FERRIS (eBook)
320 Seiten
Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-8419-0810-0 (ISBN)
Sascha 'Ferris' Reimann, geboren 1973 in Neuwied, aufgewachsen in Bremen, zählt zu Deutschlands bekanntesten Rappern und lebt seit 25 Jahren in Hamburg. Hier schloss er sich der Mongo Clikke an und wird zur 'lebenden Legende' des deutschen Hip-Hops. 2008 bis 2018 ist er Mitglied der Band Deichkind und findet 2019 eine neue künstlerische Heimat in der Formation Missglückte Welt. Heute ist er sowohl als Musiker als auch als Schauspieler erfolgreich und engagiert sich als Pate im Deutschen Kinderverein. Er lebt mit seiner Ehefrau Helena Anna Reimann und den gemeinsamen Kindern in Hamburg.
Sascha "Ferris" Reimann, geboren 1973 in Neuwied, aufgewachsen in Bremen, zählt zu Deutschlands bekanntesten Rappern und lebt seit 25 Jahren in Hamburg. Hier schloss er sich der Mongo Clikke an und wird zur "lebenden Legende" des deutschen Hip-Hops. 2008 bis 2018 ist er Mitglied der Band Deichkind und findet 2019 eine neue künstlerische Heimat in der Formation Missglückte Welt. Heute ist er sowohl als Musiker als auch als Schauspieler erfolgreich und engagiert sich als Pate im Deutschen Kinderverein. Er lebt mit seiner Ehefrau Helena Anna Reimann und den gemeinsamen Kindern in Hamburg. Helena Anna Reimann, geboren 1985 in Hamburg, hat Modejournalismus und Medienkommunikation an der Akademie für Mode und Design studiert und arbeitet seit ihrem Abschluss 2011 als freie Redakteurin und Texterin für Magazine, Rundfunkanstalten und Werbung. Bis zu der Geburt ihres Kindes 2018 war sie zusätzlich als Produktionsleitung, Creative und Art Director für Werbe-, Mode- und Videoshootings sowie als Dozentin im Studienfach Modejournalismus tätig. Nachdem sie einige Zeit in Berlin und Köln gewohnt hat, lebt Helena Reimann mit ihrem Ehemann Sascha "Ferris" Reimann und den gemeinsamen Kindern in ihrer Heimat Hamburg.
Ferris macht Bau
Zugegeben, mein Leben ist eine Aneinanderreihung komplett absurder Ereignisse – immer schon. Nicht immer schön, aber zumindest rückblickend überwiegend unterhaltsam.
Eine der beklopptesten Geschichten ist mit Sicherheit die meines Verschwindens.
Die Geschichte, die Mitte Dezember auf Tobis Mofa in Altona beginnt und einen Tag vor Heiligabend 1999 mit der Entlassung aus der Untersuchungshaftanstalt Hamburg endet.
Von Anfang an geht sie so:
Ich war allein zu Hause in meiner Wohnung in der Palmaille in Altona. Zwar hatte ich, realistisch betrachtet, noch ausreichend Weed für den Abend und den nächsten Tag, aber die Vorräte waren nach Bela B.s völlig aus dem Ruder gelaufenen Geburtstagsparty vor ein paar Tagen doch erheblich geschrumpft.
Nichts war damals für mich unerträglicher als das Gefühl, zu wenig Gras im Haus zu haben, um mich in die Besinnungslosigkeit zu kiffen.
Da Tobis Mofa als Dauerleihgabe bei mir vor der Haustür stand, war ich theoretisch einsatzfähig und nur ein paar knatternde Meter vom Dealer meines Vertrauens entfernt. Also raffte ich mich auf und tuckerte in Richtung Eimsbush Basement – nach etwa 200 Metern mitten rein in eine allgemeine Verkehrskontrolle und den diensthabenden Beamten direkt zwischen die reflektierenden Kellen.
Dass ich weder einen Helm trug noch im Besitz eines gültigen Führerscheins war, dass es zum Tobi-Mobil keine passenden Papiere gab sowie die Tatsache, dass ich offensichtlich total breit war und dann doch noch – hoppla – drei Packen Weed à fünf Gramm, in Jackentaschen verteilt, vergessen hatte, interessierte die Polizisten alarmierend wenig.
Aufgeregt flatterten sie um meinen Perso herum, reichten ihn hin und her, nuschelten in Funkgeräte und warfen mir böse Blicke zu. Richtiggehend unfreundlich waren sie.
Natürlich war ich mir keiner Schuld bewusst. Okay, ich hatte eine kleine Menge Gras dabei und eben in der Wohnung noch einen Joint geraucht, aber immerhin nicht während der Fahrt, so wie sonst.
