kerstin Sgonina, die bereits mehrere Romane veröffentlichte. Als sie mit 18 nach Hamburg zog, verliebte sie sich sofort in die Stadt. Nach dem Abitur schlug sie sich auf der Reeperbahn als Türsteherin und Barfrau durch. Heute lebt sie mit ihrem Mann, den beiden Kindern und ihrem Hund in Brandenburg. Die Romane um Polizistin Ida Rabe sind ihre erste Krimi-Reihe.

1
Davidwache, Hamburg-Sankt Pauli

Donnerstag, 1. Mai 1947, 7:04 Uhr

Ida Rabe musste achtgeben, nicht den Anschluss an Polizeimeister Hildesund zu verlieren, der in irrwitzigem Tempo vor ihr hereilte. Der lang gezogene Flur der Davidwache war in einem schlammigen Braun gestrichen; einer Farbe, schoss es Ida durch den Kopf, von der sich weder Dreck noch Blut sichtbar abheben würde. Die abgetretenen Bohlen rochen nach Essig, in der Luft hing der Rauch von orientalischen Zigaretten. Nordland-Tabak, tippte Ida. So tief sie konnte, sog sie den herben Geruch ein. Zwar mochte sie amerikanische Zigaretten lieber, aber man war ja nicht wählerisch heutzutage.

»Fräulein Rabe?« Polizeimeister Hildesund hatte innegehalten und wandte sich ihr mit hochgezogenen Augenbrauen zu. »Gibt es ein Problem?«

»Nein«, sagte sie und stellte erst jetzt fest, dass sie stehen geblieben war. Aus dem Wachraum drang eine aufgeregte Frauenstimme, die Idas Interesse geweckt hatte.

»… seit zehn Tagen nicht mehr … Herr Wachtmeister, das ist doch beängstigend. Ich war gestern schon hier, und …«

Zwischendurch ein beruhigendes Brummen. »’türlich, ’türlich, wir kümmern uns drum, junge Frau.«

»Fräulein Rabe?«, wiederholte Polizeimeister Hildesund nun mit einem Lächeln, das so unecht wirkte, als sei es aufgemalt. »Brauchen Sie schon ein Päuschen?«

»Ganz und gar nicht«, sagte sie und schüttelte das Gefühl der Beklemmung ab, das der verzweifelte Tonfall der Frau in ihr ausgelöst hatte. »Ich kann es nur immer noch nicht fassen, dass ich es geschafft habe.«

»Ja, jetzt ist es überstanden«, erwiderte er in gönnerhaftem Ton. »Und wir, die uns in den letzten Jahren nichts haben zuschulden kommen lassen, haben es geschafft.«

Verwundert hob sie die Brauen. Dann lachte sie. Ihr perlendes, dunkles Lachen ließ Polizeimeister Hildesund verwirrt die Lippen kräuseln. Mit seinem schütteren Haar und den tiefen Falten, die sein Gesicht durchzogen, wirkte er älter als sechzig, doch das konnte täuschen. Der Krieg hatte alle frühzeitig altern lassen. Er war ein hutzeliger Mann, der nichts lieber zu tun schien, als rasch von A nach B zu gelangen.

»Nein, ich meine, ich kann es nicht fassen, hier zu sein. Als Polizistin.«

»Ah.« Er kniff die Augen zusammen. Sein Blick, mit dem er sie nun musterte, war plötzlich hart. »Sie sollten sich nicht zu sehr daran gewöhnen. Die Zeiten könnten sich schneller ändern, als Sie vermuten.«

»Und dann?«, sagte Ida lauter als beabsichtigt. »Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn sich die Zeiten ändern, Polizeimeister Hildesund?«

»Wenn die Briten weg sind, ist es auch mit den Damen in Uniform vorbei, das kann ich Ihnen versprechen. Frauen bei der Polizei …«, er sah aus, als habe er etwas Fauliges im Mund. »Das mag funktionieren, solange die Männer in Kriegsgefangenschaft sind. Aber wenn sie erst wieder zurück sind, wenn wieder Ruhe und Ordnung herrscht und alles beim Alten ist, dann wird es in allerlei Haushalten ein gewaltiges Donnerwetter geben.« Er setzte eine selbstzufriedene Miene auf. »Doch bilden Sie sich ruhig für eine Weile ein, hier auf Verbrecherjagd gehen zu können. Bald ziehen wir andere Saiten auf. Dann heißt es: zurück in Ihren Wirkungskreis, Beste, ins traute Heim zu Kindern und Kochtöpfen. Und lassen Sie uns hoffen, dass Ihnen Ihre Anmut bis dahin nicht restlos verloren gegangen ist.«

