Schöne Frauen lesen (eBook)

Über Ingeborg Bachmann, Annette von Droste-Hülshoff, Friederike Mayröcker, Virginia Woolf u.v.a.

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
224 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-29792-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schöne Frauen lesen - Ulrike Draesner
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Eine mitreißende weibliche Literaturgeschichte in neun klugen Essays
Das Lesen: ein Glück, soviel ist sicher. Aber was geschieht eigentlich, wenn wir uns in die Romane von Virginia Woolf und Antonia S. Byatt, in die Gedichte von Droste-Hülshoff und Friederike Mayröcker, in die Erzählungen von Ingeborg Bachmann hineinbegeben? Wie bahnt sich das Lesen seinen Weg, auf welche Weise berühren uns die erschriebenen, neuartigen Welten? Und welche Stimme ist es, die wir auf einmal immer deutlicher zu hören vermeinen?

Ulrike Draesners Band versammelt hinreißend intensive, spielerisch kluge und immer überraschende Porträts von neun Autorinnen - eine Liebeserklärung ans Leseglück. Über Ingeborg Bachmann, Antonia S. Byatt, Annette von Droste-Hülshoff, Gustave Flaubert, Friederike Mayröcker, Michèle Métail, Marcelle Sauvageot, Gertrude Stein, Virginia Woolf.

Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihre Romane, Essays und Gedichte vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds (2021) für ihr Gesamtwerk, das multimediale Arbeiten und Übersetzungen einschließt. Die Jahre 2015 bis 2017 verbrachte Draesner in England. Nach verschiedenen internationalen Gastdozenturen und Poetikvorlesungen ist sie seit April 2018 Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Draesner lebt mit ihrer Tochter in Berlin.

FRAUEN


(Portale)

Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848)

© ullstein – ullstein bild

Anna Elisabeth Franziska Maria Adolphina Wilhelmina Ludowica, aufgewachsen in einer Wasserburg nahe Münster, ledig, unternahm 1841 eine Wasserreise besonderer Art: Sie besuchte ihre Schwester, die mit Familie im Meersburger Schloss lebte, am Bodensee. Kaum war »Nettchen« angekommen, traf auch Lewin Schücking ein, muntere 17 Jahre jünger als die Dichterin, ehrgeizig, westfälischer Neu-Schriftsteller. Manche reden von »mütterlicher Liebe« – Drostes Gedichte aus der Zeit erzählen etwas anderes. Im April ’42 reiste Schücking wieder ab. Die Dichterin, klein, blond, stark kurzsichtig, die Augen wölbten sich vor wie bei einem Frosch, ging wieder allein spazieren.

Weibliche Welten? Ja, Annette war witzig, bissig, satirisch. Musste Nichten und Neffen hüten. Das Schloss in Meersburg besuchte sie noch zweimal; dort wohnte sie in der »Spiegelei« – freier Blick auf das spiegelnde Wasser des Sees. 1844 erschien auch Schücking wieder, mit frisch angetrauter Gattin. Droste ersteigerte ein Meersburger Haus samt Weinberg. Blicke auf Himmel und See. Schücking und Frau blieben drei Wochen, man kann sich ausmalen, was sich abspielte, er und Droste sahen sich danach nie wieder. Sie versuchte ihr Traubenglück: auspressen, keltern, trinken. Und schrieb Gedichte über Gruben, Pflichten, über Glauben und darüber, was man nicht glauben kann. Sie lachte gern. Krank war sie schon als Kind, blieb es ein Leben lang. Nervosität? Schwächlichkeit? Aus dem Rebenkeltern wurde nichts. Im Alter von 51 Jahren starb sie in Meersburg, wohl an einer Lungenembolie, die einzig wirklich eigenständige Dichterin deutscher Zunge des ganzen 19. Jahrhunderts. Ist das traurig? Ja.

Erwähnte Werke: das Gedicht Das Spiegelbild

Weiter-Lesen: Emily Dickinson, Gedichte

Gustave Flaubert (1821–1880)

