Die Töchter des Geistbeckbauern (eBook)

Jahre des Erntens | Die Familiensaga um drei mutige Frauen geht weiter
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2022 | 1. Auflage
480 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44595-5 (ISBN)

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Die Töchter des Geistbeckbauern -  Antonia Brauer
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Von Hoffnungen, Sehnsüchten, harten Zeiten und Lebenswillen Hallertau, 1936: Nachdem das Geistbeck'sche Anwesen versteigert worden ist, scheint es für die drei Töchter des einstigen Großbauern keine Zukunft mehr in Deimhausen zu geben. Immerhin wird Zenzi, die älteste, endlich die Frau von Peter, den sie seit ihrer Jugend liebt. Resi hat ins benachbarte Dorf geheiratet und ist an der Seite von Korbinian Hardt Bäuerin und »Schmiewirtin«. Nur die jüngste Schwester, Wally, arbeitet weiterhin als Haushälterin in München und ist auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Findet sie ihn mit Michael, der es als politischer Gegner der herrschenden Nationalsozialisten schwer hat, der sie aber selbst in den dunkelsten Zeiten zum Lachen bringt? Da bricht der Krieg aus und verändert erneut alles ...

Antonia Brauer ist das Pseudonym einer Münchner Journalistin,  Buchhändlerin und Autorin. Nach >Die Töchter des Geistbeckbauern< legt sie einen neuen Roman über eine starke Frau vor, die gegen alle Konventionen ihren Weg geht. 

Antonia Brauer ist das Pseudonym einer Münchner Journalistin,  Buchhändlerin und Autorin. Nach ›Die Töchter des Geistbeckbauern‹ legt sie einen neuen Roman über eine starke Frau vor, die gegen alle Konventionen ihren Weg geht. 

1.


Wie an jedem Tag des Jahres herrschte auf dem Marienplatz hektische Betriebsamkeit. Die Trambahn schob sich durch die Menschenmenge, Automobile hupten und drängten sich aneinander vorbei, und in der Mitte stand die Muttergottes auf ihrer Säule und blickte verwundert auf das Chaos, das sich zu ihren Füßen abspielte, das kleine Jesuskindlein auf dem Arm, einen filigranen Heiligenschein über dem Haupt.

Wally mochte diese Statue. Oft wenn sie auf dem Weg über den Rathausplatz lief, um ihre Besorgungen zu erledigen, hielt sie für einen Moment inne und blickte hinauf zu der Madonna mit dem Heiland und flüsterte ein kleines Gebet. Dann eilte sie weiter, denn die Stadt hatte auch aus ihr einen Menschen gemacht, der niemals Zeit hatte. Da hieß es, rasch die Einkäufe zu erledigen, ehe die Läden schlossen, zügig die Straße zu überqueren, bevor man unter die Räder kam, und hastig nach Hause zu laufen, um nicht von der Herrschaft ausgeschimpft zu werden.

Allerdings gab es diese Herrschaft nicht mehr, seit der gute alte Doktor Boselli vor einigen Wochen heimgegangen war. Der Krebs hatte ihn aufgefressen, buchstäblich. Es waren schreckliche Monate gewesen zuletzt, auch für Wally, die ihr Möglichstes getan hatte, um es ihm so leicht und angenehm zu machen wie eben möglich.

So lange hatte sie seinen Wunsch nach Schonkost für übertrieben gehalten, und am Ende war es dann doch der Magen gewesen … Zuletzt hatte er kaum noch etwas Hühnerbrühe und ab und zu ein wenig Zwieback zu sich genommen. An seinem letzten Tag aber hatte er sie gebeten, doch noch einmal ihre famosen Spitzbuben zu backen. Mit Mühe hatte er einige davon hinuntergebracht, sich auf das Sofa zurücksinken lassen und geseufzt. Und Wally hatte genau gewusst, dass es ein Seufzen war, mit dem er bedauerte, all die schönen und guten Dinge zurücklassen zu müssen, wenn er seine Seele dem Herrn anbefahl.

Und nun war es also vorbei mit der schönen Stelle bei Doktor Boselli, der so ein feiner und vornehmer Mensch gewesen war. Wally machte sich wenig Hoffnung, dass sie wieder einen Haushalt finden würde, der so prominent gelegen war wie der Boselli’sche in der Rosenstraße, nur wenige Schritte vom Marienplatz entfernt, mit Blick auf das elegante Ruffinihaus und den Rindermarkt, der sich in den letzten Jahren so verändert hatte.

