Der Pfirsichgarten (eBook)

Roman

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
496 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491638-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Pfirsichgarten -  MELISSA FU
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Eine fliehende Mutter, ein schweigender Sohn und eine Enkelin, die ihre Wurzeln sucht Melissa Fu hat einen bezaubernden und eindringlichen Roman über die generationenübergreifende Suche einer Familie nach Heimat und die heilende Kraft von Geschichten geschrieben. Als ihre Stadt in Flammen aufgeht, beginnt für die junge Mutter Meilin und ihren vierjährigen Sohn Renshu eine gefährliche Reise durch das kriegszerstörte China der 1930er Jahre. Kaum wähnen sie sich einmal in Sicherheit, müssen sie schon wieder aufbrechen zu einem anderen Ort und in ein anderes Land. Die findige Meilin muss ihren ganzen Einfallsreichtum aufbieten, um ihren einzigen Sohn aufwachsen sehen zu können. Inmitten von Überlebenskämpfen, tragischen Trennungen und bewegenden Wiedersehen finden sie Trost und Zuflucht bei einer alten, seidenen Schriftrolle. Ihre feinen Zeichnungen und die schillernde Legende vom Pfirsichblütengarten beschützen sie vor der harten Realität der Flucht. Jahre später lebt Renshu in den USA. Er heißt nun Henry Dao, hat studiert, geheiratet und eine Familie gegründet. Über seine Kindheit schweigt er sich aus, und auch seine Versuche, einen Obstgarten anzulegen, misslingen - bis eines Tages die Pfirsichbäume wachsen. Hier, im Pfirsichgarten ihres Vaters, kann seine Tochter Lily vielleicht doch etwas über ihre Wurzeln erfahren. Inspiriert von den Erfahrungen ihres Vaters und angetrieben von der Sehnsucht, ihre Familiengeschichte zu kennen, hat Melissa Fu einen bewegenden Roman geschrieben, der sich über Generationen und Kontinente erstreckt. »Mein Vater erzählte nie von seiner Kindheit - bis zu diesem einen Tag in meinen Zwanzigern, als er aus unerfindlichen Gründen entschieden hatte, uns mehr von seinem Leben zu erzählen. Ich schrieb auf, was ich konnte, jedes Detail, jede verstreute Erinnerung. Ich hoffe, dass Familienzweige Ihnen das gleiche Glücksgefühl verschaffen kann, das mein Vater nach vielen Jahren gefunden hat.« Melissa Fu

Melissa Fu ist in New Mexico, USA aufgewachsen. Sie wusste kaum etwas über ihre Wurzeln, bis ihr schweigsamer Vater eines nachts begann, ihr von seiner Lebensgeschichte zu erzählen. Noch in der gleichen Nacht hat sie erste Notizen gemacht, aus denen schließlich »Der Pfirsichgarten« entstanden ist. Melissa Fu hat Englisch und Physik studiert und als Lehrerin gearbeitet. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Söhnen in England.

Melissa Fu ist in New Mexico, USA aufgewachsen. Sie wusste kaum etwas über ihre Wurzeln, bis ihr schweigsamer Vater eines nachts begann, ihr von seiner Lebensgeschichte zu erzählen. Noch in der gleichen Nacht hat sie erste Notizen gemacht, aus denen schließlich »Der Pfirsichgarten« entstanden ist. Melissa Fu hat Englisch und Physik studiert und als Lehrerin gearbeitet. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Söhnen in England. Birgit Schmitz hat Theater- und Literaturwissenschaften studiert und arbeitete einige Jahre als Dramaturgin. Heute lebt sie als Literaturübersetzerin, Texterin und Lektorin in Frankfurt am Main.

Melissa Fu hat einen bezaubernden und eindringlichen Roman über die generationenübergreifende Suche einer Familie nach Heimat und die heilende Kraft von Geschichten geschrieben.

