Good Pop, Bad Pop (eBook)

Die Dinge meines Lebens
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
400 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31078-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Good Pop, Bad Pop -  Jarvis Cocker
Systemvoraussetzungen
24,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wir alle haben irgendwo im letzten Winkel unserer Wohnung eine durch den Zufall kuratierte Sammlung von Gegenständen, von denen wir uns, willentlich oder nicht, nie getrennt haben. Vielleicht sind gerade sie es, die die ehrliche Geschichte über unser Leben erzählen. Als Jarvis Cocker sich daran macht, seinen Dachboden aufzuräumen, stößt er auf ein kaum zu überschauendes Durcheinander von Gegenständen, die alle mit einem Moment seines Lebens verknüpft sind, und die merkwürdige Fragen aufwerfen: Wer glaubst du, zu sein? Was bedeutet dir Kleidung? Und wieso liegen hier oben so viele kaputte Brillen? Fotos, Eintrittskarten, ein orange-grünes Polyesterhemd, halbvolle Kaugummiverpackungen, alte Magazine und angefangene Notizbücher - Jarvis beginnt zu sortieren. Und er beginnt, sich zu erinnern. An eine Jugend im Sheffield der 70er, den naiven Traum, Popstar zu werden, an die Schule und an Jobs, und an eine Erfolgsgeschichte, die ihn zu einem stilbildenden Musiker der goldenen Britpop-Ära machen wird. Das Ergebnis dieser literarischen Inventur ist eine anrührende, unterhaltsame und fesselnde Geschichte der Popkultur des 20. Jahrhunderts und die Betrachtung eines einzigartigen Lebens, seiner Glanzpunkte und der Momente, die man lieber auf dem Dachboden vergessen hätte.

Jarvis Cocker, geboren 1963, gründete als Teenager in Sheffield die Britpop-Band Pulp - mit dem festen Vorhaben, Popstar zu werden. Nach mehreren Welthits in den 1990er Jahren ist er bis heute ein gefragter Musiker und Songschreiber. Er hat eine legendäre BBC-Show, war Herausgeber beim renommierten Verlag Faber & Faber und spielte eine Rolle in Harry Potter und der Feuerkelch. Er lebt in London, Paris und Nordengland.

Jarvis Cocker, geboren 1963, gründete als Teenager in Sheffield die Britpop-Band Pulp - mit dem festen Vorhaben, Popstar zu werden. Nach mehreren Welthits in den 1990er Jahren ist er bis heute ein gefragter Musiker und Songschreiber. Er hat eine legendäre BBC-Show, war Herausgeber beim renommierten Verlag Faber & Faber und spielte eine Rolle in Harry Potter und der Feuerkelch. Er lebt in London, Paris und Nordengland. Harriet Fricke, geboren 1968, lebt in Hamburg und hat u. a. die Autobiografien von Brian Wilson, Debbie Harry, Elton John und Michelle Obama (teils im Team) übersetzt. Ingo Herzke, geboren 1966, lebt in Hamburg und übersetzt aus dem Englischen, u. a. Alan Bennett, A. M. Homes, Bret Easton Ellis, A. L. Kennedy und Gary Shteyngart.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel Drei


Ihr solltet nicht glauben, dass meine Teenagerinteressen ausschließlich kreativer Natur waren … manche waren auch kreatürlicher.

Was ich hier in der Hand halte, ist ein Heft mit dem Titel Sexy Laughs – The Fantastic Dirty Joke Book. Das ist sogar schon länger in meinem Besitz als das »Prova Gold Star«-Hemd. & es spielt eine Schlüsselrolle in meiner sexuellen Entwicklung. Im Ernst. Ich werde euch erzählen, wie ich daran gekommen bin.

Von der Schule wurden wir zum Schwimmunterricht im Zentrum von Sheffield geschickt. Da muss ich dreizehn oder vierzehn gewesen sein: schon post-pubertär, aber noch prä-punk. Der Unterricht fand in einem Hallenbad namens Sheaf Valley Baths statt, direkt neben dem Busbahnhof. Wir mussten Sachen machen, wie nach einem Gummiblock auf dem Beckenboden tauchen & in Schlafanzughosen Wasser treten (eine nützliche Fähigkeit, wenn man je beim Schlafwandeln auf einem Schiff über Bord geht).

Es gab immer ein Wettrennen darum, bei der Busfahrt zurück zur Schule oben & in der letzten Bank zu sitzen, denn jeder Mensch mit Verstand weiß, das sind die besten Plätze überhaupt. & eines Tages, als wir nach oben kamen, wartete dort dieses Heft auf uns.

Ihr könnt euch die Erregung vorstellen, die es bei einem Haufen Teenagerjungs auslöste. Ein verstohlener Blick in die Erwachsenenwelt. Ein heimliches Hineinspähen. Es ging von Hand zu Hand, & dann gab es ein bisschen Streit darum, wer es am Ende behalten durfte, als wir wieder ausstiegen. Man sieht, dass es zu Handgreiflichkeiten kam, weil der Einbandrücken abgerissen ist.