Aber es hatte sich ja alles verändert in den Jahren, die sie nun in der Stadt war. Genau genommen war das ganze Reich nicht mehr wiederzuerkennen, seit die Braunen dran waren. Allerdings wusste Walburga Geistbeck das lediglich vom Hörensagen, denn außer ihrer Heimat in der Hallertau, dem Tegernseer Land und der bayerischen Hauptstadt hatte sie von der Welt noch nichts gesehen. Und so würde das vermutlich auch bleiben. Für Hausangestellte war an Urlaub nicht zu denken. Die paar freien Tage, die sie im Jahr hatte, hatte sie bisher allesamt in der Heimat zugebracht, zuletzt allerdings nur noch selten in Deimhausen, wo sie herkam. Der elterliche Hof war schon bald nach dem Tod des Vaters versteigert worden, weshalb auch ihr Bruder Steff in die Stadt gegangen war, um sich als Metzger zu verdingen.

In dem Augenblick, in dem sie das Rathaus erreicht hatte, setzte der Regen ein. Wally konnte gerade noch in die mächtige Einfahrt huschen. Das Münchner Rathaus war ein Bau, der ihr immer gefallen hatte. Es sah wesentlich älter aus, als es war, reich verziert mit Säulen, Figuren und gotischen Spitzbögen. Doktor Boselli, der sonst kein Spötter gewesen war, hatte deshalb gern etwas mokant von »Kitsch« gesprochen. Aber wenn es Kitsch war, dann mochte Wally eben Kitsch.

Hinter ihr rettete sich ein Mann vor dem Platzregen ins Trockene, der seinen Mantel über Kopf und Hut gezogen hatte. Beinahe hätte er sie umgerannt. »Verzeihung, Fräulein«, keuchte er und schüttelte sich. »Vor lauter …«

»Es ist aber auch ein Wetter heut«, sagte Wally und blickte staunend auf den Platz hinaus, wo herunterkam, was nur herunterkommen konnte.

»Da haben offenbar höhere Mächte die Hände im Spiel!«, stellte der Mann grinsend fest. »Gell, Fräulein Geistbeck?«

»Kennen wir uns?« Tatsächlich kam ihr der Herr auch vage bekannt vor, aber Wally konnte sich beim besten Willen nicht … »Ah, doch.« Plötzlich fiel es ihr ein. »Der Metzger vom Petersturm!« Sie lachte. »Sie haben aber ein gutes Gedächtnis, dass Sie sich meinen Namen gemerkt haben.«

»Das war nicht so schwer. Erstens gibt’s den nicht so oft, und zweitens …«

»Zweitens?«

»Das müssen Sie sich jetzt schon selber denken«, erklärte ihr Gegenüber.

»Scheint, als könnt das Wetter einige Zeit dauern«, sagte Wally, ohne auf die Bemerkung einzugehen.

»Manchmal muss einer halt Glück haben. Reitz, Michael. Nur für den Fall, dass Sie’s vergessen haben.«

Wally lachte auf. »Nie und nimmer hätt ich das vergessen«, schwindelte sie, aber so, dass er merkte, sie meinte es nicht ernst. »Wo Sie mir zuerst auf dem Alten Peter das Leben gerettet und mich dann später vorm Verhungern bewahrt haben.«

Es war an ihrem ersten Tag in München gewesen, dass sie auf den Turm der Peterskirche gestiegen war und beim Hinaustreten auf die Plattform beinahe ohnmächtig geworden wäre. Damals hatten sie sich zum ersten Mal getroffen. Und später dann in der Metzgerei von Alois Zentner, wo der Unbekannte sich ihr namentlich vorgestellt und ihr einige fachmännische Empfehlungen gegeben hatte. »Und was machen Sie jetzt?«, fragte sie.

»Nachdem meine Metzgerei leider aufgegeben hat, muss ich mich nach einer neuen Stellung umschauen«, erklärte Michael Reitz. »Und Sie?«

»Ich mich auch. Leider«, sagte Wally und nickte zu dem Schwarzen Brett, an dem wie allezeit Aushänge auf Interessenten warteten. »Mir ist mein Dienstherr kürzlich verstorben.«

»Das tut mir leid«, murmelte Reitz und nahm seinen Hut ab.

»Und mir erst. So ein guter Mensch, der Doktor Boselli.«

»Haushälterin sind Sie, stimmt’s?«

»Die werden immer gesucht«, erklärte Wally tapfer, obwohl ihr ein wenig bang war, dass sie sich jetzt wieder vorstellen musste. Längst nicht alle Erinnerungen an ihre früheren Arbeitgeber waren so gut wie die an den letzten.