Autorin Melissa Fu hat sich von ihrer eigenen Familiengeschichte zu diesem eindringlichen Roman inspirieren lassen

Melissa Fu gehört zu den US-amerikanischen Autorinnen, die eine tragische Geschichte spannend und gradlinig erzählen.

Teil Eins 1938–1941


1


Changsha, Provinz Hunan, China, März 1938


Dao Hongtse hatte drei Frauen. Ihre Namen sind nicht wichtig.

Die erste Frau brachte den ersten Sohn zur Welt, Dao Zhiwen. Der Junge war zu wild; er griff mit einer Hand nach den Privilegien des Erstgeborenen und warf mit der anderen die Pflichten des Erstgeborenen über Bord. Er änderte seinen Namen in Longwei um, zog hinaus und stolzierte durch die Straßen. Er spielte und gewann, dann spielte er und verlor. Longwei liebt Tabak, Whiskey und Frauen.

Die erste Frau bekam noch zwei Kinder: erst ein Mädchen, das zu einer blässlichen dünnen Frau heranwuchs, die niemand wollte. Dann einen Sohn, der nach fünf Monaten starb. Nun ist die erste Frau nicht viel mehr als ein Geist; das Herz eingeschnürt von Trauer, die Füße nach altem Brauch gebunden, verliert sie sich in Schwaden von Opiumrauch und verlässt ihr Zimmer nur, um die Pfeife nachzufüllen oder den Rest des Haushalts zu verfluchen.

Hongtses zweite Frau arbeitet hart. Ihr Rücken ist breit, und ihre Hände sind rau. Sie lebt in Angst vor dem Heulen und Kreischen der ersten Frau. Hongtse liebt sie nicht, verlässt sich aber auf sie. Die zweite Frau gebar nur Töchter. Auch deren Namen sind nicht wichtig. Sie heirateten jung und brachten für andere Familien Söhne auf die Welt.

Die dritte Frau war Hongtses Favoritin. Sie liebte er sogar. Ihre Schönheit wird nie vergehen, denn sie verstarb bei der Geburt von Hongtses jüngstem Sohn, Dao Xiaowen.

Dao Hongtses Firma, Himmlisches Licht – Petroleum und Antiquitäten, wird seit Generationen vom Vater an den Sohn weitergegeben. Petroleum ist ein gutes Geschäft: Jeder Mensch braucht Wärme, jeder Mensch braucht Licht. Hongtses Kunden sind Nationalisten, Kommunisten, Händler, Klein- und Großbauern. Eines Tages wird Longwei die Firma und die damit verbundene Verantwortung erben.

In einem Raum über dem Laden, den man über eine schmale Treppe erreicht, handelt Dao Hongtse auch mit Goldmünzen, Jade, antiken Holzschnitzereien und Bildrollen. Leicht zu transportieren, schwer zurückzuverfolgen, immer wertvoll. Xiaowen hat er die Kunst gelehrt, zwischen bleibenden Werten und flüchtigen Freuden zu unterscheiden.

Mit seinen beiden Söhnen ist Hongtse für alles gewappnet. Longwei hat Köpfchen, Xiaowen ist gebildet. Wo Longwei herumpoltert, äußert Xiaowen sich umsichtig. Was Longwei mit Gewalt durchsetzt, das handelt Xiaowen aus. Longwei bekam im Laufe der Jahre nur Töchter, doch Xiaowen hat einen Sohn.

Xiaowens Sohn heißt Dao Renshu – renshu in der Bedeutung von Nächstenliebe und Güte, nicht das renshu, das für Sich-geschlagen-Geben steht, für das Eingeständnis einer Niederlage. Dao Hongtse sorgt dafür, dass sein Enkel den Unterschied kennt. Renshu ist unter den Enkelkindern Hongtses der einzige Sohn eines Sohns. Dieser Junge trägt den Familiennamen weiter. Er muss unter allen Umständen beschützt werden.