Die Augenbrauen hochgezogen, starrte Ida mit ihren 1,82 Metern auf ihn hinab. Am liebsten hätte sie ihn dermaßen zusammengestaucht, dass er nicht mehr in der Lage war, seinen Namen zu buchstabieren. Doch erstens war heute ihr erster Arbeitstag, und zweitens war sie drei Minuten zu spät auf der Wache angekommen. Ihre neue Kollegin wartete bestimmt schon auf sie. In eineinhalb Stunden würde außerdem Miss Watson anrauschen, wie sie ihr bei ihrem letzten Gespräch mitgeteilt hatte. Wollte Ida dann tatsächlich noch hier stehen und mit Polizeimeister Hildesund streiten? Ihre britische Vorgesetzte, so viel war sicher, wäre darüber not amused.

»Zwei weibliche Polizisten auf Dutzende männliche macht noch keine feindliche Übernahme«, sagte Ida daher nur spitz. »Falls Sie fürchten, wir Damen würden hier das Ruder übernehmen und Ihre traute Skatrunde stören, kann ich Sie beruhigen. Wir bleiben für uns, Sie für sich.«

Finster starrte Hildesund sie an. Schließlich nickte er knapp, die Lippen fest aufeinandergepresst, und machte eine mehr oder weniger einladende Geste. »Bitte. Den Flur hinab und dann die Treppe runter. Ihre Kollegin und Sie sitzen unten.«

»Im Keller?« Wieder klang ihre Stimme verärgerter, als sie beabsichtigt hatte.

Die gespielte Freundlichkeit troff nahezu aus Hildesunds Gesicht. »Ganz recht. Ein hübscher Ort, an dem Sie niemand hört. Da können Sie in Ruhe den lieben langen Tag sabbeln. Ich hoffe nur, Sie stören sich nicht an den Verwahrzellen, die sind nämlich auch da unten.«

Zornig sah Ida ihn an, dann ließ sie ihn ohne ein weiteres Wort stehen.

Während sie auf die Kellertreppe zuging, versuchte sie einen Blick in jedes offene Büro zu werfen. Ihr erster Eindruck: Es gab nur wenige Beamte auf sehr viel Raum. Ihr zweiter: Augenscheinlich hatte hier niemand je eine Frau wie sie gesehen, die trotz ihrer Größe nicht die Schultern hoch- und den Kopf einzog. Anders konnte sie sich nicht erklären, wieso sie wie ein regenbogenbuntes Zirkuspferd beglotzt wurde. Aber sie war vorgewarnt worden. Die meisten Polizisten waren wie Hildesund. Sie hassten die neuen Kolleginnen vom ersten Augenblick an und waren der Ansicht, jede Frau mit einer Stelle bei der Polizei nahm einem Mann eine weg. Und dann gab es noch diejenigen, die nichts gegen weibliche Polizistinnen hatten, solange diese sich anfassen ließen. »Immer hübsch mit dem Rücken zur Wand«, hatte eine Ausbilderin Ida geraten. »Am Hinterteil haben Sie leider keine Augen.«

Aus diesem Grund hatte sich Ida heute Morgen extraviel Mühe gegeben, so neutral wie möglich auszusehen. Sie hatte sich das dunkle Haar aus der Stirn gebürstet und zu einem Zopf gebunden, dicke, für die frühlingshaften Temperaturen viel zu warme Wollstrümpfe angezogen und den Rock so weit wie möglich nach unten gezuppelt und einen Schal über ihre blaue Uniformjacke geschlungen. Selbstverständlich fehlte auch die Anstecknadel mit der Aufschrift »Polizei« nicht. Besonders stolz war sie auf ihre faltenfreie Bluse. Das war wichtig, fand Ida. Ein zerknautschtes Oberteil konnte ganz falsche Assoziationen bei ihren Kollegen auslösen, Männer kamen ja gern auf die verrücktesten Ideen, Polizisten keinesfalls ausgenommen.