© ullstein bild – KPA/Topf

Achet Chufu, Horizont de Cheops – im Dezember 1849 stehen Flaubert und sein Freund Maxime du Camp vor der 140 Meter hohen Pyramide bei Gizeh. Flaubert befindet sich im »besten Mannesalter«, viele Badehäuser werden besucht, zahlreiche Mädchen und Knaben aus der Nähe angesehen. Gustave steckt sich mit Syphilis an, alles andere hingegen läuft wie vorgesehen: Maxime und Gustave schlafen am Fuß der Pyramide in einem Zelt, um am nächsten Morgen vor der Hitze des Tages die Besteigung zu wagen. Gustave, »bestes Mannesalter«, leider etwas dick, beginnende Glatze, keinerlei Kondition, braucht Hilfe: zwei Ägypter schieben, zwei andere ziehen ihn hinauf. Oben wartet bereits Freund Maxime, Flaubert findet eine Visitenkarte, ausgelegt wie ein Osterei: Humbert, Frotteur – Rouen. Das also ist ihr Humor: natürlich hat Maxime die Karte platziert. Doch, besser noch: Flaubert selbst brachte sie nach Ägypten, hatte sich bereits zu Hause den Pyramideneffekt ausgedacht.

Effekte, unwahrscheinliche Übereinstimmungen, Zufälle und Zusammenhang. Auf die Bourgeoisie spottete Flaubert gern, doch als Madame Bovary Erfolg hatte, ließ er sich das Pariser Gesellschaftsleben durchaus gefallen – seiner Emma gar nicht so unähnlich. Sogar das Kreuz der Ehrenlegion trug er auf dem Busen, ganz wie der lächerliche Bovary-Apotheker Homais. Aber die Räume selbstironischer Spiegelung sind unendlich – mise en abîme nennen die Franzosen das, »an den Abgrund setzen«. Beine baumeln lassen, Horizont genießen.

Zu Hause lebte Gustave mit Mutter und Nichte, aus jeder Generation war in der einst großen Familie nur einer übrig geblieben. Später, als er allein war, kaufte er sich einen Windhund und träumte von Prosa um nichts. Er starb plötzlich, erst 58 Jahre alt; als man ihn fand, war seine Faust so verkrampft, dass man keinen Handabdruck nehmen konnte. Auch dies – ein Horizont. Im Übrigen war Flaubert stark kurzsichtig; er verstand es, Poren zu sehen.

Erwähnte Werke: Madame Bovary, Un Cœur simple, Briefwechsel mit Louise Colet; Julian Barnes, Flaubert’s Parrot

Weiter-Lesen: Gustave Flaubert, L’Education sentimentale

Virginia Woolf (1882–1941)

© ullstein bild

Gordon Square, London-Bloomsbury: lautstark warb eine kleine Kommune für freie Liebe, die Bibliothek des British Museum lag um die Ecke, die Zeitungsredaktionen der Fleet Street waren nah. In das helle alte Haus Nr. 46 zogen im Sommer 1904 Vanessa, Adrian und Thoby Stephen; die Vierte im Bunde, Virginia, war krank und wurde in Cambridge behandelt. Nach dem Tod des Vaters im Februar des Jahres hatten die Geschwister eine Europareise unternommen, am Ende hörte Virginia Stimmen, litt an Kopfschmerzen, Herzbeschwerden und warf sich aus einem Fenster. Erst im Winter kam sie nach London, das Leben sollte nun anders werden: die Geschwister, die schon 1895 die Mutter verloren hatten, waren endlich unter sich, Thobys Studienfreunde kamen zu Besuch, einer von ihnen hieß Leonard Woolf. Sieben Jahre später sah er, der inzwischen im englischen Kolonialwesen in Indien arbeitete, Virginia wieder. Zur Hochzeit im August 1912 quittierte er den Dienst und schloss mit seiner Frau einen doppelten Pakt. Sie wollte keinen Sex, er wollte, dass sie jeden Morgen schrieb. Nun lebten die Woolfs in London sowie auf dem Land; immer wieder erkrankte Virginia, wurde in Kliniken behandelt. War sie gesund, hielt sie Vorträge, schrieb Rezensionen, scharfsinnige Essays zur (englischen) Literatur und ein erstes fiktives Buch. Es wurde 1919 gedruckt. Die (natürlich kinderlose) Ehe schien der Autorin gutzutun, in rascher Folge publiziert sie in den 20er-Jahren ihre wichtigsten Romane. Auf einem Gartenfoto kann sie, unter breitkrempigem Hut mit großer weißer Feder, in Spitzenbluse, Rüschenrock, Zigarette im Mund, den Hals durchgedrückt, sodass man den Kehlkopf sieht, scharf schauen wie ein Mann. Im Vergleich zu einem Jugendfoto von 1903 wirkt sie kaum gealtert. Um sich zwischen den Romanen auszuruhen, schreibt sie 1933 ein kleines Buch über den Hund des Dichterpaares Browning, Flush – und sitzt, ein paar Jahre später, mit seidenhaarigem Setter im Garten ihres Landhauses, an eine Blumenurne gelehnt. Schauen kann sie nun wie eine Hagestölzin, ihr Körper ist lang und dünn, Augen gesenkt, schlichtes Kleid – sie wirkt anwesend, doch fort. Im Januar 1939 besuchen die Woolfs Dr. Freud in Hampstead. Der zweite weltweite Krieg bricht aus. Virginia Woolf schreibt, mit Mühen, ihren letzten Roman, Between the Acts.