Dass es sich jetzt hier oben auf dem Dachboden befindet, muss bedeuten, dass ich diesen Kampf irgendwie gewonnen & es mit nach Hause genommen habe. Kaum zu glauben – ich war mit Sicherheit nicht der »härteste« Typ in der Klasse –, aber der Beweis liegt vor uns. Vielleicht haben die harten Jungs gemerkt, dass meine Not größer war als ihre.

Ich wollte unbedingt alles über Sex herausfinden. Oder vielleicht sollte ich das einschränken: Ich wollte unbedingt alles über Sex aus MÄNNLICHER Perspektive herausfinden.

Vielleicht gibt euch dieses Bild einen Hinweis, warum ich das so formuliere. Das bin ich im Alter von sieben Jahren, umgeben von meinen engsten Angehörigen. Meine Mutter, meine Oma, meine Schwester, meine Tanten Mandy & Jutta – ein sehr weibliches Umfeld (sogar die Katze Nif war ein Weibchen).

Mein Vater hatte die Familie in diesem Jahr verlassen, & der Bruder meiner Mutter war ein paar Monate zuvor gestorben. Der einzige dauerhafte männliche Bestandteil der Familie war mein Großvater (er hat das Foto geschossen), & den fand ich schlicht … alt. Ich konnte mir ihn & Oma nicht beim Sex vorstellen. Das Bild wollte ich gar nicht erst im Kopf haben. Wenn ich also von der Schule nach Hause kam, lauschte ich immer meiner Mum & ihren Freundinnen, die in der Küche plauderten, weil ich auf Hinweise hoffte. Sie redeten oft über die Männer in ihrem Leben. Das war immer ein brennendes Thema, denn all ihre Ehemänner waren aus dem einen oder anderen Grund weg. Bei einem Gespräch, das mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, erzählte eine von ihnen, sie werde ihren Freund »in den Wind schießen«, weil er »zu nett« sei. Das fand ich damals schwer zu begreifen, denn als Kind wird man ständig aufgefordert, »nett« zu sein. Von Erwachsenen. Aber jetzt schien es, als würde diese Regel nicht immer gelten, wenn man selbst erwachsen war. Es gab Ausnahmen – Momente, wo »Nettigkeit« von Nachteil sein konnte. Mehrdeutigkeit. Sex war verwirrend. Ich hoffte, das Fantastic Dirty Joke Book könne ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Soweit ich wusste, lasen (oder schrieben) nur Männer für solche Schmuddelmagazine, das war also meine Gelegenheit, auch die andere Seite zu hören.

Doch ich sollte eine Enttäuschung erleben. Erst mal verstand ich keinen der Witze. Zum Beispiel:

Was zum Teufel sollte das bedeuten? Inzwischen weiß ich, dass es ein lahmer Witz über Kartenspiel ist – aber damals dachte ich, es ginge in verschlüsselter Sprache um irgendwelche Sexpraktiken. Ich meine, Bridge? Eine Brücke, die zwei Landstücke verbindet – also könnte sich das doch auf eine Verbindung zwischen zwei Menschen beziehen? Logisch? Ich hatte keinen Schimmer.

Ein andermal alberte ich mit einem Freund auf der Schaukel des Spielplatzes herum, als uns ein paar ältere Mädchen fragten, ob wir masturbierten. Wieder zu Hause, holte ich das Wörterbuch aus dem Regal & suchte den Eintrag »masturbieren«. Ich erfuhr, dass Masturbation »Selbstbefleckung« bedeutete. Eine Weile dachte ich also, masturbieren heißt, sich beim Essen oder sonstwie zu bekleckern.

Weitere Verwirrung erzeugte die örtliche öffentliche Toilette. Dort gab es eine Menge Schmierereien. Was aber sollte ich mit diesen unsterblichen Versen anfangen?

Once I saw a right shag

It sat upon a wall

I tried to put my jonny on

& strangled my left ball.

Ich sah mal eine Knallerbraut

Die saß an einem Hafenkai

Ich zog mir rasch den Präser drauf

& klemmte mir das linke Ei.

Ich wusste, das musste was mit Sex zu tun haben, aber ich hatte keine Ahnung, was es bedeuten sollte, nur dass es ziemlich unangenehm klang, sich das linke Ei zu klemmen. Sex konnte also auch gefährlich sein. & dass sich die Informationen darüber an einem nach Pisse stinkenden Ort fanden, war auch nicht gerade verheißungsvoll.

Wenn überhaupt, dann trug das Fantastic Dirty Joke Book nur noch mehr zu meiner Verwirrung bei: Weil ich die Witze darin nicht verstand, nahm ich an, dass ich Sex an sich überhaupt nicht begriff.

Inzwischen ist mir klar, dass es einfach Dreckswitze sind.