»Plätteisen?«, hatte ihre Vermieterin am Abend zuvor entgeistert gefragt. »Woher soll ich denn so was kriegen?«

Eine ähnliche Gegenfrage stellten auch alle anderen Hausbewohner, bei denen Ida klingelte. Drei Tage zuvor hatte sie nach langer Suche ein halbes Zimmer zur Miete gefunden, in der Margaretenstraße in Eimsbüttel. Das Haus war klein, zum Glück aber kaum von Bomben getroffen worden, und die Miete günstig.

Ein Stockwerk über ihrem, bei einem Herrn, der sich als Heinrich Schmidt vorstellte, wurde sie endlich fündig.

»Oh, da kann ich Ihnen helfen, schönes Fräulein.« Seine Augen in dem massigen, krank wirkenden Gesicht hatten schwarz wie Murmeln geglänzt. »Schieben Sie das gute Stück mal rüber.«

Zögerlich hatte sie die Bluse in seine Hand gedrückt, mit der er in der Wohnung verschwand. Von ihrem Platz an der Tür aus konnte sie in seinen winzigen Flur sehen, der auf der einen Seite mit vergilbten Papierstapeln gefüllt war und auf der anderen mit Regalen, auf denen sicher ein Dutzend Püppchen saßen. Beim Anblick der toten Knopfaugen, die in die Leere starrten, lief Ida ein Schauer über den Rücken. Was für ein seltsamer Kerl.

Wasserplätschern war zu hören. Dann ein lang gezogenes »Aaaaah«. Was tat er nur mit ihrer Bluse? Beklommen trat Ida von einem Fuß auf den anderen. Als ihr Nachbar endlich zurückkehrte, hielt er zu ihrer Erleichterung die Bluse in den Händen, die zwar ziemlich nass, aber in der Tat glatt und faltenfrei war. »Bitte sehr, reizendes Kind. Ich hoffe, Sie haben noch Zeit, sie über den Ofen zu hängen.«

»Wie haben Sie das gemacht?«

Vor Stolz hatte er gestrahlt und mit einer fließenden Handbewegung von den Zehenspitzen bis zu seinem Kopf gedeutet. »Mich draufgelegt. Gestatten, Heinrich Schmidt, lebendes Plätteisen.«

Die Stiegen, die aus dem Erdgeschoss der Davidwache nach unten führten, waren schmal und nur schummrig beleuchtet. Durch ihr hohes Tempo kam sie zweimal ins Rutschen. Sie musste dafür sorgen, dass eine bessere Beleuchtung installiert wurde. Und ein Treppengeländer, andernfalls war es zu gefährlich.

Am Fuß der Treppe sah sich Ida um. Ein langer Flur lag vor ihr, an beiden Seiten reihten sich die schweren Metalltüren der Verwahrungszellen aneinander, allesamt verschlossen. In einem hatte Polizeimeister Hildesund recht gehabt: Es war verdammt ruhig hier unten. Nicht mal aus den Zellen drangen Geräusche. Das immerhin hatte gewisse Vorteile. Und noch etwas erschien Ida vorteilhaft an der Kellerlage: Während Tag und Nacht Betrunkene, Diebe und Ruhestörer von der Reeperbahn und aus der ganzen Stadt im Polizeigriff durch den Wachraum geführt wurden, war Idas Klientel ein ganz anderes: Die Weibliche Polizei war für Frauen, Kinder und weibliche Jugendliche zuständig. Und diese wollte Ida gern so weit wie nur irgend möglich von den Schlägern und Saufbolden fernhalten.

Ein Kellerbüro war also vielleicht doch nicht so schlecht,...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2023
Reihe/Serie Die Ida-Rabe-Reihe
Die Ida-Rabe-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Charly Ritter • Davidwache • eBooks • Familiensaga • Frauenleiche • Gerichtsmedizin • Hamburg • Heimatkrimi • Historische Kriminalromane • historischer Krimi • Historischer Roman • Hulda Gold • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Liebe • Medizin • Mord • Nachkriegszeit • Neuerscheinung • Norddeutschland • Polizei • Schicksal • Starke Frau • St. Pauli • Thriller • Vierzigerjahre • weibliche Ermittlerin • Weibliche Kriminalpolizei • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-28271-3 / 3641282713
ISBN-13 978-3-641-28271-4 / 9783641282714
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