»Anders als Metzger.« Reitz seufzte. »Früher hat’s in jeder Straße in München drei gegeben. Jetzt kommt ein Metzger auf drei Straßen.«

»Verstehe. Und was suchen Sie sich dann jetzt?«

»Irgendwas. Hauptsach, es hat Zukunft.«

»Sie müssen Ihre Familie ernähren, gell?«

Er lächelte ein wenig wehmütig. »Das Problem hätt ich gern.«

Dann wandte er sich den Aushängen zu, und auch Wally besah sich die Stellenausschreibungen. Immer öfter wurden jetzt Zugehfrauen gesucht, weil es die herrschaftlichen Haushalte kaum mehr gab, wie man sie früher geführt hatte. Die Wohnungen waren kleiner geworden, das Geld knapper, und eine Haushälterin leisteten sich nur noch wenige. Heutzutage sollten die Haushaltshilfen am liebsten außer Haus wohnen und nur zum Putzen und Waschen und für alle anderen schweren Arbeiten zu ihren Dienstherren kommen. Aber wie sollte das gehen: Eine Dienstmagd allein konnte sich von ihrem Einkommen schwerlich eine Wohnung in München leisten. Und Heiraten ging erst recht nicht: Wie hätte sie sich um Mann und Kinder kümmern sollen, wenn sie doch den ganzen Tag lang anderer Leute Haushalt führen sollte? Es war ein Kreuz.

»Und? Sind Sie fündig geworden?«

Wally schüttelte den Kopf. »Eine Zugehfrau wollen sie alle. Aber keine Haushälterin.«

»Verstehe. Ja, das wird nicht ganz einfach sein.«

»Und Sie?«

»Rangierer.«

»Rangierer?«

»Bei der Bahn.«

»Aber Sie sind doch Metzger!«

»Ja. Und?«

»Da können Sie doch die Arbeit von einem Rangierer gar nicht. Oder?«

»Wenn das nicht gesucht wird, was man kann, dann muss man eben das können, was gesucht wird.« Er zwinkerte ihr zu mit diesem spitzbübischen Gesichtsausdruck, den sie früher schon an ihm wahrgenommen hatte, und setzte seinen Hut wieder auf. »Mir scheint, der Regen hat nachgelassen! Also dann …«, sagte er. »Morgen um drei?«

»Was ist morgen um drei?«, fragte Wally irritiert.

»Hofgarten?«

»Soll das eine Einladung sein?«

»Kaffee. Kuchen. Ein Glas Champagner«, schlug Reitz vor.

Wally lachte auf. »Champagner! So was hab ich ja noch nie getrunken. Und das werd ich auch ganz bestimmt nicht trinken«, beeilte sie sich hinterherzuschicken. »Mitten am Tag noch dazu …«

»Also, dann bleibt’s bei Kaffee und Kuchen. Seien Sie pünktlich, Fräulein Geistbeck! Das Glück wartet nicht!« Und weg war er.

Kopfschüttelnd blickte Wally ihm hinterher, wie er durch die letzten Tropfen davoneilte und wie das Wasser zu seinen Füßen nur so spritzte. Auf der Hut würde sie sein müssen vor ihm, das stand fest. Denn dieser Michael Reitz war ein Schlawiner, auch das stand fest. Allerdings ein sehr sympathischer.

***

Eine Verabredung! Zum ersten Mal, seit sie in München war. Zum ersten Mal … seit Ludwig. Aufgeregt war sie, und zugleich hatte sie ein schlechtes Gewissen. Es war, als würde sie Ludwig untreu werden. Andererseits: Sie wusste seit Jahren nicht, wohin es den Jugendfreund verschlagen hatte, wo er jetzt lebte, ob er überhaupt noch lebte! Vielleicht hatte er längst eine Familie gegründet, hatte eine Frau, Kinder …

Solchermaßen versuchte sich Wally selbst Mut zuzusprechen, während sie die Residenzstraße hinunterging, vorbei an den eleganten Geschäften bei der Oper, vorbei an den Löwenstatuen, die den Eingang der Residenz...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2022
Reihe/Serie Die Töchter des Geistbeckbauern Saga
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Armut • Bauernfamilie • Bauernhof • Bauerstochter • Die Farbe von MIlch • Dienstmädchen • Familiensaga • Frauenroman • Frauenunterhaltung • Geschenk für Frauen • Geschenk für Freundin • Glück • GUT • Hallertau • Historischer Roman • Hopfen • Land • Landleben • Landliebe • Landwirtschaft • Liebe • Natur • Natur Writing • Regionalroman • Resi • Saga • Schicksal • Schwestern • Selbstbestimmung • Selbstverwirklichung • Süddeutschland • Wally • Weimarer Republik • Wirtshauskultur • Zenzi
ISBN-10 3-423-44595-5 / 3423445955
ISBN-13 978-3-423-44595-5 / 9783423445955
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