Erwähnte Werke: Mrs. Dalloway, The Waves, Tagebücher

Weiter-Lesen: Michael Cunningham, The Hours

Marcelle Sauvageot (1900–1934)

© Apic/Getty Images

Tuberkulose, eine Bakterieninfektion, die zumeist die Lunge betrifft, war noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Europa die endemische Krankheit schlechthin. Erst 1946 wurde mit der Entwicklung eines Antibiotikums ein wirksames Heilverfahren gefunden. Marcelle Sauvageot, Französischlehrerin an einer Pariser Knabenschule, braune Haare, schmales Gesicht, erkrankte 1926. Drei Jahre später verschlechterte eine Lungenentzündung ihren Zustand dramatisch. Ein Sanatoriumsaufenthalt Ende 1930 folgte, im Frühjahr wurde sie als geheilt entlassen, doch der Winter 1933 sah sie, schwer krank, in Davos. Dort starb sie Anfang ’34.

Charles du Bos, ein damals bekannter Kritiker, nahm sich, durchaus selbstwichtig, der Briefe der Kranken aus dem Winter 1930 an. Ein literarischer Text? Ein Briefroman? Ein Lebenszeugnis, enthusiastisch und analytisch, bildarm, doch beschwörend, fiktiv und »real«. In seinem Zentrum das alte Problem: der eben noch geliebte Mann ist plötzlich nur mehr von hinten zu sehen. Rasant passieren die Gründe dafür Revue. Krankheit und Liebesbruch nehmen Sauvageot mit. Dennoch spricht sie witzig, gefühlvoll und mit Selbstironie. Das Werk, von Sauvageot Commentaire genannt, erschien in kleiner Auflage, wurde bald wieder vergessen. Was wohl aus dem verlorenen Liebhaber wurde?

Sauvageot: »In Korsika bin ich einmal nach einem langen Ausritt durch die Macchia auf einen offenen Weg hinausgetreten. Ich führte mein Pferd am Zügel; sein Kopf war über dem meinen, und ich verschwand fast zwischen zwei Erdbeerbäumen; vor meiner Brust hielt ich rosa Pfingstrosen. Ich hätte gewünscht, Sie wären da und könnten den Duft der Macchia-Pflanzen riechen; dann hätten Sie verstanden, was mich manchmal zum Wilden hinzieht; Sie wären einfach und wild gewesen wie ich, und wir hätten uns geliebt. Ich habe mein Pferd fest umarmt und dabei die Pfingstrosen zerdrückt. Es war niemand da, der lieben konnte, was ich liebte.«

Erwähnte Werke: Sauvageots einziges: Fast ganz die Deine

Weiter-Lesen: Franz Kafka, Briefe an Frauen

Gertrude Stein (1874–1946)

© ullstein – Camera Press Ltd.

Abgebrochenes Medizinstudium in den USA, vermögende amerikanische Familie, ab 1903 als Kunstsammlerin in Paris. Picasso, Matisse, Cézanne. 1907 lernt sie Alice B. Toklas kennen, ebenfalls Amerikanerin, die ihre Lebensgefährtin wird. Die ersten literarischen Werke erscheinen. Stein schreibt Gedichte, Theaterstücke, eine a rose is a rose is a rose unverkennbare Prosa, die aus den Rhythmen von Satzperioden besteht: durch wiederholende Variation bewegt sich Sprache über die Figuren, die sie erzeugt. Erfolg bringt ihr das Buch Autobiographie von Alice B....

Erscheint lt. Verlag 15.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Annette von Droste-Hülshoff • Bayerischer Buchpreis • Deutscher Preis für Nature Writing • Doggerland • eBooks • Frederike Mayröcker • Gertrude Stein • Gertrud-Kolmar-Preis • Großer Preis des Deutschen Literaturfonds • hell & hörig • Ingeborg Bachmann • Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung • Madame Bovary • Neuerscheinung • Preis der LiteratourNord • Schwitters • Sieben Sprünge vom Rand der Welt • Virginia Woolf
ISBN-10 3-641-29792-3 / 3641297923
ISBN-13 978-3-641-29792-3 / 9783641297923
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