In dem Heft finden sich auch Schwarz-Weiß-Bilder von halb nackten Frauen.

Also hatte es zumindest einen praktischen Nutzen.

Als ich das Heft zum ersten Mal wiederentdeckte, war mein Sohn gerade in der Pubertät (es hat schon frühere erfolglose Versuche gegeben, sich mit dem Inhalt des Dachbodens zu befassen, oh ja) & ich dachte mir: »Also, mein Vater war nicht da, um mit mir ein ›Aufklärungsgespräch‹ zu führen, aber warum sollte ich es nicht tun?« Damals hatte ich so nach Informationen gelechzt. Ich hatte mir geschworen, wenn es so weit wäre, würde ich meinem Sohn beistehen. Verantwortung übernehmen.

Ich dachte, ich könnte das Heft verwenden, um das Eis zu brechen & die Themen Sex & Verhalten Frauen gegenüber anzusprechen. Ich glaube, viele moderne Eltern werden von kalter Furcht gepackt, wenn ihre Kinder sich der Pubertät nähern. Wir leben im Google-Zeitalter. Wenn ein junger Mensch also »Sex« – oder »nackte Frau« oder gar »Knallerbraut am Hafenkai …« – in die Suchmaschine eingibt, stehen die Chancen gut, dass er oder sie ziemlich Unappetitliches findet.

Es machte mich verrückt, dass die erste Begegnung meines Sohnes mit der Welt der Sexualität sehr explizite oder ekelhafte Bilder im Netz sein könnten.

Also packte ich das Fantastic Dirty Joke Book aus – & begann eine ziemlich peinliche Unterhaltung.

Zuerst erzählte ich ihm, wie ich das Heft gefunden hatte, als ich ungefähr so alt war wie er & meine Neugier auf Sex erwachte. Ich wollte ihm klarmachen, dass es ganz natürlich war, nach Informationen über Sex zu suchen – dass aber das, was man dabei fand, nicht unbedingt eine korrekte Darstellung davon sei, wie Sex zwischen zwei echten Menschen in Wirklichkeit war. Ich erzählte ihm, wie frustriert ich war, weil ich die Witze im Fantastic Dirty Joke Book nicht verstand. Was man online findet (oder in der letzten Reihe im Bus), sind bloß Vorstellungen von Sex. Oder Inhalte, die für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe an die Stelle von Sex treten. Die allgemeine Stoßrichtung (wenn ihr den Ausdruck verzeiht) meiner Ausführungen war, dass Internetseiten oder Pornomagazine keine gute »Einführung« (noch so ein unschöner Begriff) in die Welt sexueller Beziehungen seien. Sex ist etwas, was zwei Menschen miteinander tun. Nicht etwas, was man jemandem zufügt, sondern mit jemandem macht.

Ende des Vortrags.

Nach kurzer Stille fing mein Sohn an zu lachen & lachte ziemlich lange weiter & sagte, das hätte ich mir sparen können, weil man ihm in der Schule schon alles über Sex erzählt hätte. Aber auch das beschwor vor meinem geistigen Auge schreckliche Bilder herauf.

In der einen Sexualkundestunde, die ich in der Schule hatte, wurde uns der »Geschlechtsakt« als Schaubild präsentiert, gefolgt von einigen Nahaufnahmen der Symptome von Geschlechtskrankheiten, & gekrönt wurde das Ganze von extrem plastischen Filmaufnahmen einer Geburt, wobei die Kamera direkt auf die entscheidende Körperpartie gerichtet war. Als der Kopf des Babys herauskam, wurde ich ohnmächtig. Das gesamte »Aufklärungsprogramm« schien den Zweck zu verfolgen, Jugendlichen für den Rest ihres Lebens den Sex zu verleiden. Es hätte beinahe geklappt.

Ich versuchte meinen Sohn davon zu überzeugen, dass Sex viel mehr war als die bloße »technische Ausführung«, aber ich merkte schon, er verlor das Interesse. Also teilte ich ihm noch mit, dass unter dem Waschbecken im Bad Kondome lagen, & beließ es dabei.

Aber das Fantastic Dirty Joke Book...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2022
Übersetzer Harriet Fricke, Ingo Herzke
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Andenken • Autobiografisch • Erinnerungen • Fotobuch • Frontman • Jarvis Cocker`s Sunday Service • Lebensgeschichte • Pulp • Sheffield • Wireless Nights
ISBN-10 3-462-31078-X / 346231078X
ISBN-13 978-3-462-31078-8 / 9783462310788
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 57,9 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten

von Florian Illies

eBook Download (2023)
S. Fischer Verlag GmbH
22,99
Unternehmensgeschichte

von Gregor Schöllgen

eBook Download (2023)
Deutsche Verlags-Anstalt
34,99
Eine Familiengeschichte der Menschheit

von Simon Sebag Montefiore

eBook Download (2023)
Klett-Cotta (Verlag)
38,99