Unvermittelt grapschten mich zwei uniformierte Kerle, warfen mich bäuchlings auf die Kühlerhaube ihres Peterwagens und legten mir zu zweit Handschellen an, als hätte ich mich gewehrt. Dazu wäre ich allerdings viel zu perplex und bekifft gewesen.
Eine Piepsstimme, die einer kleinen Polizistin mit blondem Pinselzopf entwich, japste irgendwas von Haftbefehl und Holstenglacis. Bitte was?
Ich bekam einen Lachflash – diese Situation war zu bekloppt. Prustend schlug ich vor, am besten direkt die Presse zu informieren. Was für eine abgefahrene Story war das denn? Diese Anregung wurde aber leider ebenso ignoriert wie meine Nachfragen zum angeblichen Haftbefehl gegen mich.
Nur ein Polizist gab mir den womöglich gut gemeinten Rat: „Hör auf zu sabbeln, Junge, du bist doch völlig drupp“, als ich im Streifenwagen auf das Revier gekarrt wurde.
Dort angekommen versuchte ich mittlerweile recht ratlos irgendjemanden dazu zu bringen, mich telefonieren zu lassen oder wenigstens für mich meinen Manager, meine Plattenfirma oder zumindest Tobi anzurufen – wobei eh nur Letzterer ans Telefon gegangen wäre, mittlerweile war es 20 Uhr und kein Büro mehr besetzt.
Freitagabend, ab ins Wochenende.
Auf der Wache wurde ich nach spitzen Gegenständen abgetastet, bis auf meinen Schlüssel, der als ungefährlich eingestuft wurde, hatte ich aber nichts dabei, und so kassierten sie bloß mein Handy ein. Portemonnaie, Schlüssel und, am wichtigsten, mein Weed blieben bei mir. Das hatten die Schwachköpfe, unglaublich, aber wahr, in ihrer überbordenden Aufregung übersehen.
Ein Teil der Belegschaft erkannte mich und feierte sich so richtig darauf ab, das „Reimemonster“ eingefangen zu haben – was für ein Haufen Idioten.
Das Monster wurde dann artgerecht in einem Gefangenentransporter eingepfercht. Ein riesiger Bus mit separaten Minizellen für Schwerverbrecher, Mörder, Kinderfresser – und mich.
Ich wusste nicht, was da gerade passiert. Es gab in der etwa Dixi-Klo-großen Buszelle natürlich kein Fenster, mit der Destination „Holstenglacis“ konnte ich nichts anfangen.
Zu allem Übel kam erschwerend hinzu, dass ich nach Belas Party immer noch Chemie abbaute. Jeder, der schon mal Pillen in Kombination mit einer größeren Menge Kokain konsumiert hat, weiß, wovon ich rede.
Für alle anderen: Der Körper fährt ganz ekelhaft runter, versucht diese chemische Bombe mit allen Mitteln zu entschärfen und abzutragen.
Ich war extrem emotional, körperlich wie seelisch äußerst sensibel und über alle Maßen geräuschempfindlich. Ich fror und schwitzte gleichermaßen, hatte brutale Kopfschmerzen und Ohrensausen.
Eigentlich wollte ich in dieser Verfassung nur liegen, kiffen und TV glotzen. Alles in allem also keine sonderlich erquickende Konstitution, um in den Knast einzufahren.
Dass ich tatsächlich gerade in den Bau wanderte, wurde mir erst klar, als ich übertrieben ruppig aus dem Gangstergroßraumtaxi gezerrt wurde und mich in einem gefliesten Raum mit Metalltisch wiederfand.
Die Handschellen wurden mir hier endlich abgenommen – leider bloß, um mich von Kopf bis Fuß zu filzen. Alles wurde durchsucht, alles, was ich noch bei mir trug, wurde konfisziert: Portemonnaie, Schlüssel und, am schlimmsten, mein Weed. Das Geld würde ich demnächst ausgehändigt bekommen, sagten die Beamten. Den Rest nicht.
Dabei hatte ich schon überlegt, wo ich hier am besten, bevorzugt liegend, gemütlich einen durchziehen könnte.
Wortlos wurde ich ein Zimmer weitergeschoben, hinter mir fiel eine Tür schwer ins Schloss.
„So, der Herr – Leibesvisitation. Entkleiden, komplett“, sagte einer der umstehenden Männer, die sich mittlerweile zu einer bunten Truppe aus dunkelgrüner und dunkelblauer Dienstkleidung in dem kleinen Raum zusammengefunden hatten. JVA-Beamte, Polizisten, einer von ihnen sah aus wie der Hausmeister.