 

Es ist ein Spätnachmittag zu Beginn des Frühlings. In der Luft liegt eine kribbelnde Frische; mit ihr geht die letzte Winterkälte, und der Beginn der Blütenpracht kündigt sich an. An den Bäumen zeigen sich winzige Blätter, und jeden Tag bleibt es ein bisschen länger hell. Die Holzdielen in Dao Hongtses Petroleumgeschäft sind geschrubbt, der Tresen ist leer. Man sieht Hongtse im Gespräch mit einer jungen Frau, die eine schlichte, dunkelgrüne Bluse trägt. Ihr Haar hat sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Obwohl er, was Alter und Rang betrifft, klar über ihr steht, ist gegenseitiger Respekt spürbar. Ihre wie seine entspannten Körperhaltungen deuten auf Vertrautheit, ja sogar Zuneigung hin. Er überbringt ihr gerade eine Nachricht, die ihre Miene aufleuchten lässt. Auch wenn sie ihm nicht um den Hals fällt, ist sie offensichtlich in Jubelstimmung.

Dann reicht er ihr einen kleinen seidenen Beutel und sagt etwas, während sie hineinschaut. Sie hört aufmerksam zu, dann antwortet sie. Er denkt erst über ihre Äußerung nach, bevor er etwas erwidert. Sie nicken sich zum Zeichen ihrer Übereinstimmung zu, dann verneigt sie sich leicht und wendet sich zum Gehen.

In dem Raum über dem Petroleumgeschäft geht das Licht an.

Kurz darauf erscheint oben am Fenster das Profil der Frau.

 

Shui Meilin nimmt das neue Inventar in die Bücher auf; ihre schlanken, flinken Finger bedienen den Abakus. In letzter Zeit tauschen viele Kunden ihres Schwiegervaters Gold und Jade gegen Petroleum ein. Bargeld ist überall knapp, und die Preise steigen. Dao Hongtse hat sie angewiesen, dass diese speziellen Edelsteine als Pfand verbucht werden sollen. Der Kunde, der sie für eine Wochenration Brennstoff versetzt hat, war den Tränen nahe und hat den alten Dao angefleht, sie an niemanden zu verkaufen, weil er hofft, seine Erbstücke bald wieder auslösen zu können. Sowohl Meilin als auch Hongtse sind von diesem Handel beunruhigt, ist er doch ein weiterer Hinweis auf den drohenden Krieg mit Japan, aber Hongtse hat die Kleinode natürlich als Bezahlung akzeptiert. Schließlich ist er ein Geschäftsmann.

Meilin steht auf, um die Wertsachen zu verstauen; sie bewegt sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch den Raum. Nachdem sie die Glasvitrine wieder abgeschlossen hat, blickt sie aus dem Fenster. Die Sonne geht unter, die Arbeit für heute ist getan, und Meilin steckt voller Hoffnung. Dao Hongtse hat ihr eben vom Triumph der chinesischen Armee in Taierzhuang berichtet. Beide Söhne von Dao Hongtse werden bald wieder zu Hause erwartet; sie bekommen Heimaturlaub nach einem blutigen, aber siegreichen Fronteinsatz.

Meilin hat ihren Mann, Dao Xiaowen, und seinen Bruder Longwei vor neun Monaten zuletzt gesehen. Nach dem Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke hatten die beiden ihr Zuhause verlassen, um sich dem Kampf anzuschließen. Meilin und ihre Schwägerin, Xue Wenling, waren stolz gewesen, dass ihre Ehemänner die Zukunft der Republik verteidigten. Die Familie wartete auf Nachrichten von der weit entfernten Front, doch es vergingen Wochen, dann Monate, und es kamen keine. Das war zwar enttäuschend, aber verständlich; die Post kam nur sporadisch, und die Truppen waren ständig in Bewegung.