Dass ein weiterer „Gefangener“ die ganze Zeit über eine Armlänge entfernt neben mir stand, bemerkte ich erschreckend spät. Hatte auch er im Hannibal-Lecter-Reisebus gesessen?
Er verstand offenbar kein Deutsch, so auch nichts von dem, was die Beamten ihm entgegenblafften – auch nicht, als sie anfingen, ihn anzuschreien.
Also orientierte er sich an mir. Ich zog meine Jacke aus, er hatte keine. Ich zog meinen Pulli und mein Shirt aus, er tat es mir gleich. Ich zog die Schuhe aus, er auch. Ich öffnete meinen Gürtel und sein ratloser Blick wurde ängstlich. Ich zog die Hose runter, er guckte panisch.
Ich stand vor ihm und allen anderen in Boxershorts da, guckte ihn an und zuckte mit den Schultern.
Unendliche, sehr unangenehme Minuten später, akustisch untermalt von mehrstimmigen Pöbeltiraden seitens des Uniformpotpourris, hatte er sich ebenfalls dazu durchringen können und präsentierte unfreiwillig seine Unterhose.
So standen wir da, ich fluoreszierend weiß mit abstehenden, blonden Locken bis zu den Schultern, er tiefschwarz mit superkurz geschorenem, dunklem Haar. Was für ein Paar.
„Komplett entkleiden!“, forderte mich eine Stimme auf, die ihre Schadenfreude nicht mal zu verstecken versuchte. Eine andere fiel mit ein: „Komplett entkleiden bedeutet nackt!“
Ich war zu fertig, um mich zu wehren, hätte sowieso nichts gebracht. Also zog ich erst die Socken aus, legte selbige auf den stetig wachsenden Haufen Klamotten vor mir auf den Tisch und zog die Boxershorts runter.
Mein neuer Kumpel guckte mich jetzt nicht mehr an, sondern zu Boden.
Mit schwächelndem Kreislauf und mittlerweile ebenso schwacher Stimme verlangte ich wieder danach, telefonieren zu dürfen. Aus diversen Filmen hatte ich schließlich gelernt, dass jedem Knastimport ein Anruf zusteht – dieser eine berühmte Anruf.
Was in Hollywood Gesetz ist, galt, jedenfalls in Hamburg, nicht. „Wen willste denn jetzt anrufen, zu später Stunde?“, fragte mich röchelnd ein Kaventsmann in Dunkelblau. „Plattenfirma, Manager, egal! Digga, ich bin Rap-Star!“, entgegnete ich, so laut ich konnte, mit dem kläglichen Rest Lungenvolumen, das mir in meinem erbärmlichen Zustand noch zur Verfügung stand.
Er lachte. Seine Kollegen lachten, lachten mich aus. Als sie sich einigermaßen beruhigt hatten, antwortete einer von ihnen: „Das ist ja schön für dich, bringt dir aber nix. Da hatten wir hier schon ganz andere Promis sitzen“, und ein anderer ergänzte: „Hier sind alle gleich, wirste schon sehn.“ Na toll.
„Ich bin unschuldig, ihr Wichser!“, brüllte ich und die Beamten lachten wieder, noch lauter und noch länger. „Scheiß Spackos!“, krakeelte ich in die Runde, die auch daraufhin nicht verstummte.
Mein Leben hatte doch gerade erst angefangen, endlich Spaß zu machen – sollte es das schon gewesen sein? Warum zur Hölle war ich eigentlich hier? Durften die mich einfach einschließen, ohne mir zu sagen, wofür? Es musste einfach eine Verwechslung vorliegen, anders konnte ich es mir nicht erklären.
Eine Woche zuvor hatte ich, zusammen mit DJ Stylewarz, einen Gig in Santa Fu, Hamburgs Justizvollzugsanstalt, gespielt. Bevor wir auf die Baubühne durften, mussten wir diverse Schleusen passieren: Personalausweise vorzeigen, zugegeben ein etwas salopper Sicherheitscheck, aber immerhin, Auflistung unseres Equipments, das volle Programm.
Warum, wenn ich mir denn etwas zuschulden hatte kommen lassen, war ich da nicht schon festgenommen worden?
Nach unserem Auftritt, bei dem der komplette Saal nach meiner Ansage...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2022 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | 90er • Biografie • Biographie • Bremen • buch musiker • Deichkind • Deutschrap • Eimsbusch • Eimsbüttel • Ferris • Ferris MC • Freaks Association Bremen • Hamburg • Hip Hop • Mongo Clikke • Musik • Punk • Rap • Reeperbahn • Reimemonster • Samy Deluxe • Sido • St. Pauli • Tenever |
ISBN-10 | 3-8419-0810-1 / 3841908101 |
ISBN-13 | 978-3-8419-0810-0 / 9783841908100 |
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