Doch nach und nach erreichten Stoßwellen des Krieges die Stadt Changsha. Zuerst war es nur ein Tröpfeln: Hotels und Pensionen füllten sich mit wohlhabenderen Menschen, die sich aus dem umkämpften Ostteil des Landes zurückzogen. Wenling äußerte sich erfreut darüber, dass sie die neuesten Moden aus Schanghai nun schneller zu Gesicht bekam. Dann trafen weitere Geflüchtete ein. Die Geschäfte waren voller denn je, während die unterbrochenen Lieferketten entlang der Flüsse und Eisenbahnstrecken zugleich die Preise in die Höhe trieben. In den Straßen und auf den Märkten kam es zu lautstarken Protesten gegen die japanischen Aggressoren. Doch ungeachtet dieses beherzt vorgetragenen Patriotismus‹ rückten die Japaner immer weiter vor. Es dauerte nicht lange, bis Schanghai fiel, und im Dezember hatte die Kaiserlich Japanische Armee Nanking überrollt. Und seit Chiang Kai-sheks nationalistische Regierung ins nahegelegene Wuhan umgezogen ist, strömen Evakuierte in großer Zahl nach Changsha.

Hongtses Nachricht vom Sieg in Taierzhuang ist mehr als willkommen. Der Widerstand war stark, die Japaner wurden gedemütigt. Alle sind sich einig, dass es sich um einen Wendepunkt handelt. Und das Beste: Meilin kann die Tage, bis sie ihren geliebten Xiaowen wiederhat, an einer Hand abzählen.

 

Meilins Gedanken werden durch Kreischen und Kichern unterbrochen, gefolgt von Fußgetrappel, das erst im Innenhof, dann auf der Treppe und schließlich im Flur ertönt. Renshu und seine Cousine Liling platzen ins Zimmer. Atemlos lachend und ganz verstrubbelt verlangen sie nach einer Kleinigkeit zu essen. Renshu ist dreieinhalb, Liling fünf. Renshu tut sich mit seinen immer noch etwas speckigen Beinchen schwer, mit der bewunderten Cousine mitzuhalten. Liling hat eine so warme und herzliche Ausstrahlung, dass Meilin unwillkürlich lächeln muss, wenn sie sie sieht. Wenn Renshu lächelt, verformen sich seine ernsten, runden Augen zu Halbmonden, und auf seiner linken Wange erscheint ein Grübchen. Beide Kinder sind vom Herumrennen erhitzt. Sie sind durchs Haus getobt, haben an die Türen der furchterregenden Nainai, der hässlichen Nainai und der toten Nainai geklopft, und sind abgehauen, bevor sie jemand schnappen konnte. Nachdem sie die Katzen in die Ecken, die Wände hoch und auf die Straße hinaus gescheucht hatten, haben sie die Goldfische im Teich geärgert, indem sie Schatten aufs Wasser warfen und mit Stöcken auf die Oberfläche schlugen.

Jetzt durchwühlen sie Meilins Nähkorb auf der Suche nach den kandierten Lotossamen, die sie für sie in den Stofffalten versteckt. Nachdem die Naschereien verputzt sind, brüllt Liling Renshu an wie eine Löwin. Sie jagt ihn durchs Zimmer und an der Vitrine vorbei, bis er sich hinter dem Paravent aus geschnitztem Rosenholz verkriecht. Als die Cousine, eine Kitzelattacke startend, mit spitzen...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2022
Übersetzer Birgit Schmitz
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Atombombe • Chinesischer Bürgerkrieg • Die Pfirsichblütenquelle • Entspannen • Erinnerung • Familienwurzeln • Flucht • Kalter Krieg • Kommunismus • Kuomintang • MAO • Mutter-Sohn-Beziehung • Resilienz • Seidenschriftrolle • Suche nach Heimat • Tao Qian • Tao Yuanming • Vater-Tochter-Beziehung • Zweiter Chinesisch-Japanischer Krieg
ISBN-10 3-10-491638-1 / 3104916381
ISBN-13 978-3-10-491638-5 / 9783104916385
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